Zum Usbeken- und Usbekistanbild im deutschsprachigen Raum



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Bog'liq
Diss Rakhimova 2018

gebacken und vom Zahn der Zeit zerbissen ist. Im ersten Stockwerk ein freigelassener 
Raum als Veranda, zu ebener Erde Nischen, darin ein Hufschmied hantiert, ein Raseur, 
53
Siehe dazu: Saltykov-Ščedrin et al. 1953. 


169 
ein Sattler oder ein Brezelbäcker. Die Moscheen fraßen alle Architektur, für den 
Profanbau blieb nicht einmal ein Ornamentchen, nicht ein Ziegelchen übrig.


(Kisch 1932, S. 22-23) 
Kisch gibt eine kurze, aber umfassende Beschreibung für Taschkent als „
eine 
räumliche Durchdringung von alt und neu, von Grau und Rot, von Orient und Okzident, 
von Primitivwirtschaft und Sozialismus, von Mohammed und Marx 
...“ (ebd.: S. 34), 
wobei das für ihn so typische Wortspiel mit der Antithese zu erkennen ist. 
Zum Abschied von der Stadt personifiziert er diese erneut: 

Eine Zeitlang läuft die Taschkenter Oase neben uns her, wirft Jasminduft und der 
Pappeln Grün als Abschiedsgruß in das Abteil. Dann aber bleibt sie zurück, und alles 
ist öde.


 
 
 
 
 
(Kisch 1932, S. 35)
 
Auch Hans Werner Richter kam nach Taschkent, er besuchte die Ortschaften, die 
Kisch seinerzeit besucht hatte. Er umschreibt Taschkent, ähnlich wie Kisch, mit 
Hyperbel und Metapher: „
ein riesenhafter Park, eine Oase, ein grüner Fleck in der 
braunen Steppe
“ (Richter 1966, S. 12). Richter idealisiert nicht das russische 
Taschkent und umschreibt sein Hotel eher sarkastisch mit „
stalinistischer Prunkbau
“ 
(ebd.: S. 15), auch das Opernhaus ist für ihn „
nicht weniger prunkvoll
“ als das Hotel. 
Er meint, Taschkent sei so groß wie München, und kommt immer wieder auf Kisch 
zurück, zitiert ihn und vergleicht, was sich hier wohl geändert habe. Er sieht keine 
Moscheen mehr, anders als in der Behauptung von Kisch („
Die Moscheen fraßen alle 
Architektur“
(Kisch 1932, S. 23)), die moderne Architektur habe sie gefressen (vgl. 
ebd.: S. 13). Nur in seinem Reisebericht kommt die dreifache Aufteilung der Stadt 
Taschkent vor:

Er führt uns durch Taschkent, eine Stadt mit vielen Gesichtern. Sie besteht in 
Wirklichkeit aus drei Städten: einem Eingeborenenviertel, in dem sich weißgetünchte 
Häuser mit flachen Dächern in engen Gassen zusammendrängen, einem 
Europäerviertel mit breiten, schattigen Straßen und ein- und zweistöckigen Häusern, 
kleinen Palästen, im viktorianischen Stil erbaut, und einer Neustadt, die nach der 
Revolution entstand und sich immer mehr erweitert. Die drei Stadtviertel kennzeichnen 
drei Epochen: die Altstadt die Zeit der Emire, das Europäerviertel die Zeit der 
Zarenherrschaft, die Neustadt die Zeit der Sowjets.


(Richter 1966, S. 15)
 


170 
In Gedanken bleibt er immer in Verbindung mit Egon Erwin Kisch und versucht, sich 
seine Reaktion auf das heutige Taschkent vorzustellen („
Kisch wäre überrascht, käme 
er heute nach Taschkent
“ (ebd.: S. 16)). 
Christ benutzt gleich bei der Betitelung des Abschnittes über Taschkent das Wortspiel 

Taschkent, die trostreiche Stadt
“ (Christ 1976, S. 195), eine Andeutung auf Neverovs 
Erzählung „Taschkent, brotreiche Stadt“ (Neverov 1927). Die Umschreibung 

trostreiche Stadt
“ verwendet er jedoch in Verbindung mit dem Erdbeben, das sich am 
26. April 1966 in Taschkent ereignete, wodurch die Stadt zum größten Teil zerstört 
wurde. Seinen Gedankengang formuliert der Reiseautor, wobei er die Stilmittel 
Antiklimax („
einen Tag, eine Stunde, eine Sekunde
“) zur Steigerung der Emotionalität 
und Personifikation von Taschkent verbildlichend einsetzt: 

