Mein krieg aufzeichnungen aus 2129 Tagen



Download 2,31 Mb.
bet3/41
Sana27.06.2017
Hajmi2,31 Mb.
#17369
1   2   3   4   5   6   7   8   9   ...   41

9. Dezember 39. Notiere doch alle die Bücher, die Du in der F.Z. anstreichst. Im Frieden kaufen wir sie dann – vielleicht. Ich sitze hier im Gebauer-Saal, wo Wehrmachtskonzert ist. Das beweist Dir, wie toll gemütlich es im Konvikt ist, wo ich floh. Ich bin
26
durch die Hintertür herein und warte drauf, hinausgeworfen zu Werden. Ich habe keine Karte. Das Volk strömt in Massen.

17. Dezember 39. Also Weihnachten zusammen in Bonn, wenn es mit dem Urlaub klappt. Und dann kommst Du hierher, obwohl Ehefrauen und Bräute hier streng verboten sind, damit die Nester nicht noch mehr überlaufen. Da würde sich ja das Reich in die Eifel verlagern.


Ich zeichne Wihnachtspostkarten, die auf dem Vervielfältigungsgerät der Kompanie zweifarbig abgezogen und verteilt werden.

Die Wachtmeister wollen auch Karten haben. Dergleichen ist immer mit Vorteilen verbunden.

[Von Dr. F. Minssen]

Berlin, 20. Dezember 39. . . . Mögen wir alle das nächste und die folgenden Jahre in einem immer größeren, mächtigeren, schöneren usw. Reiche verbringen, und unsere Führer alle für ihre Verdienste die ihnen zustehende Anerkennung ernten! Wenig zu sagen ist über Ihren in einem Ihrer letzten Briefe gemachten Vorschlag [››Reklamation« vom Militärdienst] Es sind sogar für unseren Betrieb lebenswichtige Spezialisten wie Ätzer, Offsetdrucker etc. nicht freigekornmen . . .

[Aus dem Notizkalenden]

23. Dezember 39. Um 7 Uhr früh nach Bonn über Köln. Zu Pütters [Verwandte] E. ist schon da. Das Haus liegt schön unmittelbar über dem Rhein. Jugend vorhanden, Vettern und Kusinen von E. – 26. Dezember 39. Um 4 Uhr abgefahren nach Prüm mit E. - 27. Dezember 39. E. bei Wollwerth in der Hindenburgstraße einquartiert. Orgelkonzertvorbereitungen. ~ ı8. Dezember 39. Nach Trier bei großer Kälte im Wagen mit dem Hauptwachtmeister. Kino, Rühmann. Ich bekomme ››Stadt«-Ur- laub über Neujahr. Wir feiern Neujahr in der Hindenburgstraße, machen weite Spaziergänge.

,

1940


Musik IN DER EIFEL

[Aus dem Notizkalender]

1. januar 40. Neujahrsmusik in der Konviktskirche. Der General ist auch da. - 2. Januar 40. Wieder im Dienst – aber ohne Dienst zu machen. Die ganze Woche nur Orgel üben, Vorbereitung für das zweite Konzert, Programm vervielfältigen lassen bei der Kreisleitung. - 4. Januar 40. Erstmals Musik beim Landrat mit dem Ortskomrnandanten. - 6. Januar 40. Wir üben den ganzen Tag.

[Seit meinem zehnten ]Jahr hatte ich Geigenunterricht. Klavierspielen fing ich neben der Mutter an. Orgel hatte ich mir in der evangelischen Kirche von Weilheim ein bißchen beigebracht. Ein ››Orgelkonzert« in der Konviktskirche zu Prüm am 1. Januar 1940 für die Truppe zu veranstalten, war Hochstapelei, wäre unverantwortlich gewesen, wenn es nicht dem Zweck gedient hatte, mir Freizeit vom Dienst zu verschaffen in dieser Phase des Krieges. Mit dem Lazarettarzt v. Kusserow als 2. Geige, einem Notar aus Halberstadt, der in Prüm Ortskommandant war, als Bratschist und einem Berufs-Cellisten aus dem Musikkorps der Division bildete ich dann ein Streichquartett. - Hier folgt der Text einer in der ganzen Stadt verbreiteten Einladung zum zweiten Konzert]

Eine Nachrichtenkompanie Eintritt 1.– Reichsmark.

