3.2.3 Richard Karutz: „Von Lübeck nach Kokand“
Ein HNO-Arzt, der durch seine Reiseberichte bzw. Sammlungen als Ethnologe und
Orientkenner Mittelasiens bekannt wurde, war Richard Karutz. Er reiste drei Mal nach
Mittelasien, infolgedessen wurden zwei Reiseberichte veröffentlicht, die heute als
bedeutende Beiträge zur Ethnologie betrachtet werden. In diesem Abschnitt werden
einige biographische Zusammenhänge und Hintergründe seiner Turkestan-Reise
beschrieben.
Richard Karutz wurde am 2. November 1867 als Sohn des Kaufmannes Carl Heinrich
Ferdinand Karutz und dessen Frau Marianne Karutz, geb. Gaertner, in der Hansestadt
Stralsund geboren.
Direkt nach seinem Medizin-Studium begann er seine Tätigkeit als Schiffsarzt
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,
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Sein anfänglicher Berufswunsch war es, ein Seeoffizier zu werden, der wegen seiner Kurzsichtigkeit nicht in Erfüllung ging (vgl.
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angestellt von der Hamburg-Südamerikanischen Dampfschifffahrtgesellschaft, auf der
Route von und nach Südamerika und verwirklichte somit seinen großen Wunsch, die
Welt zu erkunden und sein Leben mit der See zur verbinden. Bereits während dieser
Fahrten schrieb er seine ersten Reiseschilderungen, veröffentlicht im „Kieler
Tagesblatt“. Später soll er in seinen Jugenderinnerungen diese Publikationen als
seinen ersten schriftstellerischen Versuch bezeichnet haben.
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Nachdem er seinen
Wehrdienst abgeleistet hatte, praktizierte er bei seinem Bruder Paul, der als Apotheker
tätig war, eine Zeit lang in Erfurt als Arzt. Doch seine Reiselust war stärker und er ging
erneut zur See und reiste nach Liberia, Togo, Nigeria, Kamerun, in die Republik Kongo
und nach Angola. Danach machte er seine HNO-Facharzt-Ausbildung in Breslau und
eröffnete 1894 eine HNO-Praxis
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in Lübeck (vgl. Templin 2009, S. 28-30).
Seine erfolgreiche Tätigkeit als Arzt hinderte ihn nicht an seinen Interessen an
Ethnologie. Im Jahr 1896 wurde Karutz nicht nur zum Mitglied der Geographischen
Gesellschaft und des Vereins Lübecker Geschichte und Altertumskunde, sondern
auch zum Vorsteher des Museums für Völkerkunde in Lübeck ernannt, das er
ehrenamtlich leitete (vgl. ebd.: S. 30-48).
Seine Reisen und sein ethnologisches Streben, fremde Kulturen zu erforschen, trugen
dazu bei, dass er ein gutes Auge für wertvolle Kulturgegenstände entwickelte und
diese auf seinen Reisen sammelte.
Neben seinem ethnographischen Interesse und seiner Sammeltätigkeit für das
Museum war Mittelasien für Karutz sicher auch wegen der Frage der russischen
Eroberung und Kolonisation Mittelasiens interessant, da das Deutsche Kaiserreich
ebenfalls daran beteiligt war und gute politische Beziehungen und
Handelskooperationen zum zaristischen Russland pflegte. Die erste Reise unternahm
er im Jahr 1903, ausgestattet mit einer Einladung und Grundkenntnissen in Russisch
(vgl. ebd.: S. 95). Er selbst begründet die Auswahl des Reiselandes mit dem Bau der
transkaspischen Bahn in Turkestan, anthropologischen und ethnologischen
Forschungen, sowie mit dem Studium des orientalischen Basars. Seine Sammlungen
aus neuen Gebieten versprach er dem Museum für Völkerkunde in Lübeck (vgl. Karutz
1904, S. 5-6).
Templin 2009, S. 25).
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Die „Jugenderinnerungen“ von Richard Karutz waren der Verfasserin vorliegender Dissertation nicht zugänglich, da diese in
Familienauflage erschienen und nicht für das breitere Publikum gedacht waren.
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Als HNO-Facharzt entwickelte Karutz besonderes Interesse für das menschliche Ohr. Er zog ethnographische Parallelen zum
Ohrschmuck und zur Durchlöcherung des Ohrläppchens. Sein Interesse an Rassenfragen verband er mit der Theorie der Größe
des Ohrs. Seiner Meinung nach haben die niedrigsten Rassen die kleinsten Ohrmuscheln (vgl. ebd.: S. 49).
