I: „Und weil sie die engen Gänge angesprochen haben: In Österreich sind die Themen
Brandschutz, Fluchtweg etc. sehr wichtig. Und das Gebäude hier ist auch sehr alt, ist
denkmalgeschützt, nehme ich an. War das ein Problem beim Bau oder hat man als
Privatschule mehr Freiheiten?“
V6: „Die Schweizer sind hier großzügig und vor allem vernünftiger. Also wenn man schon ein
Haus hat mit Gymnasiasten und einen Flur der vielleicht irgendwann einmal brennt, was
unwahrscheinlich ist, dann sind die immer noch so intelligent, dass sie auf den Parkplatz
rennen oder ins Wasser springen. Also man hat nicht so eine Pyrophobie wie in anderen
Ländern. Und wenn man dann schaut, wie viele Kinder sind in den letzten Jahren in Schulen
verbrannt, dann sieht man, das ist offenbar gar keine Gefahr.“ (V6_CH_1.6 #00:12:29#)
8.4
Mögliche Konsequenzen für die Fachdidaktik GW
Berücksichtigt man zentrale fachdidaktische Prinzipien des Unterrichtsfaches GW (vgl. dazu Kapitel 6),
so lassen sich aus der Beschreibung der Dimension Raumqualitäten verschiedene relevante Aspekte
identifizieren.
Durch die institutionelle Öffnung von Schule nach außen könnte das Unterrichtsfach GW vor allem
das Prinzip der lebensweltlichen Orientierung für die Schüler/innen optimaler umsetzen. Das direkte
schulische Umfeld bietet unabhängig davon, ob die Schule an einem peripheren oder zentralen Standort
liegt, viele Anknüpfungspunkte für relevante Themenstellungen des GW-Unterrichts. Schule darf nicht
länger ein isoliertes Gebäude sein, ohne jegliche Kontextualisierung zu dem direkten Lebensumfeld.
Außerschulisches Lernen steht jedoch nicht im Gegensatz zum Lernen in der Schule. Beide Bereiche
übernehmen jeweils wichtige Funktionen in den Lehr-/Lernprozessen. In außerschulischen Lernsituationen
kann beispielsweise mittels der Methode der Spurensuche die Wahrnehmung von Schüler/innen
hinsichtlich ökonomischer und räumlicher Prozesse sensibilisiert werden. In der Schule werden die
unterschiedlichen Vorstellungen und Erfahrungen zusammengetragen, diskutiert und reflektiert. Wie
KÜNZLI (2001) betont, liegt der Vorteil schulischen Lernens darin, dass ein Individuum durch den
konzentrierteren Austausch viel mehr lernen kann, als es jemals selbst erfahren könnte (vgl. dazu Kapitel
4.2). In diesem Zusammenhang bietet die Schule vor allem den Vorteil der Interdisziplinarität, indem auf
die verschiedenen Expertisen der einzelnen Unterrichtsfächer zurückgegriffen werden kann.
220
Diese fachdidaktischen Anforderungen bedeuten auch veränderte Raumqualitäten innerhalb der Schule.
Ein eigener GW-Fachraum, wie ihn SITTE (2001) beschreibt, ist in seiner Ausstattung absolut vordefiniert
und in sich geschlossen (Sitte 2001b, S. 137). Damit können nicht alle fachdidaktischen Funktionen für die
Gestaltung von Lehr-/Lernprozessen abgedeckt werden. Ebenso wenig kann ein derartiger Raum auf die
sich rasch verändernden gesellschaftlichen Anforderungen flexibel reagieren. Überlegungen, Lernräume
speziell für unterschiedliche Sozialformen zu konzipieren oder sie für eine Mehrfachnutzung auszurichten,
können interessante Anregungen für die Fachdidaktik GW sein. Die angesprochene Mehrfachnutzung von
Lernräumen, wie sie HUBELI (2012) und KÜHN (2011) beschreiben, kann zudem verschieden ausgelegt
werden, wie der räumliche Teilaspekt schulischer Organisationsstrukturen im Folgenden zeigt (vgl. dazu
Kapitel 9.2).
221
9
Dimension: Organisationsstrukturen
Die Organisation schulischer Lehr-/Lernprozesse ist sehr vielschichtig und wirkt in verschiedene
Bereiche. Nicht nur Raum und Zeit werden organisiert, auch auf personeller und pädagogisch-didaktischer
Ebene bedarf es spezifischer Strukturen. Die unterschiedlichen Organisationsformen in beiden Fallstudien
zeigen einige interessante Ansätze, die auch für die Fachdidaktik GW relevant sein können. Besonders
spannend sind jedoch die unterschiedlichen Wahrnehmungen der Schüler/innen und Lehrer/innen von
bestimmten strukturellen Maßnahmen.