Einheit 130 48

Musikalische Morganfeier

zu Gunsten des Kriegs – WHW,

»ORGELMUSIK AUS VIER ]AHRHUNDERTFN«

am Sonntag, dem 7. Januar 1940, vormittags 11 Uhr im Konvikt zu Prüm/Eifel.

Die Kompanie einer Nachrichtenabteilung veranstaltet in dem stimmungsvollen Kapellenraum des Konvikts ein Orgelkonzert. An die Bürgerschaft der Stadt, an alle, die gern eine Stunde ernster Musik hören, richtet sich unsere Einladung.

31
Von dem altitalienischen Orgelmeister Frescobaldi spielen wir eine Canzona; von Bach das wunderbare Preludium in gis-moll und das berühmte Orgelkonzert in d-moll. Es folgt eine Suite von Händel und drei Stücke für Geige und Orgel von Corelli, Händel und Lotti. Werke neuerer Zeit (Reger) bilden den Beschluß.

Programm

C a n z o n a Girolamo Frescobaldi

Präludium J.S.Bach

Suite G. F. Händel

Prelude ¬ Allemande – Sonatina – Chaconne

Drei Stücke für Geige und Orgel

Adagio Corelli

Bourée G. F. Händel

Aria Antonio Lotti

Orgelkorızert in d-moll J.S.Bach

Ave Maria Reger

Orgelphantasie Nikolaus Fux

Die Einladung gilt auch als Eintrittskarte. Der Reinertrag der Veranstaltung fließt dem Kriegs-WHW zu.

15. Januar 40. Die Orgel hat das Konzert nicht gut überstanden, aber nun geht sie wieder. Etwas gespielt. Abends Quartett beim Ortskommandanten. E. hat eine Werkstatt gefunden und schnitzt in der Kälte Schuhmodelle.

I7. Januar 40. Abends Quartett. Frl. Becker, E.s Hausgenossin bei Wollwerths in der Hindenburgstraße, schenkt mir einen Notizkalender für 1940, der im ganzen Ort nicht aufzutreiben war. So führe ich ab heute das neue grüne Büchlein in gutem Leder. Glücklicherweise enthielt das vorige noch den Januar.

Musik beim Ortskommandanten. Sehr kalt. Mittags eine Stunde skigelaufen.

[Aus dem Notizkalender]

18. Januar 40. Geige geübt für das Konzert am 4. Februar.

25. Januar 40. Wache bei sehr großer Kälte und Mondschein.

30. Januar 40. Adolf H. spricht abends ohne Neuigkeiten.

31. Januar 40. Musik mit Studienrat Klein. Bachkonzert.

32
4. Februar 40. Vormittags muß noch ein Ofen gesetzt werden, denn es ist zu kalt in der Aula. Abends mit großem Erfolg das Konzert. Anschließend bis 1 Uhr beim Ortskommandanten. Wir spielten die Quartette Haydn, op. 77/1, das Adagio aus Beethoven op. 18/6, und KV 387 von Mozart. Ich nach der Pause, begleitet von Studienrat Stein, das a-moll von Bach. [Die Überschüsse, 4. und 8. 2. (Wiederholung), in Höhe von 145,5; lieferten wir für das WHW (Winterhilfswerk) bei der NS-Kreisleitung ab.]


6. Februar 40. Erfahre von Hpt. Ritter, daß Edith abreisen muß, es wissen zu viele jetzt, daß sie hier ist. Abschiedsbesuche, packen. Nachts in der Hindenburgstraße ohne Urlaubsschein.
7. Februar 40 (Aschermittwoch). Bringe E. zum Zug um 8.10.

