Mein krieg aufzeichnungen aus 2129 Tagen



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Dich nervös macht. Du mußt Dich drein finden, daß nicht jede Arbeit zu Deiner Zufriedenheit ausfallen kann. Was liegt denn dran? Das menschliche Dasein besteht aus lauter Leuten, die, vom Standpunkt der absoluten Richtigkeit aus, ihre Sachen falsch ma- chen. Es wird falsch regiert, es wurde falsch Krieg geführt, die Preisregulierung ist falsch, Bruno Walter dirigiert Beethoven falsch, ich gebe meinen Unterricht falsch, meine Schüler machen ihre Aufgaben falsch, der Postbote bringt falsche Post, alle Welt macht ihre Sache falsch, und dabei besteht die Welt gemütlich Weiter. Es scheint zu ihren Existenzbedingungen zu gehören, daß alles falsch gemacht wird und doch im großen und ganzen klappt.

Drum reg Dich nicht auf. Ich hab mir als Lehrer seit zwanzig Jahren das Bereden und Nörgeln abgewöhnt. Ich nehme es als selbstverständlich, daß die Schüler ihre Sache falsch machen, und verbessere sie, ohne mich zu erregen, und sieh, es geht, es geht so- gar besser, es geht so überhaupt am besten . . .«

2;. April 41. Wir hatten einen Marsch von 25 km gemacht, um neun kam ich nach Hause mit schweren Beinen. Frau Schütte sagte: Oben liegt ein Telegramm, und zwinkerte. Es gibt viele Telegramme, aber eben: sie zwinkerte, und es war dann auch das wichtigste Telegramm von der Welt [Sohn Thomas geboren] Ich denke, daß ich eine Woche Urlaub herausschlagen werde. Daß man Kinder kriegt und ein Telegramm: »Mutter und Kind wohl«, ist nichts so Besonderes, aber immerhin, es könnte auch anders sein. Trotz der unmenschlichen Zeit wächst uns das Leben unter den Händen. Wie mühsam und beschwerlich es in unserem Land ist, dieses eigene Leben den allgemeinen Verhältnissen abzuge- winnen, vergesse ich glücklicherweise manchmal. Aber als Flohr neulich von ihrer Zeit in Kalifornien erzählte, und als jetzt der Brief von G. W. aus Newark [USA] kam, da war mir's doch, als wären diese Botschaften gar nicht von unserer W/elt, und es wurde mir bitter. Thomas – das Kind liefert Kraft, Dir wie mir, und später finden wir vielleicht ein Hintertürchen.

Er muß Griechisch und Lateinisch lernen, nicht nur auf der Schule, sondern mit Selbstverständlichkeit von klein auf, wie unsere Mütter bei ihren Erzieherinnen Französisch und Englisch lernten.

Die Einsicht, daß ihm dann H]-Erziehung nichts mehr schaden kann, verdanke ich Hofmiller. Außerdem soll er nicht so unge- bildet bleiben wie sein Vater.

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26. April 4.1. Im ganzen müssen wir der Automobilindustrie dankbar sein – wäre die Motorisierung der Division nach Plan durchzuführen gewesen, so befänden wir uns jetzt in jugosla- wien, und nichts wäre es mit acht Maitagen amBodensee. Gestern ging ich, des Kopfwehs nicht achtend, ins Kino, um die neue Wo- chenschau zu sehen, Wo man Hitler nahe und mit Ruhe betrach- ten kann – und vor Verwunderung ganz krumm wird, wie die Mitte Europas dieses Gesicht sein kann. Vorher lief ein Film: Die englische Krankheit. Eine staunenswerte Leistung der Propa- ganda ~ man knüpfte nämlich an den Namen der Krankheit an: seht, die Engländer! Vor dem Hintergrund des geographischen Bildes der Insel zogen in Reihen verwachsene Kinder vorbei. Das ganze Kinovolk dachte: Diese verkrüppelten Nichtse sind unsere lächerlichen Feinclel, und bei keinem dieser Rindviecher reidite es dazu, daß es sich gewundert hätte, als wenige Minuten später in der Wochenschau gefangerıe englische Offiziere gezeigt wurden, kerzengerade Gestalten, lachend, strahlend, männlich.

