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I
NTERCULTURAL
RELATIONS BETWEEN
S
OUTH AND
S
OUTHWEST
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SIA
.
S
TUDIES IN COMMEMORATION OF
E.C.L.
D
URING
C
ASPERS
(1934-1996)
E. Olijdam & R.H. Spoor (eds)
BAR International Series
1826 (2008): 184-199
Ein baktrischer Edelmetall-Hortfund und noch einmal
zur Frage der Quellen baktrischer Compartimentsiegel
Sylvia Winkelmann
In der Sammlung Ligabue, Venedig, befindet sich ein
unlängst erworbener Hortfund aus Afghanistan, beste-
hend aus 3 Siegeln, einem unverzierten Goldring, einer
Brakteate und einer Kette mit Skorpion-Anhänger.
1
Plätt-
chen, Ring und Schmuck bestehen aus Gold,
die drei Sie-
gel dagegen sind aus Silber gefertigt.
Vorausgesetzt, die Fundstücke tatsächlich zusammen-
gehören, handelt es sich hierbei um eine Gruppe von
Artefakten, die durch die drei Compartimentsiegel in die
baktrische Bronzezeit einzuordnen sind und damit eine
Datierung in das letzte Drittel des 3. Jahrtausend v.Chr.
bis an den Anfang des 2. Jahrtausend v.Chr. erfahren
dürften.
Diese Einschränkung ist jedoch angebracht, da zum
einen die Zusammengehörigkeit von Funden aus dem
Kunsthandel oft zweifelhaft ist, zum anderen die ersten
zwei Fundstücke fast ohne Parallelen stehen.
Es handelt
sich dabei um einen goldenen Skorpionanhänger und
rundes Goldplättchen mit einem herausgetriebenen Skor-
pionmotiv.
1. Der Skorpion-Anhänger [Abb. 1a]
Der Anhänger in Form eines Skorpions wurde zusammen
mit einer 61 cm langen Goldkette aus eng zusammen-
gedrehtem Golddraht erworben. Der Zusammenhang
zwischen beiden ist nicht geklärt, denn zwei stark korro-
dierte Kupferstückchen in der Mitte der Kette weisen
möglicherweise auf einen anderen Anhänger hin.
Der Skorpion-Anhänger selbst ist 7 cm lang und 5,3 cm
breit und ein Meisterstück der Goldschmiedekunst. Er
besitzt einen hohlen Körper, der durch Einritzungen in 8
Segmente gegliedert ist, ebenso wie der sehr lange
Schwanz und die langen massiv gegossenen und in 12
Segmente geteilten Fühler mit den deutlich gearbeiteten
und abgeflachten Zangen. Der Körper ist an den Seiten
jeweils dreimal durchbohrt. Durch diese Bohrungen sind
feine, winklig gebogene Golddrähte gezogen,
die die Bei-
ne des Skorpions bilden und beweglich agieren können.
Das Tier selbst ist in der Draufsicht gestaltet worden, eine
typische Wiedergabeform baktrischer Skorpiondarstel-
lungen, die auch in der Glyptik in derselben Art und Wei-
se wiederkehrt. Die Verbindung zwischen einem hohlen
Körper und eingesetzten Körperteilen ist für diese frühe
Zeit bisher nur von Adlerfiguren aus dem Kerman und
aus Baktrien bekannt, die auf Aufsätze oder Nadeln ange-
gossen waren und deren Flügel auf ähnliche Weise am
Körper befestigt waren (Pittmann 1984: 24, Nr. 5; und ein
bisher unpubliziertes Stück aus der Sammlung Ligabue).
Neben dem für Baktrien so charakteristischen Skorpion-
motiv und diesen wenigen Parallelbeispielen bleibt für
eine Zuordnung als baktrisch jedoch nur der Zusammen-
hang mit den Siegeln, der dieses Stück möglicherweise in
das ausgehende 3. Jahrtausend v.Chr. datieren läßt.
2. Goldplättchen mit Skorpion [Abb. 1b]
Der Skorpion ist noch ein weiteres Mal auf dem Gold-
plättchen mit einem Durchmesser von 4,4 cm wiederge-
geben, in derselben typischen
Darstellungsweise der
baktrischen Glyptik: in der Draufsicht, mit einem zur
Seite gebogenen Schwanz, mit einem in vier Segmente
geteiltem Körper und den drei Beinpaaren und Zangen.
Diese Variante unterscheidet die baktrischen Skorpion-
darstellungen von den südostiranischen, die zwar auch in
Draufsicht wiedergegeben sind, deren Beinpaare jedoch
zu einer Art Flosse verschmolzen werden.
