Mein krieg aufzeichnungen aus 2129 Tagen



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Aber gemessen an dem Los der Infanterie, der Fallschirmjäger und der Marinesoldaten, die an der Front eingesetzt sind, ist unser Los immer noch sehr angenehm. Die Atmosphäre im Bun- ker ist so ekelhaft, daß ich froh bin, wenn ich hinauskomme, ob- wohl es draußen schießt.

27. August 44. Vormittags gab es keine Arbeit für mich, und ich saß vor einem Stollenausgang in der Sonne, las »Dor und der September« und War Lichtjahre entfernt von dieser Narrensposse.

Durch die ganze unterirdische Stadt auf den jetzt schon gewohn- ten Wegen ging ich zum Befehlsbunker zurück und kam gerade zurecht, um zu erfahren, daß draußen unser Geräteschuppen in Brand geschossen worden War. Die Flammen schlugen lichterloh empor. Zu dritt holten wir die Kabel heraus und bekamen sogar den Befehl, die letzten der aus Straßburg mitgebrachten Fahr- räder zu bergen, die sich dort noch befanden! Es erfüllt mich mit wirklicher Heiterkeit, daß ieh dem Befehl von Männern unter- stellt bin, die offenbar jetzt noch glauben, deutsche Soldaten würden wieder Gelegenheit haben, in und bei Brest mit Fahr- 431

rädern umherzufahren. Wichtiger als die Fahrräder war mir, einen Sack mit Fruchtkonserven zu retten, den ich durch Zufall auf meinen Streifzügen zwischen Trümmern gefunden hatte. Un- terwegs mußte ich durch den großen Eßraum der U-Flottille, ein gewölbter Zementsaal, dessen Wände und Boden von Nässe spie- geln. Dort war gerade katholischer Gottesdienst, dessen Schluß ich beiwohnte. Ein Soldat in der ersten Reihe heulte hörbar. Etwa 80 andere Soldaten taten es nidit, aber fast alle nahmen das Abendmahl. Eine überraschende Religiosität bricht plötzlich in diesem Nazivolk aus.

Es ging auf 5 Uhr, da wurde ich geweckt und sollte mit zwei an- deren eine Kabelleitung schalten, und zwar an einem Schaltpunkt in jener Bucht bei La Trinite draußen, in der wir Kartoffeln brieten, als wir noch Kupferleitungen abbauten. Wir erreichten hinter St. Anne eine bedeutende Höhe, von der aus das offene Meer weit hinaus zu sehen war. Im strahlendsten Augustsonnen- licht lagen die tiefblaue Reede und ihre Verbindung zum Ozean unter uns, darin die lnselfelsen und rundum die Steilküsten zum Greifen nahe. Auf dem blauen Spiegel schwammen noch einige unserer Schiffe. Sie lagen still, und aus dem blauen Himmel stürz- ten sich silberglänzend die Bombenvögel gleich Habichten feuer- speiend auf sie herab. Das Meer rings um die Schiffe kochte von den Geschoßgarben, die ihr Ziel nicht erreichten, und die Schiffe gingen in Flammen auf. Einige fuhren wie große Feuerkörbe auf dem blauen Spiegel dahin, andere zogen gewaltige Rauchsäu- len hinter sich her, vielleicht in der Hoffnung, doch noch einen Strand zu erreichen. Boote wurden ausgesetzt. Kein Schuß unse- rerseits erwiderte die Überfälle.

Wir erledigten den Telefonkram, und ich badete im klaren Meer und wusch mich dann mit Süßwasser an der schüsselgroßen Rinn- salstauung, die ich selbst vor drei Wochen zu diesem Zweck ge- baut habe, und pflückte nackt an den Hecken entlanggehend Hände voll Brombeeren.

29. August 44. Ich schreibe jetzt zum ersten Male ohne Kopie, die doch keinen Zweck mehr hat.

30. August 44. Im Innenhof der Marineschule, dessen Quadrat auf allen vier Seiten von einem gedeckten Wandelgang umzo- gen ist. Es regnet, die Sonne bemüht sich vergeblich, den Nebel zu durchdringen. Hinter einen Bogen habe ich mir einen kleinen 432


runden Tisch mit weißer Decke und einen Polsterstuhl gestellt und so in Einsamkeit und frischer Luft mein Kochgeschirr leer- gegessen, die ewig gleichen Kartoffeln mit Soße und Fleisch.