Die Schuh-Modelle gehen mit der Post. Ziemlich flau zumute.

8. Februar 40. Das Konzert mit großem Erfolg vor vollem Saal wiederholt. A-moll gut gespielt.

[Dem Krieg, den Umständen in Prüm verdankte ich für Monate eine hohe Konzentration aufs Musizieren. Weder vorher noch nachher habe ich musikalisch etwas reproduziert, das so, wie Bachs Geigenkonzert am 8. Februar 1940, dem nahekam, was man Musik nennt. Nach dem Krieg habe ich die Geige weggelegt.]

19. Februar 40. Ich bin ab heute zum normalen Vermittlungsdienst eingeteilt, der jeweils acht Stunden dauert. Die Vermittlung befindet sich im Konvikt, hier laufen alle Felddienstleitungen und einige Amtsleitungen der Division zusammen.

Ich schreibe auf der Stube, und es ist wieder große Unruhe. Ich weiß nicht, was ich tun würde bei diesem Radiogetöse ohne das Wollwerthsche Zimmerchen. Ich stelle alle zwei Minuten ab, die andern immer wieder an. Es ist eine Krankheit, eine schlimme und unheilbare, sich vor Stille zu fürchten. [Wegen des Radio-Mißbrauches kommt es eines Tages, von mir ausgelöst, in der Unterkunft zu einer schweren Schlägerei, nach der ich zum Arzt muß und genäht werde]

[Vom 27. Februar bis 12. März 40 bekomme ich Urlaub, wir verbringen ihn in der bereits halb ausgeräumten Berliner Wohnung.

In diese Tage fallen verschiedene Begegnungen mit Dr. Jürgen Eggebrecht, Lektor der Hanseatischen Verlagsanstalt vor dem Krieg, 1940 jedoch bereits Zensor im OKW als Kriegsverwaltungsrat

33
mit goldenen Kragenspiegeln. Im Dom-Hotel in Köln habe ich in diesen Tagen ein langes Gespräch mit dem Leiter des Insel-Verlages, Prof. Kippenberg, darüber, ob es eine Möglichkeit gebe, die Zeit realistisch darzustellen und die Darstellung dennoch unter den gegebenen Verhältnissen zu veröffentlichen]

3. April 40. Sehenden Auges und daher unverzeihlich rannten Bertram und ich gestern abend in unser Unglück, in den Soldatenfilm »Das Gewehr über!«. Wie schön war es, danach in das Städtchen, in eine menschliche Umgebung hinauszutreten aus der Höhle. Der Film war ein Alpdruck, er zeigte das heitere Militär und das erzieherische Kasernenleben.

[In diesen Wochen beginnt die einzige enge Freundschaft, die ich in diesem Krieg knüpfte, mit dem jungen Bildhauer Hansheinrich Bertram aus Peine.]

KRIEGSREISE DURCH FRANKREICH

9. Mai 40. Du wirst durch Frl. B. Telefonisch Nachricht bekommen haben, und hoffentlich auch Mama und R.s [Verwandte, Agnes und Robert Ruoff, in München-Pasing] verständigt haben. Noch wissen wir ja nicht, ob sie nicht schneller durch die Zeitungen informiert werden und ob sich nicht die Aufmerksamkeit der Welt jetzt auf uns richten wird. Du wirst eine angefangene Zeichnung [vom Dom in Prüm] bekommen, eine Glorifizierung des friedlichen Winters. Ich zeichnete gerade daran und hatte Dienst an der Vermittlung. Es war gar kein Betrieb auf den Leitungen, als ein Blättchen Papier kam, dessen Inhalt wir hinausjagten an die ganze Division, worauf wir uns dann selbst in Bewegung setzten.

Ich fahre in einem kleinen, wendigen BMW mit offenem Dach sehr bequem, fotografierend und Tee trinkend. Weit ging's nicht, nun ist es Abend, wir biwakieren, und der Morgen wird Klärung bringen. Der Augenblick ist nicht ohne Spannung und Reiz. Der lakonische und trockene Beginn so extremer Ereignisse, die Selbstverständlichkeit, mit der sie anrollen, ist eine neue Erfahrung.

