Wolfgang Wächter Bücher erhalten, pflegen und restaurieren



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Abb. 19 Detail von Abb. 18

Von den Mikroben

Mikroorganismen oder Mikroben als Schadensursache am Buch ock Papier begegnen uns recht häufig. Die unvorstellbare Vielfalt der Mikrooi ganismen macht eine Einschränkung und Definition unter restaurator sehen Gesichtspunkten notwendig. Wir befassen uns nach einigen allge-meinen Bemerkungen unter dem Begriff 'Mikroorganismen' mir Bakterie und Pilzen, die typische 'Buchzerstörer' darsteilen.

Die zumeist unsichtbare Tätigkeit der Mikroben ist auf vielfältige Weis mit den Lebensprozessen des Menschen, der Tiere und Pflanzen verbur den. Ohne die Tätigkeit dieser niederen Organismen ist das Leben de höheren Arten einschließlich des Menschen nicht möglich. Die Fähigke der schnellen Vermehrung, die physiologische Aktivität, die Anpassung; Fähigkeit und eine erstaunliche Resistenz gegenüber ungünstiger Umwelt faktoren erlauben den Mikroben die Besiedlung aller Lebensräume unsere Planeten. Die Mikroorganismen entwickeln 'Spezialisten' für die unter schiedlichsten Nährsubstrate unter extremen ökologischen Bedingunger Sie zerlegen z.B. Holz, Zellulose, Knochensubstanzen, Öle und Fette, mc talle, Glas und einige Arten sogar Kunststoffe in ihre Bausteine und führe sie damit wieder dem natürlichen Kreislauf der Stoffe zu. Bekannt sin Thermophile (bei hohen Temperaturen in heißen Quellen, Geysiren un Zentralheizungen lebende Mikroorganismen), Psychrophile (bei niedrige Temperaturen in Gletschern und polaren Eismassen lebende Mikroorgani« men),

Halophile (bei hohem Salzgehalt lebende Mikroorganismen),

Barophile {an hohe Drücke angepaßte Mikroorganismen) und andere ex-treme Ökotypen,

Mikroorganismen sind allgegenwärtig. Der Erdboden mit seinen zahlre chen organischen und anorganischen Substanzen ist der eigentliche Lc bensbereich der Mikroben. Im Boden ist der größte Artenreichtum zu fir den, und hier wird auch die wichtigste Aufgabe der Mikroben gelöst. Di Tätigkeit der Mikroben garantiert den Kreislauf des Kohlenstoffes und de Nährstoffe. In komplizierten und unüberschaubaren chemischen Vorgär gen sorgen die Mikroorganismen für das Stoffwechselgleichgewicht de Natur. Sie schaffen Rohstoffe, Medikamente, Energie, Nahrung für Tier und Mensch. Mikroben dienen als Testorganismen, wirken in der Abwa-

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ser- und Müllbeseitigung, können Metalle gewinnen, dienen der biologi­schen Schädlingsbekämpfung und vieles andere mehr.

Diesen wertvollen und notwendigen Eigenschaften der Mikroben stehen die Schadwirkungen gegenüber. Infektionskrankheiten, die Vernichtung von Nahrungsmitteln und Rohstoffen seien hier angeführt. Die latente Anwesenheit im globalen Raum und das Unvermögen, ihre zersetzende Tätigkeit zu differenzieren, zwingen den Menschen zu Abwehrmaßnahmen in spezifischen Bereichen. Wirksame Abwehrmaßnahmen setzen eine fun­damentale Kenntnis der Lebensweise, Vermehrung und der Verbreitung der Mikroben voraus. Seit Jahrtausenden kennen die Menschen die Wir­kungen der Mikrobentätigkeit (Herstellung alkoholischer Getränke, Käse­herstellung usw.). Erst seit der Erfindung des Mikroskops durch den Nie­derländer Antonie van Leeuwenhoek in der Mitte des 17. Jahrhunderts kann man vom Beginn einer systematischen Erforschung der Mikroben sprechen. Leeuwenhoeks Entdeckungen (1683 stellte er in dem Werk 'Ar-cana naturae' die Grundformen der Bakterien: Kugel, Stäbchen und Schraube dar) war Ausgangspunkt eines jahrhundertelangen Kampfes ge­gen das Dogma der 'Urzeugung'.

Erst die berühmten Versuche Louis Pasteurs entschieden 1862 diesen Kampf zugunsten eines wissenschaftlichen Weltbildes. Pasteurs fundamen­tale Erkenntnis, dass die Luft zu den wesentlichsten Keimträgern gehört, wurde 1860 von der Akademie der Wissenschaften in Paris mit dem Preis für experimentelle Physiologie honoriert. Die weitere Erforschung mikro­biologischer Zusammenhänge ist eng mit den Namen Robert Kochs und seiner Schüler verbunden. Ihre Erkenntnisse legten den Grundstein für eine wirksame Bekämpfung vieler Infektionskrankheiten, die jahrtausendelang als Geisel der Menschheit unzählige Opfer forderten. Weitere mikrobiolo­gische Entdeckungen eröffneten eine breite stürmische Entwicklung mikro­biologischer Disziplinen. Erinnert sei an die Entwicklung der Chemothera­pie durch Uhlenhuth und Ehrlich, die Entdeckung des Penicillins durch Fleming, die Isolierung weiterer hochwirksamer Antibiotika, die bereits technische Nutzung der Mikroben, die Entdeckung der Viren und vieles andere mehr. Die Erkenntnisse intensiver Forschung mikrobieller Diszipli­nen lassen uns heute von einem selbständigen Mikrobenreich neben dem Pflanzen- und Tierreich sprechen. Modernste Untersuchungsmethoden er­laubten die Aufklärung der feinsten Strukturen der Mikroorganismen und führten zur Unterscheidung von

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Abb. 20 Schematischer Aufbau von eukaryotischer und prokaryorischer Zelle

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  1. prokaryotischen Protisten,

  2. eukaryotischen Protisten.

Die prokaryotischen Zellen sind mit Ausnahme der Zellwand bedeutend einfacher aufgebaut als die eukaryotischen. Zu den Eukaryonten, also den höher organisierten Protisten, zählen Pilze, Algen und Protozoen.

Die Prokaryonten, die niederen Protisten, sind Bakterien und Blaualgen.

Die Viren bilden eine spezifische Gruppe, die im engsten Sinn nicht zu den Mikroorganismen zählen.

Im weiteren Verlauf der Darstellung reduzieren wir unser Interesse auf die speziell im restauratorischen Tätigkeitsbereich wesentlichen Mikroben.

Bakterien (Schizomyzeren}

Die Bakterien sind eine heterogene Gruppe der Mikroorganismen, die durch folgende Merkmale charakterisiert sind:

Form: kugelförmig, stäbchenförmig, schraubenförmig, mit vielen Abwei­chungen und in variablen Anordnungen. Größe: 0,2- 2 Mikrometer mal 0,5- 20 Mikrometer. Zellwand: Zusammengesetzt aus Proteinen, Polysacchariden und Lipiden. Das Grundgerüst besteht aus Murein. In das ein- oder mehrschichtige Stützskelett sind zahlreiche Verbindungen eingelagert. Diese unterschiedli­che chemische Konstitution der Zellwand ist für den Ausfall der sogenann­ten Gramfärbung von Bedeutung. Mit dieser 1889 von C. Gram eingeführ­ten Färbemethode lassen sich fast alle Bakterien in grampositive und gramnegative Gruppen einordnen.

Zellkörper: setzt sich aus Zellplasma, Kernapparat und Zellmembran zu­sammen. Das Zellplasma (Zytoplasma) umgibt den Kern, die Ribosomen, Polysaccharid- und Polyphosphatgranulat und die Membranen. Zwischen Zellwand und Zellkörper befindet sich die Zellmembran mit zahlreichen Enzymsystemen, die dem Elektronentransport, der Synthese von Kapsei und Zeltwandbestandteilen usw. dienen.

Fortbewegung: Mit Hilfe feiner, langer Anhängsel, den Geisseln, können die Bakterien unterschiedliche Bewegungen ausführen. Die Form der Geißeln stellt ein wichtiges Ordnungsmerkmal dar. Die Bakterienbewegungen können gezielt auf bestimmte Reize von außen sein (Fototaxie, Chemotaxie usw.). Neben den beweglichen gibt es zahlreiche unbewegliche Formen.

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Vermehrung: im allgemeinen durch Zweiteilung, selten durch Sprossung oder Knospung. Die durch Querteilung entstandenen Tochterzellen haben gleiches Aussehen (abgeleitet davon die Bezeichnung 'Spaltpilze').

Die Übertragung genetischen Materials ist in Form der Konjugation als parasexueller Vorgang möglich. Daneben ist die Aufnahme genetischen Materials ohne direkten Zellkontakt, durch die Aufnahme freier löslicher DNS, die von anderen Bakterien freigesetzt wurde, am längsten bekannt. Dieser Vorgang wird als Transformation bezeichnet. Die Transduktion als dritte Form der Merkmalsübertragung bedarf der Einschaltung eines ßak-teriophagen zum Transport der DNS von der Spender- zur Empfängerzelle.

Dauerformen: Einige Bakterien bilden Sporen aus. Die Spore wird endo­gen gebildet und enthält auf kleinstem Raum alles Material, um über lange Zeiträume und extreme Bedingungen lebensfähig zu bleiben (vegetative thermoresisteme Form). Im Gegensatz zu den Sporen der Pilze, die nur der Vermehrung dienen, liegen hier echte Dauerformen vor.

Die Schadbilder der Bakterien entstehen, ebenso wie die der Pilze, durch den enzymatischen Abbau des Substrates. Die Abbauprodukte des Substra­tes bilden die Nahrungsquelie der Mikroben. In der Literatur sind Bei­spiele für die Schadwirkungen von Bakterien am Buch und Papier sehr sel­ten. Eine Hypothese bezeichnet Bakterien als mögliche Mitverursacher der Stockflecken. Auf Pergamenten wurde der Keim Serratia marcescens (Bact. prodigiosum) gefunden. Typisches Merkmal des Bakteriums ist die Bildung eines blutroten Farbstoffes. Vertreter der Bakteriengattung Micrococca-ceae, grampositive, kugelförmige Bakterien in regelloser Lagerung, un­beweglich und aligemein verbreitet, wurden als saprophytisch lebende Keime auf Papier und Pergament nachgewiesen.

Die Gattung Bazillus, grampositive, in der Regel auffallend große Bakte­rien mit Sporenbildung (deshalb sogenannte Problemkeime}, Eiweiß-, Zel­lulose- und Pektinzersetzer, wurde ebenso wie die Familien der Pseudomo-naden von Papier und Pergament isoliert.

