Popularmusiker in der provinz


) Die Bedeutung/Rolle von “Tradition”



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2) Die Bedeutung/Rolle von “Tradition”

Aus dem herangezogenen empirischen Material ergibt sich, dass die interessierende popularmusikalische Tätigkeit mehreren “Traditions-Strängen” folgt, deren jeweilige Gültigkeit jedoch Zeitbezug unterliegt.



2.1) So war - gemäß Statements älterer Interviewter - bei der lokalen Beat-Musik der Mitte der 1960-er Jahre eine starke Nähe zum Tanzmusik-Bereich zu beobachten. Dieses wäre festzumachen am “Understatement” zumindest der interviewten Akteure, demgemäss sie sich gegenüber ihrem Publikum in der Rolle von Unterhaltern sahen. Im Umgang mit dem “musikalischen Material” seitens der örtlichen Beatmusiker bildete sich dieser Umstand insofern ab, als dass ausschließlich Fremdkompositionen - überwiegend aktuelle Beatmusik-Hits - gewählt wurden, von denen man sicher war, dass diese Musikstücke beim Publikum bekannt und beliebt waren. Dieses Verfahren entspricht im Wesentlichen dem Prozedere der Tanzmusiker.

Hinzu kam, dass solche Tanzveranstaltungen, anlässlich derer lokale Beat-Combos aufspielten, im spärlich bemessenen Jugend-bezogenen Freizeitangebot, das während der frühen 1960-er Jahre in Osnabrück bestanden hatte, eine herausragende Bedeutung gehabt haben dürften, so dass sich für die neuen Musikgruppen auch bald im Tanzmusik-Bereich etablierte “Musik-Agenten” zu interessieren begannen. Diese brachten die örtlichen Beat-Bands ebenso auch häufig bei eher “herkömmlichen” Tanzveranstaltungen z.B. im Osnabrücker Landkreis unter. Nicht zuletzt wurde Beat-Musik derzeit auch durch die Massenmedien häufig als Tanzmusik vermittelt 469.

Dass die lokalen Beatmusiker der 1960-er Jahre im Zusammenhang ihrer popularmusikalischen Tätigkeit den Massenmedien so gut wie keine Bedeutung zuwiesen, kann einmal vor dem Hintergrund eventueller derzeit bestehender Unkenntnis über die massenmedialen Möglichkeiten bezüglich der Vermittlung von Popularmusik gesehen werden, andererseits aber auch als “Ausdruck” jener “Tanzmusik-Tradition”, derzufolge die Musik “Live” auf Tanzveranstaltungen zur Unterhaltung des Publikums gespielt wird.

2.2) Ein gegen Ende der 1960-er Jahre/Anfang der 1970-er Jahre sich auch im lokalen Popularmusik-Bereich abzeichnender “Traditionswandel” ging darüber hinaus zusammen mit dem Auftauchen neuer “Lokalmatadoren”.

Diese - als Adepten des derzeit aktuellen Genres der sog. “progressiven Rockmusik” - akklamierten für sich den Anspruch, vermittels der “neuen” popularmusikalischen Ausdrucksmittel “authentische” und “originäre” Popularmusik-Kunstwerke schaffen zu wollen sowie sich durch das besagte Genre in künstlerischer Hinsicht selbst zu verwirklichen. Als Hintergrund mögen kunstbezogene Bestandteile der Ideologie der Hippie-Subkultur der späten 1960-er Jahre betrachtet werden, aus welcher sich nicht nur Verweise auf eine “l´ art pour l´art”-Attitüde sondern auch gewisse Parallelen zu “Einstellung” bzw. Lebensstil der mit der zweiten Hälfte des 19-ten Jahrhunderts aufkommenden Bohéme ergaben.

