Popularmusiker in der provinz


) Wie verläuft so eine Tätigkeit?



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2.2) Wie verläuft so eine Tätigkeit?
a) Was wären die Bedingungen für die zeitliche Stabilität der Tätigkeit? Welche Rolle spielen in dem Zusammenhang :

Die “verlängerte Adoleszenz” : Dass durch die Erweiterung der Pädagogischen Hochschule zur Universität Mitte der 1970-er Jahre sich in Osnabrück die Bedingungen für “verlängerte Adoleszenz” verbessert haben dürften bzw. sich zumindest mit Gründung der Universität auch mehr junge Menschen mit verlängerter Ausbildungsdauer in der Stadt aufzuhalten begannen, wurde bereits unter 1)iv) angesprochen : Ein großer Anteil der in der “Vorstudie 81/82” vorkommenden MusikerInnen - bereits eingeschriebene, angehende, abgebrochene oder auch schon examinierte StudentenInnen - wäre insofern als verlängerte AdoleszentInnen zu bezeichnen (“Vorstudie 81/82”). Einige der “Vorstudien”-MusikerInnen nutzten sogar die Möglichkeit einer Studienplatzwahl in Osnabrück, um ihre Musikgruppe nicht aufgeben zu müssen (Langer), oder es wurden Alibi-Studien aufgenommen, um mit deren Hilfe die musikalische Tätigkeit eine Weile bemänteln zu können - den die Unterstützung zahlenden Eltern gegenüber, der günstigen Krankenversicherung wegen oder ggf. auch gegenüber der Bafög-Behörde (Lederjacke I./II., teilnehmende Erinnerung : M. Schme., J. Schu.). Andere nutzten die relativ stressfreie Organisation und Abwicklung ihres Studiums (Bassistin, Journalist, Wilczek, ebenso Paradiddle) im Zusammenhang ihrer derzeitigen popularmusikalischen Aktivitäten bzw. den Umstand, dass die Combo-Aktivität auf irgendeine Weise mit den gewählten Studieninhalten (häufige Favoriten : Musik, Englisch, Kunst) verbunden werden konnten (Bassistin, Journalist, Langer, DJ, D. T. - Mitglied von Jazz-rock).
Eher eine Phase starker Unbestimmtheit hinsichtlich des weiteren beruflichen Werdeganges, die nicht mit dem oben angesprochenen verglichen werden kann, findet sich bei einigen Interviewten, die früh eine professionelle Laufbahn im Popularmusikbereich einschlugen : Für Beat, einen älteren Interviewten und für Harley (“Vorstudie 81/82”) sowie deren musikalische Mitstreiter erfolgte der Eintritt in den Berufsmusikerstatus mehrheitlich im Anschluss an eine gerade absolvierte Berufsausbildung, meistens in einem musikfremden Beruf. Nach Abklingen des Anfangserfolges wird das Entstehen von einer Art Vakuum geschildert, welches die jeweiligen Akteure zunächst mit neuen musikalischen Tätigkeiten/Projekten anzufüllen versuchten (Harley, Beat, Lederjacke I./II.).

Für Spaß, einen anderen älteren Interviewten ergab sich eine Art “verlängerter Adoleszenz”-Zustand dadurch, dass er sich nach Beendigung seiner Raumausstatterlehre zunächst nicht so recht schlüssig darüber war, was er weiterhin beruflich machen sollte (Spaß I./II., pers. Gespräch).

Dass die “Vorstudien”-MusikerInnen mehr oder weniger ausnahmslos mit ihren Combos zunächst die eigene Musik machen wollten und damit auch auf gewisse - kommerzielle - Erfolge spekulierten (“Vorstudie 81/82”), kann vor dem Hintergrund einer zu Ende der 1960-er Jahre vor allem mittels der Hippie-Bewe-gung in die Rock-/Pop-Musik eingedrungenen “Kunst-Ideologie” betrachtet werden (DJ, Spaß I./II., “Vorstudie 81/82”) 323.

Hingegen nutzten “jüngere” Interviewte ihre “verlängerte Adoleszenz”-Phase, um systematisch ihre musikalisch-handwerklichen Fertigkeiten nicht nur bezüglich des Popularmusikbereiches weiter zu entwickeln und zu verbessern. Dabei konnte ein - nicht unbedingt immer musikbezogenes - Studium manchmal entweder als Hintertürchen zu einer “Alternativkarriere” beibehalten werden (Lehrer) oder unter bestimmten Bedingungen sogar ganz den Vorrang eingeräumt bekommen - etwa im Examensfall oder wenn ein Wechsel zu einem interessanten Studienplatz in einer anderen Stadt anstand (teilnehmende Beobachtung am Beispiel einer lokalen Nachwuchs-Combo) 324.