[Das Manuskript »Kriegsreise durch Frankreich« kam vom OKW zurück, trug auf der 1. Seite den Stempel: Gesperrtl, mit dem handschriftlichen Zusatz von Dr. Eggebrecht: »In dieser Form«, und mit seiner Unterschrift. Hierdurch sah ich mich veranlaßt, über eine andere Form nachzudenken, und studierte die anony- men Randbemerkungen, Striche, Ausrufungszeichen, Fragezei- chen usw., die, wie an den verschiedenen Farben der verwende- ten Schreibgeräte erkennbar, auf mehrere Leser im OKW zurück- gingen. Daß der grüne Stift bedeutete, General _]odl habe das Manuskript gelesen, wurde bereits erwähnt. Dr. Eggebrecht klär- te mich darüber nicht auf.]

17. Mai 41 K.-Scl'1.].

Ganz vergaß ich zur Ablehnung des Ms. Etwas za sagen, weil's mir so natürlich erscheint. Sie hahen so völlig recht and treffen mitten in die Pointe, wenn sie sagen: ein am Kriege ganz Unhe- teiligter . . . (das ist ihre façon de parler). Dies Bach kann erst erscheinen, wenn in den Straßen Plaleate mit »Nie wieder Krieg./« hängen. Die Tagehachform fände ich auch viel hesser, denn das sind ja wirklich leeine Briefe mehr. Wie Da sie gekürzt hast, ent- halten sie nichts mehr 'von der anderen Seite. Ich glauhe also nicht, da/1 Du etwas in Berlin erreichst, und wenn, dann wird das Bach 89

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verboten, wenn”s erscheint. Es ist doch 'von A his Z nichts als der private Boy/eott des Krieges – das aber ist untraghar (J).

[An den Paul List Verlag, Leipzig]

zo. Mai 41. Sehr geehrte Herren, ich komme soeben aus Berlin und habe Ihnen nichts Gutes zu berichten. Ein General fand sich, der den Militarismus in meinem Buch vermißt. Wie er heißt, wird mir nicht gesagt. Die Ansicht von Dr. Eggebrecht kommt dagegen nicht durch, er ist kein General, sondern nur Kriegsverwaltungs- rat. Ich hingegen bin nur Gefreiter – d. h.: ich kann beim OKW nichts mehr tun; daß ein Gefreiter mit einem General über die Nützlichkeit militärischer Entscheidungen diskutiert, kommt nicht vor. Man Wollte das Ms noch ans Propamin [Propaganda- Ministerium] weitergeben, das aber hätte die Lage für uns noch verschlechtert, ich habe es verhindert.

Das Ms, das ich vom OKW zurückbekam, ist mit vielen grünen Stricherı verziert.Manche kann man hinnehmen, andere nicht. Ich Werde in dieser Woche nach diesen grünen Strichen Änderungen vornehmen – was dabei herauskommt, ist der äußerste mir mög- liche Kompromiß. Vielleicht versuchen sie mit diesem Ms dann, ob sie noch etwas erreichen können? . . .

Obgleich ein General die unbegreifliche politische Instinktlosig- keit besitzt, die Stelle zu streichen – unter vielen anderen -, Wo ein deutscher Soldat Äpfel an Gefangene verteilt (ll), wollen wir, meine ich, unser Fähnlein nicht sinken lassen und nicht mit Mo- naten rechnen. Diese Äpfel stehen auf der Aktivseite des histori- schen Fazits – manche Heldentaten hingegen werden unter Schul- den gebucht.

[Vorn Paul List Verlag, Leipzig]

23, Mai 41. Besten Dan/e fiir Ihre Schreihen vom zo. Und 22. d. M.

sowie das frisierte Manuskript. Nach einer raschen Überprüfung hin ich dafür, daß wir unser Fähnlein nicht sin/een lassen. Wir werden also das Manusleript in der neuen Fassung dern OKW wieder einreichen und zwar unrnittelhar an die Adresse 'von Dr.

Eggehrecht. In dern Begleithrief erwähnen wir Ihrer Anregung entsprechend, daß eine Kopie Ihrem Disziplinarvorgesetzten 'vor- liegt und dessen Einwilligung zur Veröffentlichung nachgereicht wird. Das Ms/er. Werden wir an das OKW morgen zur Ahsen- dung hringen.