Dass seinerzeit wenigstens Popularmusik-bezogene Elemente der Hippie-Ideologie von u.U. nicht geringen Teilen des Publikums geteilt worden sein dürften, mag der Umstand belegen, dass gewisse Popularmusikspielarten sich eben diesem Publikum besonders gut verkaufen ließen, gerade weil sie Gleichung Genüge taten “eigenständig = nicht kommerziell” - vermeintlicher Weise zumindest. Medienvermitteltheit scheint in diesem Zusammenhang insofern auf, als dass sich mit der Zeit auch die Musikwirtschaft - z.T. mit gutem kommerziellem Erfolg - sowie die Massenmedien für die “progressiven” Popularmusik-Genres zu interessieren begannen.

Die mit Ende der 1960-er Jahre nicht nur bei einigen lokalen Vertretern des “progressiven Rockmusik”-Bereiches sowie auch in Kreisen des Publikums einsetzende Drogenaffinität kann zwar einerseits vor dem Hintergrund gesehen werden, dass Protagonisten der “progressiven” Popularmusik sich öffentlich zu Drogengebrauch bekannten und mitunter auch in ihren Liedern dazu aufriefen. Andererseits scheinen in diesem Zusammenhang ebenfalls gewisse Attitüden der Bohéme des 19-ten Jahrhunderts auf 470.



2.3) Zwar können im weiteren Verlauf der 1970-er Jahre Veränderungen in der Faktur publikumswirksamer lokaler Popularmusik festgestellt werden - auch diesmal zusammengehend mit dem Auftauchen neuer Akteure. Eine auf mögliches Nachwirken des Einflusses der Hippie-Ideologie der frühen 1970-er Jahre hin interpretierbare “l´ art pour l´ art”-Attüde wird jedoch nach wie vor deutlich.

So wiesen die Statements der an der “Vorstudie 81/82” beteiligten MusikerInnen, von denen einige ausgewiesenermaßen an einem zeitgemäßen Bohemien-Lebensstil teilnahmen, andere zumindest die Popularmusik-bezogenen Werte wie “Eigenständigkeit”, “Möglichkeit der Selbstverwirklichung” u.ä. der aktuellen Bohéme teilten, fast ausnahmslos in diese. Eine deutliche Ablehnung - zumindest starke diesbezügliche Skepsis - von kommerzieller Verwertung in Verbindung mit der Ansicht, dadurch könne die Authentizität der eigenen Musik gefährdet werden, scheint ebenfalls auf. Da der überwiegende Teil der untersuchten “Szene” zu Ende der 1970-er/Beginn der 1980-er Jahre seine Praxis eine Art “Eigenständigkeits-Verdikt” unterordnete, kann dieses Bestreben als genuiner Bestandteil der derzeitiger lokaler Ausprägungsformen der popularmusikalischen Tätigkeit betrachtet werden.

Waren in der “progressiven Rockmusik” der frühen 1970-er Jahre - auch in vielen ihrer lokalen Vergegenständlichungen - noch starke improvisatorische Elemente vorhanden sowie z.T. eine gewisse Nähe zu Jazz-Idiomen, so fällt dieses Element mit der Zeit dem Eindringen einer bestimmten “klassischen Tradition” zum Opfer : Der Tradition der “Werktreue”, gemäß der die Aufführung eines Musikstückes in Würdigung der Intentionen des Komponisten möglichst gleich bzw. ähnlich auszufallen habe - einfach gesagt. Insofern können gegen Ende der 1980-er Jahre auch in der lokalen “Szene” neu entstehende “Reproduktions-Strömungen” weniger der Tanzmusik-Tradition als eher einer “bürgerlichen” Tradition von Musikausübung folgend interpretiert werden 471.

Ein bei manchen jüngeren untersuchten Akteuren ebenfalls auftauchender Widerspruch zwischen “musikalischer Selbstverwirklichung” und “Kommerz” wäre demnach vor dem Hintergrund der Abnahme des Einflusses der Hippie-Ideologie auf die Popularmusik eher in Richtung auf eine “bürgerliche” Kunstpraxis-Tradition gemäß “l´ art pour l´ art” interpretierbar. Dass demgegenüber andere Nachwuchsensembles immer wieder meinen, erst mit “eigenständiger”, “authentischer” Musik ernsthaft - und vielleicht sogar erfolgreich - eine popularmusikalische Karriere in Angriff nehmen zu können, steht zu Vorgenanntem nicht im Widerspruch. Nicht zuletzt erscheinen im Popularmusik-bezogenen Massenmedienangebot Künstler in Hülle und Fülle, die authentische, eigenständige Werke präsentieren und damit bisweilen auch manchmal Erfolg haben.