10. Mai 40. Ich sitze im Auto und warte. Wir warten alle. Es ist 11.40 Uhr. Die Sonne scheint, die Kolonne steht am Waldrand,

34
die Sonne spielt im Laub junger Buchen und wirft Schatten aufs Papier. Blauer Himmel mit hochgetürmten Wolken. Motorengeräusche, manchmal Flieger, früh im ersten Licht große Ge- schwader. Wir warten darauf, daß die Straße frei wird. Im übernächsten Wagen ist ein Kofferempfänger in Betrieb, die Situation ist bereits durch Radio-Verkündung seit drei Stunden geklärt.

Wir sind etwa 5 km von der Grenze entfernt. Meine private, nach der Karte gebildete Meinung ist, daß wir durch den Nordzipfel Luxemburgs und an der Nordgrenze Frankreichs entlangziehen werden zum Meer. Ich glaube nicht, daß wir nach Frankreich gehen. Die holländische Mobilmachung ist uns bekannt. Das Radio spielt Tannhäuser. Einzug in Walhall wäre zu anzüglich. Die Nacht war schön, ich hatte die erste Wache. Eben kommen Flugblätter von oben, ich vermute deutsche für die Neutralen. Es wird lange dauern, bis wir uns wiedersehen. Eben wird der Tagesbefehl von A. H. im Radio verlesen. Ich will versuchen, den Brief noch loszuwerden. Nein, es geht nicht mehr, wir fahren. Stahlhelm auf! Motor an!

10. Mai 40. Ich will wieder numerieren. Brief Nr. 1 (neue Zählung) ging vor einer Stunde ab, es ist halb acht abends. Wir haben seit 12 Uhr 5 km (1) zurückgelegt, sind immer noch in Deutschland. Wir halten an einem steilen Hügel. Die Pferdekolonnen sind an uns vorbeigezogen. Wenn wir erst aus dem Nachschub heraus sind, wird es schneller gehen. Wo unsere Division ist, wissen wir nicht. [Wenn ich im folgenden »die Division« oder »das Regiment« usw. Schreibe, ist immer der Gefechtsstand ihrer Führungen gemeint, nicht ihre Masse an Soldaten und Waffen.] Es ist völlig ruhig, keine Artillerie. Vor uns Luxemburg, etwas weiter nördlich Belgien. Sauerkraut mit Fleisch wird ausgegeben, die Feldküche ist bei uns.

11. Mai 40, 11.30. In einem belgischen Buchenwald. Wir fuhren während der ganzen Nacht mit gelöschten Lichtern auf steilen Straßen im Schneckentempo und überschritten um 1.40 Uhr die luxemburgische Grenze. Die Nacht war prachtvoll klar. Seit dem Aufbruch aus Prüm habe ich noch nicht geschlafen. Eben wurde ein Flugzeug abgeschossen, die Flak steht nebenan in der Wiese.

Jetzt sind wir mitten im Krieg. Vom tiefen Rollen schwerer Artillerie bis zum Bellen der Maschinengewehre ist alles vereinigt.

Dazu die Flieger. Der Abschuß [des Flugzeuges] erregte natürlich

35
große Begeisterung. Mein Trupp ist nach wie vor nicht in Aktion, wir harren der Befehle. Viel hohes Getier läuft hier herum. Der Feind, Belgier, Franzosen, Engländer?

13. Mai 40. Ich bemerke, daß Zeit- und Ortsangaben eigentlich störend sind in der Wiedergabe dessen, was wir hier treiben. Sie spielen gar keine Rolle. Alles fließt . . . Wann wir wo sind – das ergibt sich aus den Entschlüssen unserer und der französischen Führung; ich habe allerdings den Eindruck, zunehmend nur durch unsere Entschlüsse. Das Kaninchen erwartet den motorisierten Adler.