Wenn man den Speiseraum der Marineleute passiert, sieht man große Schüsseln mit Salat auf den Tischen stehen und bedauert, davon ausgeschlossen zu sein.

Bis vor 14 Tagen war die stolze Marineschule des französischen Militärs die ausgezeichnete Unterkunft unserer Marineeinheiten, und im Laufe von vier Jahren hatten sie davon gründlich Be- sitz ergriffen. An den Wäıideıi der zahlreichen großen Säle sind Bilder deutschen Inhalts aufgehängt; jagende U-Boote, Rhein- landschaften. Dazu anfeuernde Inschriften; mit schwarzer Farbe zahllose Namen, die wohl dazu dienen sollten, sich in dem riesi- gen Komplex zurechtzufinden: Karpatenflügel, Isartreppe, Block Bayern usw. Die große Eingangshalle hinter der dem Meer zugewendeten Mittelfront heißt – oder soll man schon sagen: hieß Deutschlandhalle, und über einer ihrer Türen steht ››Ufa- Palast«, denn hier fanden täglich Kinovorstellungen statt. Hoch oben aber, fast dicht unter der Decke, liest man auf rotem Mar- mor in Goldschrift auf der einen Seitenwand, daß Monsieur Doumerge im jahre 1929 den Grundstein gelegt habe, auf der andern, daß Monsieur Lebrun sie 1934 eingeweiht und ihrer Be- stimmung übergeben hat unter Assistenz zweier Admiräle, des Direktors der Schule und des Herrn Pietri, Marineminister, eines kleinen Mannes, den ich in demselben jahr 1934 auf dem Quai von Split stehen sah, wo er als Vertreter Frankreichs die Leiche des in Marseille ermordeten Königs Alexander von Jugoslawien erwartete, die mit dem Kreuzer Dubrovnik ankam.

Im Bestreben, so wenig wie möglich in dem unterirdischen Loch zu sein, halte ich mich hier oben auf und gehe durch die endlosen Gänge, bis irgendwo die Trümmer und Abstürze den Weg ver- sperren, und hebe da und dort ein Buch auf, um darin zu blättern, oder sch mir die Bilder an, reproduzierte Aquarelle von bretoni- schen Motiven, kleinen Hafenorten, Märkten im Schatten hoher Kirchen, alten Segelbooten, die auf den Strand gezogen sind. Zu- weilen mache ich einen Fund, der mir wert dünkt, mitgenommen zu werden, so gestern von Bergengruen »Der Großtyrann und das Gericht«, oder eine Handvoll Briefe; sie liefern die Doku- mentation zu einem Artikel in der Brester Abendpost (darin 433

stand, man möchte doch nicht geclankenlos den Nachlaß eines Soldaten nach Hause schicken und damit das Andenken an den Toten belasten, sondern die Briefe der Johanna ausscheiden, wenn die Witwe Rosa heißt).

In unserer besonderen Brester Situation, in der es ja keine Frage »Wie endet es«, sondern nur ›>Wann« gibt, spitzt sich alles aufs äußerste zu. Längst ist der Oberst von der Mosel nicht mehr unser Kommandant. Jetzt ist es der Generalleutnant Ramcke, ein klei- ner Holsteiner mit Krückstock (mit dem er im Zorn auch zu- sehlägt), Verteidiger von Cassino, wofür er das Eichenlaub be- kommen hat, und Verfasser des Buches: Vom Schiffsjungen zum General. Ich kenne es nicht. Brest wird ihm zweifellos die Schwer- ter eintragen.

31. August 44. Gestern nachmittag saß ich eine Weile vor dem Bunkerausgang gegenüber der U-Box, als aus den großen blauen Eisermann-Bussen (Thale) einige hundert gefangene Amerikaner ausgeladen wurden. Sie trugen alle den Stahlhelm und braune leichte Uniformen, solid und praktisch. Einige waren mir nahe genug, so daß ich mit ihnen ins Gespräch kommen konnte. In der Quintessenz war ihre Ansicht, der Krieg sei ein Abenteuer für sie.