Der Umstand, dass unter den jüngeren Akteuren der untersuchten “Szene” die Teilnahme an Bohemien-Lebensstilen - etwa im Vergleich zur “Vorstudie 81/ 82” - eher zurückzugehen sowie andererseits der Widerspruch zwischen “eigenem Stil” und “Kommerzialität” sich immer mehr aufzulösen scheint, legt auch die Vermutung einer “zeitgemäßen Variante” von “l´ art pour l´ art” nahe : “das eigene Ding machen und erfolgreich durchbringen wollen”, wobei Elemente “bürgerlicher” (Klein-)Unternehmertradition aufscheinen.
3) Die Rolle/Funktion der Massenmedien

3.1) Die Beschäftigung mit massenmedial vermittelter Popularmusik seitens der untersuchten Akteure ist - trivialerweise - zunächst vor dem Hintergrund zu sehen, dass in den Haushalten ausnahmslos Rundfunkempfänger, z.T. auch Aufnahmegeräte vorhanden waren. Dieses gilt auch für die älteren Interviewten, deren erste Kontakte mit Popularmusik bereits in den 1950-er Jahren stattfanden.

Die Beschäftigung mit massenmedialen Popularmusikangeboten erfolgte im wesentlichen eigeninitiativ, obschon im Zusammenhang der Herausbildung erster Präferenzen mitunter “Mentoren” - große Brüder, Vettern, ältere Jungen aus der Nachbarschaft u.ä. - eine Rolle spielen konnten, die bisweilen Tipps über interessante Popularmusikspielarten o.ä. gaben. In anderen Fällen kam es auch ohne “Mentoren” zur Entwicklung bestimmter popularmusikalischer Präferenzen, wobei der durch das entsprechende massenmediale Angebot gebildete Hintergrund von entscheidenderer Bedeutung war. Ebenso wird von den Interviewten ausnahmslos darüber berichtet, dass in der ersten Phase popularmusikalischer Aktivitäten auf Massenmedienangebot zurückgegriffen wurde : sei es hinsichtlich der “Pop-Star”-Attitüden und/oder bestimmter musikbezogener Ideologien, die durch in den Massenmedien auftauchende Popularmusikprotagonisten vertretenen wurden (z.B. im Hinblick auf Drogenbenutzung), sei es hinsichtlich interessierender musikalischer Faktur 472. Dabei bildet das Massenmedienangebot auch im Hinblick auf bestimmte praktische Aspekte eine Art Möglichkeiten-Repertoire, das von den Akteuren - je nach Präferenz und Anforderung der musikalischen Tätigkeit - in Anspruch genommen werden kann (und wird) oder auch nicht 473, wobei mittlerweile auch öffentliche und private Musikschulen mit Angeboten im Popularmusikbereich Hilfestellung leisten 474.


Die Massenmedien nötigen ihren Rezipienten keine bestimmten “Präferenzen” auf. Ebenso wenig dürften sie jemanden zum Eintritt in eine popularmusikalische Tätigkeit zwingen, wiewohl ein gewisser unterschwelliger vom massenmedialen Angebot ausgehender Einfluss in diesem Zusammenhang nicht abgestritten werden soll. So spricht Kleinen sogar von einer latenten musikerzieherischen Wirkungsweise moderner Massenmedien (Kleinen 1983, S. 387 ff.).

3.2) Die Annahme, dass die sog. “Welt der professionellen Popularmusik” mit der interessierenden “Szene” nichts zu tun habe, dass es zwar gelegentliche “Berührungen” und “Übertritte” von kurzfristiger Dauer gäbe und ein länger anhaltender, wirtschaftlich einigermaßen erfolgreicher Aufenthalt in der besagten “Welt” von eher geringer Wahrscheinlichkeit sei, konnte durch weiteres empirische Material bestätigt werden 475.