Irgendwo gingen wir auf Quartiersuche. Ich kletterte auf einer Leiter in den 1. Stock eines Bauernhauses, trat ein Fenster ein und war drin. Wer hätte gedacht, daß ich einmal fremder Leute Häuser so betreten würde. Ein komisches Gefühl, durch die verlassenen Zimmer zu gehen. Aller Kram ist verstreut, Wertvolles aus den Laden gerissen und mitgenommen. Die Besitzer handeln wie Räuber, wir wie Besitzer, indem wir Ordnung machen, ein bißchen Ordnung, um schlafen zu können und um einen sauberen Tisch zu haben fürs üppige Essen, das auch nicht gekauft ist.

14. Mai 40. Wir sind vorgefahren durch ein enges Tal zu einem kleinen Schloß. Wir bauten beim Wartehäuschen einer Kleinbahn 300 m von dem Schlößchen entfernt unseren Vermittlungsladen auf, wobei wir Feuer erhielten von den Höhen. Drei Stunden später: Wir sind zurückgegangen und müssen wieder vor. Wieder drei Stunden später: ein lebhafter Tag, von La Cachette, so heißt das Schlößchen, zurück auf der Vormarschstraße in eine ordentliche Feuertaufe. Ich stellte fest, daß sie mich kalt ließ. Ich bediente einen Telefonanschluß neben einem Bauerngehöft, dicht neben der Straße und so hoch gelegen, daß ich den Verkehr unter mir vorbeiziehen sah. Die Artillerie bezog Stellungen, Panzer kamen, die Infanterie ging vor, die Flieger brausten über uns weg, und es schoß gewaltig. Um 4 Uhr wieder nach La Cachette. Man sah recht längliche Gesichter und einige zögerten so herum. Aber dann fuhren wir natürlich und kamen gut durch. Tote Pferde, umgestürzte Wagen, zerstörte Häuser, die Straße selbst heil. Vor und nach uns gab es Verluste. Wir sollen afrikanische Divisionen vor uns haben. Man hat ein Gefühl großer Hilflosigkeit, wenn man ein feindliches Flugzeug auf sich zurasen sieht.

15. Mai 40. Noch in La Cachette. Vor uns ist die Maas, es wird

36
recht erbittert um den Übergang gekämpft. Man kann es hören. Unsere Verluste sollen beträchtlich sein. Die bisher versuchten, über den Fluß zu kommen, sind tot. Das Tal soll jetzt durch Flieger künstlich eingenebelt werden. Die linke und die rechte Nachbardivision ist schon drüben. Das wird unsern General wurmen.

[Er hieß Lichl.] 4 m vor unserem BMW, in dem ich sitze, hat er sich, rotleuchtend, 2 m lang, in die Sonne gelegt.

Es ist Kohlhases Regiment, das vorne kämpft. [Organist Kohlhase, Straub-Schüler, der bei den Prümer Konzerten mitwirkte.] Weil's nicht weitergeht, wird unser Wägelchen zweimal von La Cachette nach Neufmanille geschickt, um für die Feldküche ››ein- zukaufen« – Olivenöl, Essig, Nudeln, Kaffee, Tee, herrliche Marmeladen in kleinen irdenen Töpfen aus einem reichen Privathaus. Ist befohlenes Plündern Plündern? Ich gestehe, mein Gewissen schlägt nicht. Die hinter uns kommen, werden dieses Freß- paradies ausleeren. Über die Marmeladen war Pergament gezogen, rundum ordentlich abgeschnitten, datiert. Wie Gottfried Kellers Schwester das Brennholz zu überwintern pflegte, hat diese Bäuerin ihre Marmelade geschont, die Hälfte ist Ernte 1938. Für den Trupp habe ich einen Gasherd mit Gasflasche mitgenommen. Wir werden unabhängig von der Reichsversorgung.

Der Übergang ist immer noch nicht geschafft. Der arme v. Hiller, der musikalische Offizier aus Prüm, ist sehr schwer verwundet.



