plötzlich und unerwartet. Ein genauerer Blick auf seine letzten Lebensjahre läßt jedoch
erkennen, daß ein ständig fortschreitender Kräfteverfall dem Tod vorangegangen ist.
und Haupthaar bereits ergraut. Später werden regelmäßige Kuraufenthalte nötig
(M,I,241); er klagt über Rheuma und Schwindelanfälle. Und noch kurz vor seinem Tod
erwähnt Tony, daß er zu Herzklopfen und Kongestionen neige (M,I,244). Auch muß
vorlesen, ohne sich Beschwerden im Kopf zu verursachen" (M,I,245). Doch sogar noch
weiter zu Beginn des Romans finden sich Hinweise auf seine schwache Konstitution.
Angedeutet ist sie bereits, als er sich ganz am Anfang, noch ehe er als Figur näher
beugt (M,I,11, Hervorhebung v.d.V.). Und in seinem Brief an Thomas berichtet er, daß
er bereits als junger Mann wegen seiner "Nervosität" zur Kur nach Bad Ems gehen
mußte (M,I,174).
ergibt sich somit notwendig aus dem bisherigen Geschehen. Dies alles ist bereits im
ersten Teil des Romans in den Reflexionen eines Arztes mit dem sprechenden Namen
uns hier noch auf der realistischen Ebene. Wir haben gesehen, daß es faktische
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Hinweise dafür gibt, daß Jeans Tod nicht völlig unvorbereitet eintritt.
Es gibt jedoch
noch eine andere Ebene.
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Die Sterbeszene des Konsuls korrespondiert mit zwei weiteren bedeutenden Szenen
des Romans: Mit der Familienzusammenkunft im Landschaftszimmer zu Beginn und mit
der Jubiläumsfeier der Firma. Sie ist dadurch sowohl rück- als auch vorwärtsblickend
mit anderen Stellen verknüpft.
Wie zu Beginn ist die Familie im Landschaftszimmer versammelt (nur Jean fehlt
diesmal) (M,I,15/246). Wieder ist Tony in changierende Seide gekleidet (M,I,15/246).
Wieder tritt Ida später hinzu, nur daß sie beim ersten Mal die kleine Klothilde und
diesmal die kleine Erika an der Hand führt (M,I,15/246). Beide kleinen Mädchen tragen
jedoch ein Kattunkleidchen. Das Haar der Konsulin, in der ersten Szene noch von
Natur aus "rötlichblond", verdankt seine noch immer gleiche Farbe nun aber der "Pariser
Tinktur" (M,I,11/179/245). Ida, so wird erwähnt, ist nun schon seit zwanzig Jahren bei
den Buddenbrooks (M,I,246). Durch diesen Hinweis wird, ebenso wie durch die
anderen Korrespondenzen, ein Bogen bis zur Eingangsszene zurück geschlagen. Der
Wandel der Zeiten ist z.B. durch den Generationenwechsel verdeutlicht, der sich von
der ersten zur zweiten Szene vollzogen hat. Tony, zu Beginn achtjährig, ist nun selbst
bereits Mutter. Das sind die Veränderungen, die geschehen sind. Doch im Veränderten
gibt es vieles, was Kontinuität hat. So ist Tony ihrer Vorliebe für changierende Seide
treu geblieben, und so kümmert sich Ida noch immer um die Buddenbrookschen
Kinder. Auch der Raum ist der gleiche geblieben.
Doch während man in der ersten Szene noch im Lichte der "sinkenden Dämmerung"
(M,I,13) sitzt, so daß der "Sonnenuntergang" der Tapeten noch mit letzter Kraft
aufleuchten kann, ist der gleiche Raum in der zweiten Szene in das Dunkel des
drohenden Gewitters getaucht: "Die Farben des Zimmers, die Tinten der Landschaften
auf den Tapeten, das Gelb der Möbel und der Vorhänge, waren erloschen" (M,I,247).
Herbst, Dämmerung und Sonnenuntergang verleihen schon der ersten Szene eine
düstere Nuance, die jedoch durch die Anwesenheit der geistig noch im 18. Jahrhundert
fußenden heiteren Generation Johann Buddenbrooks d.Ä. und durch den fröhlichen
Festanlaß nur begrenzt spürbar wird. Und doch ist bereits hier eine Andeutung der
zweiten Szene und sogar auch der Firmenjubiläumsszene versteckt.
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Thomas Manns Erzählweise genügt sowohl dem "Anspruch auf 'naturalistisch' getreue
Schilderung der Realität" als auch dem einer "tiefere(n) Bedeutsamkeit als Resultat des spezifischen
Gestaltungswillens", so Vogt in Buddenbrooks, S.110. Das bedeutet, daß unter der Oberfläche einer
vermeintlich rein beschreibenden Schilderung sich Symbolisches, Mehrdeutiges, eine zweite
Sinnebene verbirgt. Vgl. hierzu auch Eberhard Lämmert: Doppelte Optik. Über die Erzählkunst des
Do'stlaringiz bilan baham: