95 Thesen
bei. Mit weiteren Briefen scheint sich Luther an die Bischöfe von
Brandenburg, Merseburg, eventuell auch Zeitz, Lebus und Meißen gewandt zu haben.
[67]
Um
eine akademische Debatte anzuregen, sandte Luther die Thesen auch verschiedenen
Gelehrten zu und erbat deren Meinung dazu, wie der erhaltene Brief an Johann Lange in Erfurt
(11. November 1517) zeigt.
[68]
Luther protestierte darin eher gegen die im Ablasswesen zum
Ausdruck kommende verkehrte Bußgesinnung als gegen die vielfach von Fürsten und Bürgern
abgelehnten Finanzpraktiken der römischen Kirche.
[69]
Dabei griff er Papst
Leo X.
noch nicht
direkt an, sondern wähnte ihn zumindest rhetorisch noch auf seiner Seite. Allerdings sah er
dessen Aufgabe nur in der
Fürbitte
für die Gläubigen und sprach ihm damit die
Schlüsselgewalt
für die Aufhebung jenseitiger Sündenstrafen ab, die ihm die
schultheologische Ablasslehre zusprach.
Luthers Thesen kursierten in Handschriften und wurden im Dezember 1517 in Nürnberg,
Leipzig und Basel gedruckt. Der Wittenberger Stiftsherr Ulrich von Dinstedt ließ den Text
dem Nürnberger
Christoph Scheurl
zukommen, der ihn in seinem Bekanntenkreis verbreitete.
Der Ratsherr Caspar Nützel übersetzte den Text ins Deutsche. In dieser Version las ihn
Albrecht von Brandenburg unter dem Kreuz (Lucas Cranach der Ältere, 1520/25; Alte Pinakothek München)
Albrecht Dürer
und sandte Luther zum Dank ein Geschenk zu.
Erasmus von Rotterdam
schickte die Thesen am 5. März 1518 an
Thomas Morus
nach England.
[70]
Melanchthon zufolge soll Luther die Thesen am 31. Oktober am Hauptportal der
Schlosskirche
in Wittenberg angeschlagen haben. Das wurde lange Zeit als ahistorische
Legende betrachtet, gilt jedoch nach der Entdeckung einer Notiz
Georg Rörers
(2006) wieder
als wahrscheinlicher. Andere Forscher meinen, Luther habe seine Propositiones als
Vorsitzender einer Disputation (praeses) an seine Universitätskollegen verschickt.
[71]
Weil die
Ablassthesen schon kursierten, war der mögliche Thesenanschlag jedenfalls nicht der Beginn
der Ablassdiskussion.
Den großen öffentlichen Widerhall der Thesen nahm Luther, der mit der Wirkung von
Druckwerken noch unvertraut war, im Februar 1518 als ein Wunder wahr. Ein von Erzbischof
Albrecht beantragtes Gutachten der
Universität Mainz
vom 17. Dezember 1517 empfahl, die
Thesen von der
Kurie
prüfen zu lassen, da sie die Macht des Papstes zur Ablasserteilung
anscheinend begrenzten und dadurch von der Kirchenlehre abwichen. Unabhängig davon hatte
Albrecht Rom schon über die Sache informiert.
[72]
Die 95 Thesen erreichten auch Tetzel. Er
trat Luther nicht juristisch, sondern auf akademischer Ebene entgegen, indem er an der
brandenburgischen
Universität Frankfurt an der Oder
am 20. Januar 1518 über den Ablass
disputierte. Seine Gegenthesen hatte
Konrad Wimpina
aufgestellt; sie bekämpften Luthers
Thesen als Irrtümer, interpretierten die
Buße
strikt als
Sakrament
und bekräftigten die
gängige Ablasspraxis und die dahinter stehende
Ekklesiologie
.
[73]
Weil nur Fachpublikum die Ablassdebatte verstand, verfasste Luther Anfang März 1518 für
die breite Bevölkerung auf deutsch den Sermon von dem Ablass und Gnade. Ablass, so hieß
es nun, sei etwas für faule Christen. Man solle lieber den Armen helfen und freiwillig zum Bau
der Peterskirche Geld spenden. Ob der Ablass den Toten nütze, sei ungewiss; Luther empfahl
stattdessen die Fürbitte für sie. Der Brandenburger Bischof
Hieronymus Schulze
hatte ihm
geraten, eine Weile zu schweigen, damit sich die Sache beruhige. Luther stimmte zu, doch sein
Sermon war schon im Druck und wurde sein erster großer literarischer Erfolg.
[74]
Anfang April
ließ er sich wieder von dem Schweigeversprechen entbinden.
[75]
Inzwischen hatte sich mit
Johannes Eck
in Ingolstadt ein literarisch und theologisch gewandter Gegner Luthers zu Wort
gemeldet. Beide lieferten sich einen polemischen Schlagabtausch, Christoph Scheurl
versuchte zu vermitteln.
[76]
Am 25. April 1518 erschien Luther als Distriktsvikar in Heidelberg beim Generalkapitel der
sächsischen Reformkongregation der Augustinereremiten. Dabei wurde Staupitz als Vikar
wiedergewählt, Lang wurde Luthers Nachfolger als Distriktsvikar. Am 26. April fand im
Heidelberger Augustinerkloster eine öffentliche Disputation statt, bei der es nicht um den
Ablass ging. Luther leitete sie und gewann unter den anwesenden jüngeren Theologen einige
Anhänger, die später Reformatoren wurden:
Martin Bucer
,
Erhard Schnepf
,
Martin Frecht
,
Theobald Billicanus
,
Johannes Brenz
.
[77]
Danach ließ Luther die kommentierenden Resolutiones drucken und sandte je ein Exemplar an
Papst Leo X. und an den Bischof von Brandenburg. Darin zeigte Luther, dass die 95 Thesen
nicht einfach seine Meinung wiedergaben, sondern die Diskussion anregen sollten, und
entwickelte seine Überlegungen zum Fegefeuer weiter: „Mit dem strafenden Umgang Gottes
mit den Toten konnte Luther nichts anfangen. Entweder sind ihnen die Sünden vergeben, dann
sind die Toten in der Gemeinschaft Gottes, oder sie sind ihnen nicht vergeben, dann sind sie in
der Hölle.“
[78]
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