Antlitz, das
– Gesicht
tilgen jemanden / etwas aus seinem Gedächtnis
– bewusst versuchen,
jemanden / etwas zu vergessen
Amateur, der
– jemand, der eine Tätigkeit nicht als Beruf, sondern nur als
Hobby betreibt
geloben
– (jemandem) etwas feierlich (in einer Zeremonie) versprechen;
schwören
ein buntes V
ö
gelchen
– der Orden
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Wir haben einen guten Posten erwischt. Mit acht Mann müssen wir ein
Dorf bewachen, das geräumt worden ist, weil es zu stark beschossen wird.
Hauptsächlich sollen wir auf das Proviantamt achten, das noch nicht leer
ist. Verpflegung müssen wir uns aus den Beständen selbst besorgen. Dafür sind
wir die richtigen Leute – Kat, Albert, Müller, Tjaden, Leer, Detering, unsere
ganze Gruppe ist da. Allerdings, Haie ist tot. Aber das ist noch ein mächtiges
Glück, denn alle anderen Gruppen haben mehr Verluste als unsere gehabt.
Als Unterstand wählen wir einen betonierten Keller, zu dem von außen eine
Treppe hinunterführt. Der Eingang ist noch durch eine besondere Betonmauer
geschützt.
Jetzt entfalten wir eine große Tätigkeit. Es ist wieder eine Gelegenheit,
nicht nur die Beine, sondern auch die Seele zu strecken. Und solche
Gelegenheiten nehmen wir wahr; denn unsere Lage ist zu verzweifelt, um lange
sentimental sein zu können. Das ist nur möglich, solange es noch nicht ganz
schlimm ist. Uns jedoch bleibt nichts anderes, als sachlich zu sein. So sachlich,
dass mir manchmal graut, wenn einen Augenblick ein Gedanke aus der früheren
Zeit, vor dem Kriege, sich in meinen Kopf verirrt. Er bleibt auch nicht lange.
Wir müssen unsere Lage so leicht nehmen wie möglich. Deshalb nützen wir
jede Gelegenheit dazu, und unmittelbar, hart, ohne Übergang steht neben dem
Grauen der Blödsinn. Wir können gar nicht anders, wir stürzen uns hinein. Auch
jetzt geht es mit Feuereifer daran, ein Idyll zu schaffen, ein Idyll des Fressens
und Schlafens natürlich. Die Bude wird zunächst einmal mit Matratzen belegt,
die wir aus den Häusern heranschleppen. Ein Soldatenhintern sitzt gern auch mal
weich. Nur in der Mitte des Raumes bleibt der Boden frei. Dann besorgen wir
uns Decken und Federbetten, prachtvolle weiche Dinger. Von allem ist im Dorf
ja genügend vorhanden. Albert und ich finden ein zerlegbares Mahagonibett mit
einem Himmel* aus blauer Seide und Spitzenüberwurf. Wir schwitzen wie die
Affen beim Transport, aber so was kann man sich doch nicht entgehen lassen,
zumal es in ein paar Tagen doch sicher zerschossen wird.
Kat und ich machen einen kleinen Patrouillengang durch die Häuser. Nach
kurzer Zeit haben wir ein Dutzend Eier und zwei Pfund ziemlich frische Butter
gefasst. Plötzlich kracht es in einem Salon, und ein eiserner Ofen saust durch die
Wand, an uns vorbei, einen Meter neben uns wieder durch die Wand. Zwei
Löcher. Er kommt aus dem Hause gegenüber, in das eine Granate gehauen ist.
»Schwein gehabt«, grinst Kat, und wir suchen weiter. Mit einem Male spitzen
wir die Ohren und machen lange Beine. Gleich darauf stehen wir wie verzaubert:
In einem kleinen Stall tummeln sich zwei lebende Ferkel. Wir reiben uns die
Augen und sehen vorsichtig wieder hin: sie sind tatsächlich noch immer da. Wir
fassen sie an – kein Zweifel, es sind zwei wirkliche junge Schweine.
Das gibt ein herrliches Essen. Etwa fünfzig Schritt von unserm Unterstand
entfernt steht ein kleines Haus, das als Offiziersquartier gedient hat. In der
Küche befindet sich ein riesiger Herd mit zwei Feuerrosten, Pfannen, Töpfen
und Kesseln. Alles ist da, sogar eine Unmenge kleingehacktes Holz steckt in
einem Schuppen – das wahre Schlaraffenhaus*.