Die Möglichkeiten der “Szene” : Für ältere Interviewten lieferte die “Szene” die einzige Möglichkeit, popularmusikbezogene musikalisch/handwerkliche Fertigkeiten überhaupt zu erwerben, zu verbessern und durch neue Ideen anzureichern (Beat, Spaß I./II., Pharma). Auch Möglichkeiten zu popularmusikalischer Tätigkeit in Combos - z.T. in finanzieller Hinsicht von durchaus lukrativer Art oder sogar mit Anschluss an den Profistatus - konnten sich hier finden lassen (Beat, Spaß I./II.). Ebenso ergaben sich mit zunehmender stilistischer Ausdifferenzierung der Popularmusik und mit dem Aufkommen neuer Genres auch in Osnabrück für interessierte und entsprechend befähigte Musiker die einen oder anderen “Cross-over”- Möglichkeiten hin zu anderen Musikstilen (Spaß I./II.).

Der Kontakt zu bereits in der “Szene” involvierten Musikern/Musikgruppen konnte sich ferner durchaus positiv auf die eigene musikalische Tätigkeit - auch in der Gruppe - auswirken (Harley) und gelegentlich erste Präsentationsmöglichkeiten für die eigene Combo eröffnen (Harley) 325.

Bereits in einigen Statements der “Vorstudien”-MusikerInnen kam deutlich zum Ausdruck, dass die Möglichkeiten, die der Osnabrücker Raum bezüglich lokaler Popularmusik bietet, von nicht wenigen der interviewten MusikerInnen als unzureichend betrachtet wurde. Vermutlich auch wegen fehlender massenmedialer Resonanz stellten sich die Chancen, außerhalb Osnabrücks an Live-Auftritte heranzukommen für die an der “Vorstudie 81/82” teilnehmenden Combos als eher schlecht dar.

Ende der 1970-er Jahre auch in Osnabrück einsetzende Selbstorganisationsaktivitäten in der lokalen Popularmusik-Szene führten zwar zu gelegentlich besserer lokaler Resonanz ebenso der “Vorstudien”-Combos, nicht aber zu entsprechenden positiven Effekten auf der überregionalen Ebene (teilnehmende Beobachtung). Dabei kann die zeitweilig gute lokale Resonanz weniger auf eine entsprechende Situation auf dem örtlichen Veranstaltungsmarkt - das “Szene”-Lokal “Hyde-Park”, das auch Live-Musikangebote machte, existierte seit 1976 - zurückgeführt werden, als eher auf eine derzeit möglicherweise positivere Einstellung seitens des Publikums gegenüber Popularmusik lokaler Provenienz. Eine im Zusammenhang eines Nachfolgeprojektes der “Vorstudie 81/82” durchgeführte Umfrage an Osnabrücker Schulen, die auch Daten über Popularmusik-Ensembles lokaler Provenienz erheben wollte, wurde leider nicht abschließend ausgewertet.

Mit Beginn der 1980-er Jahre ist jedoch eine deutliche Abnahme dieser Publikumsresonanz zu verzeichnen (teilnehmende Beobachtung), so dass die inzwischen als Verein eingetragene örtliche Musikerinitiative mit der Zeit kaum mehr als nur einen Bruchteil lokaler Popularmusik-Combos vertreten konnte und seit dem Jahr 1997 auch nicht mehr als Veranstalter auftritt (teilnehmende Beobachtung) 326. Neueinsteigern in die lokale “Szene” (Hobby) wurde in diesem Zusammenhang jedoch zeitweise eine gute Orientierungshilfe geboten sowie die Chance, andere Musiker kennenzulernen und/oder mit anderen örtlichen Musikgruppen Kooperationsverhältnisse einzugehen (Hobby, Pharma).

Die Aktivitäten gewisser überregionaler Fördereinrichtungen, die gelegentlich auch Mitgliedern der interessierenden “Szene” zugute kamen, konnten bei den Geförderten jedoch bisweilen den Eindruck hervorrufen, dass sich hier ehr Angehörige einer anderen z.T. überregional netzwerkartig verwobenen “Szene” selbst förderten. Nicht zuletzt machten sie dieses an ihrer Meinung fest, Vertreter der betreffenden “Szene” hätten mitunter selbst über die Verteilung zur Verfügung stehender Fördermittel entschieden (Paradiddle, Lehrer) 327.