Die stärksten Erinnerungen umgreifen gewöhnlich sehr kurze Zeiträume, einen Tag, 
eine Stunde, eine Sekunde. An den Augenblick in der Teestube zu den blauen Kuppeln 
muss ich denken jedesmal, wenn ich des zerstörten und wiedererstehenden 
Taschkents gedenke, einer Stadt, die uns als brotreich beschrieben war und die um 
nichts weniger als trostreich ist, weil sie gezeigt hat, was Menschen in der Not 
vermögen.


(Ebd.: S. 208) 
In seinem zweiten Reisebuch über Usbekistan beschreibt Christ die Hauptstadt mit 
vielen elliptischen Sätzen, er schafft auf diese Weise unzählige Bilder von der Stadt: 
von Wasserkanälen („
kein Gäßchen ohne Wasser
“ (Christ/Kállay 1979, S. 10)) und 
vielen Plakaten, welche die eingefahrene Baumwollernte loben (
„Andere Plakate: 5 
300 000! Nichts als diese Zahl
.“) (ebd.), von Gebräuchen („
Ein Friseurladen: für die 
Wartenden die Teekanne, Teeschale, ein Schachspiel
.“ (ebd.)), von Straßen, Häusern 
und Menschen u. v. a. Er reiht mithilfe von elliptischen Sätzen viele Bilder von 
Taschkent aneinander:

Die prächtige Nawoi-Straße. Sehr lang. Plötzlich bricht sie auseinander: rechts ziehen 
sich weiter die hohen wuchtigen Gebäude, links sind keine Häuser mehr, der Blick geht 
ungehindert in ein Lehmhüttenviertel, über Abbruchreifes.


(Ebd.: S. 10)
 
Er fragt sich anschließend, ob es schon einen Eindruck von Taschkent gebe, und 
antwortet darauf: 


171 

Vielleicht soviel fürs erste: Eine Stadt halb modern, halb Mittelalter. Teils Europa, teils 
Orient. Zentrum asiatischer Politik. Internationale Begegnungsstätte der Kultur. 
Lebhafte, nicht laute Stadt.
Letzter erster Eindruck vor eintretender Dämmerung, die hier kürzer ist als daheim: 
Taschkent, eine blaue Stadt. Oder blaugrüne Stadt. Die Fassaden neuer Häuser haben 
fast durchweg einen Farbton wie Wasser in gepflegten Schwimmbecken: Blau, 
Blaugrün, Blaugrau, Türkis. Es vermittelt den Eindruck von Kühle und Erfrischung.
Offenbar haben hier, glückliches Taschkent, Leute gebaut, nachdem sie sich 
Gedanken übers Bauen gemacht haben.


(Ebd.: S. 11)
 
In obigem Beispiel kontrastiert er Gegensätze mit einem Parallelismus („
Eine Stadt 
halb modern, halb Mittelalter. Teils Europa, teils Orient
.“) und verleiht der Stadt 
symbolhaft die Farbe 
blau
, die auf die vielen Springbrunnen in der Stadt hindeutet. Er 
personifiziert Taschkent („
glückliches Taschkent
“), setzt die Floskel als Stilmittel des 
Humors ein („
[…] gebaut, nachdem sie sich Gedanken übers Bauen gemacht haben
.“) 
und lobt damit indirekt neue sowjetische Architektur.
An anderer Stelle spricht Christ vom „
Geist von Taschkent, der die Stadt zum Symbol 
der Solidarität, zur Metropole des sowjetischen Orients wie auch zur interkontinentalen 
Begegnungsstätte in Politik und Kultur werden ließ
“ (ebd.: S. 20-21). 
Am Beispiel der Beschreibungen von Taschkent sieht man den kolonialistisch und 
imperialistisch geprägten Blick der Reisenden besonders deutlich. Die Altstadt von 
Taschkent wird als Gegenpol zum russischen Teil, somit zu Europa gestellt (siehe Tab. 
12).

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