Zwei Mann sind seit dem Morgen auf den Feldern und suchen Kartoffeln,
Mohrrüben und junge Erbsen. Wir sind nämlich üppig und pfeifen auf die
Konserven des Proviantamts, wir wollen frische Sachen haben. In der
Speisekammer liegen schon zwei Köpfe Blumenkohl. Die Ferkel sind
geschlachtet. Kat hat das erledigt. Zu dem Braten wollen wir Kartoffelpuffer
machen. Aber wir finden keine Reiben für die Kartoffeln. Doch auch da ist bald
abgeholfen. In Blechdeckel schlagen wir mit Nägeln eine Menge Löcher, und
schon sind es Reiben. Drei Mann ziehen dicke Handschuhe an, um die Finger
beim Reiben zu schonen, zwei andere schälen Kartoffeln, und es geht rasch
vorwärts.
Kat betreut die Ferkel, die Mohrrüben, die Erbsen und den Blumenkohl. Zu
dem Blumenkohl mischt er sogar eine weiße Soße zurecht. Ich backe Puffer,
immer vier zu gleicher Zeit. Nach zehn Minuten habe ich es heraus, die Pfanne
so zu schwenken, dass die auf der einen Seite fertigen Puffer hochfliegen, sich in
der Luft drehen und wieder aufgefangen werden. Die Ferkel werden
unzerschnitten gebraten. Alles steht um sie herum wie um einen Altar.
Inzwischen ist Besuch gekommen, zwei Funker*, die freigebig zum Essen
eingeladen werden. Sie sitzen im Wohnzimmer, wo ein Klavier steht. Einer
spielt, der andere singt: »An der Weser*«. Er singt es gefühlvoll, aber ziemlich
sächsisch. Trotzdem ergreift es uns, während wir so am Herd all die schönen
Sachen vorbereiten.
Allmählich merken wir, dass wir Kattun kriegen. Die Fesselballons haben
den Rauch aus unserm Schornstein spitz bekommen, und wir werden mit Feuer
belegt. Es sind die verfluchten kleinen Spritzbiester, die so ein kleines Loch
machen und so weit und niedrig streuen. Immer näher pfeift es um uns herum,
aber wir können doch das Essen nicht im Stich lassen. Die Bande schießt sich
ein. Ein paar Splitter sausen oben durchs Küchenfenster. Wir sind bald mit dem
Braten fertig. Doch das Pufferbacken wird jetzt schwieriger. Die Einschläge
kommen so dicht, dass oft und öfter die Splitter gegen die Hauswand klatschen
und durch die Fenster fegen. Jedesmal, wenn ich ein Ding heranpfeifen höre,
gehe ich mit der Pfanne und den Puffern in die Knie und ducke mich hinter die
Fenstermauer. Sofort danach bin ich wieder hoch und backe weiter.
Die Sachsen hören auf zu spielen, ein Splitter ist ins Klavier geflogen. Auch
wir sind jetzt allmählich fertig und organisieren den Rückzug. Nach dem
nächsten Einschlag laufen zwei Mann mit den Gemüsetöpfen los, die fünfzig
Meter bis zum Unterstand. Wir sehen sie verschwinden.
Der nächste Schuss. Alles duckt sich, und dann traben zwei Mann mit je
einer großen Kanne erstklassigem Bohnenkaffee ab und erreichen vor dem
folgenden Einschlag den Unterstand.
Jetzt schnappen sich Kat und Kropp das Glanzstück: die große Pfanne mit
den braungebratenen Ferkeln. Ein Heulen, eine Kniebeuge, und schon rasen sie
über die fünfzig Meter freies Feld.
Ich backe meine letzten vier Puffer noch fertig; zweimal muss ich dabei auf
den Boden – aber es sind schließlich vier Puffer mehr, und es ist mein
Lieblingsessen.
Dann ergreife ich die Platte mit dem hohen Stapel und presse mich hinter
die Haustür. Es zischt, kracht, und ich galoppiere davon, mit beiden Händen die
Platte an die Brust gedrückt. Fast bin ich angelangt, da pfeift es anschwellend,
ich türme wie ein Hirsch, fege um die Betonwand, Spritzer klatschen gegen die
Mauer, ich falle die Kellertreppe hinunter, meine Ellenbogen sind zerschlagen,
aber ich habe keinen einzigen Puffer verloren und die Platte nicht umgekippt.
Um zwei Uhr beginnen wir mit dem Essen. Es dauert bis sechs. Bis halb
sieben trinken wir Kaffee – Offizierskaffee aus dem Proviantamt – und rauchen
Offizierszigarren und Zigaretten – ebenfalls aus dem Proviantamt. Punkt halb
sieben fangen wir mit dem Abendessen an. Um zehn Uhr werfen wir die Gerippe
der Ferkel vor die Tür. Dann gibt es Kognak und Rum, ebenfalls aus dem
gesegneten Proviantamt und wieder lange, dicke Zigarren mit Bauchbinden.