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Pilze

Die Pilze sind heterotrophe, in unterschiedlichen morphologischen Formen auftretende Organismen. Im Gegensatz zu den Bakterien besitzen die Eu-karyonten echte, von Membranen umgebene Zellkerne. Ebenso wie Pflan­zen besitzen sie Zellwand und zellsaitgefüllte Vakuolen, jedoch fehlen die zur Photosynthese notwendigen Pigmente, Enzyme usw.

Hauptelemente des Pilzkörpers sind die Hyphen mit einem Durchmesser zwischen 2 und über 100 Mikrometer. Das Myzel (die Gesamtheit der Hy­phen) überwuchert und durchdringt das Substrat. Die Zellwände bestehen aus Chitin und Polysacchariden {Glucon, Mannan, Galakran, Pentosan). Vielfältige Farbnuancen sind durch die Bildung unterschiedlicher Farb­stoffgruppen (Chinone, Karotinoide, Melanine) möglich.



Abb. 21 Pilzhyphen - a) nichtsepden - b) septiert

Weitere lebensnotwendige Bestandteile des Zytoplasmas sind: die Mitochondrien, die Träger der Atmungsenzyme die Ribosomen zur Proteinsynthese

die Elementarmembranen für den interzellulären Transport und Speicher­stoffe wie Stärke, Lipide, Volutin, Glykogen.

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Im Verlauf des Pilzwachsrums und der daraus resultierenden Verände­rung des Substrates (Abbau, Zerstörung) differenziert sich der Pilzkörper (Thallus).



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Abb. 22 Freie Konidiemräger mit Konidien - a) von Aspergilius - b) von Penkillium

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Es kommt zur Umstellung der Wachstumsphase zur Sporulationsphase. Die Bildung von Luftmyzel, Konidien, Fruchtkörpern weist darauf hin. Die Sporulationsphase umfaßt Vermehrung, Fortpflanzung und die Bildung von Dauer formen.



Abb. 23 Fruchtkörper verschiedener Askomyzeten





Abb. 24 Verschieden geformte Pilzsporen


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Diese bilden sich unter ungünstigen Lebensbedingungen. Die Sporen ent­halten Nährstoffe und Schutzmechanismen, die zur Erhaltung der Art not­wendig sind. Die unterschiedlich geformten Pilzsporen

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(Kugel-, Ei-, Spindel-, Sichel- und Birnenform) werden mit der geringsten Luftbewegung transportiert. Jede Spore ist fähig, ein neues Myzel zu bil­den. Dazu genügen eine organische Nahrungsquelle, Wärme und Feuchtig­keit.



Abb. 25 Pilzsporenkeimung - a) 90 min nach Keimungsbeginn - b) 10 h nach Keimungsbeginn

Die geschlechtliche Vermehrung der Pilze beginnt mit der Verschmelzung der Protoplasten, wobei sich die verschiedengeschlechtlichen Kerne anein­ander lagern und ein Kernpaar (Dikaryon) bilden. In der folgenden Phase besteht die Möglichkeit der Kernverschmelzung (Karyogamie). Die Zygote mit doppelter Zahl der Erbanlagen (Chromosomen) ist das Produkt der Kernverschmelzung. In dem sich anschließenden Kernphasenwechsel wer­den die Chromosomen durch die Reduktionsteiiung (Meiose) wieder auf die ursprüngliche Anzahl reduziert.

Diese schematische Darstellung der sexuellen Vermehrung der Pilze ver­läuft in der Natur in mannigfaltigen, differenzierten Formen. Die aus sexu­ellen Vermehrungsformen stammenden Sporen liegen zahlenmäßig weit hinter den auf ungeschlechtliche Weise entstehenden Sporen.

Die Möglichkeit der Besiedlung von Buch und Papier mit Mikrobenkei­men besteht jederzeit. Dafür ist die jahreszeitlich schwankende, aber im­mer währende Anwesenheit der Keime in allen Medien der Umgebung die Ursache. Die Verbreitung der Keime wird von unterschiedlichen Faktoren

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Abb. 26 Zygosporenbildung bei Mucor rnuceda - a) Zwei Hyphen wachsen aufeinander zu; -b) sie berühren sich unter Abplattung; - c) an der Berührungsfläche lösen sich die Zellwände auf,

und es trennen sich vielkernige Gametangien von den Trägerzellen (Suspensoren) ab; -d)die vereinigten Gametangien bilden eine Zygospore mit sich verdickenden Zellwänden; -

e) reife Zygospore; - f) keimende Zygospore mit Sporanguim am Ende der Keimhyphe

beeinflußt. Eine wesentliche Rolle spielen dabei das allgemeine mikrobieHe Niveau, die Benutzung der Objekte und der Ablauf restauratorischer Arbeitsgänge. Die Anwesenheit von Mikrobenkeimen ist eine allgemeine Erscheinung und gestattet noch keine Aussage über den möglichen Grad der Gefährdung. Erst das Zusammentreffen von günstigen Lebensbedin­gungen, geeigneten Substraten und das Fehlen von Schutzmaßnahmen lassen die Besiedlung zur Gefahr werden.

Werden ruhende Mikroben (Sporen, Dauerformen) in ein Substrat über­tragen, in dem alle lebensnotwendigen Bedingungen gegeben sind, beginnt die Entwicklung und Vermehrung. Dieser Prozeß verläuft jedoch nicht mir konstanter Geschwindigkeit, sondern in sechs unterschiedlichen Phasen.

In der Latenzphase, auch als Inkubationsphase bezeichnet, erfolgt die Aktivierung des Stoffwechsels und die Zellen nehmen an Grösse zu. Die Dauer dieser Phase hängt von der Summe der Umweltfaktoren und der Organismenart ab. Die Inkubationsphase endet mit der ersten Zellteilung. In der folgenden Akzelerationsphase nimmt die Teilungsgeschwindigkeit laufend zu, um in der dritten Phase, der exponentiellen Vermehrungsphase, eine konstante und maximale Geschwindigkeit der Vermehrung zu errei-

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chen. Die Generationszeit, das ist die Zeitspanne, in der eine Verdopplung der Keimzahl eintritt, erreicht in dieser Phase ein Minimum. Durch ver­schiedene Faktoren, z.B. Substratverarmung oder die Anreicherung toxi­scher Stoffwechselprodukte, ist die exponentietle Vermehrungsphase zeit­lich begrenzt und geht in die Verzögerungsphase mit abnehmender Geschwindigkeit über. In der anschließenden stationären Phase bleibt die Keimzahl konstant, da zwischen neugebildeten und absterbenden Zellen ein Gleichgewicht besteht. Die sechste und letzte Phase, die letale Phase genannt, ist durch das Absterben der Zellen und/oder die Ausbildung von stabilen Dauertormen gekennzeichnet.

Aus diesem Prozeß lassen sich für den restauratorischen Arbeitsablauf einige Konsequenzen ableiten. Der Keimgehait der Objekte sollte vor Beginn der Be- und Verarbeitung soweit als möglich vermindert werden. Aufgrund des komplexen mikrobiologischen Geschehens nimmt die Wer­tigkeit der Forderung nach mikrobiell wirksamen Arbeits- und Konservte-rungsmethoden zu. Andererseits zwingen die spezifischen Verhältnisse der Konservierung von Kulturgütern zu einer kritischen Wertung der vielen fungizid wirksamen Substanzen aus unterschiedlichen Anwendungsberei­chen, denn durchaus nicht alle Wirkstoffe eignen sich zum Schutz wert­voller Bibliotheks- und Sammlungsbestände.

Der Substratabbau

Die meisten Mikroorganismen nutzen Kohlenhydrate und verwandte Ver­bindungen als Baumaterialien neuer Zellsubstanzen und als Energiequelle. Die besonders in den letzten Jahren gewonnenen Erkenntnisse über den Aufbau und die Funktion der Zellbestandteile zeigen, daß bestimmte En­zyme an besondere Zellstrukturen gebunden sind. So enthält die Zytoplas-mamembran Enzyme für die Nährstoff gewinnung aus dem Substrat (Nährboden, umgebendes Medium) und Enzyme, die für die Biosynthese der Zellwand notwendig sind. Für praktische Anwendung und unter biolo­gischen Gesichtspunkten ist die Einteilung der Enzyme in Endo- und Exoenzyme üblich. Die in das Substrat ausgeschiedenen Exoenzyme im Verein mit Enzymen einer dritten Gruppe, den Ektoenzymen, die als Be­standteil der Zellwand anscheinend nur nach außen wirken, entfalten die Schadwirkung am befallenen Objekt. Sie gehen mit dem Substrat eine Ver­bindung ein, und je nach der spezifischen Wirkung des Enzyms erfolgt die

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Aktivierung des Substrates durch Lockerung von Bindungen. Die Reak­tionsfähigkeit des Substrates steigt an, und die Katalyse setzt die Bausteine des Substrates frei. Der Substrat-Enzym-Komplex zerfällt schnell wieder in Enzym und Reaktionsprodukte. Das Enzym kann erneut eine Verbindung mit dem Substrat eingehen. Enzyme bewirken in geringsten Mengen hohe chemische Umsätze. Verglichen mit anorganischen Katalysatoren haben Enzyme eine ausgeprägte Substratspezifität.

Der Abbau von Zellulose und Hemizeüulose durch mikrobielle Enzyme stellt ein Mehrkomponentensystem dar. Viele zeilulolytisch wirksame Mi­kroorganismen synthetisieren Zellulasen, die das Substrat Papier bis zur Glukose umsetzen können. Dazu sind drei in einem Enzymkomplex verei­nigte Komponenten notwendig.

C1-Zellu!ase, Cx-Zellulase und ß-Glukosidase sind in den Kulturmedien von Trichoderma viride, Myrothecium verucaria, verschiedenen Aspergil-len und anderen Pilzen und Bakterien nachgewiesen. Diese drei Enzyme sind nur in Gemeinschaft in der Lage, Zellulose bis zur Glukose abzu­bauen.

C1-Zellulase greift native Zellulose an und führt eine Lockerung des Ver­bandes herbei, indem durch Hydratisierung des Substrates die weitere Wasseraufnahme begünstigt und die eng zusammenliegenden Ketten aus­einandergedrängt werden.

Cx-Zellulase wirkt hydrolytisch und greift amorphe Zellulose und Zel­lulosederivate an.

ß-Glukosidase wirkt auf Zellobiose (Baustein der Zellulose) und andere ß-Dimere der Glukose ein.

Bei der Verwendung von Filterpapier als Nährsubstrat bewirkten die Zellulasen von 6 Aspergillus-Spezies einen Abbau von 55- 88%. 10 Arten holzzerstörender Pilze bauten 3- 91% ab, 4 Penicillium-Arten bis zu 61%, 4 Trichoderma-Arten bis zu 53%. Neben dem enzymatischen Abbausy­stem der Mikroben wirkt sicherlich auch die Fähigkeit zur Synthese orga­nischer Säuren destruktiv. Die Aspergillus-Spezies z.B. werden im industri­ellen Maßstab zur Produktion von Zitronen- und Glukonsäuren genutzt. Die natürliche mikrobielle Besiedlung von Papier stellt eine Mischflora mit unterschiedlicher Häufigkeit vorherrschender Keime dar.

Die Vielzahl der Keimarten und die Schwierigkeiten der eindeutigen Erkennung der Spezies setzen ein fundiertes, mikrobiologisches Fachwissen voraus, wenn Fragen nach konkret vorliegenden Keimarten gestellt wer-

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den. Der praktisch arbeitende Restaurator verfügt darüber in der Regel nicht. Für den Praktiker ist diese Detailkenntnis nicht notwendig. Wesent­licher ist die Kenntnis der allgemeinen und berufsspezifischen Zusammen­hänge und die daraus abgeleiteten Verfahrens- und Verhaltensweisen. Die Mikroben zeichnen sich durch das Vermögen der schnellen Anpas­sung an veränderte Umweltbedingungen aus. Dazu gehört auch die Ge­wöhnung an den weitverbreiteten Einsatz von Hemmstoffen und Giften. In zunehmendem Maße gewinnt die Erscheinung der Resistenz, der Ge­wöhnung der Mikroben an Hemmstoffe und Gifte, an praktischer Bedeu­tung. Bekannt sind diese Erscheinungen aus dem Bereich der Medizin, wo diese Problematik immer wieder zur Suche und Entwicklung neuer wirk­samer Substanzen zwingt. Eine echte Resistenz entsteht, wenn die fungizi-den oder fungistaüschen Substanzen unterdosiert angewendet werden und Mikroben die Einwirkung überleben und damit Gelegenheit zur Ausbil­dung von Abwehrmechanismen entsteht, die bei erneuter Anwendung des gleichen Fungizides ihre Schutzwirkung entfalten. Deshalb ist die Über­prüfung der Wirksamkeit von Fungiziden in bestimmten Abständen not­wendig.

Die Insekten

Insekten als Zerstörer von Beschreibstoffen und Einbandmaterialien sind schon seit Jahrtausenden eine verheerende Erscheinung. Mehr als Feuer und Wasser zusammen haben Insekten Bücher und Sammlungen zerstört. Ihre Nahrung besteht aus organischen Substanzen wie Stärke, Eiweiß, Zellulose usw. Die Schadinsekten verfügen über eine schnelle Anpassungs­fähigkeit an veränderte Umweltverhältnisse. Diese Eigenschaft ist die Ursa­che für die weite Verbreitung und die Eroberung immer neuer Lebens­räume (Termiten). Die Schadinsekten finden in den von Menschen besiedelten und umbauten Räumen bessere Lebensumstände als in der freien Natur. Als 'Kulturfolger finden sie in Gebäuden Schutz vor ihren natürlichen Feinden, günstige klimatische Bedingungen und eine bessere Nahrungsgrundlage. Die ökologischen Bedingungen (Nahrung, Tempera­tur, Luftfeuchtigkeit, Umgebung) bestimmen die Lebensprozesse der Schad­insekten. Positive ökologische Bedingungen haben eine beschleunigende Wirkung auf die Fortpflanzung und Entwicklung der Insekten (mehrere

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Die Insekten



Generationen pro Jahr). Negative ökologische Bedingungen hemmen die Lebensprozesse bzw. unterbinden sie.

Die vorhandene Nahrung gehört zu den bestimmendsten Faktoren für das Vorkommen und die Entwicklung der Tierarten. Wir unterscheiden die 'Polyphagen' oder Allesfresser, z.B. Messingkäfer, Brotkäfer, Schaben, und die 'Monophagen' (eine spezifische Nahrungsart), z.B. die Pochkäfer.

Innerhalb bestimmter Grenzen (+3°C bis 35° C) beschleunige eine höhere Temperatur die Lebensfunktionen der Insekten, eine niedrige Tem­peratur hemmt sie. Steigen Temperaturen höher an, registrieren wir den Wärmetod, fallen sie tiefer, führt das zum Kältetod.

Das sogenannte 'vitale Temperaturoprimum' (Temperatur, bei der die größte Nachkommenschaft bei geringster relativer Sterblichkeit erreicht wird) deckt sich bei den meisten Schadinsekten mit der Vorzugstemperatur (Temperatur, die von den Insekten nach Möglichkeit bevorzugt wird) und bewegt sich zwischen 25° und 35° C.

Der Wasserhaushalt der meisten Insekten wird nicht durch die Auf­nahme von Wasser von außen geregelt, sondern durch chemische Prozesse beim Abbau der Nahrung (enzymatisch). Körperbau und Lebensweise be­günstigen einen rationellen Wasserhaushalt, trotzdem die Körpersubstanz der Insekten zu über 50% aus Wasser besteht. Die optimale Luftfeuchtig­keit für die Insekten beträgt zwischen 75 und 99% relativer Luftfeuchtig­keit. Ist die Luftfeuchtigkeit geringer, besteht die Gefahr der Austrocknung

Neben diesen wesentlichen Bedingungen für die Lebenstätigkeiten der Insekten haben eine Reihe weiterer Umweltfaktoren einen Einfluß auf Ent­wicklung und Fortpflanzung der Schädlinge:



  1. geeignete Aufenthaltsorte

  2. günstige optische Bedingungen

  3. ruhige, lange Lagerung des Nährsubstrates

  4. keine Luftbewegung (Wind, Zugluft).