Aus teilnehmender Beobachtung ergab sich, dass die Massenmedien lokal spezifische Popularmusik - zumindest die in der interessierenden “Szene” vorkommende - quasi ausblendeten, dass sie sich nicht dafür interessierten. Zwar könnte an dieser Stelle über eventuell dafür verantwortlich zu machende künstlerische Gründe spekuliert werden, jedoch weist das Massenmedienangebot selbst ein recht breites Spektrum an Popularmusik von unterschiedlichem handwerklichem und/oder künstlerischem Niveau auf.476. Dass jedoch öffentlich-rechtliche Sendeanstalten in der BRD der Musikwirtschaft in irgendeinem Sinne “hörig” seien, soll hier nicht behauptet werden. Eher scheint den verantwortlichen Programmgestaltern der ständige Strom der Neuveröffentlichungen bisweilen gewisse Schwierigkeiten zu bereiten 477.

Allenfalls könnte an dieser Stelle darüber spekuliert werden, ob der sich ebenfalls aus dem empirischen Material ergebende Umstand, die Entwicklung lokal spezifischer Popularmusik in der untersuchten “Szene” werde nicht durch die Ignoranz der Massenmedien behindert, nicht vielleicht vor dem Hintergrund gesehen werden muss, dass das massenmediale Popularmusikangebot ein Bild ständiger “Bewegung” vermittelt : “Alte” Genres stehen neben “neuen”, immer wieder differenzieren sich in kurzer Zeit neue “Stile” aus, betreten “neue” Künstler die “Szene”. Auch zeigt sich nach wie vor die bereits angesprochene breite “Streuung” handwerklichen und/oder künstlerischen Niveaus. Hieraus könnte sich möglicherweise bei einzelnen Akteuren ein “motivationssteigernder” Effekt in der Art ergeben, “das eigene Ding machen und erfolgreich durchbringen” zu wollen nach dem Motto : “Was die anderen können, das können wir schon lange !” 478

Auf der Grundlage des vorliegenden empirischen Materials kann über die Triftigkeit dieser Vermutung jedoch nicht entschieden werden, zumal solch eine Entscheidung nicht zuletzt Gegenstand von Motivationsforschung wäre, die in dieser Arbeit nicht betrieben wurde.



3.3) Im Zusammenhang der untersuchten musikalischen Tätigkeit konnte ferner das Auftreten von “Verhalten unter kognitiver Dissonanz” im Sinne von Festinger (1978, S. 196 ff.) beobachtet werden.

In einzelnen Fällen scheint solches Verhalten in Verbindung mit der popularmusikalischen Tätigkeit geltenden “Professionalisierungsabsichten” auf, aus denen heraus z.B. an entsprechenden “Förderwettbewerben” teilgenommen wurde und/oder man sich vermittels der Anwendung bestimmter Strategien um bessere bzw. überhaupt Massenmedienpräsenz der eigenen Musik bemüht hatte.

Die Frage, warum von den betreffenden Akteuren an der Vorstellung dennoch festgehalten wurde, die jeweiligen Absichten und/oder Ziele seien irgendwie realitätsnah bzw. erreichbar, obschon durch die Beispiele entsprechenden “Scheiterns” von Kollegen aus der interessierenden “Szene”, die solche Ziele ebenfalls zu erreichen versuchten, ständig Beweise für das Gegenteil dieser Vorstellung sichtbar wurden, kann durch diese Studie nicht geklärt werden. Zu diesem Zweck hätten ebenfalls die Motive der Akteure eingehender untersucht werden müssen, was andere Mittel erforderlich machen würde als die hier zur Anwendung gebrachten. Andererseits zeigte sich, dass gelegentlich derartige Vorstellungen sehr wohl durch Dritte, die in diesem Zusammenhang u.a. auch gewisse Eigeninteressen verfolgt haben dürften, verstärkt bzw. - unbeabsichtigt - begünstigt wurden : durch Musikproduzenten, bestimmte Institutionen, die Wettbewerbe und/oder “Fördermaßnahmen” durchführen, nicht zuletzt durch die Massenmedien selbst bzw. deren gelegentliche Verbreitung gewisser “Geschichten” und/oder “Legenden” 479.