9.1
Allgemeine Beschreibung
Schule wurde in dieser Arbeit bereits als Organisationsform in Bezug auf ihre Ziele und Funktionen
betrachtet (vgl. dazu Kapitel 4.1). Die Untersuchung der Organisationsstrukturen ist insofern interessant
und relevant für Lernumgebungen, als sie für die Erreichung der gesetzten Ziele und Funktionen der
Organisation verantwortlich sind. ABRAHAM (2009) definiert sie als „Rahmenbedingungen des Handelns
individueller und korporativer Akteure“ (Abraham und Büschges 2009, S. 130), die jeweils auf
unterschiedliche Mechanismen zur Umsetzung bestimmter Funktionen zurückgreifen. Er verdeutlicht, dass
die Strukturen von Organisationen notwendig sind, um Ziele effizienter zu erreichen. Damit verbunden ist
vor allem der Umstand, dass die Individuen innerhalb der Organisation in geplanter und nicht in
willkürlicher Art und Weise miteinander interagieren (Abraham und Büschges 2009, S. 131).
Für die Betrachtung dieser Dimension sind vor allem jene Organisationstheorien relevant, die sich um
die „Aufdeckung von Regelhaftigkeiten im Ablauf organisationaler Prozesse und um ein Raster von
Kategorien zur systematischen Erfassung der Struktur von Organisationen“ (Preisendörfer 2016, S. 12)
bemühen.
Schule als pädagogische Organisation hat innerhalb der Organisationstheorien eine Art Sonderstellung.
PLAKE (2010) zieht aus der allgemeinen Organisationsforschung mehrere Schlüsse, die für die Schule
Bedeutung haben. Zum einen existieren Rechte und Pflichten, die in Form von Schulgesetzen,
Verordnungen und Erlässen die Hierarchie und Arbeitsteilung in der Schule organisieren. Zum anderen ist
Schule auch ein Lebensraum für die beteiligten Akteur/innen, die jeweils mit unterschiedlichen sozialen
Bedürfnissen auf die Gestaltung des Schullebens einwirken und darauf reagieren. In diesem Sinne wird
Schule als ein Ort der Interaktion und Kommunikation verstanden. Wichtig ist in diesem Zusammenhang,
dass seiner Ansicht nach jene Aspekte, die als Organisationsstrukturen wahrgenommen werden, primär
durch zwischenmenschliche Handlungen entstehen. Er betont, dass spezifische „Wert- und
Normensysteme, Mythen und Symbole, die aufgrund von Sinnstiftung zustande kommen“ (Plake 2010, S.
39–41) für die Schule an sich, aber auch für die Abgrenzung nach außen wichtig sind.
222
Diese Argumentation erinnert stark an die systemtheoretische Perspektive von LUHMANN (1995),
der verdeutlicht, wie wichtig die theoretische Betrachtung von Schule als Einzelorganisation ist. Damit die
entsprechenden Veränderungen im System adäquat umgesetzt werden können, ist der Zusammenhang
wichtig, dass die „Art, wie ein System sich ändert, mit der Verteidigung der bestehenden Ordnung
verbunden“ (Luhmann 1995, S. 148) ist.
Auf Grundlage dieses Ansatzes wird in der Folge versucht, die bestehende strukturelle Ordnung der
beiden Schulen zu beschreiben, um davon mögliche Veränderungspotenziale ableiten zu können. Der Fokus
der Betrachtung liegt dabei auf der Hierarchie, der Arbeitsteilung sowie der Interaktion und
Kommunikation innerhalb der jeweiligen Organisationsform.
Basierend auf den Interviews, konnten verschiedene Ausprägungen von Organisationsstrukturen erfasst
werden. Sie werden in fünf Kategorien, nämlich in die räumliche, zeitliche, personelle, curriculare und
pädagogisch-didaktische, eingeteilt.
Abbildung 48: Kategorien innerhalb der Dimension Organisationsstrukturen (eigene Darstellung 2017)
9.2
Räumliche Organisation
Nachdem die Raumqualitäten als eigene Dimension in Kapitel 8 ausführlich beschrieben wurden, stellt
sich die Frage, weshalb im Kontext der Organisationsstrukturen der räumliche Aspekt nochmals aufgegriffen
wird. Der Unterschied zwischen diesen beiden Betrachtungsebenen besteht darin, dass innerhalb der
Raumqualitäten die physisch-materielle Erscheinung von Lernräumen beschrieben wurde. Hinsichtlich der
räumlichen Organisation liegt der Fokus hingegen auf der Planung und Konzeption bestimmter
Arbeitsabläufe und -prozesse in den Lernräumen.
223
Die Frage, ob Lehrer/innen und Schüler/innen zwischen unterschiedlichen Lernräumen auswählen
können, um verschiedene Lehr-/Lernsequenzen umzusetzen, fällt beispielsweise in diese Kategorie. Das Zitat
der Schweizer Schüler/in zeigt, dass in den Phasen des selbstständigen Arbeitens Lernräume ausgewählt
werden können. Die Bandbreite der Auswahl hängt auch mit dem Status des Selbstständigkeitsniveaus der
Schüler/innen zusammen (vgl. dazu Textfeld 34)
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