9. September 44. Gestern abend hatte ich von 24 bis 2 Uhr Wache.

Die Stadt war ein Wald von Flammen. Die hohen, sich windenden Feuerstämme trugen ihre Kronen aus Rauch und Qualm, in denen der Wind wühlte. Von unten noch hell beleuchtet, verloren sie sich nach oben in einer großen kompakten Wolke, die einen Teil des klaren Nachthimmels bedeekte und sich nach Armorique hinüberzog, dabei mehr und mehr das mächtige Aussehen eines atmosphärischen Gebildes annehrnend. Aus dem Rauchgewände schimmerte dunkelrot wie ein Orangenschnitz der halbe Mond, kläglich als Lichterscheinung gegenüber der ungeheuren Feuer- masse über den Brandherden, aber voll Geheimnis und Seltsam- keit. Zuweilen schoß eine Feuersäule empor, und einige Sekunden später kam der Lärm der Explosion zu mir herüber.

Ich habe in fünf jahren Krieg noch niemals eine so breite »gei- stige Nachfolgesehaft« gehabt wie in den letzten 14 Tagen, und zwar ohne daß ich mich im mindesten hervortue oder etwas Be- sonderes rede; im Gegenteil, es geschieht fast nie, daß ich ein Wort über die alltäglichen Notwendigkeiten hinaus sage. Es wi- 434

dersteht mir im tiefsten, die Lage auszunützen, um meine Mühl- chen zum Klappern zu bringen; diese Neu-Pessimisten erscheinen mir noch minderwertiger als die Kriegsoptimisten, zu denen sie übrigens noch vor drei Wodien gehörten und morgen Wieder ge- hören Würden, wenn ein Wunder geschähe und wir hier heil und ungefangen herauskämen. Unteroffiziere, die noch vor I4 Tagen durch heimtückische Fragen nach dem Verbleib »meines Freun- des«, des Stabsfeldwebels P. (Wie er jetzt dran sein rnag?), mich quasi einer Mitwisserschaft an dessen Flucht verdächtigen Woll- ten, kommen jetzt zu mir aus freien Stücken, nur um mir zu sagen, wie korrupt sie die Verhältnisse in unserer Kompanie fän- den und was für ein schreiencles Unrecht darin läge, daß von dem Kreuz- und Beförderungssegen ich nicht betroffen worden wäre.

Auslassungen über diesen Punkt bringen mich, wie lächerlich es auch sei, immer ein wenig in Verlegenheit, weil allen diesen Leu- ten ein wirklich vollständiges Desinteressernent an Orden und Beförderungen unvorstellbar ist.

ro. September 44. Ausspruch von K.: Ich wußte nie, wie es in einem Irrenhaus zugeht. Jetzt weiß ich es.

Allgemein verbreitet sich plötzlich die Ansicht, daß es rasch zu Ende gehe. Eine Verlautbarung wird bekannt über Rechte und Pflichten in der Gefangenschaft. Von der Stadt bleibt nichts übrig, die Beschieíšung nimmt noch zu.

11. September 44. Abends mit Gläser und G. auf Störgang zu einem Festungswerk zwischen Marineschule und Kriegshafen. Bei Tag kann man dort keinen Schritt gehen, da das Gelände zum Wasser fällt und von Armorique her eingesehen werden kann.

Wir gingen über eine Erde, die nicht anders aussieht als die Höhen um Verdun 1917. Kein Grashalm mehr, nichts mehr in seiner ur- sprünglichen Gestalt. Auf dem Hinweg Ruhe. Am Ziel festge- stellt, daß wir leichtfertig hingeschickt worden waren, es war alles in Ordnung. Auf dem Rückweg Beginn neuer Salven, die letzten zoo ni machten wir Laufschritt. Auf allen Tischen (auch bei uns) Stapel von Francs-Scheinen und Spiel um dieses wert- lose Geld. Viele benützen es bereits als Klo-Papier. Heute Löh- nungstag, es wurde charakteristischerweise ausgerufen, das Geld müsse abgeholt Werden. Ich verschenkte an Spieler rooo frc.

G. ist von der Wertlosigkeit noch nicht überzeugt und ist gierig auf Spielgewinne. Man sagt, am 15. soll Schluß sein.

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14. September 44. Ich sitze im oberen Raum des Bunkers, in dem das Sehrohr sich befindet. Seit gestern abend sind alle oberen Räume (rnit Ausnahme der Vermittlung) von Fallschirmjägern belegt, die hier einen Bataillons- oder Regimentsgefechtsstand einriditen. Im Augenblick (I8 Uhr) ist ein Angriff der Ameri- kaner auf ein 600 m (Richtung Stadt) entferntes Bauwerk im Gange. Nachdem ich mit Kopfweh lange durch die von Feuchtig- keit heute dampfenden Stollen gelaufen bin auf der Suche nach frischer Luft, habe ich festgestellt, daß unser eigener oberer Bun- kereingang noch der ruhigste Platz von allen ist.

Eben wird der Heeresbericht aufgenommen: Aachen Kríegsge› biet. Aktionsgebiet der Flieger: der Westen des Reiches bis nach Mitteldeutschland hinein. Von Brest eine wenig zutreffende No- tiz (bezüglich Heeresartillerie). Unsere Existenz ist durchaus un- wirklich.

14. September 44, in der U~BOX. Sie werfen die Lastwagen in die Bassins zu einem doppelten Zweck: jene zu vernichten, diese unbrauchbar zu machen (was aber nicht gelingen kann, allzu leicht sind sie wieder zu entleeren). Wir rechnen damit, daß es morgen zu Ende geht. Der General Ramcke geht heute abend über die Reede nach Espagnoles, um von dort den Widerstand mit den Truppen auf Crozon fortzusetzen.

[Am nächsten Tag hinzugefügtz] Tags darauf verbrennen 64 Mann, weil das Benzin der versenkten Wagen in Brand gerät.

15. September 44. Bei der Marine sollen die Leute schon ihre Ge- wehre vernichten. Derselbe Unteroffizier M., der mir zu verste- hen gab, daß sich zwei Büchsen Aprikosen möglicherweise in einen Orden verwandeln ließen, war vorhin hier, um nach Leu- ten zu suchen, die noch rasch befördert werden könnten. Er legt es darauf an, von mir gebeten zu werden, aber ich ließ ihn so ab- fallen, daß er ohne mein Soldbuch ging. Für L. schaut vielleicht noch ein Stabsgefreiter heraus, Stenzel ist Oberst geworden, sechs Leute haben das Ritterkreuz, es könnte allmählich genug sein.

Die Fallschirmjäger, die oben bei uns eingezogen sind, bilden doch eine andere Soldatenrasse als unsere Herren Funker und Fernsprecher, deren Altweibernatur eklatant ist.

16. September 44, gegen Mittag. Was sich auf so unwürdige Weise äußert, ist die Todesfurcht. Ihr ganzes Denken dreht sich darum, ob wir noch zur Verteidigung des Bunkers aufgerufen 436


werden oder nicht, wobei im ersteren Falle der Verlust des Lebens in der Tat sehr wahrscheinlich ist, da der uns übriggebliebene Karnpfplatz, das zum Feind hin ansteigende baum- und strauch- løse Sandfeld, nicht viel größer ist als unser Obst- und Wiesen- garten in Weilheim, also etwa ein Hektar oder etwas mehr, und von allen Landseiten her unter Feuer gehalten werden kann.

Später. Es bedürfte gar nicht dieser vollständigen Untätigkeit, um mich ungeduldig zu machen. Das Ende hier bedeutet den Schritt in die andere Welt, in der wir freilich als Menschen drit- ter Klasse gelten müssen, als Gefangene.

17. September 44. Es ist mir beschieden, das Kriegsende, das Ende des Krieges für mich, so zu erleben, daß der Geist, der über und in den Deutschen Macht hat, mit der Einfachheit und Deutlichkeit eines Holzschnittes sichtbar wird. Von 8 bis ro Uhr früh hatte ich Wache im ››Tobruk«. Um 8 Uhr war die Sicht noch auf den unmittelbaren Umkreis des Wachstandes begrenzt, Nebel lag über der Erde. Nach einer halben Stunde wurde die Sonne als eine rote Scheibe sichtbar und ein Streifen des Meeres begann zu blinken. Wenig später waren auch die geringsten Einzelheiten auszumachen, eine noch in Feuchtigkeit funkelnde lithtglänzende Welt unter blauem Himmel war um uns. Etwa 80 bis loc m vor uns zieht sich von unserm niedrigen und für Beobachtung über- haupt ungünstigen Standpunkt der Panzergraben durch die auf- gewühlte Erde, und dort liegen in Bombentrichtern und kleinen Erdaufschüttungen Fallschirmjäger, etwa zo bis 30 Mann auf einer Linie von 3oo bis 400 m Länge. Das ist die vorderste Grenze der von uns noch beherrschterı Welt.