Tjaden behauptet, dass nur eines fehle: Mädchen aus einem Offizierspuff.
Spätabends hören wir Miauen. Eine kleine graue Katze sitzt am Eingang.
Wir locken sie heran und füttern sie. Darüber kommt auch uns wieder der
Appetit. Kauend legen wir uns schlafen.
Doch die Nacht ist böse. Wir haben zu fett gegessen. Frisches Spanferkel
wirkt angreifend auf die Därme. Es ist ein ewiges Kommen und Gehen im
Unterstand. Zwei, drei Mann sitzen immer mit heruntergezogenen Hosen
draußen herum und fluchen. Ich selbst bin neunmal unterwegs. Gegen vier Uhr
nachts erreichen wir einen Rekord: alle elf Mann, Wache und Besuch, sitzen
draußen.
Brennende Häuser stehen wie Fackeln in der Nacht. Granaten poltern heran
und hauen ein. Munitionskolonnen rasen über die Straße. An der einen Seite ist
das Proviantamt aufgerissen. Wie ein Schwärm Bienen drängen sich dort trotz
aller Splitter die Kolonnenfahrer und klauen Brot. Wir lassen sie ruhig
gewähren. Wenn wir was sagen würden, gäbe es höchstens eine Tracht Prügel
für uns. Deshalb machen wir es anders. Wir erklären, dass wir die Wache sind,
und da wir Bescheid wissen, kommen wir mit den Konserven an, die wir gegen
Sachen tauschen, die uns fehlen.
Was macht es schon – in kurzer Zeit ist ohnehin alles zerschossen. Für uns
selbst holen wir Schokolade aus dem Depot und essen sie tafelweise. Kat sagt,
sie sei gut für einen allzu eiligen Bauch. —
Fast vierzehn Tage vergehen so mit Essen, Trinken und Bummeln.
Niemand stört uns. Das Dorf verschwindet langsam unter den Granaten, und wir
führen ein glückliches Leben. Solange nur noch ein Teil des Proviantamtes steht,
ist uns alles egal, und wir wünschen bloß, hier das Ende des Krieges zu erleben.
Tjaden ist derartig fein geworden, dass er die Zigarren nur halb aufraucht.
Er erklärt hochnäsig, er sei es so gewohnt. Auch Kat ist sehr aufgemuntert. Sein
erster Ruf morgens ist: »Emil, bringen Sie Kaviar und Kaffee.« Es ist überhaupt
erstaunlich vornehm bei uns, jeder hält den andern für seinen Burschen, siezt ihn
und gibt ihm Aufträge. »Kropp, es juckt mich unter dem Fuß, fangen Sie doch
mal die Laus weg«, damit streckt ihm Leer sein Bein hin wie eine
Schauspielerin, und Albert schleift ihn daran die Treppen hinauf. »Tjaden!« –
»Was?« – » Stehen Sie bequem, Tjaden, übrigens heißt es nicht: Was, sondern:
Zu Befehl – also: Tjaden!« Tjaden begibt sich wieder auf ein Gastspiel zu Götz
von Berlichingen*, der ihm nur so im Hand-gelenk sitzt.
Nach weiteren acht Tagen erhalten wir Befehl, abzurücken. Die
Herrlichkeit ist aus. Zwei große Lastautos nehmen uns auf. Sie sind hoch
bepackt mit Brettern. Aber noch oben darauf bauen Albert und ich unser
Himmelbett mit dem blauseidenen Überwurf auf, mit Matratzen und zwei
Spitzenoberbetten. Hinten drin am Kopfende liegt für jeden ein Sack mit besten
Lebensmitteln. Wir fühlen manchmal darüber hin, und die harten Mettwürste,
die Leberwurstbüchsen, die Konserven, die Zigarrenkisten lassen unsere Herzen
jubilieren. Jeder Mann hat so einen Sack voll bei sich.
Kropp und ich haben aber außerdem noch zwei rote Samtfauteuils* gerettet.
Sie stehen im Bett, und wir räkeln uns darauf wie in einer Theaterloge. Über uns
bauscht sich die Seide des Überwurfs als Baldachin. Jeder hat eine lange Zigarre
im Mund. So schauen wir hoch von oben in die Gegend.
Zwischen uns steht ein Papageienkäfig, den wir für die Katze gefunden
haben. Sie wird mitgenommen und liegt drinnen vor ihrem Fleischnapf und
schnurrt.
Langsam rollen die Wagen über die Straße. Wir singen. Hinter uns spritzen
die Granaten Fontänen aus dem nun ganz verlassenen Dorf.
Do'stlaringiz bilan baham: |