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Karutz reiste im Februar 1903 von Lübeck ab, zunächst über die österreichische
Grenze in Oderberg, durch Südrussland und die nordkaukasische Tiefebene, machte
in Baku Halt und fuhr dann mit dem Schiff nach Krasnowodsk, wo er seine Reise mit
der viel bewunderten Transkaspischen Eisenbahn nach Merw und später nach
Turkestan fortsetzte. In mehr als drei Wochen bereiste er Buchara, Samarkand,
Taschkent und Kokand und reiste über Baku nach Tiflis zurück. Von dort kehrte er mit
einer Postkutsche durch den Kaukasus und über Wladikawkas, Beslan, Noworossijsk,
die Krim, Jalta, Odessa, Warschau und Berlin zurück nach Lübeck. Er brachte über
300 Objekte, darunter eine Sammlung archäologischer Funde aus Samarkand und
Merw, sowie 62 Kulturobjekte, von seiner ersten Mittelasienreise aus Kokand mit, die
er zum größten Teil dem Museum für Völkerkunde übergab (vgl. Templin 2009, S. 95-
98). Seine Reiseschilderungen veröffentlichte Karutz 1904 unter dem Titel „Von
Lübeck nach Kokand“.
Über seine bereits zwei Jahre später unternommene zweite Mittelasienreise schrieb
Karutz keinen Reisebericht. Als Ausbeute dieser Reise gelten viele Kulturobjekte, die
er dem Museum für Völkerkunde 1913 offiziell zum Geschenk machte. Die
Phonogramme,
bestehend
aus
Gesängen,
Instrumentalstücken
und
Sprachaufnahmen von Kasachen, Sarten und Tataren, die er während dieser Reise
aufnahm, zählen bis heute zu den bedeutenden ethnologischen Entdeckungen ihrer
Art in der Mittelasienwissenschaft (vgl. ebd.: S.102-104).
Nach seinen beiden erfolgreichen Zentralasienreisen wurde die dritte Reise nach
Turkestan gut geplant und hatte vor allem eine gute finanzielle Basis, da auch andere
Völkerkundemuseen an Objekten für ihre wertvollen Sammlungen interessiert waren
(vgl. ebd.: S. 105).
So fuhr er im Sommer 1909, nach dem Abschluss seiner Afrika-Expedition, auf die
bisher wenig bekannte Halbinsel Mangyschlak. Ziel dieser Reise war die Erforschung
der Herkunft der Turkmenen, mit der Behauptung, dass Mangyschlak die Urheimat
aller Turkmenen sei. Auf Mangyschlak traf er aber zum größten Teil nur Kasachen, die
damals fälschlicherweise, auch von Karutz, als Kirgisen bezeichnet wurden, und
wenige Turkmenen. Daraufhin änderte er den Schwerpunkt seiner Forschung von
Turkmenen auf Kasachen und untersuchte dabei auch die Beziehungen zwischen
Kasachen und Turkmenen. Als Ergebnis dieser Reise entstand 1911 der Reisebericht
„Unter Kirgisen und Turkmenen. Aus dem Leben der Steppe“, in dem er
Lebensgewohnheiten der Kasachen und Kirgisen detailliert beschrieb. Auch diesmal
brachte er 60 ethnologisch wertvolle Gegenstände sowie viele Phonographien von
Märchen, Liedern, Sprichwörtern und Interviews mit (vgl. ebd.: 105-109).
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Er starb am 10. Februar 1945 nach schwerer Krankheit in Dresden (vgl. ebd. S. 324).
Wie bereits erwähnt, wurde sein Reisebericht „Von Lübeck nach Kokand“ erst ein Jahr
nach seiner ersten Mittelasienreise geschrieben und 1904 in den „Mitteilungen der
Geographischen Gesellschaft und des Naturhistorischen Museums“ veröffentlicht. Er
beinhaltet die Schilderungen von Karutz’ Reiseroute und die Beschreibungen der von
ihm besuchten Städte: Baku, Krasnowodsk, Merw, Buchara, Samarkand, Taschkent,
Kokand, Tiflis und schließlich die Gegend des Kaukasus. Ein historisches Kapitel mit
dem Titel „Kommen und Gehen der Völker in Mittelasien“ integrierte er zwischen die
Abschnitte „Kokand“ und „Tiflis“, was wohl als sein abschließender Gedanke zum
Thema Turkestan und zur Fragestellung „Kann Mittelasien als Urheimat der
Indogermanen wahrgenommen werden?“ bezeichnet werden muss.
Der Reisebericht zeugt von seiner schriftstellerischen Begabung; Karutz zeichnet ein
exotisches Orientbild mit detaillierten und bildhaften Beschreibungen. Ein wichtiges
Orientsymbol ist für ihn Buchara:
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