Nach der Desillusion: Rückzug, Rückbesinnung oder Wandel?
„Wer versucht, die Wahrheit an den Tag zu bringen und ihr, einmal erkannt, allgemeine Anerkennung zu verschaffen, der stößt auf kollektive Abwehrmechanismen, die eine regelrechte Verleugnungsarbeit […] verrichten“ (BOURDIEU. 1985: 64). Diese Erkenntnis dürfte „desillusionierten“ Inklusionsarbeitern in arbeitsmarktintegrativen Maßnahmen nur allzu geläufig sein. Was aber impliziert sie - vor allem in einem fortschreitenden Prozess, in welchem den zu zunehmender Repression gezwungenen Inklusionsarbeitern in erster Linie ordnungspolitische Aufgaben angetragen werden, wobei das zentrale Problem nicht so sehr in den Ausführungen dieser Programmatik liegen dürfte, als vielmehr „in den Dingen, die sie de-thematisiert. Strukturelle Ursachen für Arbeitslosigkeit und Arbeit werden konsequent verschwiegen.“ (BESENFELDER. 2002:2).
Ist angesichts der hier nachgezeichneten gegenwärtigen Situation auf dem arbeitsmarktpolitischen Sektor die praktizierende „Inklusionsarbeit“ mit ihrem geringen symbolischen Kapital eigentlich in der Lage bzw. ist es ihr überhaupt zuzumuten, über das ohnehin permanent auszutarierende „doppelte Mandat“ hinaus aus der wissenschaftlich abgestützten Reflexion ihrer praktischen Empirie ein von ihr ursprünglich beanspruchtes „drittes“, nämlich „politisches“, Mandat wahrzunehmen? Würde eine derartige Rückbesinnung lediglich eine weitere Verschärfung ihrer Dilemmata in Richtung Unauflösbarkeit des Konfliktes zwischen praktischer bzw. pragmatischer Handlungsfähigkeit und kritischer, reflexiver Vernunft mit sich bringen? Wie verhalten kann eine staatlich „legitimierte“ soziale Inklusionsarbeit, die sich innerlich auf Distanz zu den gegenwärtigen, rechtlich fixierten Kriterien bzw. Handlungsvorgaben begibt, operieren, um dennoch einen gewissen, auf ihren ethisch-moralischen Grundsätzen fußenden, Handlungs- und Entscheidungsspielraum zu behaupten?
Angesichts des obigen Befundes bedarf es dazu einer Freiheit, die der praktizierende Inklusionsarbeiter unter geschilderten Verhältnisse eben nicht hat. Wohl aber genieße der Wissenschafter, insbesondere der Soziologe ausreichend institutionelle Freiheit um zu wissenschaftlichen „Wahrheiten über die soziale Welt“ zu gelangen (BOURDIEU. 1998c: 51). Er gelange, so BOURDIEU, dadurch zu Wissen um das nach ganz bestimmten Regeln ablaufende Spiel „Arbeitsmarktpolitik“ bzw. „Arbeitsmarktintegration“. In der Folge käme er zur Erkenntnis, dass die sozialen Akteure dieses Feldes (wie Inklusionsarbeiter, Arbeitslose, Maßnahmenteilnehmer, AMS) aufgrund ihrer jeweiligen – hochgradig ungleichen - Ausstattung mit der für dieses Feld typischen Kapitalkonstellation (Prädisposition, Habitus) mehr oder weniger unbewusst und unreflektiert diese Regeln anerkennen.
Bleibt „nur“ die Frage: Wie soll mit diesem reflexiven Wissen sowie Bewusstsein in praxi umgegangen werden? Die Zukunft der sozialen Inklusionsarbeit generell bzw. auf dem arbeitsmarktpolitischen Feld im Speziellen hängt letztlich entscheidend von den konkreten gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen ab. Zwar dominiert derzeit die politisch-ökonomische Ideologie des „Neoliberalismus“ unbestreitbar dieses Feld, letztlich hängt es aber immer von den handelnden Subjekten, deren Institutionen und Gruppierungen ab, inwieweit diese dem Sog der Ökonomisierung folgen. Diesbezüglich vertritt ein Teil der Theoretiker die Auffassung, dies hänge davon ob, inwieweit die auf dem Feld aktiven Inklusionsarbeiter ihre originären fachlichen Ressourcen, Erkenntnis und Handlungsspielräume nutzen: „Sich (wieder) auf die Bedeutung und Notwendigkeit sozialer Bewegung(en) als Form(en) gemeinsamen Handelns der ‚assoziierten‘ Individuen zu besinnen, wäre eine (Rück-)Besinnung auf ein, wenn man so will, ‚politisches Mandat‘ Sozialer Arbeit; es hieße, die eigene Person und damit auch die eigene berufliche Tätigkeit politisch zu verstehen. Politik in diesem Verständnis als kollektives wie individuelles Handeln in der Öffentlichkeit (auf der ‚Straße‘) hat das gemeinschaftliche, möglichst ‚gute‘, ‚gelingende‘ Leben in der Polis, heute: im zunehmend globalisierten Gemeinwesen zum Gegenstand und Ziel“ (SORG. 2000: 72).