Auch die Offiziere der Fallschirmjäger, die vor acht Tagen noch gesagt haben: Bis Weihnachten! - rechnen nun doch rnit Tagen, ja mit Stunden. Am Schwarzen Brett der Marine sind Telegramme von Model und Goebbels angeschlagen, aus denen ich entnehrne, daß wir in die Geschichte eingegangen sind (››mit goldenen Let- tern in das Buch der Geschichte eingetragen<<).

Heute früh wurden bei uns wieder Kreuze ausgeteilt. Ich bin nun unter etwa 80 Mann der einzige mit dem untersten Dienst- grad und einer der ganz wenigen, der gar kein Kreuz hat.

18. September 44, früh 7 Uhr. Gestern abend gegen 11 Uhr mit F. noch eine Leitung von Bunker 1 I6 nach I I7 gebaut. Das Nacht- bild einer Schlacht, Leuchtkugeln, die Fanale der Abschüsse weit 437

in der Runde, die Feuer und Flammen der Detonationen auf unserem kleinen Raum. Oft in den Schmutz geworfen.

Die Rede des Leutnants an die zo Artilleristen, bevor sie in clie Vorpostenlöcher zogen (gestern abend im Periskopraum): »Sie ziehen auf Gefechtsvorposten. Jeder, der seinen Platz verläßt oder sich sonst feige benimmt, wird erschossen. Durch Funk wird den Angehörigen mitgeteilt, daß Sie wegen Feigheit vor dem Feind erschossen wurden. Die Konsequenzen werden Ihnen klar sein.

Die Namen von allen werden notiert, ich kontrolliere morgen früh. Sie dürfen nur dann zurückgehen, wenn übermächtiger Feinddruck Sie zurückwirft« Alle zwanzig hörten sich das an ohne ein Wort der Erwiderung.

18. September 44, rl Uhr. Ich gehe zum Bunkerausgang, um ein Bedürfnis zu verrichten. Dort stehen in der Sonne der Fallschirm» jäger-Major K. (mit Ritterkreuz), andere Fallschirmjäger und einige unserer Feldwebel. Der Major schaut durchs Glas und sagt: Die Parlamentärc kommen zurück. Na, hoffentlich knallt es jetzt wieder! - die Feldwebel, die seit Wochen keinen Schritt aus dem Bunker zu tun wagten, und einige Fallschirrnjager stimmen zu.

Wir warten. Die Parlaınentäre, vier Offiziere, kommen heran, Major K. ruft ihnen entgegen: Na, geht's weiter? - Ne, mein Lie- ber, entgegnet einer der Offiziere. » Nein? Fragt der Major zu- rück.

Die Offiziere reden über Einzelheiten. Ich schlage mich seitwärts, gehe ruhig und aufrecht zu einem entfernten Bombentrichter und tue, wozu ich gekommen war. Ein einzelnes Flugzeug zieht nahe und langsam über den Himmel, und ich verstecke mich nicht vor ihm. Es ist rr Uhr, blauer Himmel, fünf Jahre Soldatsein sind vorbei.

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UNTER AMERIKANERN IN FRANKREICH