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Und mm wünsche ich Ihnen recht viel Glıic/e, wenn es zu einem Aufbruch kommen sollte. Mit freundlichsten Grüßen Ihr E. W.

Lıxt.


[An Oberkommando der Wehrmacht, Berlin]

2;. Mai 41. Sehr verehrter Herr Dr. Eggebrecht, der Herr Refe- rent lehnte es leider ab, mir die wirklichen Gründe für die Ent- scheidung zu sagen; als jedoch das Manuskript hier ankam, ent- hielt es die Striche und Bemerkungen der Zensoren, und ich konnte mich mit jedem einzelnen Einwand vertraut machen. Dabei zeigte sich, daß bis auf zwei oder drei Stellen nur solche Absätze und Seiten gestrichen bzw. Angestrichen waren, die ich entweder selbst zum Nutzen des Ganzen unterdrückt hätte ~ die >›Kaperfahrten« nehmen einen unverhältnismäßigen Raum ein – oder die in an- derer Weise für das Buch unwichtig sind. Zwei Striche allerdings berühren den Kern des Buches so stark, daß, sofern darüber die Zensoren nicht anderen Sinnes werden könnten, das Schicksal des Buches für die nächsten Jahre entschieden wäre. Es bliebe dann in der Schublade liegen.

Diese Stellen sind: die Verteilung von ein paar Äpfeln an er- schöpfte französische Gefangene und meine Reaktion im Anhören des Schmerzensgebrülls eines Verwundeten. Die letzte Entschei- dung über diese beiden Stellen hat für mich eine unvergleichlich viel größere Widitigkeit als die Frage des Erscheinens oder Nicht- erscheinens des Buches. Ich glaube vorerst nicht, daß es höchste Absicht ist, den deutschen Soldaten als eine mechanische, gefühls- und empfindungslose Holzpuppe hinzustellen, dem jede mensch- liche Geste fremd sein muß, Aus welchen Reserven sollten wir denn diesen Krieg bestehen, wenn unsere Überlegenheit nur zur Vernichtung und nicht auch zur großzügigen, selbstsicheren Rit- terlichkeit führen darf? Ich weiß wohl, daß mein militärischer Rang es mir im Augenblick verbietet, mit den Zensoren in eine Diskussion zu kommen. Aber ich werde nicht immer Soldat sein.

Mir ist gestern die Schrift von Bruno Brehm: »Deutsche Haltung vor Fremden« in die Hand gekommen, die Sie natiirlich kennen.

Darin steht auf 30 Seiten nichts anderes, als was mir (selbst in Andeutungen) gestrichen wurde. Ich sagte irgendwo, wir müßten lernen, Herren zu sein – HerrBrehm sagt seitenlang, der deutsche 91

Reisende habe sich nicht zu benehmen gewußt, er habe angebetet oder verachtet, aber nicht die ihrer selbst sichere Mitte des Urteils gefunden – ist das etwas anderes? In demselben Manuskript, das Ihnen verlag und das mit grünem und grauem Stift die Striche der Zensoren enthält, habe ich nun mit Tusche meine Striche ein- getragen, so daß ein Blick genügt, um zu sehen, inwieweit sie sich überdeeken. Herr Dr. List schreibt mir soeben, er werde das Ms.

In dieser Form nochmal an Sie schicken.

Eine Kopie des Ms. Liegt jetzt meinem Disziplinarvorgeset;/.ten vor, dessen Einwilligung zur Veröffentlichung ich durch den Ver- lag nachreichen werde.

Wo immer ich mich befinde, werde ich versuchen, diese Kriegs- jahre ohne Stillstand in der eigenen Existenz zu überstehen. Ich glaube, wie der einzelne damit fertig wird, das entscheidet über sein künftiges Leben, denn schon jetzt beginnt dieser Krieg – wie der Weltkrieg – nicht mehr nur eine Zäsur zwisehen zwei histo- rischen Perioden zu sein, sondern er schafft sich selbst sein Zeit- alter, seine Menschen. Wir miissen bereits auf der Hut sein, daß er unsere Substanz nicht angreift. Das ist merkwürdig genug an- gesichts der geringen Opfer, die er bisher vom Volk gefordert hat.