Die sich daran knüpfende Frage, inwieweit ein derartiger „intelligenter Widerstand“ (ebd.) angesichts der realen Machtverhältnisse letztlich nicht eine erneute „illusio“, mit allen transintentionalen Folgen, darstellt, muss hier unbeantwortet bleiben, die diesbezügliche Gefahr dürfte jedoch mehr als evident sein. Entsprechend konstatiert auch SCHERR (2001: 109) unter Bezugnahme auf den Diskurs um ein politisches Mandat der Sozialen Arbeit die Notwendigkeit einer „Desillusionierung überzogener Erwartung“, vor allem hinsichtlich des Anspruches, Soziale Arbeit könne eine mögliche Gegeninstanz zum neoliberalen Umbau der Gesellschaft darstellen. „Entgegen einer gleichermaßen moralisch wie politisch selbstgefälligen Größenfantasie“ habe die Politik selbst die Soziale Arbeit, vor allem auch auf dem gegenständlichen Feld der Arbeitsmarktintegration, „auf ihre höchst begrenzten Möglichkeiten zurückgestutzt“ (MERTEN. 2001: 97).
Angesichts der geschilderten Dilemmata und des normativen Anspruchs Sozialer Arbeit, scheint es für die Inklusionsarbeit in arbeitsmarktintegrativen Maßnahmen bzw. deren Exponenten natürlich verlockend, sich trotzdem ein entsprechendes „politisches Mandat“ im Sinne einer gesellschaftskritischen Politisierung hin zur Veränderung der Grundstrukturen kapitalistischer Ökonomie zuzuschreiben bzw. - nach Lesart MERTENS (2001) - anzumaßen. BOURDIEU (1983) plädiert in diesem Zusammenhang wiederum für einen „theoretisch begründeten Utopismus“, der seiner Meinung nach gegenwärtig wahrscheinlich am meisten fehle: „Gegen den Fatalismus der Bankiers, die uns einreden, die Welt könne nicht anders sein, als sie ist müssen sich die Intellektuellen und all jene, die sich ernsthaft um das Glück der Menschheit sorgen, für ein wissenschaftlich untermauertes utopisches Denken stark machen [….] und „.gemeinsam [….] an Analysen arbeiten, mit deren Hilfe realistische Projekte und Aktionen in Angriff genommen werden können, abgestimmt auf die Prozesse einer Ordnung, die sie verändern wollen.“ (BOURDIEU. 1998f: 3).
Kraft des wissenschaftlich (soziologisch) generierten Wissens um das Spiel bzw. Feld der Arbeitsmarktpolitik und der in Form der, gegenwärtige Machtkonstellationen spiegelnden, Integrationsmaßnahmen, die soziale Ungleichheit letztlich weiter reproduzieren, lassen sich den sozialen Akteuren dieses Feldes entsprechende Erkenntnisse einer Sozialarbeitswissenschaft übermitteln. Unzweifelhaft wäre dies ein Beitrag, dass die unter diesen scheinbar unverrückbaren, für das Individuum letztlich destruktiven, Verhältnissen des Arbeitsmarktes und Erwerbssystems unmittelbar und mittelbar Leidenden erkennen, dass ihre individuelle Misere der Arbeitslosigkeit bzw. ihr Verfehlen arbeitsmarktbezogener Ziele letztlich vor allem gesellschaftliche, auf ungleicher Machtverteilung fußende, Ursachen hat.
Die Frage, ob sich auf dem Feld der arbeitsmarktpolitischen Integrationsarbeit die Profession der „Sozialen Arbeit“ – zumal angesichts der Kämpfe um einflussreiche Positionen mit weiteren auf das Feld drängende Professionen mit höherer Affinität zum Ökonomischen - weiter wird halten können bzw. zu welchem Preis, muss hier jedoch offen bleiben. Diese Form Sozialer Arbeit unterliegt unter zunehmender neoliberaler Infragestellung jedenfalls immer restriktiveren Legitimationsdruck. Ob und in welchem Umfang sie mit darauf beziehende System- und Politikkritik reagieren wird (bzw. kann), ist an dieser Stelle ebenfalls nicht zu beantworten. Beobachtbare Tendenzen weisen mehr in Richtung sozialtechnischen Sozialstaatsumbau.
Legt man den Anspruch des „systemischen Paradigmas sozialer Arbeit“ (STAUB-BERNASCONI. 1998; ENGELKE. 1998) demzufolge der Anspruch Professionalität Sozialer Arbeit darin besteht, „sich aufgrund wissenschaftlicher und berufsethischer Basis ein eigenes Bild der Problemsituation zu machen und – davon ausgehend – einen selbstbestimmten Auftrag zu formulieren, der sowohl die Sichtweisen und Interessen der Problembetroffenen als auch diejenigen der (in)direkten Auftraggeber des Sozialwesens mitberücksichtigt“ (STAUB-BERNASCONI. 2002b) , kann man mit Fug und Recht von einer wahren „Zerreißprobe“ der Sozialen Integrationsarbeit auf dem arbeitsmarktpolitischen Feld sprechen. Legt man zusätzlich den, durch das UNO-Manual über Soziale Arbeit und Menschenrechte erweiterten, „Berufskodex Sozialer Arbeit“ (1994) als Maß an, wonach „der Dienst gegenüber den Menschen höher (steht) als die Loyalität zur Organisation“ (ebd. zit. In: STAUB-BERNASCONI. 2002b: 10) scheint das „Überleben“ der Sozialarbeit auf dem gegenständlichen Berufsfeld, nimmt sie diese Prämisse ernst, auch unter diesem Aspekt äußerst prekär.
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