Ludwig
Erhard
(Foto um 1949/50) mit selbstironischem Text: „Erhard befiehlt – wir folgen! und senken
die Preise“
Wirtschaftswunder
Der unerwartet schnelle und auch nachhaltige wirtschaftliche
Aufschwung besonders in den 1950er-Jahren war gekennzeichnet durch
hohe Wachstumsraten des Sozialprodukts, wachsenden materiellen
Wohlstand und schnellen Abbau der Arbeitslosigkeit trotz des Zustroms
von Flüchtlingen.
Als Ende des Wirtschaftswunders gelten die Jahre 1957/58 (Ende eines
Konjunkturzyklus, Integration in die Weltwirtschaft und Gründung der
Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft EWG) bzw. die Jahre 1966/67 mit
der ersten schwerwiegenden wirtschaftlichen Rezession.
Wachstum und Vollbeschäftigung
Während das reale Bruttoinlandsprodukt im Zeitraum 1950-60 um
durchschnittlich jährlich 8,3 % anstieg, sank das Wachstum im Zeitraum
1960-65 mit realen Wachstumsraten von durchschnittlich 4,8 % deutlich.
Die Arbeitslosenquote ging von 10,4 % (1950) auf 0,7 % (1965) zurück. Das
Bruttoinlandsprodukt je Einwohner stieg von 1059 € (1950) auf 4005 €
(1965).
Beigetragen zum Wirtschaftswunder haben nicht nur die
Währungsreform, die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen (soziale
Marktwirtschaft), die Wiedereingliederung der Bundesrepublik
Deutschland in die Weltwirtschaft und in westeuropäische
Wirtschaftsorganisationen (EWG, OECD) verbunden mit ausländischen
Finanzhilfen, günstige Exportmöglichkeiten, sondern auch die
Leistungsbereitschaft und der Aufbauwille in der Bevölkerung und im
Unternehmertum.
→
Bruttoinlandsprodukt
Wert aller innerhalb eines Jahres in einer Volkswirtschaft
erzeugten Waren und Dienstleistungen nach Abzug aller Vorleistungen
Steckbrief
Ludwig Erhard
Der als „Vater des deutschen Wirtschaftswunders“ bezeichnete
Wirtschaftswissenschaftler Ludwig Erhard war maßgeblich an der Währungsreform 1948
beteiligt. Politisch schloss er sich der CDU an, war 1949–76 Bundestagsabgeordneter und
setzte als Bundeswirtschaftsminister (1949–63) die soziale Marktwirtschaft durch. Seine
Vorstellungen legte er in seinem Buch „Wohlstand für alle“ (1957) nieder. 1963 folgte er
Konrad Adenauer als zweiter Bundeskanzler, trat nach innerparteilicher Kritik 1966
zurück.
Die Ausfuhren wuchsen stark genug, um den großen Importbedarf
befriedigen zu können. Zudem hatten die Investitionen in
Produktionsanlagen auf dem neuesten technischen Stand und Bauten in
den 1950er-Jahren große Kapazitätseffekte und erhöhten schnell die
Produktionsmöglichkeiten.
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Kartell
Vereinbarung zwischen Unternehmen mit dem Ziel, den Wettbewerb zu ihren
Gunsten einzuschränken
Kritische Stimmen
Auch in Zeiten des Wirtschaftswunders gab es Kritik an der
Wirtschaftspolitik. Sie richtete sich v. a. gegen die Wiederherstellung alter
Eigentumsverhältnisse mit der Folge starker Ungleichheit der
Einkommens- und Vermögensverteilung und wachsender
Unternehmenskonzentration sowie Versäumnisse im sozialpolitischen
Bereich trotz Kindergeldregelung (1954) und Rentenreform
(„Dynamisierung der Rente” 1957), Kriegsfolgelasten wie
Kriegsopferversorgung und Ausgleich von Kriegsschäden
(„Lastenausgleich“). Hinzu kamen Ausgaben für Wiedergutmachung und
Besatzung. Erst 1957 wurden mit dem Gesetz gegen
Wettbewerbsbeschränkungen wettbewerbspolitische Normen gegen
Kartelle und Unternehmenskonzentration festgelegt.
„So viel Markt wie möglich, so viel Staat wie nötig “
Karl Schiller
Steckbrief
Karl Schiller
Der Wirtschaftsprofessor Karl Schiller (1911–94) war Wirtschaftssenator in Hamburg
(1948–53) und Berlin (1961–65), SPD-Bundestagsabgeordneter (1965–72) und
Bundeswirtschaftsminister (1966–72). Nach innerparteilicher Kritik trat er 1972 zurück.
Schiller entwickelte das Konzept der Globalsteuerung.