Oherkommando der Wehrmacht

1 t 12 ](Ill h) Berlin W. 35, den jo. Mai 1941

244;/41 Tirpitzufer 72-76

Betr„' Manns/eript »Kriegs/fahrt durch Frankreich« - Kriegs- hriefe 'von Erich Kuløy

Bezug: Dort. Schreiben Soho vom 24. 5. 41.

An den Paul List Verlag, Leipzig.

Zum Bezagschreilren wird zunächst grundsätzlich mitgeteilt, daß

1. jeder Verlag gehalten ist, Manns/eripte, welche die Wehrmacht betreffen, üher das für ihn znstéinrlige Reichsrnirıisterinm für Vollesaufhlärung und Propaganda dem Oløer/eommanalo der Wehrmacht/Abt. Inland zazaleiterı,

2. er gleichzeitig mit dem Manns/eript das Genehmigimgsschrei- hen von des Verfassers Dixziplirıarfuorgesetzten 'vorzulegen hat und

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3. Schriften, welche die Erlebnisse einer Einheit schildern, nur fiir die betreffende Einheit freigegeben werden, sofern sie nicht überdurchschnittlichen Wert haben.

Das vorliegende Manuskript hat dem Oberkomrnando der Wehr- macht/Abt. Inland bereits zur Priifung vorgelegen und ist mit Schreiben 1 t 12 ] (III b) Nr. 244)'/41 vom 15. 5. 41 der Einheit des Verfassers zugesandt worden rnit dent Bemerken, daß die Veröffentlichung militärisch unerwünscht ist. Diese Stellung- nahme kann sich nicht dadurch ändern, daß der Gefreite Kuby

1. das gesperrte Manuskript durch den Verlag vorlegen laßt und

2. die Streichungen und Änderungen der Zcnsoren ››anerkennt«.

Ware eine Veröffentlichung bei Berücksichtigung der Textver- besserungen möglich gewesen, wäre dies dem Verfasser uber seine Einheit zur Kenntnis gebracht worden.

Anliegend wird das Manuskript zuruckgesandt.

Der Chef des Oherkornrnandos der Wehrmacht

lrn Auftrage

Anlage: gez. Graf 11. Rothkirch

1 Manuskript

2. juni 41. In der Anzeige, mit der Du ein Hausmädchen suchst, darf nicht stehen, daß es sich nur um ein Baby handelt und der Haushalt klein ist. Das 1/.öge Wohl die Kandidatinnen für diese Arbeit an, aber auch die Aufsichtsbehörden. Sie würden Dir auf den Kopf kommen. Ich glaube, erst von neun Kindern an auf- wärts hat die deutsche Frau, die nicht raucht, Anrecht auf einen dienstbaren Geist, und wenn Du die Begründung gäbest, daß Du Schuhe machen mußt, Würden sie vielleicht sagen: Warum eigent- lich? Ihre Schuhe sind doch Luxus.

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AUEMARSCH GEGEN DIE SOWJETUNION

3. juni 41. Eiligst, eiligst. Mein Gepäck ist bereits im Auto. Ich fahre spätestens übermorgen nach Insterburg, nordöstliches Ost- preußen. Weiter kann ich in Deutschland nicht von Dir entfernt sein. Gewiß nur Zwischenstation. Denke an südöstlichen Kurs von dort aus.

Schon mein nächster Brief wird mit der Hand im Kopierbuch ge» schrieben werden ~ Du solltest Dich der Kopierbüeher jetzt mög- lichst auch wieder bedienen. Vielleicht ist morgen doeh noch Zeit zu einem längeren Brief. Von Papa ein paar Worte, daß er auch nach Osten geht, wie jetzt alle. Glücklicherweise gehöre ich zum Vorauskommando, der Stab bleibt noch hier. Das verheißt eine freiere Beweglichkeit und weniger Arbeit. Es wird schön sein, bei diesem Wetter durch dieses Land zu fahren. Das ist auch eine Be- trachtungsweise.

4. Juni 41. Es ist glühend heiß. Wir haben 80 km hinter uns und werden heute noch Schneidemühl erreichen, mir nur dadurch be- kannt, daß dort vor jahren ein großes Eisenbahnunglück statt- fand. Der Kompanie ist der Ort in freundlicher Erinnerung, weil sie dort im August 39 einen Monat lang in Privatquartieren lag.