Die interessierende lokale “Szene” kann gelegentlich auch selbst als “popular-musikalischer Legenden-Generator” agieren : Seit geraumer Zeit kursierten z.B. hartnäckig Auffassungen, gemäß denen die Teilnahme an bestimmten örtlichen Veranstaltungen oder die Vorlage eines selbstproduzierten Tonträgers irgendwie in nennenswerter Weise den Verlauf der “popularmusikalischen Karriere” begünstigen könne.

Vor diesem Hintergrund konnten sich von einzelnen Akteuren unter “kognitiver Dissonanz” gewählte Strategien bisweilen von Charakter und “zeitlichem Ausmaß” her Lebensfehlplanungen vergleichbar gestalten und z.T. zu “irreversiblen” Effekten führen.

Dass die Phase der “Postadoleszenz” eine Art Probierfeld für eventuelle berufliche popularmusikalische Karrieren zur Verfügung stellen kann, wurde wenigstens bei einigen in der “Vorstudie 81/82” vorkommenden Akteuren deutlich.

Als bekannt wird betrachtet, dass bestimmte Aktivitäten von Musikwirtschaft und Massenmedien der Absicht unterliegen, in möglichst kurzer Zeit möglichst viele Tonträger von Newcomern oder solchen Künstlern abzusetzen, deren “Lebensdauer” am Markt sich oft als nur kurz erweist. Ein entsprechendes “rühriges” Bearbeiten der Werbetrommel dürfte wegen des letztgenannten Umstandes um so unabdingbarer sein, und in gewisser Weise scheinen sich die Massivität und die bisweilen schnelle Abfolge der o.g. Aktivitäten dazu zu eigenen, hinsichtlich der präsentierten Künstler einen Eindruck von “jeder kann es schaffen” hervorzurufen. Über eine möglicherweise daraus resultierende Begünstigung des Entstehens “kognitiver Dissonanz” bei den interessierenden Akteuren könnte an dieser Stelle allerdings nur spekuliert werden, da für eine zufriedenstellende Klärung dieses Sachverhaltens zumindest eine ausführliche Analyse Popularmusik-bezogener massenmedialer Werbeaktivitäten heranzuziehen wäre, die anzufertigen nicht Gegenstand dieser Arbeit war.

Das Auftreten von “kognitivem Dissonanz-Verhalten” bei Angehörigen des untersuchten Personenkreises wird zumindest als weitere Stützung der Behauptung gewertet, dass ein Übertritt zur “Welt der professionellen Popularmusik” für Akteure aus der untersuchten “Szene” von nur geringer Wahrscheinlichkeit ist, obwohl oder gerade WEIL ein solcher “Übertritt” von Angehörigen dieser Kreise bisweilen als erstrebenswert betrachtet wird.

Wegen des häufig in den einzelnen Ergebnispunkten aufscheinenden Massenmedien-Bezuges wird die untersuchte musikalische Tätigkeit als “Artfakt” der Verbreitungstätigkeit und/oder Funktionsweise moderner Massenmedien bezüglich Popularmusik aufgefasst. Als Breitenunterhaltungsangebot - aber auch mitunter in entsprechenden Ausdifferenzierungen adressiert an die unterschiedlichsten “Rezipientengruppen” - wendet sich Popularmusik via Massenmedien an ein Massenpublikum, nicht ohne bisweilen “in der Gesellschaft vorhandene” nicht-musikalische und/oder musikalische “Strömungen” zu berücksichtigen. Dabei kann das “Entstehen” Letzterer ebenfalls wieder auf massenmediale Verbreitungsaktivität - nicht selten sogar bezüglich Popularmusik selbst - zurückgeführt werden 480.