Die zumeist lichtscheuen Insekten bevorzugen Ritzen, Spalten, Hohlräume oder andere geschützte Aufenthaltsorte und benötigen besonders bei lan­ger Generationsdauer ungestörte und ruhige, vor Zugluft geschützte Plätze zur Nahrungsaufnahme, Eiablage und Entwicklung.

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Abb. 27 Der Insektenkörper und seine Gliederung

Die Körperhülle der Insekten besteht aus einem Chitinpanzer, der gegen Umwelteinflüsse einen guten Schutz darstellt.





Abb. 28 Schematische Darstellung der inneren Organisation des Insektenkörpers

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Die Insekten



Chicin als zelluioseähnliches, aber stickstoffhaltiges Polysaccharid bildet die harten Bestandteile des Außenskelettes, das, um beweglich zu sein, in Segmente und Ringe eingeteilt ist. Der Körper der Insekten besteht aus Kopf, Brust und Hinterleib.

Der Kopf trägt die großen Facettenaugen, die ein Bewegungssehen ge­statten, die Fühler mit den bei den meisten Insektenarten gut ausgebildeten Geruchsorganen und die paarig angeordneten Ober- und Unterkiefer. Die unterschiedliche Ausbildung der Mundwerkzeuge ist für die Klassifikation der Insektenordnungen von Bedeutung. Wir unterscheiden Mundwerk­zeuge zum Beißen, Kauen, Stechen, Saugen und Lecken. Die Brust besteht aus drei Segmenten mit je einem Beinpaar und bei manchen Arten am zweiten und dritten Segment je einem Paar Flügeln.

Der Hinterleib besteht aus gleichartig geformten, ineinanderpassenden Ringen evtl. mit 1-2 Paar Anhängen. Neben dem äußeren Körperbau ist die Kenntnis des inneren Körperbaus der Insekten im Hinblick auf die Wirksamkeit von Bekämpfungsmaßnahmen von Bedeutung.



Abb. 29 a) Schemarische Darstellung eines mit Reusenapparat versehenen Stigmas (Spiraculum)

und davon ausgehende Tracheenstämme. Stigma und äußerer Tracheenabsehnitt wurden im

Schnitt gezeichnet, die inneren Tracheenstämme etwa so, wie eine luftgefüike Trachee bei der

Präparation erscheint. — b) Schematiscber Querschnitt durch ein Abdominalsegment, der die

Aufzweigung der Tracheen zur Versorgung von Merz, Darm und Nervensystem sowie die von

Segment zu Segment übergreifenden Längsstämme zeigt.

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Von Schäden und ihren Ursachen

Das Nervensystem der Insekcen besteht aus über den Körper verteilten Ganglienknoten, die durch zwei Nervenstränge miteinander verbunden sind. Dieses Strickleiternervensystem steht durch feine Nervenfasern mit den Sinnesorganen in Verbindung. Nur an diesen Stellen ist der Chitinpan­zer so dünn, daß z. B. Nervengifte eindringen und wirken können. Insekten atmen durch Tracheen.

Die Tracheen sind dünnwandige, röhrenförmige Einstülpungen der Haut, die ein Tracheensystem bilden, dessen feinste Verzweigungen bis an die Körperzeilen reichen. Die Atemlöcher im Chitinpanzer sind mit Reußen versehen, die das Eindringen von Verunreinigungen verhindern und die bei vielen Arten verschließbar sind. Die Tracheen führen die Atem­luft bis an die Körperzellen, und der Gasaustausch erfolgt durch das Sau­erstoff- bzw. Kohlendioxydgefäüe zwischen Atemluft und Gewebe. Diese Diffusion der Gase ist ein langsamer Prozeß und von Bedeutung bei der Bekämpfung von Schadinsekten mit Giftgasen.

Da dem Blutkreislauf der Insekten der Transport der Atemgase zum Körpergewebe nicht obliegt, dient es lediglich dem Austausch der Nähr­stoffe und Stoffwechselprodukte. Das auf der Rückseite liegende röhren­förmige Herz saugt das Blut durch seitliche Öffnungen an und pumpt es durch die vordere Öffnung wieder in das Gewebe.

Die Vermehrung der Insekten geschieht durch die Ablage der nach der Paarung erfolgten Befruchtung der Eier. Die Entwicklung der Eier zum Insekt kann in drei verschiedenen Formen erfolgen. Wir unterscheiden


  1. die vollkommene Umwandlung (Metamorphose, Holometabolie),

  1. die unvollkommene Umwandlung (unvollkommene Metamorphose,
    Hemimetabolie),

  1. ohne Verwandlung (Ametabolie).

Die vollkommene Metamorphose führt über mehrere Entwicklungssta­dien, in denen keine Ähnlichkeit mit den Eltern besteht. Die unvollkom­mene Metamorphose ist durch das schrittweise Ähnlichwerden einer Zwi­schenstufe (mehrere Häutungen einer Larve) gekennzeichnet.