So schließen sich die Kreise! Morgen Graudenz-Ostpreußen. Ich fahre in einem Simca, ein viel zu kleiner Wagen für vier Män- ner. Ich sitze hinter dem Fahrer, neben diesem der Unteroffizier, neben mir ein netter Mann namens van Almsick. Etwas pedan- tisch und ohne Schwung, aber anständig und in manchem gleich- denkend. Er hat fünf (!) Brüder im Krieg – sie verständigen sich durch vervielfältigte Rundbriefe. Mein Buch – wie klug von Dir vorausgesehen -ist zum zweiten Mal abgelehnt worden, diesmal mit einem Brief an die Abteilung, scharf im Ton, ich habe ihn noch nicht gelesen. Er soll zehn Punkte enthalten, von denen ich drei im Kopf behielt: 1) Beobachter, nicht Teilnehmer, 1) militärisch unzulässige Informationen, 3) politisch nicht erfreulich.

[Vom Vater]

4. juni 41. Die Woche vorher mn/fie ich meine fehlenden Sachen [für seine Einheit] aus Europa zusammenholen. Zwei Wagen aus Paris, Sanítätsxachen aus Würzburg, Be/eleídung aus Ingolstadt 94


ima' Maschinen aus Augslmrg. Leı/.te ımd Wagen waren immer anterwegs und telefonierten von iilaerallher, daß es nicht glatt- gelae. Jetzt ist alles da, verladen, es leann jede Stande losgehen.

g. Juni 41, am Ende des zweiten Reisetages. Das Erlebnis dieses Tages ist der Unterschied zwischen den 150 km, die wir durch das ehemalige Polen fuhren, uncl den too km in Ostpreußen, das hier allerdings Westpreußen heißt. Staubige, schlechte Straßen, armselige Dörfer, eine in ihrer Weite großartige Landschaft, aber wie der Rohguß einer Landschaft, ohne Anmut [in Polen]. Die Stimmung in Graudenz seltsam zwiespältig, schroff die einen, unterwürfig die andern. Die Orte ohne Mitte, der Markt kein Zentrum, rasch zerbröckeln die Häuserzeilen. Hier dagegen unter dichten alten Alleen Asphaltstraßen, das Land bearbeitet und geformt bis in den letzten Winkel, die Dörfer freundlich, die Leute gleichmäßig unfreundlich oder wenigstens zurückhaltend.

Die Leute im Trupp sind nett, der Unteroffizier jedoch ein voll- kommener Schafskopf in seinen Meinungen. Darüberhinzuhören, habe ich gelernt. Es ist kein strenges Dienstverhältnis zwischen uns, er lag als Gefreiter schon in Prüm mit mir auf einer Stube.

Ich hörte eine herrliche Antwort. Einer fragte: Was wird denn nun?, und meinte im allgemeinen unsere militärische Zukunft.

Sagte ein anderer strohtrocken und ruhig: Ach, die werden noch so lange weitermachen, bis sie den Krieg gewinnen! Die Fernsprech-Vermittlung wird in die Nahe eines Schlosses kommen, nicht weit von hier. Ruhige Tage sind uns gewiß. Hübsch ist es bei Petroleumlicht.

Kein Mensch Weiß, wozu wir hier sind. Das Rätselraten ist all- gemein uncl gänzlich fruchtlos. Ich beteilige mich nicht, oder doch nur insoweit, als ich sage, wohin wir vermutlich nicht gehen wer- den von hier aus: nach England und nach Afrika.

6. Juni 41, Altkelken, Ostpreußen. Hier ist nichts, was derMensch gemacht hat, größer oder eindrucksvoller als das Land selbst, die Natur. Ich verstehe, daß die Deutschen es sich so viele Leben und Mühe haben kosten lassen, damit es ihnen gehöre. Und ich ver» stehe, warum uns die Leute hier mit einer verborgenen Angst in solchen Massen auftreten sehen. Abends spielte einer Harmonika im Dorf, als ich nach Hause ging. Der Wald stand als Scheren- schnitt gegen den noch hellen, aber nicht mehr leuchtenden Him- 95


mel (es war 11 Uhr), und die beiden Störche kamen nach Hause gesegelt als riesige ausgereckte Schatten und ließen sich auf dem Rand des Nestes nieder, das ebenfalls scharf sich gegen den Him- mel abhob. Frau Storch setzte sich auf die Eier nieder, Herr Storch blieb stehen wie ein Wächter.