Die von einigen Autoren, die im theoretischen Teil dieser Studie zitiert wurden, zumindest der Popularmusik der 1970-er und auch noch der 1980-er Jahre zugewiesene “Protest-Attitüde” 481 wäre demnach zu relativieren : Im Hinblick auf solche musikalische Tätigkeit, wie sie zumindest von den untersuchten Akteuren betrieben wird, kann diesem Item soviel Relevanz unterstellt werden wie entsprechende Themen und/oder “Attitüden” im massenmedialen Popularmusikangebot vorkommen. Diverse Beispiele aus “der Welt der professionellen Popularmusik” zeigen, dass auch “Protest” eine Unterhaltungsfunktion erfüllen kann.

Die von interessierende popularmusikalische Tätigkeit - mit ihren Konjunkturhöhen und -tiefen, was den zumindest Zulauf an musikalisch Tätigen anbelangt - kann somit in der Nähe von sich “Boom-artig” unter der Bevölkerung ausbreitenden Tätigkeiten und/oder “Trends” angesiedelt werden : Tennis-Boom, Radfahr-Boom, Golf-Boom, Autorenn-Boom, Modelling-Boom u.a. m. .

Auf der anderen Seite gehen die in diesen Zusammenhängen mitunter anzutreffende hohe Nachahmerquoten sowie der Umstand, dass Protagonisten solcher “Booms” bisweilen den Rang von “Volkslieblingen” erklettern können, mit gelegentlich spektakulärer massenmedialer Präsentation zusammen.

Aus dem empirischen Material ergab sich, dass bei den untersuchten Akteuren nicht selten hochgradig illusorische Professionalisierungsabsichten festgestellt werden konnten. Diese wären allerdings nicht nur vor den Hintergrund spezieller Darstellungsweisen von Popularmusik in den Massenmedien zu stellen (s.o), sondern auch vor den der gelegentlich “phantasmagorisch” anmutenden Behandlung des besagten “Professionalisierungs-Aspektes” in bestimmten Bereichen der Massenmedien - insbesondere in einschlägigen Printmedien - sowie manchmal auch vor den der durchaus “gut gemeinten”, aber manchmal leider ihr “Ziel” verfehlenden Popularmusik-bezogenen Förderungs- und Ausbildungs-Aktivitäten seitens “öffentlicher Einrichtungen”.

Die Frage jedoch, warum einzelne Akteure aus der interessierenden “Szene” sich für eine “Professionalisierung” ihrer popularmusikalischen Tätigkeit “entschieden” hatten und andere Akteure nicht - wobei sich aus dem empirischen Material ergab, dass diese “Entscheidung” dabei im Wesentlichen “unter Unkenntnis” zustande gekommen war -, kann durch diese Studie nicht schlussendlich beantwortet werden. Dieses gehörte letztendlich nicht zu den Intentionen der Untersuchung, wiewohl dennoch einige das o.g. “Entscheidungsverhalten” möglicherweise begünstigende Rahmenbedingungen aufgezählt wurden.

Auch ist anzunehmen, dass musikstilistische Analysen, die im Zusammenhang dieser Studie nicht vorgenommen wurden, die dargestellte Sichtweise noch zusätzlich untermauern würden, bei der untersuchten musikalischen Tätigkeit handele es sich “inhaltlich” im wesentlichen um ein “Artefakt” Popularmusik- bezogener Verbreitungstätigkeit und/oder Funktionsweise moderner Massenmedien. Zumindest weisen Statements einzelner Akteure sowie Befunde aus teilnehmender Beobachtung in diese Richtung 482.
4) Muster “musikalischer Biographien”

Aus dem vorliegenden empirischen Material und vor dem Hintergrund der in Kap. V) vorgenommenen “Ideal-Typus”-Zuordnung ergeben sich zumindest für die älteren und “mittleren” unter den untersuchten Akteuren vier wesentliche “biographische Muster”. Diese kamen allerdings quer zu den einzelnen Cliquen der interessierenden “Szene” vor - wie bereits bei Items wie “soziale Provenienz” der Akteure und/oder deren Zuordnung zu den “Ideal-Typussen” beobachtet werden konnte.