Man konnte ihm lang keine Hilfe bringen, der Zufahrtsweg lag unter Feuer. Der General ließ ihn mit einem Panzer holen. Am 9., heute vor einer Woche, traf ich ihn im Kaffee Endres, und er erfuhr durch mich, daß die Division alarmiert sei.

Abends gegen 11. Man baut jetzt eine Brücke. Eine Brücke . ..

eine Brücke. . . Wir werden morgen laufen müssen, um wieder aufzuholen. Ich sah heute Panzer neuer Konstruktion, sie sahen kräftig und elegant zugleich aus. Wir wollen den Krieg nehmen wie andere Unannehmlichkeiten.

16. Mai 40. Ich höre, ab 1. Juni würden alle Kleinbetriebe geschlossen und die Frauen in die Fabriken befohlen. Schlimmstenfalls laß Dich nach Weilheim schicken als landwirtschaftliche Hilfe auf schwiegerelterlichen Boden. Besser als Fabrik wäre das auf jeden Fall. Ich denke, mit den allerdümmsten Vorschlägen, wenn sie nur ins Schema passen, Landwirtschaft paßt immer, kommt man am leichtesten durch.

37
17. Mai 40 [dem Kurierwagen in Iviers am 18. Mai mitgegeben].

Freitag. Dorf La Férée, auf einer Weide unter einem Kirschbaum.

Sonne, heiß, doch kühler Wind. Ich bin etwas betrunken von Rotwein, den ich zu sieben Rühreiern getrunken habe. Essen statt Schlaf. Ein großes Stück vorangekommen. Züge Gefangener wandern an uns vorbei, völlig unbewacht, wie es in Polen auch gewesen sein soll. Die Leute sind total erledigt; als wir sie kreuzten, waren sie, wie mir einer sagte, schon 30 km unterwegs. (Ein Infanterieregiment von uns ist gestern 22 Stunden marschiert, fast 80 km weit. Aber als Sieger oder als Gefangener marschieren, das ist zweierlei.) Ich holte mit einem aus dem Trupp Kisten mit Äpfeln und Mineralwasser aus einem Lagerkeller herauf und verteilte sie an etwa 200 bis 300 Gefangene.

[Diese Stelle gewann später merkwürdige Bedeutung. Sie war wörtlich in meinem Manuskript »Kriegsreise durch Frankreich« enthalten, das der Verlag Paul List, Leipzig, 1941 veröffentlichen wollte. Dem OKW, nach der für jeden Autor in Uniform geltenden Vorschrift, zugeleitet, wurde es schließlich sogar dem Chef, General Jodl (in Nürnberg hingerichtet) vorgelegt. Er machte mit Grünstift Bemerkungen und Striche; so z. B. durch diese Sätze, auf deren Erhaltung ich u. a. in meiner Stellung- nahme beharrte. Wohin dieser von mir gleichsam im Nebel geführte Streit – ich hatte keine Ahnung, wer im OKW mitlas – mich brachte, berichten die Aufzeichnungen vom Sommer 1941.] Alle Franzosen sagen dasselbe: wir wissen nicht, warum wir kämpfen, die Engländer sind an allem schuld, unsere Generäle sind gekauft. Gott sei Dank, für uns ist der Krieg aus! 1I8. Mai 40. Hannogne, 25 km südlich vom letzten Ort: Iviers. Schau auf die Karte, dann siehst Du, wir haben in den letzten zwölf Stunden eine große Flankenschwenkung vorgenommen und haben eine nach Süden gerichtete Verteidigungsstellung bezogen. Ich denke, das ist ein kritischer Moment des Feldzuges. Die Franzosen scheinen noch etwas in der Tasche zu haben. Ihre Panzer sollen eingreifen.