Lederjacke äußert im zweiten Interview ganz allgemein die Einschätzung, dass der Ausbruch aus dem lokalen Kontext von entscheidender Bedeutung für die längerfristige Existenz einer Musikgruppe mit größeren Ambitionen sei. Er selbst bewertet den Lokalmatador-Status - er hatte einer der Combos aus der “Vorstudie 81/82” angehört und war kurze Zeit vorher aus einem anderen ebenfalls in der “Vorstudie” vorkommenden Ensemble ausgestiegen - als eher hinderlich.

Dagegen sah Hobby, der zeitweilige Vorsitzende der Osnabrücker Musikinitiative, seine gesamte musikalische Welt mehr im lokalem Kontext. Der Selbsthilfecharakter seiner Initiativarbeit hatte das Ziel, eine für die Beteiligten hinlängliche Auftrittsfrequenz sicherzustellen und Lobbyarbeit gegenüber Vertretern der Kulturbehörde zu betreiben. Hier steht der “Hobby”-Aspekt musikalischer Praxis mehr im Vordergrund, wobei professionelle Ambitionen weniger aufscheinen (vergl. auch Pharma).


Die durch die Massenmedien vermittelten Bilder von Popularmusik (als Berufsfeld) : Die von den Massenmedien vermittelten Bilder von - aktueller - Popularmusik mögen zweifelsohne einem gewissen Zeitbezug unterliegen.

Ihre jeweilige Auswahl und/oder Interpretation durch einzelne Individuen dürfte aber auch vor dem Hintergrund bestimmter zeitweiliger individueller Dispositionen (zeitweiliger Musikgeschmack, momentane persönliche Situation, Harley u. a.) erfolgen und nicht nur ausschließlich auf einen - wie auch immer gearteten - Zeitgeisthintergrund zurückgeführt werden können. Immerhin gibt es Statements von einzelnen Interviewten, gemäß denen die Massenmedienangebote eher im Hinblick auf die Befriedigung einer Art persönlichen musikalischen Informationsbedürfnisses benutzt werden (Spaß I./II.), oder aus denen hervorgeht, dass die zu bestimmten Popularmusik-Genres darüber hinaus angebotenen, außermusikalischen Informationen weitestgehend nicht interessieren (DJ).

Andererseits insistiert Beat, einer der älteren Interviewten, auf das erdige, ehrliche Image der “Rhythm & Blues”-Musik und des “Blues-Rock” der späten 1960-er Jahre, Harley bekundet seine besondere Faszination durch die Drogen-Ideologie des frühen 1970-er-Jahre-Rock, aber auch durch das exaltierte Auftreten der “Glam-Rock”-Stars der späten 1970-er Jahre, Spaß`s “progressive” Rockband, befuhr zunächst die Schiene der derzeitig aktuellen Kunstrocker vor allem englischer Provenienz (siehe Hüllentext der “Trikolon”-LP ), für DJ vermittelten bestimmte Rock-Stars der frühen 1970-er Jahre so etwas wie Lebensstil und/oder Lebensgefühl.

Allerdings beschreibt Spaß auch Reibereien, zu denen es damals gelegentlich zwischen Musikern und Tanzmusikveranstaltern und/oder Teilen des Publikums kommen konnte, wenn die Musiker zu fortschrittliches Material spielten, das sie z.B. von derzeit aktuellen Massenmedien-Künstlern übernommen hatten 328.


