Integrationsmaßnahmen auf dem „freien Markt der Anbieter“
Seit in Österreich per 1.9.2002 das „Bundesvergabegesetz“ (BVergG) auch auf die seitens des AMS ausgeschriebenen arbeitsmarktintegrativen Maßnahmen angelegt wird (vgl. AMS Geschäftsbericht 2002: 29), kommt es zwischen den Anbietern zu einem regelrechten Preiskampf, da letztlich in der Regel der jeweilige „Bestbieter“ (im Sinne von „Billigstbieter“) den Zuschlag erhält. Dies zeitigt teilweise fatale Auswirkungen auf die Qualität der Maßnahmen.24 Indem sich die politischen Instanzen entschieden, das Vergabegesetz auch auf den (Erwachsenen-)Bildungssektor auszudehnen, wiewohl die entsprechenden EU-Richtlinie diesen verschärften Wettbewerb auf dem Bildungssektor nicht vorsehen, befindet sich Österreich EU-weit in einer einzigartigen Situation. Verstärkt werden die damit verbundenen Effekte durch den Trend zur Verlagerung von eher kompakten - auf spezielle Zielgruppen abgestimmten (im Sinne eines möglichst diversifizierten Angebots), betreuungsintensiven, qualitativ ausgerichteten, kleinen und somit scheinbar „teureren“ - Maßnahmen hin zu allgemeinen, pauschalen und vordergründig „billigeren“ Aktivierungs- und Orientierungsmaßnahmen. Diese Tendenz ist nicht zuletzt der bereits erwähnten „Sparpolitik“ der Arbeitsmarktverwaltung geschuldet, die sich in einer relativen Nivellierung des Angebotes bzw. der Rücknahme einer bereits vorhanden gewesenen Ausdifferenzierung auf mehr oder minder einen Kurstyp mit einigen wenigen Variablen (kurzfristige Jugendmaßnahmen und speziellere Varianten für Ältere) niederschlägt.
Der in der Folge einsetzende Preiswettbewerb hat viele der ambitionierten kleineren Maßnahme buchstäblich „aus dem Feld“ geworfen, zumal deren qualitative Inhalte seitens der ausschreibenden Stelle nicht annähernd adäquat im Verhältnis zum Preis gewichtet wurden bzw. bisher erbrachte und bewährte qualitative und auch vermittlungsbezogene Leistungen mittels des Arguments der „Wettbewerbsverzerrung“ zu Gunsten neuer, günstigerer Anbieter zunehmend irrelevant wurden. Statt der früher mit der Arbeitsmarktverwaltung abgeschlossenen „Förderverträge“ agieren die Maßnahmenträger nunmehr auf Werksvertragsbasis mit der damit verbundenen Implikation der Erbringung der definierten Ziele (Vermittlungsquote), egal, wie diese erreicht werden. Bei vielen der befragten Trainer und Sozialarbeiter verstärkt sich der Eindruck, der Arbeitsmarktvermittlung ginge es in Fällen, wo eine Arbeitsmarktintegration der von ihr (wiederholt) zugewiesenen Teilnehmer tendenziell eher unerreichbar scheint, eher um eine preisgünstige „Verwahrung“ jener Arbeitslosen als um eine qualitativ hochwertige und somit längerfristig und kooperativ anzulegende personenbezogene Bearbeitung individueller Folgen bzw. struktureller Hintergründe der Arbeitslosigkeit.
Statt der Einräumung bzw. Umsetzung des Rechtes auf möglichst sinnvolle Qualifizierung heißt die Devise jetzt offenbar: die (Langzeit-)Arbeitslosen aus der - vermeintlichen und womöglich gar nicht stattfindenden - Isolierung herausholen. Die Teilnehmer werden so frustriert und erleben die Wochen durchwegs quälend im Sinne von Zeittotschlagen, vor allem im Zusammenhang mit einer wahren Inflation an Bewerbungstrainings zur „Erhöhung der Bewerbungskompetenz“ - ohne Erhebung, ob diese eventuell bereits vorhanden sei. Immer öfter sind „Trainer“, so auch die Erfahrung des Verfassers, mit Teilnehmern konfrontiert, die bereits zum wiederholten Male ein „Bewerbungstraining“ durchlaufen, und nur allzu oft beschränkt sich das „Training“ auf moralische Appelle, Aufmunterungsparolen, Tipps, angelernte Phrasen, zum Teil basierend auf „NLP-Techniken“, und unkritische Anwendung von Techniken des „positiven Denkens“. Es stellt sich die Frage, ob Wettbewerb in einem entsprechend sensiblen, gemeinwohlorientierten Maßnahmenumfeld wirklich das richtige Ziel ist. Die „Nacharbeit“ bleibt der Gesellschaft bzw. dem Staat, wobei bereits bestanden habende bzw. noch bestehende Strukturen weiter zerstört werden.
An dieser Stelle sind wiederum die beiden Referenzprojekte aufzugreifen und zwar hinsichtlich ihrer jeweils sehr unterschiedlichen Rekrutierungspolitik bezüglich Teilnehmer, da sich darin auch die zuletzt angesprochenen Trends widerspiegeln.
Selektion, Stigmatisierung, Exklusion durch Maßnahmeninklusion
Die Rekrutierung der Teilnehmer des Referenzprojekts A erfolgt im Rahmen eines sehr ausdifferenzierten, selektiven, mehrstufigen Auswahlverfahrens hinsichtlich Zielgruppenzugehörigkeit, Gruppenzusammensetzung, Motivation und prognostizierbarer Vermittelbarkeit und erfordert enges Zusammenwirken von Fördergebern (AMS, Bundessozialamt), Maßnahmenträgern und Inklusionsarbeitern.