Wir kamen durch Rozoy, gestern eine Stadt, heute brennende Ruinen. Auf dem kleinen Marktplatz war die Straße eine Furt durch die Trümmer. Überall lag das zerquetschte, rauchende Blech von Autos herum. Deutsches Militär drängte über die Schuttberge hinweg nach vorne. Wir hielten einen Augenblick. Ein alter Mann

38
stocherte in der Asche herum. Familien mit Säuglingen und Greisen waren auf dem Rückweg zu ihren Wohnungen, hoffend, sie noch heil zu finden, aber zweifelnd, ob es der Fall sei. Sie fürchteten uns und drängten sich trotzdem an uns vorbei. Stiegen über tote Pferde hinweg. Die toten Menschen sind immer schon von irgend jemand zugedeckt worden. Ob es dafür ein Kommando bei uns gibt – zwecks Verringerung der Kriegsschrecken?

Ich schaute mir die Karte an und sah, wir sind der vorderste Punkt der ganzen Front vom Süden bis zum Meer. Wie ein Sack hängt unser Abschnitt nach Frankreich hinein. Über die Aisne, zu der es nicht mehr weit ist, kommen wir allein nicht hinüber. 70 km südlich von uns liegt Reims. Ob wir nach Westen abdrehen, Richtung Paris?

Wenn ich hinter die Scheune gehe, liegt das Land weit und friedlich in Wellen vor mir, genau wie es im »Deutschen von Bayencourt« beschrieben ist – das Buch spielt ja nicht weit von hier.

[Dem Verfasser, Adam Kuckhoff, war ich in Berlin begegnet. Er wurde gegen Ende des Krieges hingerichtet]. Im Friedhof und in der Kirche wurden heute Gefangene gesammelt, darunter die ersten zehn Engländer. Sie benahmen sich zurückhaltend, beantworteten Fragen einsilbig oder nicht. Manche hatten keine Schuhe mehr. Es bedurfte nur eines geringen Anstoßes, damit die Gefangenen, die zwei Paar hatten, eines abgaben. Auf den Grabsteinen in der Sonne sitzend, entwickelten die Franzosen ein fröhliches Schuhtausch-Geschäft, indes die Engländer lässig und stumm für sich blieben.

19./20. Mai 40, nachts 3 Uhr. Die Lage ist kritisch, vorne wird schwer gekämpft. Vor allem um das Dorf Asfeld südlich der Aisne.

Rote Leuchtkugeln – ein Zeichen, daß die Franzosen Panzer eingesetzt haben. Die Artillerie schießt seit Stunden.

Es ist Krieg – nun ja. Wenn sich die Schwerkraft plötzlich änderte, würden wir uns anders bewegen, andere Fahrzeuge bauen, andere Häuser, alles wäre anders, nichtsdestoweniger würden wir nicht unentwegt über die Schwerkraft reden oder auch nur daran denken. Das schliffe sich ein und basta. Krieg – alles ist verändert. Das schleift sich ein und basta.

Natürlich ist es Unsinn, so etwas zu schreiben. Der Krieg schafft moralische Probleme, was die Schwerkraft nicht tut. Diese lösen sich vermutlich nach dem Prinzip: mitgefangen, mitgehangen.

39
22. Mai 40. Das ist ein merkwürdiger Krieg, der Eindruck entsteht, daß sie drüben keine rechte Lust haben, sich zu schlagen. Sie könnten uns sonst doch ziemlich in Verlegenheit bringen, hier und im ganzen Abschnitt, es ist ziemlich dünn bei uns, die richtige Familienvorstellung findet wohl derzeit in Belgien statt.

Ich traf einen alten Franzosen, der lebt hier seit seiner Geburt, und er sagte, im vorigen Krieg sei monatelang gerade um dieses Uferstück gekämpft worden, an dem wir liegen. Beim Graben eines Loches wurden ganz in unserer Nähe Gasmaskenteile und Stahlhelme von 1917 gefunden.

Sind meine Briefe sehr leer? Ich habe mir überlegt, daß ich von diesem Waldloch aus mit Dir telefonieren könnte. Technisch wäre es ohne weiteres möglich. Über meinen Kasten lief schon ein Gespräch bis nach Koblenz.