Wenn sich auch lediglich zwei bzw. drei der Interviewten mehr oder weniger unumwunden äußerten, sie wären selbst gerne Popstars, Teil der diesbezüglichen popularmusikalischen Massenmedien-Menagerie (Harley, Humor u. W. R./ “Vorstudie 81/82”) - lediglich einer bringt diesen Umstand für seine Person mit den aus den Massenmedien bezogenen Eindrücken in Verbindung (Harley) -, so soll doch an dieser Stelle die Behauptung formuliert werden, dass die Massenmedien bestimmte Muster bereitstellen, gemäß denen die eigene, erst mal irgendwie ins Blaue hinein gestartete popularmusikalische Combo-Aktivität von den jeweiligen Akteuren mit der Zeit klassifiziert und/oder im Hinblick auf z.B. gerade aktuelle massenmedial verbreitete Popularmusikstile bearbeitet bzw. gesteuert werden kann (Harley, Lederjacke I./II.). Diese Muster bieten aber auch Orientierungshilfen für neue Projekte, welche gut mit Neigungen und Fähigkeiten oder interessierenden Moden zusammenpassen bzw. passend gemacht werden können (Harley), und grundsätzlich gehen die AkteureInnen in diesem Kontext aktiv vor 329.
Wie schon mehrfach erwähnt, hatte zu Beginn der 1990-er Jahre eine relativ große Anzahl Tonträger von Ensembles aus der “Szene” den örtlichen Markt “überschwemmt”. Meistens waren die Tonträger von den betreffenden Combos selbst produziert und finanziert worden, und ihre Veröffentlichung führte nicht selten zu der Konsequenz, dass sich die CD´s und Musik-Kassetten am Ende als unverkäuflich erwiesen. Einer der Interviewten (Pharma) begründete seine Teilnahme an der Produktion eines solchen Tonträger-Dokumentes mit einem gewissen Interesse - etwa am Produktionsprozess oder an der Aufnahmetätigkeit im Tonstudio -, und darüber hinaus alles in allem auch etwas widersprüchlich.
Vor diesem Hintergrund wird an dieser Stelle die Annahme geäußert, dass eine CD-Produktion in der interessierenden “Szene” in den 1990-er Jahren als zur popularmuskalischen Tätigkeit dazugehörig aufgefasst wird. Demgegenüber war in den 1960-er Jahren der Aspekt der Tonträgerproduktion und -veröffentlichung, selbst bei professionellen Beat-Combos, noch kaum von Bedeutung gewesen (Beat, Spaß II.) 330.
Das unterschiedliche Popularmusikformen betreffende geistige Klima : Spaß beschreibt das geistige Klima der frühen 1960-er Jahre, das die von ihm praktizierte Popularmusik betraf, als eher muffig bis spießig - eine Sichtweise, die von dem nur etwas älteren Beat nicht nachvollzogen wird.

Andererseits gilt für einige der ersten - auch von Spaß mitvollzogenen - Osnabrücker Beat-Aktivitäten, dass sie zunächst in privatem Raum starteten (Spaß I./II.), obschon sie recht bald von interessierten örtlichen Tanzmusik-Veranstaltern aufgegriffen wurden (Beat, Spaß I./II.). Auch die “progressiven” Experimente starteten für Spaß zunächst unter Zuhilfenahme privater Präsentationsmöglichkeiten, fanden allerdings bei Tanzmusik-Veranstaltern nur sehr mäßige Resonanz - vor allem bei solchen aus dem Osnabrücker Landkreis (siehe vorangeg. Abschnitt “Bilder von Popularmusik”, Spaß I./II.).

In Teilen des örtlichen Bildungsbürgertums wurde das neue “progressive” Genre derzeit hingegen eher mit einer Art wohlwollender Ignoranz behandelt, kam darüber hinaus auch nicht bei jedem gebildeten Publikum gleich gut an (Spaß I./II.).

Die Begünstigung speziell “progressiver Rockmusik” durch ein zu Beginn der 1970-er Jahre durch die Subkultur der Hippies nicht unmaßgeblich beeinflusstes jugendliches Umfeld konstatiert DJ, der in einer Ruhrgebietsgroßstadt aufwuchs. In diesem Zusammenhang werden popularmusikalische Aktivitäten als Bestandteil einer Art gesellschaftskritischen Lebenssujets, als Ingredienz gewisser Revoluzzer-Attitüden betrachtet (DJ, vergl. auch “Vorstudie 81/82”: Pellmann/Deutsch-rock).

Mit dem Rückzug vieler Hippie-beeinflußter Jugendlicher in die ländliche Privatheit - auch DJ´s und seiner Clique - Mitte der 1970-er Jahre änderte sich allerdings kaum etwas an der oben beschriebenen Einstellung zur Popularmusik : Man konnte jetzt allerdings selbst als Veranstalter kleiner “Open-Air”-Konzerte auf dem eigenen Anwesen fungieren (DJ, Spaß II., teilnehmende Beobachtung).

In ähnlicher Weise als Bestandteil einer Art Aufbegehrens-Attitüde betrachteten “jüngere” Interviewte ihre popularmusikalischen Aktivitäten (Hobby), wobei es sich in diesem speziellen Zusammenhang zunächst mehr um Aufbegehren in musikalischer Hinsicht gehandelt hatte (Hobby). Allerdings sahen sich weder Hobby noch Harley, der im Gegensatz zu Hobby auch die Attitüde bestimmter ihn faszinierender Rockstars übernahm, um aufzufallen und/oder anders zu sein, seitens ihrer Umgebung keinerlei Repressalien, Anfeindungen oder Ressentiments ausgesetzt, auch wenn es - wie im Fall von Harley - zu relativ extremen Adaptionen kommen konnte. Eine Art “Aufbegehrens-Motiv” - wie bei Hobby - ist Harley nicht zu konstatieren.