Der Skorpion ist in der Repousseetechnik gearbeitet,
sein Körper ist halbplastisch aus dem Untergrund getrie-
ben worden. Diese Technik, im Südostiran, in Shahdad,
bereits um 2500 v.Chr. durch reliefierte Teller —u.a. auch
mit Reptilien verziert!— belegt, setzt sich in der 2. Hälfte
des 3. Jahrtausend v.Chr.
zum einen im elamischen
Raum,
2
zum anderen aber in großem Umfang in der
baktrischen Kunst fort, wo die Edelmetallgefäße zu gro-
ßen Teilen mit Friesen und figürlichen Darstellungen in
eben dieser Technik gefertigt sind.
Hier handelt es sich jedoch nicht um ein Gefäß, sondern
ein Goldplättchen, an dessen Außenseiten sich sehr klei-
ne Bohrungen befinden, ein Hinweis darauf, da
β
das
Goldplättchen zum Aufnähen auf einen Untergrund-
Bekleidung oder Gürtelgedacht war. Es scheint, da
β
sich
hinter diesem Stück eine Brakteate verbirgt. Solche Brak-
teaten sind aus Raubgrabungen aus dem afghani-schen
Raum
durchaus belegt, es handelt sich bei den als
baktrisch publizierten aber fast ausschließlich um spätere
Stücke, die wohl eher in den Kontext des ausgehenden 1.
Jahrtausend v.Chr. gehören, denn sie weisen große Ähn-
lichkeiten zu den in Tillya tepe gefundenen Exemplaren
auf (Ligabue & Salvatori 1988: Tf. 62-63; Sarianidi 1985: Tf.
4, 6, 30).
Ein einziges Exemplar aber scheint die Existenz solcher
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Abb. 1: Baktrischer Schmuck und Vergleichsstück. A) Skorpionanhänger, Gold, Sammlung Ligabue; B) Brakteate mit Skorpion, Gold, Sammlung
Ligabue; C) Baktrisches Goldplättchen, Kunsthandel (Pottier 1984: Nr. 330).
Brakteaten auch schon in der baktrischen Bronzezeit zu
belegen: bei dem von Pottier publizierten Stück handelt
es sich um eine dünne ovale kalt gehämmerte Gold-
scheibe mit einer kleinen flachen Öse auf der Rückseite,
die ebenfalls ein herausgetriebenes Motiv zeigt, das sich
ganz sicher in den bronzezeitlichen baktrischen Kunst-
kreis einordnen läßt: einen geflügelten Löwendrachen
mit einer angreifenden Schlange unter seinem Bauch
(Pottier 1984: 49, 100, Tf. XLV Nr. 330) [Abb. 1c].
So die Interpretation dieser beiden Objekte,
dem von
Pottier publiziertem und dem aus der Sammlung Ligabue,
als Brakteaten richtig ist, haben wir damit einen der frü-
hesten Belege für diese Objektgruppe überhaupt, sind
doch aus dem 3. und beginnenden 2. Jahrtausend v.Chr.
aus Vorderasien, Iran oder Indien bisher keine vergleich-
baren Kleiderornamente mit herausgetriebenen zoomor-
phen Motiven bekannt.
Hinweise auf unverzierte kleine runde aufgenähte
Goldplättchen ohne Motive sind vielleicht in der mittel-
elamischen Kunst zu finden, wo die Statue der Napir Asu
oder der zwei Opfergabenbringer aus dem Inshushinak-
Tempel Ornamente aufweisen, die als Brakteaten gedeu-
tet werden können (Harper, Aruz & Tallon 1992: Tf. 83, 89,
90), andere Belege stammen aus der späthethitischen
Kunst —in der Form rechteckiger Plättchen mit herausge-
triebenen Tieren aus Tell Halaf (Musche 1992: Tf.
LXXXIV). Noch typischer aber sind Brakteaten für die
mittelasiatische und
iranische eisenzeitliche Kunst, wo
solche Plättchen die Kleidung der graeko-baktrischen,
skytho-sarmatischen, Kushanazeitlichen und achämeni-
dischen Einwohner schmücken. Obwohl die zeitliche
Lücke zwischen diesen Objekten und den beiden baktri-
schen Funden noch nicht zu schließen ist, mögen sie viel-
leicht darauf hinweisen, da
β
der Beginn dieser Tradition
bis in die baktrische Bronzezeit zurückreicht.
3. Die Compartimentsiegel
In einem weitaus sichereren Kontext befinden wir uns bei
den drei Siegeln, denn sie sind eindeutige und exzellente
Vertreter baktrischer Compartimentsiegel
3
.
Baktrische
Compartimentsiegel bilden den dominantes-
ten und bekanntesten Teil baktrischer Stempelsiegel.
Diese Metallsiegel erhielten den von Piggott (1943: 179)
geprägten Namen nach der charakteristischen Formung
des
Motivs durch erhabene Stege, die die Siegelfläche in
unterschiedliche Abschnitte einteilen. Siegel dieser Form
sind nicht auf Baktrien beschränkt. Ihre Entwicklung
geht zurück bis auf chalkolithische Traditionen auf dem
iranischen Plateau. Das älteste bisher belegte kupferne