4.1) Bohéme/“Pop-Stars”

Aus Interviews und teilnehmender Beobachtung ergab sich, dass die Teilnahme an - zeitgemäßen - Bohéme-Lebensstilen bei dem untersuchten Personenkreis mit der Zeit als eher rückläufig zu betrachten ist. Ein ähnlicher Rückgang war auch in Bezug auf die “Wertschätzung” von bzw. die “Affinität” zu zumindest Popularmusik-bezogenen Bohéme-Einstellungen bemerkt worden.

Dass jedoch bei einigen der wenigen Akteure, die dem oben eingeführten “Pop-Star-Ideal-Typus” nahe kamen, in Lebensstil und/oder zumindest im Hinblick auf ihre “Einstellung” zu popularmusikalischer Tätigkeit deutlich hedonistische Aspekte aufschienen, mag weniger auf den Einfluss einer wie auch immer gearteten zeitgemäßen Bohéme-Ideologie oder jener der Hippie-Subkultur der 1970-er Jahre zurückgeführt werden können, als vielmehr der speziellen Beschaffenheit der jeweiligen Persönlichkeiten dieser Individuen. Das Betreiben bzw. die Anfertigung von “Persönlichkeitsstudien” war jedoch nicht zum Gegenstand der hier intendierten Studie gewählt worden.

Massenmedien-Bezug scheint in diesem Zusammenhang insofern auf, als dass eine bei den betreffenden Akteuren sich mit der Zeit ausbildende Präferenz für das “Pop-Star-Dasein” vor den Hintergrund popularmusikalischer massenmedialer Angebote zu stellen wäre, wie einigen Interviewstatements entnommen werden konnte. Andere Aussagen aus den Interviews weiden in die Richtung, dass durch das massenmediale Angebot in gewissem Sinne “Muster” für “Pop-Star-Rollen” bereitgestellt werden 483.

Die Frage, ob es sich um einen Irrglauben handelt, dass Medienpräsenz von Pop-Stars auf ihre einschlägigen “Images” zurückzuführen ist bzw. ob hier überhaupt ein kausaler Zusammenhang besteht - Und wenn, welcher genau ? - konnte nicht vertiefend erörtert werden, zumal dieses die Ausfertigung einer eigenen Studie erforderlich machen würde. Die ebenfalls um ihre “Image-Kreationen” bemühten Pop-Stars der interessierenden “Szene” schienen jedoch i.d.R. auch darauf bedacht gewesen zu sein, dass die gewählten “Images” sich als kompatibel erwiesen mit den jeweils vorhandenen musikalisch/handwerklichen Fähigkeiten/ Fertigkeiten. Aus dem empirischen Material ergab sich zumindest kein Hinweis in der Richtung, dass solche Attitüden in Verbindung gebracht werden können mit der “Ideologie” bestimmter “Szene-Cliquen”, welchen die betreffenden Akteure angehörten, oder etwa mehr auf besondere “Persönlichkeitsbeschaffenheiten” einzelner Akteure zurückgeführt werden muss, denen zufolge gewissen Selbstdarstellungsmöglichkeiten durch popularmusikalische Tätigkeit Vorrang eingeräumt wurde gegenüber z.B. dem Interesse an der Erweiterung des Bereiches der musikalischen Optionen.

Allerdings konnte beobachtet werden, dass Angehörigen von “Profi”-Cliquen manchmal einzelne “Pop-Star-Typus”-Vertreter gerade ihrer persönlichen Exaltiertheit wegen für bestimmte Projekte “benutzten” 484.



4.2) “Popularmusik-Profi”

Ein - zumindest zeitweiliger - Übertritt in eine “professionelle” popularmusikalische Tätigkeit kam bei Akteuren aus dem interessierenden Personenkreis eher zufällig und/oder über persönliche Kontakte zu vor Ort ansässigen Angehörigen der Musikbranche zustande und darüber hinaus auch nur in einzelnen Fällen 485.