Darauf, dass etwa seit Mitte der 1970-er Jahre auch seitens offizieller Stellen (Kulturamt, Jugendamt) der lokalen Popularmusik verstärkt Aufmerksamkeit gewidmet wurde (siehe “Kulturentwicklungsplan der Stadt Osnabrück 1976 - 1986”), ist bereits weiter oben eingegangen worden.

Als bezeichnend im Zusammenhang der Aktivitäten der “Vorstudien”-Musiker-Innen kann ferner eine Art Klima von Desinteresse seitens des Publikums - zumindest bei auswärtigen Gastspielen, manchmal aber auch sogar beim lokalen Publikum (“Vorstudie 81/82”, teilnehmende Beobachtung) gegenüber den betreffenden Combos betrachtet werden.


b) Welche konkreten Bedingungen existieren in den Köpfen der Akteure und wie bilden sie sich heraus ( wie sehen die Musiker sich selbst und ihre Möglichkeiten)?

Über die Möglichkeiten für die gemeinsame Combo : Durchgängig bei allen Altersstufen der Interviewten finden sich Statements, man habe zu Beginn der popularmusikalischen Tätigkeit in einer Combo erst einmal gemeinsam Musik machen wollen (Beat, Spaß I./ II., Harley, Paradiddle, Lederjacke I./II., Lehrer, Langer, Humor, Hobby, Independent, teilnehmende Beobachtung).

Diejenigen unter der Interviewten, die recht schnell in professionelle Formen popularmusikalischer Tätigkeit gerieten, gaben an, in diesen Bereich irgendwie hineingerutscht zu sein (Beat, Spaß I./II., Harley, Lederjacke I./II.).

Häufig finden erste popularmusikalische Combo-Aktivitäten vor dem Hintergrund statt, dass ein gemeinsamer, durchgängiger Musikstil noch nicht gefunden ist : Man spielt zunächst, was man so kann, was einem so einfällt, was einem gefällt, wozu man Spielvorlagen bekommt, was einem jemand zeigt (Journalist, Hobby, Harley, Lehrer). Ein entsprechender “Vorstellungshintergrund” über stilistische und inhaltliche Vorlieben ist nicht selten bereits vorhanden. Ein einheitlicher Stil einer jeweiligen Musikgruppe entsteht in der Anfangsphase der Combo-Aktivitäten i.d.R. eher aus gemeinschaftlicher musikalischer Tätigkeit (“Vorstudie 81/82”/Auswertung) und wird selten durch einzelne Mitspieler eingeführt, wie es z.B. bei späteren Formen gemeinsamer popularmusikalischer Tätigkeit der Fall sein kann (Harley, Lederjacke II.).

Vorstellungen über eine popularmusikalische Combo-Tätigkeit können sich bei den Professionellen im weiteren Verlauf der gemeinsamen musikalischen Tätigkeit im Zusammenhang mit ökonomischen Zwänge konkretisieren (Beat, Harley, Lederjacke I./II.). Aber auch auf einen Hintergrund massenmedial bereitgestellter popularmusikalischer “Orientierungsangebote”, die sich zur Nutzbarmachung eignen oder einfach nur den persönlichen Geschmack treffen, kann hierbei von den Akteuren aktiv zugegriffen werden (Beat, Spaß I./II., Harley, Lederjacke I./II.).

Sowohl bei den professionellen Interviewten als auch bei den “Vorstudien”-MusikerInnen zeigte sich eine starke Affinität, mit solcher Musik Geld verdienen zu wollen, die man selber mochte (Beat, Harley) - darüber hinaus : mit solcher Musik, die man auch selbst komponiert hatte (“Vorstudie 81/82”). Zwar würde das Aufscheinen dieser Einstellung bei den Professionellen in ökonomischer Hinsicht Sinn machen, in Statements der “Vorstudien”-MusikerInnen findet sich jedoch, dass die meisten von ihnen keine Mitglieder einer Verwertungsgesellschaft für musikalische Urheberrechte waren (GEMA), so dass Aussagen hinsichtlich des ausschließlichen Spielen-wollens eigener Musik auf einen entsprechenden die Popularmusik betreffenden Zeitgeisthintergrund interpretiert werden können, der ohne diesbezügliche massenmediale Vermittlung nicht denkbar wäre (vergl. hierzu Aussagen zur Beat-Aktivität der 1960-er Jahre in Beat und Spaß I./II.).

