1) Wertungs- und Bewertungsfunktionen. Die Bewertung kann sowohl positiv als auch negativ sein.
2) Vereinfachungsfunktion.
3) Die Phraseologismen können den Leser zum Lesen motivieren, sein Interesse wecken, ihn emotionalisieren.
4) Der Journalist kann die Phraseologismen zur Verstärkung und Verdeutlichung brauchen. Er möchte dadurch gesunden Menschenverstand demonstrieren und zeigen, dass es ihm nicht an Mut fehlt, die Dinge beim Namen zu nennen.
Ich zeige ein paar Beispiele aus beiden Wochenmagazinen. Weitere Beispiele führe ich noch im Kapitel über Textsorten an, weil gewisse Phraselogismentypen und gewisse Textsorten korrelieren (Burger 1982, 109). Als ein Beispiel aus dem SPIEGEL kann der oben erwähnte Ausschnitt aus dem Artikel „Koalition der Unwilligen“ dienen (siehe auch Anlage Nr. 4). Ein paar weitere ähnliche Beispiele:
(1) Die Kanzlerin hat Wichtigeres zu tun und das Thema [der Einsatz der Bundeswehr bei der Fuβballweltmeisterschaft] auf die lange Bank geschoben, aber das heiβt für den Innenminister nur, dass er den richtigen Zeitpunkt erwischen muss, um damit wiederzukommen. (Der Provokateur, DER SPIEGEL, Nr. 18/ 29. 4. 2006, S. 39)
Der ganze Absatz ist ironisch gemeint.
(2) Es kommt inzwischen auf jede Stelle nach dem Komma an, weil Politiker immer mehr, immer genauer rechnen lassen. „Wir haben aufgerüstet“, sagt Philippi. Aufgerüstet, um mit dem wachsenden Steuerstaat Deutschland Schritt halten zu können. „Ohne Computertechnik wäre das alles gar nicht mehr zu schaffen.“ (Der Verschwender-Staat, DER SPIEGEL, Nr.19 / 8.5.2006, S. 32)
Der Phrasem „mit j-m./etw. Schritt halten“ (mit j-m, etw. mithalten, sich nicht überrunden, übertreffen lassen) wirkt in diesem Kontext scherzhaft, einige Leser könnten diesen Phrasem sogar als spöttisch bezeichnen. Die Ökonomen brauchen nämlich mehr Computer und Technik, damit sie die Folgen der Steuerreformen besser berechnen können. Wenn wir den Kontext nicht kennen würden, würden wir das Phrasem als ganz neutral betrachten.
Folgendes Beispiel aus dem SPIEGEL, das ich schon oben angeführt habe, zeigt, wie Modifikation eines Phrasems zusammen mit dem Kontext seine Stilfärbung ändern kann:
(3) Nach der Wende wurde DDR-Chef-Indianer Gojko Mitic gesamtdeutscher Winnetou. Jetzt reitet er in die ewigen Jagdgründe. (Apatsche in der Patsche; DER SPIEGEL Nr. 27 / 3.7.2006, S. 128)
Das Phrasem „in die ewigen Jagdgründe eingehen“ ist im Lexikon als verhüllend bezeichnet. Das modifizierte Phrasem wirkt in diesem Kontext vielmehr scherzhaft.
Im Artikel „Jede Chemo ein Gedicht“ (DER SPIEGEL Nr. 27 / 3.7.2006, S. 129-130) umschreibt der Autor des Artikels eine traurige Situation und Schattenseiten des Lebens mit Hilfe von einigen Phraseologismen und Metaphern. Dadurch erweckt er auch die Emotionen (Trauer, Mitleid) bei dem Leser. Die ersten zwei Wendungen wirken euphemistisch (verhüllend), die letzte beschreibt Gefühle des Autors.
(4) (...) kurz zuvor hat der Krebs einen der besten Autoren, die jemals die deutsche Zunge in Beschlag genommen haben, besiegt.
(5) Beispielsweise die Chemos, ich habe sie immer als Herausforderung begriffen, da hängt man am Tropf und kriegt wirklich harte Sachen (...) (am Tropf hängen = von Zuwendungen anderer abhängig sein)
(6) Unerträglich: Man sah ihn praktisch live im Niedergang begriffen, das fasste einem kalt ans Herz.
Ähnliche Beispiele finden wir in der ZEIT. Wieder sind es gerade Artikel über Politik, wo Phraseme mit einer eindeutigen Stilfärbung am häufingsten auftreten. Ich führe zwei Beispiele an. Das eine ist aus dem Artikel „Schwarz, Rot, kein Gold“ (DIE ZEIT, Nr. 25 / 14. Juni 2006, S. 1) – siehe Anlage Nr. 5 und das andere aus dem Artikel „Hauptsache, gemeinsam“ (DIE ZEIT, Nr. 26 / 22. Juni 2006, S. 1).