Die direkte Entwicklung des Eies zum Vollkerf ohne Zwischenstufen, ohne Verwandlungen, bezeichnet man als Ametabolie. Die hauptsächlich­sten Bücherschädlinge zählen zu den holometabolen Insekten, deren Ent­wicklung von Ei über die Larve und Puppe zum geschlechtsreifen Vollkerf

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Die Insekten





Abb. 30 Entwicklung eines hemimetabolen Insektes (Deutsche Schabe) vom Ei über die Larvenstadien zum imago

oder Imago führt. Die unterschiedlich geformten Eier (ellipsoid, kugelig, wurstförmig) sind sehr widerstandsfähig gegen Umwelteinflüsse und wer­den an schwer auffindbaren Stellen abgelegt. Die Ablage kann einzeln, in Gelegen oder als Ballen erfolgen. Mit Hilfe von Legeröhren oder des Lege­stachels können die Eier in kleinste Ritzen oder Löcher eingeschoben wer­den. Andere Arten befestigen die Eier mittels körpereigener klebriger Sub­stanzen an glatten Gegenständen. Die aus dem Ei entstehende Larve häutet sich mehrere Male bis zur Verpuppung. In dieser Entwicklungsphase ent­steht durch die große Nahrungsaufnahme der größte Schaden am Substrat. Die Häutungen, Verpuppung und Entwicklung zum Imago werden durch Metamorphosehormone gesteuert. Die einzelnen Entwicklungsstufen der holometabolen Insekten unterscheiden sich nicht nur morphologisch von­einander, sie sind auch im biologischen Verhalten unterschiedlich. Die Puppe, das Ruhe- und Umwandlungsstadium nimmt keine Nahrung auf und verharrt in den Puppenkokons oder Puppenwiegen ohne aktive Bewegung. Nach dem Ausschlüpfen der Vollkerfe, deren Hauptaufgabe die Erhaltung der Art ist, kann der Eiablage eine Phase der Nahrungsauf­nahme, der sogenannte Reifefraß, vorausgehen. Nicht immer genügen die Fraßbilder zur eindeutigen Identifikation der Art des Verursachers. Anlaß zum Handeln ist aber immer das Auffinden von frischen Bohrlöchern oder Fraßstellen, Larvenhüllen, Puppenhäuten, Gespinst und Kotspuren.

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Biologische Schäden - eine Positionsbestimmung

Der Schutz alter und/oder wertvoller Papiererzeugnisse vor dem Angriff rigoroser Zellulosezerstörer ist auch nach jahrzehntelanger Erfahrung mit unterschiedlichsten Fungiziden und Insektiziden ein offenes Problemfeld. Die Erkenntnis, daß Pestizide nicht nur ihren primären Zweck erfüllen, sondern am behandelten Material schädliche Nebenwirkungen verursa­chen können, wird erweitert durch die Erfahrung, daß Pestizide als ubiqui-täre Bestandteile unserer Umwelt gesehen werden müssen.

Schimmelpilze, Insekten und Nager als allgegenwärtige Lebensformen spielen im natürlichen Stoffkreislauf eine gewichtige Rolle. Ihre Angriffe erfolgen leider undifferenziert. Die Problematik der Schädlingsbekämp­fung besteht mit Sicherheit nicht im Auffinden biozider Wirkstoffe und ihrer Anwendung. Schädlingsbekämpfung sollte ihren Anfang finden in der detaillierten Kenntnis der Lebenszyklen und Angriffsmechanismen der Schädlinge. Bibliothek und Archiv als Lebensraum bilden die Bezugs­ebene dazu. Aus beiden sind die konkreten Schutzmaßnahmen abzulei­ten. Überprüfen wir diese logischen Gesichtspunkte an der täglichen Pra­xis, so stellen wir eine Reihe von Defiziten fest, die schwer erklärbar sind. Allgernein kann beobachtet werden, daß die Schädlingsbekämpfung in Archiv und Bibliothek, vergleichbar mit anderen konservatorischen Tätigkeitsfeldern, pragmatisch und den 'Modetrends' folgend passiert. In diesem Fall können wir von einer 'Thymolwelle', 'Formaldehydwelle' oder 'Ethylenoxidwelle' sprechen. Anfangs entsprangen die Schädlings­bekämpfungsmaßnahmen dem Handlungszwang des konkreten Befalls und der Unkenntnis der negativen Nebenwirkungen. Unverständlich er­scheint die gleiche Verhaltensweise nach einem halben Jahrhundert vehe­menter Erkenntnisgewinne in chemischen, analytischen und ökologi­schen Wissenschaftsdisziplinen. Der Versuch einer Situationserklärung könnte darin bestehen, daß für die restauratorischen und konservatori­schen Arbeitsfelder die Naturwissenschaft noch immer nicht durchgängig zum Arbeitsinstrument geworden ist. Hier sind Forderungen anzumelden und Defizite auszuräumen. Die anspruchsvolle Thematik der Schädlings­bekämpfung in Archiv und Bibliothek ist nicht zu lösen mit der Feststel­lung, «daß sie eine Aufgabe für tropische oder subtropische Gebiete» sei. Schädlingsbekämpfung ist idealerweise Bestandteil magazinhygienischer Konzepte.

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Die Insekten



Die Möglichkeiten der Schädlingsbekämpfung

Im Vorfeld der Erörterung einzelner Bekämpfungsmaßnahmen sollten grundsätzliche Positionen geklärt werden, um realistische Ziele formulie­ren zu können.