Ausbau des Sozialstaats und Globalsteuerung
Die Zeit der Großen Koalition unter Bundeskanzler Kurt-Georg Kiesinger
(1966 bis 1969) war wirtschaftspolitisch eine Übergangszeit vom
Neoliberalismus hin zum Keynesianismus. Die keynesianische
Globalsteuerung der Wirtschaft, niedergelegt im Stabilitäts- und
Wachstumsgesetz von 1967, prägte die Zeit der sozialliberalen
Regierungen unter Willy Brandt (1969-74) und Helmut Schmidt (1974-81).
Globalsteuerung
Das Konzept der Globalsteuerung geht zurück auf Karl Schiller, der 1966-
72 Bundeswirtschaftsminister war. Propagiert wurde die
gesamtwirtschaftliche Steuerung, nach der die Wirtschaftspolitik
verpflichtet wird, den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen
Gleichgewichts Rechnung zu tragen. Damit sollen die
wirtschaftspolitischen Ziele hoher Beschäftigungsstand
(Vollbeschäftigung), Preisniveaustabilität, stetiges und angemessenes
Wirtschaftswachstum sowie außenwirtschaftliches Gleichgewicht erreicht
werden.
Im Konjunkturabschwung soll etwa durch staatliche, kreditfinanzierte
Konjunkturprogramme oder auch Steuererleichterungen die
unzureichende gesamtwirtschaftliche Nachfrage erhöht werden. Die für
die Geldpolitik und die Inflationsbekämpfung zuständige Deutsche
Bundesbank soll durch Zinssenkungen Konsum und Investition indirekt
anregen. Ergänzt wurde das Konzept der staatlichen Steuerung der
Wirtschaft durch die konzertierte Aktion: Das wirtschaftspolitische
Verhalten der öffentlichen Hand und der wichtigsten wirtschaftlichen
Akteure (Arbeitgeberverbände, Gewerkschaften) sollte in diesem
Gremium im Sinne der gesamtwirtschaftlichen Ziele aufeinander
abgestimmt werden.
In die Zeit der Globalsteuerung fallen auch wichtige Gesetze für die
Wirtschaft: Neben die Fortentwicklung der bereits in den 1950er-Jahren
beschlossenen Gesetze zur betrieblichen und unternehmerischen
Mitbestimmung (Betriebsverfassungsgesetz von 1972,
Mitbestimmungsgesetz von 1976), zur Wettbewerbspolitik (Gesetz gegen
Wettbewerbsbeschränkungen 1973) sowie zur Vermögensbildung (3.
Vermögensbildungsgesetz 1970) traten Maßnahmen zum Ausbau des
Sozialstaats (z. B. Arbeitsförderungsgesetz von 1969). Das
durchschnittliche jährliche reale Wirtschaftswachstum verringerte sich
im Zeitraum 1970–80 auf 2,9 % (1960–70: 4,5 %). In d en Rezessionsjahren
1967 und 1975 sank das reale Inlandsprodukt sogar leicht. Gleichwohl
verdreifachte sich 1965–80 das Bruttoinlandsprodukt je Einwohner auf 12
208 €.
Arbeitslosigkeit und Inflation
Die Politik der Globalsteuerung erreichte ihre Grenzen, als unter dem
Einfluss der beiden Erdölpreiskrisen 1973/74 und 1979/80 das
gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht zunehmend gefährdet wurde. Nicht
nur die Arbeitslosigkeit, sondern auch die Inflationsraten nahmen zu.
Deutschland entfernte sich zunehmend von Vollbeschäftigung und
Preisniveaustabilität.
Nach dem Rezessionsjahr 1967 mit rund 460 000 Arbeitslosen
(Arbeitslosenquote 2,1 %) war zunächst wieder Vollbeschäftigung erreicht
worden (1973: 274 000 Arbeitslose; 1,2 %). Erstmals überschritt die Zahl
der Arbeitslosen 1975 die Millionengrenze, danach wieder 1981 mit 1,3
Mio.; die Arbeitslosenquote lag bei 4,7 bzw. 5,5 %. Die Inflationsrate
erhöhte sich Anfang der 1970er-Jahre bis auf 7,1 % (1973) und erreichte
später wieder 6,3 % (1981). Zudem stiegen die öffentlichen Schulden stark
an. Wurde 1969 in den öffentlichen Haushalten noch ein
Finanzierungsüberschuss von 1,3 Mrd. € ausgewiesen, so stieg in den
Folgejahren der negative Finanzierungssaldo immer weiter an bis auf
34,7 Mrd. € (1981). Der öffentliche Schuldenstand vervierfachte sich von
64,2 Mrd. € (1969) auf 278,2 Mrd. € (1981).
Im Zuge der durch den Nahostkonflikt ausgelösten ersten
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