Bei älteren Interviewten wird der Amateurstatus gerade deswegen geschätzt, weil man hier eher die Möglichkeit sieht, eigene Musik oder Musik machen zu können, die einem selbst gefällt, ohne sich arrangieren zu müssen (Spaß I./II., Pharma). Gelegentliche Kompromisse werden z.B. aus dem Grund eingegangen, weil man keine andere Spielmöglichkeit findet (Pharma), während jüngere Interviewte in diesem Zusammenhang auch auf die Unterhaltungsfunktion ihrer jeweiligen Combo gegenüber dem Publikum abheben (Hobby).

“Jüngere” und auch einige “mittlere” Interviewte betrachten Projekte mit eigener Musik entweder eher als eine Art Experiment, das auch schnell wieder aufgegeben wird, wenn sich ein Scheitern abzeichnet (Lehrer), als mehr oder weniger Hobby-Projekt (Paradiddle) oder die auf eigene Kreation ausgerichtete Combo-Tätigkeit von vorn herein als Freizeitbeschäftigung (Independent).

Gegenüber dem, was einige “mittlere” Interviewte bekundeten, verfahren jüngere Combos der interessierenden “Szene” in Repertoire-Angelegenheiten auch mehr in einer gewissen Ähnlichkeit mit den in der “Vorstudie 81/82” vorkommenden Ensembles (Hobby, teilnehmende Beobachtung) - mit der Einschränkung, dass man gegenüber Fremdkompositionen etwas weniger Vorbehalte hat als die “Vorstudien”-MusikerInnen (Hobby).


Über die Möglichkeiten/Funktion des sog. “Geschäftes” : Zumindest diejenigen unter den Interviewten, die bereits Gelegenheit hatten, mit einer Combo im professionellen Musikgeschäft mitwirken zu können (Beat, Harley, Lederjacke I./II.), gaben an, vor ihrem Eintritt in die Branche keine Ahnung darüber gehabt zu haben, was sie dort erwarten würde - was in Beats Fall dann auch darauf hinauslief, dass er von einer Konzertagentur um Rentenversicherungsbeiträge betrogen wurde.

Spaß machte mit den lokalen Ausprägungen des Tanzmusikgeschäftes die Erfahrung, dass viele der vermittelten Auftritte nicht unbedingt mit seinen musikalischen “Intentionen” vereinbar waren. In der “progressiven” Szene, der Spaß sich Ende der 1960-er Jahre anschloss, kursierte darüber hinaus die Auffassung, die Musikindustrie würde der neuen Musik sowieso nicht gerecht und veröffentliche ohnehin nur Geschmacklosigkeiten (vergl. Hüllentext der “Trikolon”-LP) - was dem der Musikindustrie geltenden Teil einer derzeit recht allgemein verbreiteten “Anti-Establishment”-Einstellung entsprochen haben dürfte (vergl. auch den Musikfilm “Die Flower Power Karawane”, USA 1971 ).

Eine vergleichbar ablehnende Einstellung gegenüber der Musikindustrie findet sich zwar ebenso bei den “Vorstudien”-MusikerInnen, andererseits werden von ihnen aber z.T. recht kostspielige Versuche unternommen, auch grosse Tonträgerfirmen und Musikverlage für die eigene Musik zu interessieren (teilnehmende Beobachtung : Funk-rock, Deutsch-rock).

In Statements der “Vorstudien”-MusikerInnen, die nicht bereits ins “Business” involviert waren, fand sich gegenüber der Musikindustrie nicht selten eine Art Benutzer/Dienstleister-Einstellung : Die jeweilige Schallplattenfirma hätte demnach Sorge für die Produktverbreitung zu tragen und der gemeinsamen Combo Wege zu besseren Auftrittsmöglichkeiten zu eröffnen 331.

Bei den “Vorstudien”-Musikern sowie auch bei einigen später Interviewten (Pharma, Humor, Bassistin) ist die Vorstellung zu erkennen, dass Musikproduzenten nur dann an die eigene Musik heranzulassen seien, wenn sie diese nicht - z.B. durch bestimmte Arrangement-Vorschläge o.ä. - zu verunstalten versuchten, sondern zur Verbesserung der Musik im Sinne der Urheber beitrügen (“Vorstudie 81/82”, Pharma). Hier scheint eine Art “musikideologisches Muster” der späten 1960-er/frühen 1970-er Jahre auf, gemäß dem die Musiker selbst über die künstlerische Faktur der von ihnen gespielten Musik bestimmten wollten (vergl. Chapple/Garofalo, J. Zimmer). Einzig Vagabund, die zum Interviewzeitpunkt bereits auf eine Art Karriere in der Popularmusikbranche zurückblicken konnte, räumt dem Musikproduzenten unter dem Verdikt der Optimierung des erhofften kommerziellen Erfolges Einflussnahme auf die Musik ein.

Die mit Beginn der 1990-er Jahre in Osnabrück einsetzende Veröffentlichungsflut in Eigenregie produzierter/finanzierter Tonträger (s.o., teilnehmende Beobachtung), mag dann auch weniger auf die ignoranten bis in künstlerischer Hinsicht unterdrückenden Praktiken des Musikgeschäftes zurückzuführen sein, als eher auf das Desinteresse der Branche an Popularmusik lokaler Provenienz. Immerhin scheint in diesem Zusammenhang die wohl nicht nur in örtlichen Popularmusikerkreisen verbreitete Legende auf, dass die Vorlage einer CD mit größerer Wahrscheinlichkeit zu guten Auftritten führen könne und viele gute Auftritte eventuell einen lukrativen Schallplatten-Deal mit einer großen Firma nach sich zögen (teilnehmende Beobachtung) : In der Realität kommt nicht selten eine große Auftrittszahl vor der Vorlage eines Tonträgers (Profi) 332.

Einige der ambitionierten mittleren und jüngeren Interviewten machen jedoch geltend, dass - schon allein aus Kostengründen - die Erstellung eines Tonträgers im Rahmen ihrer eigenen musikalischen Tätigkeit nicht unbedingt sinnvoll sei - vor allem, weil man eine CD oder Musik-Kassette selbst nicht angemessen vertreiben könne (Paradiddle, Hobby).


Über die Möglichkeiten/Funktion der Massenmedien : Danach befragt gaben ältere Interviewte zum Stichwort “Massenmedien und Möglichkeiten für die eigene musikalische Tätigkeit” nur sehr wenige Statements ab. Dies kann vor dem Hintergrund gesehen werden, dass z.B. sowohl Beat als auch Spaß keinen Markt bedienten, für den seinerzeit die massenmediale Präsenz ihrer Musik erforderlich gewesen wäre (vergl. Spaß II.). Darüber hinaus mag der Umstand eine Rolle gespielt haben, dass damals in Kreisen lokaler professioneller Musikverwerter eine gewisse Unkenntnis hinsichtlich der mit der massenmedialen Verbreitung von Popularmusik zusammengehenden Möglichkeiten bestanden haben dürfte (Spaß II.).

Vorstellungen über Funktion und Möglichkeiten massenmedialer Verbreitung tauchen auch später im Zusammenhang der Hinwendung zur “progressiven Rockmusik” zumindest in Spaßs Statements nicht auf : Man machte z.B. in Eigenregie eine Schallplattenproduktion, weil jemand außerhalb der Band die Idee und die technischen Möglichkeiten dazu hatte - der Betreffende wurde später Mitarbeiter des NDR in Hamburg (vergl. Spaß II.). Auch aus dem Umstand, dass gerade die einflußreiche Kenntnis britischer “progressiver” Rockmusik zu Spaß und seinen Kollegen nicht anders als auf dem Weg massenmedialer Verbreitung gelangt war, wird den Massenmedien von Spaß im Zusammenhang der eigenen popularmusikalischen Tätigkeit keine besondere Bedeutung abgeleitet. Dies ist auch vor dem Hintergrund zu sehen, dass “progressive Rockmusik” derzeit generell nur sehr wenig in den massenmediealen Angeboten von Rundfunk und Fernsehen vorkam und Tonträger mit solcher Musik darüber hinaus schwierig zu bekommen waren (Spaß II.).