7. Juni 41. Rechne, daß mich Post bis etwa 16. juni hier erreicht und vom Bodensee gewiß drei Tage unterwegs ist. Wohin dann – nobody knows, d. h. ohne Zweifel – ohne Zweifel für mich – ver- schlucken uns die östlichen Weiten.

Im nahen Mohrungen ist Herder geboren, bei meiner Mutter hängt ein Medaillon von ihm ››aus der Zeit«, ererbt, weil wir irgendwie mit ihm verwandt sind. Der Postmeister fing von sich aus an, von Herder zu sprechen, recht stolz war er auf den Lands- ITIGIHH.

[An Wilhelm Hausenstein, Schriflsteller, Redakteur des Litera- turblattes der »Frankfurter Zeitung«, nach dem Krieg erster Bot- schafter der Bundesrepublik in Paris]

Schloß Groß Bestendorf, Kreis Mohrungen, Ostpreußen, I 1. juni

41. Mein Buch ist inzwischen unter, wie rnir scheint, sehr ehren- vollen Begründungen verboten worden. Trotzdem habe ich mei- ner Schwester, die beauftragt ist, Ihnen eine Kopie zu schicken, keine andere Weisung gegeben, denn möglicherweise mögen Sie darin blättern, ohne an Ihr Amt und die Frankfurter Zeitung zu denken. Auch sind die Zeiten kurios, und es möchte sein, daß wir eine militärische Allianz mit den Franzosen eingehen – sofern wir sie nidıt schon haben -, und die freundlichen Äußerungen eines Soldaten über Frankreich kämen dann vielleicht der Frankfurter zupaß. (Ich denke dabei an die letzten 30 oder 40 Seiten, Avallon, Vézelay, Begegnung mit Romain Rolland.)

Das ist recht vorgegriffen, aber ohne Zweifel wird für mich auch die postalische Verbindung in Kürze auf einige Zeit abreifšen, und zum andern ist gewiß, daß wenig Anstandiges und Pro- Französisches im Krieg geschrieben worden ist.

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Nocı-1 IN OsT1>REUssEN

[An Dr. List, Leipzig]

Schloß Groß Bestendorf, Kreis Mohrungen, Ostpreußen, 1 1. ]uni

41. Es ist gar kein Zweifel darüber möglich, daß meine armen Briefe an hoher Stelle Empfindlichkeit hervorgerufen haben, und ich möchte fast die Stelle bezeichnen können, die daran schuld ist.

Nun Wollen wir Gras über die Sache Wachsen lassen, später will ich gelegentlich Dr, Eggebrecht nach den Hintergründen fragen.

Ich denke an die Möglichkeit, daß Sie einem maßgebendem Mann aus der politischen Propaganda gerade in dem Augenblick begegnen könnten, in dem wir Schulter an Schulter mit unseren französischen Brüdern irgendwo siegen. Im übrigen Wollen wir, meine ich, alle Betriebsamkeit lassen und unsere Zeit abwarten, Dr. Hausenstein schreibt mir heute einen interessanten Brief über die Arbeit. Falls die Frankfurter die letzten 30 Seiten abdrucken will und Sie damit einverstanden sind, so mag sie es tun. Ich betreibe das aber nicht weiter.

Ich sitze manche Stunden bei einem Windmüller in seiner Mühle, zeichnend und nichts tuend; es ist eine großartige Beschäftigung, eine launenhafte Naturkraft sich dienstbar zu machen, das mächtige alte Gebälk zittert unter dem Druck des Windes, aber es hält und tut was es soll wie seit jeher.

Außer Pascal, Le Bon und Lichtenberg habe ich keine Bücher mit- genommen. Dabei fällt mir ein, daß ich seinerzeit bat, mir ein EX- emplar des Lawrence [Die Sieben Säulen der Weisheit] zu reservie- ren; möglichst nicht gebunden, könnte es an meine Feldpostnum- mer auf den Weg gebracht werden.