23. Mai 40. Der Straßburger Sender brachte heute: Die Mordbuben des Generals Lichl sind an der Aisne völlig aufgerieben worden. Das sind wir. Von den Mordbuben d. G. L. war in der ausländischen Propaganda schon während des Polenfeldzuges die Rede, die Division hatte an der Einkesselung polnischer Armeeteile bei Kutno erheblichen Anteil. Ob der Sachverhalt, der die Bezeichnung Mordbuben rechtfertigt, ebenso irreal ist wie die Feststellung, wir seien aufgerieben?

Ich will jetzt lesen (Montaigne und ››Les Ardennes et leurs êcrivains«, nämlich Michelet, Taine, Verlaine, Rimbaud).

24. Mai 40, früh halb vier. Das Land wird schon leer, und wir sind doch eben erst gekommen. Bilder ganz sinnloser Zerstörung bietet jedes dritte Haus. Im Dorf nach St. Quentin (le petit) war eine Kneipe, in der es aussah, als habe Meyerhold »Unordnung« inszeniert. Das Radio brachte uns heute alle zum Lachen, ja, zum Lachen, als es meldete, »die französischen Kolonialsoldaten, abziehend, hätten in Belgien schrecklich gehaust, Schränke aufgebrochen, alle Wäschestücke verstreut, die Spiegel zerschlagen« u. s. f. Einer meinte, bei solchen Nachrichten sollte vorher ein Sprecher sagen: Nicht für Soldaten an der Front. Nun, wir wissen jetzt jedenfalls, wer hier so gehaust hat. Mit der gestrigen Post kam auch eine DAZ [Deutsche Allgemeine Zeitung] vom

9. 5. (!), die auf der ersten Seite groß bringt, die englische Presse schreibe, zwei deutsche Armeen bewegten sich mit großer Geschwindigkeit auf Holland zu. »Dieser militärische Blödsinn


40
stammt natürlich aus dem britischen Lügenminísterium . . .« usw.

Ich bin gegen halb 10 aufgestanden und war dann mit Schönberg, dem wackeren BMW-Fahrer aus Neukölln, auf Kaperfahrt. Als wir gegen 5 Uhr zurückkehrten, schwankte der Wagen hochbeladen. Es War Zeit, unsere Vorräte waren dahingeschmolzen. Feldküche findet überhaupt nicht statt.


Download 2,31 Mb.

Do'stlaringiz bilan baham:
1   2   3   4   5   6   7   8   9   ...   41




Ma'lumotlar bazasi mualliflik huquqi bilan himoyalangan ©hozir.org 2024
ma'muriyatiga murojaat qiling

kiriting | ro'yxatdan o'tish
    Bosh sahifa
юртда тантана
Боғда битган
Бугун юртда
Эшитганлар жилманглар
Эшитмадим деманглар
битган бодомлар
Yangiariq tumani
qitish marakazi
Raqamli texnologiyalar
ilishida muhokamadan
tasdiqqa tavsiya
tavsiya etilgan
iqtisodiyot kafedrasi
steiermarkischen landesregierung
asarlaringizni yuboring
o'zingizning asarlaringizni
Iltimos faqat
faqat o'zingizning
steierm rkischen
landesregierung fachabteilung
rkischen landesregierung
hamshira loyihasi
loyihasi mavsum
faolyatining oqibatlari
asosiy adabiyotlar
fakulteti ahborot
ahborot havfsizligi
havfsizligi kafedrasi
fanidan bo’yicha
fakulteti iqtisodiyot
boshqaruv fakulteti
chiqarishda boshqaruv
ishlab chiqarishda
iqtisodiyot fakultet
multiservis tarmoqlari
fanidan asosiy
Uzbek fanidan
mavzulari potok
asosidagi multiservis
'aliyyil a'ziym
billahil 'aliyyil
illaa billahil
quvvata illaa
falah' deganida
Kompyuter savodxonligi
bo’yicha mustaqil
'alal falah'
Hayya 'alal
'alas soloh
Hayya 'alas
mavsum boyicha


yuklab olish