Prinzipiell stellen alle Monokulturen bevorzugte Lebensräume für Mikroben, Insekten u.a. dar. Bibliotheken und Archive stellen für diese Spezies Monokulturen mit idealen Lebensbedingungen dar. Ein riesiges Nahrungsangebot, das Fehlen natürlicher Feinde, Ruhe, gleichmäßiges Klima, wenig bewegte, saubere Umgebungsatmosphäre.

Die Schädlinge, insbesondere Mikroben, besiedeln alle Lebensräume, sind allgegenwärtig, sehr anpassungsfähig und abgehärtet gegen Schadein­wirkungen von außen und spezialisiert auf ihre Substrate.

Bibliothek und Archiv sowie die Schädlinge bilden stabile natürliche Beziehungen aus. Es entsteht die Frage nach der Toleranzebene dieser Beziehungen. Für Klinikbereiche ist diese Toleranzebene geklärt. Wie sieht die Toleranzebene in Bibliotheken aus? Ist die Forderung nach einer steri­len Bibliothek realistisch?

Die normale Situation der Bibliotheken und Archive beinhaltet die latente Gefährdung durch Schädlinge. Diese latente Gefährdung wird beherrschbar durch angemessene bauliche, klimatische und hygienische Bedingungen.

Werden diese Bedingungen außer Kraft gesetzt, können die Schädlinge ihre Lebenszyklen absolvieren - der Schaden tritt ein. Praxisbeobachtun-gen bestätigen diese Zusammenhänge nachhaltig.

Die spezifischen Archiv- und Bibliotheksbedingungen bilden, wenn für die einzelnen Ebenen praxisgerechte Lösungen installiert sind, eine not­wendige und wirksame Prävention gegen Schädlingsangriffe. Darüber hin­aus und auf Dauer erscheinen alle Präventivmaßnahmen als die wirtschaft­lichsten Verfahrensweisen, Auch die perfektesten Bedingungen, wenn sie überall real wären, können den Unfall nicht ausschließen. Der Unfall und seine Folgen zwingen zu Reaktionen. Die notwendigen Maßnahmen müssen vom Erkenntnisstand abgeleitet werden, wenn die Schäden nicht potenziert werden sollen.

Die Reaktionen auf Schädlingsbefall müssen auf die konkrete Situation bezogen werden. Grundsätzlich stehen dafür unterschiedliche Maßnahmen zur Verfügung. Egal wo die getroffene Entscheidung einzuordnen ist, sie ist in jedem Fall mit erheblichen finanziellen Aufwendungen verbunden. Die

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Von Schäden und ihren Ursachen



Erkennung der Ursachen, die konkrete Bekämpfungsmaßnahme und de angestrebte Effekt bilden den Rahmen der konservatorischen Entscheidun gen. Aufgrund der unbefriedigenden Ergebnisse vieler chemischer Schäd lingsbekämpfungsmaßnahmen scheint sich derzeit die physikalisch" Methodik der Bekämpfung und Behandlung kontaminierter Bibliotheks und Archivbestände im Aufwind zu befinden. Die generalisierend Betrachtung führt zu der Annahme, daß die Quote der zu erwartenden negativen Begleiterscheinungen bei Anwendung physikalischer Gegenmaß nahmen objektiv niedriger anzusetzen ist. Diese Auffassung ist konform mit ökologischen Notwendigkeiten und Zielstellungen.

Physikalische Methoden der Schädlingsbekämpfung

Unter dem Begriff 'physikalische Methoden' werden hier Arten der Schäd lingsbekämpfung dargestellt, die ohne Pestizidanwendung funktionieren

Die derzeit wohl umstrittenste Entkeimungsmethode ist die Gamma Bestrahlung. Stark kontaminierte Buchbestände können mit der Gamma Bestrahlung keimfrei gemacht werden. Bekanntermaßen reagiert Zellulosi auf Energiezufuhr (Licht, Hitze, elektromagnetische Weilen, ionisierende Strahlung) mit beschleunigter Alterung. Energie akkumuliert im Papier Der Grad der Schädigung steht im Verhältnis zur aufgenommenen Energie menge. Es wird deutlich, daß bei dieser Methode die Zielstellung "keimfrei mit dem Verlust an Festigkeit korreliiert. Die praktische Verfahrensweise orientiert sich am Volumen des zu bestrahlenden Objekts. Je kleiner da: Volumen, um so geringer kann die wirksame Strahlendosis gewählt wer den, um so kleiner ist die zu erwartende Schädigung und umgekehrt. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, daß Gammabestrahlung keine radioak-tiven Spuren am Objekt hinterläßt. Bei extrem verpilztem Material stellt die Gammabestrahlung nach heutigem Erkenntnisstand die Methode mit den geringsten Nebenerscheinungen dar. Langzeitig und stark kontami­niertes Zellulosematerial hat bereits an Festigkeit verloren, so daß der Ent­keimung ohnehin eine restauratorische Bearbeitung folgen muß. Ir diesem Zusammenhang ist der Grad der Schädigung durch die Gamma bestrahlung zu vernachlässigen.

In den letzten Jahren entwickelte sich vor allem für die Entwesung in sektenbefallenen Materials die Methode der Begasung mit Stickstoff und Kohlendioxid. Weder Stickstoff noch Kohlendioxid reagieren mit den

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