[An W. E, Süskind, Schriftsteller, Journalist, Freund und entfernt verwandt]

Ostpreußen, iz. ]uni 41. Mein bescheidenes geistiges Kind haben sie mir nun doch endgültig verboten – endgültig, soweit man dieses Wort heutzutage überhaupt gebrauchen kann. Ich ändere aber eine Anweisung an meine Schwester, Dir eine Kopie zu schicken, nicht.

Vielleicht macht Dir die Sache Spaß. Ich hörte nicht ungemein Wort von Dir darüber.

12. ]uni 41. Wenn Du diesen Brief hast, kannst Du keinen mehr 97

hierher schicken, es wird zu ungewiß, wie lange wir noch in Ruhe bleiben. Mache Dir wegen meiner Mitteilsamkeit keine Sorgen – das Militär handelt nie logisch und konsequent. Auch liegt der Punkt, oder die Punkte, an denen das Briefmanuskript diese Herren vom OKW bis zur Kompanie herunter berührt hat, nicht auf der Linie, die in letzter Konsequenz bei der politischen Polizei endet. So blöd war ich denn doch nicht. Sie sehen ~ mit Recht – nicht das Reich durch mich in Gefahr, sondern sie sind beleidigt, ohne genau sagen zu können, womit ich sie beleidigt habe. Wenn sie den einzelnen Satz nehmen, gleitet er ihnen durch die Gehirnwindungen. Ich hätte nahezu Wörtlich dasselbe schreiben können und wir würden jetzt ein gedrucktes Buch haben, wenn in gewissen Abständen Sätze vor- gekommen wären, die ihrem Selbstverständnis entsprochen hätten.

Daß nichts davon drinsteht, das bringt sie auf. Es ist aber verdammt schwer, jemandem, der ein paar hundert Seiten geschrieben hat, nur vorzuwerfen, was er nicht geschrieben hat. Um das zu tun, müßten Sie formulieren, was ihnen fehlt, sie müßten sozusagen ihr eigenes Buch schreiben – ach du lieber Gott! Dicscs ihr Buch schreibt doch jede Wochenschau, jede Zeitung, jeder PK-Bericht. Sollen sie sa» gen: wir vermissen, daß Sie nicht geschrieben haben, was schon ge~ schrieben ist. . .P Also, dcr langen Rede kurzer Sinn: die kommen nicht auf die Idee, A und B zusammenzuzählen, und sich zu sagen: der hat doch dieses Manuskript geschrieben, und zwar Tag für Tag in Frankreich, was schreibt denn derjetzz P Wenn dieser Hebel in ih- ren Gehirnen einrastet, dann höre ich das, sei sicher. Und dann al- lerdings werde ich anfangen, der Fische Nachtgebet abzuschreiben [ein nur aus Zeichen bestehendes ››Gedichr« von Christian Morgen- stern].

13. ]uni 41 . Heute nacht, als ich Dienst hatte, zogen auf der Chaus- see vor dem Haus endlose Radfahrabteilungen vorbei, jedes Rad mit einem Lämpchen – ganz still zogen sie dahin, nur ein leises Rau- schen und ab und zu ein halblautes Wort waren zu hören Ich war in der \Vindmühle – sehr schönl, zeichnend und fotografie» rend. Sinnvoll, riesig, klobig. Die Windmiillerin klug. Ihre Kinder klettern auf den Flügeln bis zum obersten Punkt, wenn die Mühle steht.

14. juni 41. In Syrien ist richtig englisch~französischer Krieg. Ich lese nichts, ich höre nichts, aber dieses vorläufige Hauptereignis ist doch bis zu mir gedrungen. Still und verschwomrnen ist die Kriegsf 98

welt, eine schauerliche Stille. Das Blatt muß jetzt zu Herrn Hall- mann herunter, er sortiert schon eifrig und macht die abgehende Post zurecht. Die Hallmanns sind 1914 zweimal geflohen, und nun erwarten sie wieder einen Ostkrieg. Freilich, sie glauben nicht, daß sie noch einmal fliehen müssen. Ich weiß nicht, ob Ostkrieg oder nicht, ich habe keinerlei Anhaltspunkte -in den Diskussionen krie- gen die Leute das zu hören. Mein ››Vortrag« vor der Leichten Ko- lonne scheint vergessen zu sein.


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