18. September 44. Gegen Abend. Wir marschieren gegen 12 Uhr ab. Mann hinter Mann. Mit Säcken und W/äschebeutel behangen, steigen wir zum letzten Mal die Holztreppen hinauf, drängen uns durch den Stollen. Auf dem obersten Treppenabsatz steht ein lange nicht rasierteı' amerikanischer Soldat, seine Maschinen- pistole schußbereit unter den Arm geklemmt. Mit ausdruckslo- sem Blick schaut er auf die Geschlagenen, die sich an ihm Vorbei- drängen. Vor dem Ausgang bilden wir in der alten Dreierord- nung eine Marschkolonne. Einen mir fremden Offizier irn Ma- jorsrang, leicht hinkend, an der Spitze, setzen wir uns hügelan in Bewegung. Die Sonne brennt, der Sand des Trichterfeldes wird von unseren Stiefeln aufgewühlt, und mir kommt, als ich hinter meinem Vordermann dahingehe, der Gedanke, daß sich vielleicht nicht allzuviel geändert hat. Am Ende unseres Zuges von etwa 300 Mann schleppen einige Soldaten das enorme Ge- päck ihrer Offiziere. Ihnen wurde von ihren Herren versprochen, für sie in der Gefangenschaft dasselbe Pöstchen eines Dieners herauszuschlagen, von dem aus sie bisher den Entwicklungen der Ereignisse mit Ruhe zuschauen konnten. Es ist inzwischen bekannt- geworden, daß sich Stabshauptfeldwebel der Marine als Offi- ziersburschen gemeldet haben, Leute, die sich während einer zwölf- oder achtzehnjährigen Dienstzeit zu gut waren, ihre Stiefel selbst zu putzen. Bei den ersten Häusern unserer ehemaligen Quartiere begegnen wir der Kriegsmacht der Amerikaner. Zwi- schen unzähligen riesigen Lastwagen, Tanks, Kanonen und klei- nen Personenautos drängen wir uns wie durch einen Hohlweg aus der Stadt hinaus zum alten OT-Lager [Organisation Todt]. Auf den Fahrzeugen sitzen und liegen die bequem gekleideten frem- den Soldaten und blicken ernst und unendlich überlegen auf uns herab. Den meisten unter uns wird erst auf diesem kurzen Marsch zum ersten Mal klar, daß die Rollen vertauscht sind und daß sie sich nun in der Lage befinden, aus der sie bisher auf die anderen Völker herabgeblickt haben.

Es ist heiß. Auf einer Wiese beim OT-Lager werden wir gesam- melt und sogleich, nach Waffengattungen eingeteilt, in Lastwa- gen verladen und abgefahren. Die Offiziere vom Oberst an auf- 439

wärts waren bereits vorher abgesondert worden, nun werden sie alle herausgezogen und dabei von ihren Burschen getrennt. Zu- gleich verlieren sie ihr Gepäck, denn sie sind nicht im Stande, solche Mengen selbst zu tragen. Ihre Koffer und Säcke werden an Ort und Stelle von ihren ehemaligen Burschen aufgerissen, und viele stürzten sich darüber her: Lackstiefel, rosafarbene Schlaf- anzüge und seidene Hemden kommen zum Vorschein. Bereits eine Stunde spater sah ich einige aus meiner Kompanie in Offi- ziersstiefeln und modischen Reithosen herumlaufen.

Während der ersten fünf Minuten aufidem Sammelplatz, als uns befohlen wird, Ferngläser, Fotoapparate, lange Messer und etwa noch vorhandene Waffen abzulegen, büße ich meine Kame- ra ein. Ein amerikanischer Unteroffizier stürzt mit einem Aus- ruf der Freude auf mich Zu, als er den wertvollen Apparat er- blickt.

Wir werden nicht nur von Amerikanern, sondern auch von Fran- zosen bewacht, die als Statisten in einem Räuberfilm gute Figur machen würden. Ihre ausgefransten Zivilhosen werden mit einem Strick über einem farbigen Hemd gehalten. Die Zigarette im Mundwinkel, die Baskenmütze auf dem Ohr, das Gewehr, meist deutsche Karabiner, mit der Mündung nach unten über die Schul- tern gehängt, von den Amerikanern wie Luft behandelt, schlen- dern sie zwischen uns herum. Um den linken Oberarm tragen sie eine blau-weiß-rote Binde mit einem Stempel darauf. Haß gegen uns erfüllt sie. Einer nähert sich mir; meine neuen, vor drei Tagen in der Lazarettkarnmer zur Feier der Gefangenschaft empfangenen Fallschirmjägerschuhe haben es ihm angetan. Er Will sie haben. Ich sage ihm, sie seien ihm viel zu groß. Er be- harrt auf seinem Wunsch, wobei er drohend rnit seinem Schieß- gewehr spielt. Ich erkläre ihm, es seien meine einzigen. Er darauf: »Aueh die französischen Gefangenen haben nur ein Paar Schuhe besessen und mußten sie doch gegen Holzschuhe vertauschen oder barfuß laufen.« Ich schweige. Ich werde noch oft schweigen müs- sen.