Demgegenüber empfanden viele MusikerInnen aus der “Vorstudie 81/82” das Nicht-Vorkommen ihrer Musik in den Massenmedien schon als ausgesprochenes Manko. Dieser Tenor ist einigen selbst verfassten Informationsbroschüren zu gemeinsam von den Musikern organisierten lokalen Großveranstaltungen zu entnehmen (siehe “Christmas on the Rock´s” 1981 ; “1. Osnabrücker Rocktage” 1983), und in Statements von Harley und Lederjacke wird deutlich, dass das Auftauchen von Popularmusik-Combos im Massenmedienangebot u.U. in sehr engem Verhältnis zum Professionalisierungsgrad der Musikgruppe/Musiker stehen kann. So äußert sich Lederjacke im ersten Interview zu den großen Anstrengungen, die er im Rahmen seiner Verlags- und Promotionarbeit unternahm, um seine Musik unter den Angeboten der Popmusiksendungen zu platzieren. Er machte häufige Reisen zu den Sendeanstalten und pflegte persönliche Kontakte Moderatoren und Musikredakteuren. In diesem Zusammenhang veröffentlichte später auch eine seiner Combos extra auf die Medienwirksamkeit zugeschnittene Tonträger 333. Dass Rundfunkausstrahlungen von Musikstücken i.d.R. zur Ausschüttung von Aufführungstantiemen für die Urheber (GEMA) führen und das Auftauchen von Musikgruppen/MusikerInnen in einschlägigen Printmedien nicht selten den Tonträgerverkauf positiv beeinflussen kann, führt zu der Interpretation, dass Harley und Lederjacke eine recht enge Verbindung zwischen Professionalisierungsgrad und Massenmedienpräsenz einer Popularmusik-Combo gesehen haben im Hinblick auf Möglichkeiten, aus der gemeinschaftlichen popularmusikalischen Tätigkeit Einnahmen zu erwirtschaften bzw. darüber sogar den Lebensunterhalt bestreiten zu können. Es ist auch kein Geheimnis, dass in dieser Hinsicht selbst zwischen Mitarbeitern öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten und der Musikwirtschaft gelegentlich eine Art - funktionierender - Symbiose bestehen kann 334. Immerhin ergibt sich aus teilnehmender Beobachtung, aus persönlichen Gesprächen mit in die “Welt der professionellen Popularmusik” involvierten Personen sowie mit in dieser Untersuchung vorkommenden Akteuren, die zeitweilig mit dieser Sphäre in Berührung gekommen waren (Harley, Lederjacke, Vagabund), und aus entsprechenden Interviewstatements (Vagabund), dass es zum Aufgabenbereich von Promotion- und/oder “A & R”-Abteilungen335 auch größerer deutscher Tonträgerfirmen gehört, bestimmte wichtige Rundfunkredakteure und/oder -moderatoren bisweilen mit materiellen Zuwendungen zu versorgen, diversen Geschenken, Freikarten für Konzertbesuche, Einladungen zum Essen oder sogar zu Kurzurlaubsaufenthalten u.a. 336.
Im “Exkurs 2)” über die “Welt der professionellen Popularmusik” (Kap. I)) war der Versuch unternommen worden, am Beispiel eines ehemals im sehr nahen Umfeld der besagten Sphäre Beschäftigten (DJ) zu zeigen, dass der Bereich des massenmedial präsentierten Rock/Pop und die untersuchte “Szene” ganz verschiedene, voneinander kategorisch zu unterscheidende und mehr oder weniger isolierte “Welten” darstellen. DJ´s Schilderungen beleuchteten dabei im wesentlichen den Multiplikations-Effekt bzw. bestimmte daraus resultierende Konsequenzen, die massenmediale Präsentation auf die Popularmusik und ihre Akteure haben kann (vergl. Lederjacke I./ II. und Harley). Auch schien u.a. das starke Bedürfnis einzelner bekannter Popularmusikkünstler auf, sich gegenüber dem Publikum zu isolieren. DJ ging in seinen Ausführungen auch auf den Effekt ein, den ein Auftritt in einer der “Rockpalast”-Sendungen, für die DJ als Zuarbeiter fungierte, im Hinblick auf die Tonträgerverkäufe haben konnte.

Obschon MusikerInnen, die bereits mit dem “Business” zu tun hatten, über gewisse Erfahrungen dahingehend verfügen, dass Massenmedienpräsenz in der Regel auch mit bestimmten konkreten Kosten verbunden ist, die letztendlich zu Lasten der Künstler gehen (Vagabund, Harley), werden von ihnen dennoch immer wieder neue Versuche unternommen, aktuelle musikalische Projekte im popularmusikbezogenen Massenmedienangebot unterzubringen 337. Angehörige der interessierenden “Szene” unternehmen von Zeit zu Zeit Bemühungen im Hinblick auf Massenmedienpräsenz 338, obschon angenommen werden kann, dass die zuerst genannten negativen Erfahrungen auch in ihren Kreisen inzwischen eine gewisse Verbreitung gefunden haben dürften.

Der Umstand, dass die Mehrzahl der untersuchten Personen ihre musikalische Tätigkeit gänzlich ohne oder mit nur sehr geringer Präsenz in den Massenmedien durchführen, aber in stilistischer Ausrichtung und Präferenz stark durch massenmediale Angebote beeinflusst werden, führt zu zwei vorläufigen Schlussfolgerungen :


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