Von einer in diesem Zusammenhang vorauszusetzenden “Entscheidung”, den weiteren Lebensweg einer professionellen Karriere im Bereich der Popularmusik zu widmen, wäre als von einer “Entscheidung unter Unkenntnis” zu sprechen (siehe Pkt. 4.1) 486.

Bei einigen “Vorstudien”-MusikernInnen - wie auch bei anderen Angehörigen der interessierenden “Szene” - ging der “professionelle Werdegang” hingegen von einer i.d.R. durch das Studium bedingten “Postadoleszenz-Phase” aus. Ebenso war zu bemerken, dass einige Akteure - z.B. aus dem Dunstkreis der “Vorstudien”-TeilnehmerInnen - anscheinend ihrer popularmusikalischen Tätigkeit wegen zunächst eine Art “Alibi-Studium” aufnahmen.

Ihre professionelle musikalische Befähigung “erwarben” die meisten der unter diesem Punkt subsummierbaren Akteure überwiegend durch “learning by doing” in ihren jeweiligen Musikgruppen sowie u.U. auch in ihren Cliquen. Einige der “Vorstudien”-MusikerInnen nahmen ferner zeitweilig an entsprechenden Angeboten der Jazz-/Pop-/Rock-Abteilung des Konservatoriums der Stadt Osnabrück teil. Zumindest unter jüngeren Angehörigen der untersuchten “Szene” - vor allem unter den einer örtlichen “Jazz”-Clique zuzurechnenden - finden sich jedoch in zunehmender Anzahl Absolventen spezifischer Studiengänge, was nicht zuletzt vor dem Hintergrund zu sehen wäre, dass solche Ausbildungsmöglichkeiten zur Zeit der “Vorstudie 81/82” in der BRD in weit geringerem Maße vorhanden waren als mittlerweile. Auch die Bereitschaft, sich über Eigeninitiative weiterzubilden - etwa durch selbst zu finanzierende Teilnahme an einschlägigen Kursangeboten - schien bei jüngeren Akteuren mitunter größer zu sein.

Es war ferner manchmal zu beobachten, dass einzelne Cliquen um die Stilistik der von ihnen gepflegten popularmusikalischen Tätigkeit herum eine Art Ideologie aufbauten. Über die Motive solchen Prozederes soll hier nicht spekuliert werden. Zumindest war eine gelegentliche “Instrumentalisierung” solcher Ideologien hinsichtlich der “Kultivierung” von offensichtlich defizitären musikalisch/ handwerklichen Fähigkeiten feststellbar. Ebenso konnten einzelne Akteure aus solchen “Cliquen-Ideologien” mitunter Rechtfertigungs-möglichkeiten für ihre Bequemlichkeit ableiten, warum eine manchmal “objektiv” angebracht erscheinende Erweiterung der musikalischen Fertigkeiten/Fähigkeiten nicht erfolgte.

Inwieweit sich aus einer Cliquen-Mitgliedschaft auch eine Art “Selbstvergewisserungs-Effekt” bezüglich der “Rolle als professioneller Popularmusiker” ergeben könnte, kann hier nur als Vermutung festgehalten werden. Zumindest wäre der im Zusammenhang der Erörterung der “kognitiven Dissonanz” aufscheinende Aspekt der “sozialen Isolation” in dieser Richtung interpretierbar. Es wäre aber schon vorstellbar, dass ein mit unzureichendem Vorwissen ausgestatteter außenstehender Beobachter z.B. angesichts der nicht selten desolaten finanziellen Situation einiger “Profi-Typus”-Vertreter und ihrer - mitunter gezwungenermaßen - deswegen ausgeübten diversen “Nebentätigkeiten” häufig nicht-musikalischer Art gewisse Schwierigkeiten bei der Beurteilung hätte, was diese Personen denn nun tatsächlich machen und was sie “sind” 487.


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