Vgl. z.B. Doktor Grabows ahnungsvolle Bemerkung "Ich werden wohl zu tun bekommen" (M,I,18),
Vgl. M,I,93ff.,179,757
Soler I Marcet verzeichnet sie unter der Rubrik "Sprichwörter und Redensarten", ohne auf das
Gedicht zu verweisen, vgl. Maria L. Soler I Marcet: "Wenn das Haus fertig ist, so kommt der Tod":
Sprichwörter und sprichwörtliche Redensarten in Thomas Manns "Buddenbrooks" , in:
Proverbium 10 (1993), S.297-320, S.318.
14
Ach, was soll der Mensch verlangen?
Ist es besser, ruhig bleiben?
Klammernd fest sich anzuhangen?
Ist es besser, sich zu treiben?
Soll er sich ein Häuschen bauen?
Soll er unter Zelten leben?
Soll er auf die Felsen trauen?
Selbst die festen Felsen beben.
Eines schickt sich nicht für alle!
Sehe jeder, wie ers treibe,
Sehe jeder, wo er bleibe,
Und wer steht, daß er nicht falle!
29
In diesem Gedicht werden verschiedene Möglichkeiten genannt, sich sein Leben
einzurichten, die auch in Buddenbrooks begegnen. "Ist es besser, ruhig bleiben?" Diese
Frage wird am Abend von Hannos Tauftag zwischen Thomas und Christian erörtert.
Christian hat so große Verluste in seinem Geschäft gehabt, daß er liquidieren muß. Er
hat die Vorzeichen des drohenden Bankrotts früh erkannt - "'Aber dann habe ich
eigentlich gar nichts mehr getan und mich still verhalten.' (...) 'Also du hast dich still
verhalten!' schrie der Konsul außer sich" (M,I,405). Wie bei fast allen
Auseinandersetzungen zwischen Thomas und Christian kämpft Thomas hier fast mehr
gegen sich selbst als gegen seinen Bruder, in dem ihm nur eigene, allzu vertraute
Charakterzüge verfremdet und teilweise gesteigert und karikiert begegnen. Christians
Verhalten ist ihm eigentlich sympathisch, und wenig später, als seine eigenen Geschäfte
schlecht gehen und Tony ihm den Vorschlag unterbreitet, die Pöppenrader Ernte auf
dem Halm zu kaufen, ist er versucht, sich wie Christian zu verhalten: "Auch das Unglück,
dachte er, hat seine Zeit. War es nicht weise, sich still zu verhalten, während es in uns
herrscht (...)?" (M,I,468).
Die folgende Gedichtzeile benennt treffend Tonys Lebensweise: "Ist es besser, (...) /
Klammernd fest sich anzuhangen?" Familie und Firma sind für Tony die
identitätsstiftenden Ideale, an die sie sich auch dann noch klammert, wenn nichts mehr
vom vergangenen Glanz übrig ist. Nach beiden Ehen kehrt sie ins Elternhaus zurück, und
als es verkauft werden soll, klammert sie sich ebenso daran fest wie an Ida, als dieser
gekündigt werden soll, und an Gerda, als diese nach Hannos Tod nach Amsterdam
zurückkehren will.
29
Johann Wolfgang Goethe: Sämtliche Werke (Münchner Ausgabe), herausgegeben von Karl
Richter, München, Wien 1987, Band II,1, S.32f.
15
"Ist es besser, sich zu treiben?" Dies trifft auf Christians und Hannos Verhalten zu,
teilweise auch auf das Thomas', als er gegen Ende seines Lebens resigniert. Die
Gedichtzeilen 4 und 5 beschreiben Thomas' seßhafte und Christians unstete
Lebensweise, die beiden nicht das rechte Glück bringen: "Soll er sich ein Häuschen
bauen? / Soll er unter Zelten leben?" Und als Warnung weisen Zeile 8 und die Zeilen 11
und 12 auf die drohenden Gefahren hin, denen jedes Menschenleben ausgesetzt ist:
"Selbst die festen Felsen beben (...) Sehe jeder, wo er bleibe, / Und wer steht, daß er
nicht falle!" Um das ewige Gesetz von Aufstieg und Fall geht es in Buddenbrooks, und
es wird an den Ratenkamps, den Buddenbrooks und den Hagenströms sinnfällig
gemacht.
Wenn man diese versteckte Spur in Johanns Äußerung also erst einmal aufgespürt
hat, eröffnet sich eine neue Ebene für die Interpretation des Romans. Wie hier gezeigt
wurde, kann die Vorausdeutung sogar so verdeckt geschehen, daß das, was ausgespart
ist und worauf nur angespielt wird, das eigentlich Bedeutsame ist. Bereits an einer
einzigen Zeile kann solch ein Bedeutungskomplex hängen.
Do'stlaringiz bilan baham: