Die Nacht
(Auguste Kurs)
Ich hab’ eine hohe Liebe,
Die nimmt das Herz mir ein,
Die lieb’ ich mehr, als die Sonne,
Als goldenen Tagesschein.
Wenn Nachtigallen floten
Bei der Violen Duft,
Dann frihl’ ich ihre Nahe
Im frischen Hauch der Luft.
In weite Nebelschleier
Gehtillt den schonen Leib,
So kommt sie emst gezogen,
Ein majestatisch Weib.
Sie schuttelt ihre Locken
Wohl tiber die Blumenau,
Und aus den feuchten Schleiem
Trauft segenreicher Thau.
Sie schaut mit Stemenaugen
Bedeutungsvoll mich an,
Mit ihren Wundertraumen
Hat sie m ir’s angethan.
Sie flustert im Hauch der Ltifte
Geheimnifivoll mit mir,
Und was ich denke und traume,
Das Alles dank’ ich ihr.
Sie zeigt mir des Lebens Tiefen,
Des eigenen Herzens Schacht,
Sie spricht mir von himmlischer Ruhe,
Die wunderbar herrliche Nacht.
Die Nacht ist meine Liebe,
Sie nimmt das Herz mir ein,
Sie lieb’ ich mehr, als die Sonne,
Als goldenen Tagesschein.
Den Frauen
(Clara Muller)
Den Frauen einen Fruhlingsgrufi!
Euch alien, die in Fron und Miihen
ihr domenreiche Pfade geht,
euch sollen Maienrosen bltihen!
Greift lachend in die rote Pracht:
ein Morgen gltiht, den keine Wolke
in schwarze Schatten htillen wird,
ein Festtagsmorgen allem Volke!
Den Frauen einen MaiengruB!
ihr tragt die Zukunfit unterm Herzen,
ihr saugt die Freiheit an der Brust, —
das ist ein heilig Recht der Schmerzen:
das ist ein gottlich Frauenrecht,
das haltet fest mit starkem Wollen ...
und eure rote Blume bliiht,
wenn rings umher die Wetter grollen.
Und ob ihr wohnt am Seinestrand,
an Skandinaviens Felsentoren,
ob Londons Nebel euch umspinnt,
ob Rufilands Steppe euch geboren,
ob euch Italiens Sonne scheint,
ob euch Germaniens Eichenstarke
die Muskeln spannt: ich rafe euch
zu einem grofien Maienwerke!
Den HaB, der die Nationen trennt,
soil eure Liebe iiberwinden,
wenn schwesterlich die Hande sich
zum letzten, groBen Kampfe finden.
Des Sturmjahrhunderts Morgenschein
Soil eurer Rechte Sieg verklaren:
erst miifit ihr freie Menschen sein,
um freie Menschen zu gebaren!
Aus marchenblauen Zeiten klingt
ein Segenswort: den Fluch des Bosen,
der auf das Haupt der Menschheit fiel,
wird einst die Hand des Weibes losen.
Aus Lugenschlamm und Gassenstaub
wird sie den Schatz der Wahrheit heben
und segnend ihn als Hort des Rechts
den kommenden Geschlechtem geben.
Den Frauen einen SegensgruB!
Aus alter K indermarchen Klarheit
lacht hell in all den Sonnenglanz
das heilige Angesicht der Wahrheit.
Kein Traurngliick mehr, kein Sehnsuchtslaut:
es gilt den Kampf! Auch euch, den Frauen,
und eure Kinder werden einst
der Freiheit Maitag feiemd schauen!
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