Ich beobachte, daß ein amerikanischer Soldat die Armbanduhr, die er soeben einem Gefangenen abgenommen hatte, auf dessen Beschwerde hin zurückgeben muß. Dabei kam es vor unseren Ohren zu einer heftigen Auseinandersetzung zwischen dem Of- fizier, der die Rückgabe der Uhr befahl, und einem Feldwebel, 44°

der seinen Soldaten decken wollte. Eine solche Auseinanderset- zung wäre bei uns wenn nicht unmöglich, so doch von üblen Folgen für den Feldwebel begleitet gewesen.

Wir werden je go Mann auf einen Wagen verladen und fahren in rasendem Tempo in rg Minuten die vertraute Straße über La Trinité nach St. Renan. Das Gasthaus »Treffpunkt der Jäger« in La Trinité und mit ihm das ganze Dorf sind in Trümmer gelegt. Überall an den Straßen, auf den I-Ieckenwällen, stehen Franzosen, bewaffnet und unbewaffnet, Männer und Frauen, Greise und Kinder. Sie brüllen, drohen, spucken, werfen mit Steinen und mit allem, was ihnen zur Hand kommt, nach uns.

Trotz der Geschwindigkeit werden einige von uns verletzt.

Würden wir zu Fuß gehen, wir erreichten nicht lebend den neuen Sammelplatz, das eingezäunte Gelände einer ehemaligen Funk- station bei St. Renan. Sie liegt auf dem Kamm eines Hügels, weit um uns dehnt sich das Land in den stumpfen Farben des Hoch- sommers. Ich glaube nicht, daß wir Frankreich verlassen werden.

Gestern sagte K. zu mir: In drei Wochen bist du vielleicht in London, und wir hören dich im Radio. Hirngespinste.

Am Eingang zu unserem Pferch drängt sich die Bevölkerung aus dem nahen St. Renan, und bei jedem ankommenden und abfah- renden Lastwagen erhebt sich das fanatische Brüllen der Menge.

19. September 44. Im ehemaligen OT-Waldlager bei Landerneau.

Glücklicherweise wurden wir nachts hierhergebracht, so daß viele der uns zugedachten Steine ihr Ziel verfehlten. Wir fahren in kilometerlangen Kolonnen, mit vorbildlicher Disziplin und ab- gedunkelten Lichtern: Überall die Schreie: Boches, *Itlèr kapuut! Die Amerikaner haben uns besiegt, die Franzosen feiern sich als Sieger. Ich höre Aussprüche wie diesen: Die sollen uns ein Ma- schinengewehr geben, denen werden wir es zeigen!

Wir liegen auf Sandflächen, die noch gestern Wiesen und Äcker waren. Stacheldrahtzäune umgeben sie. Vier solcher Käfige, jeder mit ein paar tausend Menschen gefüllt, ziehen sich einen Abhang hinauf. Unter uns liegt im Tannenwald das OT-Lager. Man sagt, daß wir dort einziehen sollen.

Inzwischen sind wir in der glänzendsten Weise verpflegt wor- den. Diese Konservenbüchsen sind kennzeichnend für Reichtum und eine der unsrigen weit überlegenen Zivilisation. Der Inhalt der Dosen wechselt.

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Jeder hofft, daß wir Frankreich verlassen werden. Am oberen Lagerzaun, clort, wo der Wald bis an den Kral heranreicht, sam- meln sich Frauen und Männer aus Landerneau und den umliegen- den Dörfern und suchen Gelegenheit, uns zu beschimpfen. Es ist ein heißer Tag, ich sitze von früh bis spät in der Badehose auf meinem Seesack, die Haut färbt sich rot.

Spaßmacher und Akkordeonspieler produzieren sich und werden rnit Klatschen und Beifallrufen gefeiert. Die Amerikaner erwer- ben sich durch ihre Haltung und die großartige Verpflegung die Zuneigung im Sturm. Ich höre Gesprächen zwischen Feldwebeln zu, in denen sie ihre Zukunft erörtern. Sie stellen sich vor, daß die Amerikaner nur darauf warten, sie in ihre Armee aufzu- nehmen, um sie gegen Rußland zu verwenden. Die Herrenrasse entpuppt sich als eine Herde von Landsknechten.


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