(1) Insofern überrascht es nicht, wenn nun viele auf Veränderung hinter dem Rücken des Volkes setzen. Allein das Leben ist keine Vorabendserie, niemand vermag einen Bumerang vier Jahre lang in der Luft zu halten. Jede Reform muss, es hilft nichts, vom Volk durchgearbeitet werden. (hinter jmds. Rücken = heimlich, ohne jmds. Wissen)
(2) Wenn die Koalitionäre von ihren Heldentaten berichten, dann spielt dabei die Rente ab 67 eine Hauptrolle. Denn, so rühmen sie, der Widerstand der Rentner sei gewaltig gewesen, durch eine Flut von E-Mails beispielsweise.
In diesen Sätzen lesen wir scharfe Kritik der Regierung und auch negative und ironische Bewertung der geplanten Reformen. Der Journalist spricht über Reformen wie über „Heldentaten“ und meint das ironisch, sarkastisch.
Ein anderes Beispiel ist aus dem Artikel „Hauptsache, gemeinsam“ (DIE ZEIT, Nr. 26 / 22. Juni 2006, S. 1), der auch Politik (diesmal Familienpolitik) betrifft:
(3) Muss deshalb der neue Diskurs über das Ehegattensplitting und die bessere Förderung der Eltern mit Kindern, verheiratet oder alleinerziehend, der diesmal von den jüngeren Politikern in der CDU angestiftet worden ist, wiederum ausgehen wie das Hornberger Schieβen? Keineswegs! (ausgehen wie das Hornberger Schieβen = [nach groβer Ankündigung] ohne ein Ergebnis enden)
Das Phrasem wirkt hier spöttisch; und teilt vereinfacht ohne lange Erklärungen mit, wie die vorhergehenden Reformen ausgefallen sind. Das Phrasem erfüllt hier also auch die Vereinfachugsfunktion.
Ich habe schon Phraseologismen mit Stilfärbungen scherzhaft, ironisch, spöttisch und euphemistisch erwähnt und an konkreten Beispielen demonstriert. An den letzten Typ der Stilfärbung abwertend / pejorativ habe ich nur einen Beleg gefunden. Allgemein vermeiden die Journalisten aus beiden Wochenmagazinen die Phraseologismen mit der Stilfärbung abwertend / pejorativ. Das hängt damit zusammen, was ich schon oben bei der Stilschicht salopp / derb erwähnt habe. Es handelt sich um seriöse Printmedien und solche Ausdrücke und Wendungen haben hier keinen Raum.
(4) „Es ist ungeheuerlich, dass die Mitarbeiter durch Mehrarbeit, Einkommensverzicht und Arbeitsplatzverlust gewaltige Opfer zur Rettung des Bereichs erbringen mussten, während die verantwortlichen Manager ihr Schäfchen ins Trockene gebracht haben (...) (Vom Netz genommen, DIE ZEIT, Nr. 26 / 22. Juni 2006, S. 18)
Sein Schäfchen ins Trockene bringen = sich [auf Kosten anderer] groβen Gewinn, groβe Vorteile verschaffen. Im Lexikon wird dieses Phrasem als leicht abwertend bezeichnet. Dieses Phrasem erscheint aber in der direkten Rede eines Mannes. Der Journalist selbst hat den Phrasem nicht benutzt.
Aus unseren Beispielen ergibt sich, dass beide Wochenmagazine vor allem mit Ironie und Sarkasmus überhaupt nicht sparen. Den Journalisten aus beiden Wochenmagazinen fehlt nicht der Mut vor allem die politische Situation scharf zu kritisieren und Verhalten der Politiker offen zu bewerten. Die meisten Phraseologismen sind ironisch gemeint und dienen zur Bewertungsfunktion und zur Verstärkung und Verdeutlichung der Aussage. Wir können sie zur Stilfärbung scherzhaft, ironisch, manchmal auch spöttisch zuordnen. Euphemistische Phraseme erscheinen auch, aber nur selten. Phraseologismen mit der Stilfärbung abwertend / pejorativ erscheinen nicht. Ich habe nur einen Beleg gefunden und das war nur in der direkten Rede eines Menschen. Bei der Analyse der Phraseologismen unter dem pragmatischen Aspekt habe ich also keinen besonderen Unterschied zwischen den beiden Wochenmagazinen gefunden.
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