Die Ausschreibung der Ausbildungsplätze erfolgt über das AMS. Potentielle Teilnehmer bewerben sich zuerst schriftlich bzw. werden vom AMS-Berater dazu veranlasst, worauf nach Vorselektion seitens der Projektleitung (zugleich eine der Sozialarbeiterinnen) hinsichtlich Zielgruppenrelevanz ein erstes „Aufnahmegespräch“ zur Abklärung der „Behinderung“ und des gewünschten bzw. möglichen Qualifizierungsfeldes stattfindet. Nach erfolgreichem Erstgespräch erfolgt ein einwöchiges Praktikum im gewünschten Arbeitsbereich, wobei sich auch vor allem die Fachausbildner ein Bild über die Eignungsvoraussetzungen machen können. Darauf folgt eine ausführliche lebens- und berufsbiografische Sozialanamnese. Im Anschluss daran finden eine psychologische sowie eine medizinische Begutachtung zur Abklärung der Eignung des Bewerbers statt. Auf Grund der so gesammelten Daten erfolgt gemeinsam mit Projektleitung, Fachausbildner und einem Vertreter des Bundessozialamts und des Landes (als Subventionsgeber) die vorläufig endgültige Auswahl. Nach erfolgter Selektion muss jedoch seitens der Teilnehmer eine neuerliche Hürde in Form einer zweimonatigen Arbeitserprobung, während dieser seitens des AMS eine Beihilfe zur Deckung des Lebensunterhaltes in Höhe des zuletzt bezogenen Arbeitslosengeldes bzw. der Notstandshilfe gewährt wird, überwunden werden. Erst anschließend werden die geeigneten Personen nach Abklärung in Form einer gemeinsamen Besprechung mit den Subventionsgebern in ein, mit 10 Monaten befristetes Dienstverhältnis zu einem monatlichen Bruttolohn von € 870,-- (bzw. € 730,-- im Falle eines zum Zeitpunkt der Übernahme unter 18 Jahren liegenden Lebensalters) übernommen.
Die Rekrutierung der Teilnehmer des Referenzprojekts B erfolgt ausschließlich durch das AMS und zwar in der Regel ohne aktive Einbindung der potentiellen Teilnehmer im Vorfeld; diese werden sozusagen durch „Zuweisung“ in Form eines (offensichtlich standardisierten) Schreibens „zwangsbeglückt“. Dieses sei, ob seiner durch Inhalt, Form und Stil die mangelnde Wertschätzung und diesbezügliche Grundhaltung einigermaßen „entlarvenden“ Symbolik, hier wörtlich wiedergegeben (eigene Hervorhebungen):
„Sehr geehrter Herr T.; Das Arbeitsmarktservice hat Sie für o.g. Kursmaßnahme (Qualifizierungs- und Vermittlungsunterstützung) vorgeschlagen. Bitte kommen Sie daher am … pünklich (sic!) um 8:00 Uhr zum Kursort: (….). Aufgrund der Dauer Ihrer Vormerkung beim Arbeitsmarktservice sowie aufgrund des Umstandes, das (sic!) ihre (sic!) persönlichen Kenntisse (sic!) und Fähigkeiten zur Vermittlung am Arbeitsmarkt nicht ausreichen, ist die Teilnahme an der oben angeführten Kursmaßnahme des Arbeitsmarktservice zur Beendigung Ihres Beschäftigungsproblems erforderlich. Die Teilnahme an allen Einzelmodulen dieser Maßnahme (Clearing, Berufsorientierung, Qualifizierungsphase, Aktivierung und Bewerbungstrining (sic!) ist verbindlich. Die Nichtteilnahme oder die Vereitelung eines positiven Kursabschlusses durch nicht entschuldigte Fehlzeiten oder eignen (sic!) Fehlverhalten (sic!), dass zu einem Kursauschluß (sic!) führt, zieht einen Anspruchsverlust gemäß § 10 ALVG für die Dauer von 6 oder 8 Wochen nach sich. Wenn sie (sic!) keinen Leistungsanspruch haben, wird ihre (sic!) Vormerkung beim Arbeitsmarktservice beendet. Mit freundlichen Grüßen …“
Dieses Schreiben ist einerseits charakterisiert durch Abwertung und Unterstellung (Mangel an „persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten“), Zuschreibung der Ursache des strukturellen Problems „Arbeitslosigkeit“ und damit Individualisierung („Ihr Beschäftigungsproblem“) sowie anderseits durch mit Drohungen (Anspruchsverlust) verbundenem Zwangscharakter. Herr T. wurde mittels dieses Schreibens drei Wochen vor Maßnahmenbeginn ohne vorausgehende Information bzw. ohne irgendwelche Hinweise anlässlich seiner persönlichen „Beratungsgespräche“ auf die seitens des AMS „vorgeschlagene“ Zuweisung zu dieser Maßnahme in Kenntnis gesetzt. Herr T. ist Ende Fünfzig, verfügt über eine zertifizierte höhere (technische) Grund-Berufsausbildung mit entsprechendem Abschlussgrad und kann auf eine überdurchschnittliche berufliche Karriere zurückblicken. Er war über Jahrzehnte in leitenden Positionen bzw. auf der „oberen Führungsebene“ in international agierenden Konzernen tätig, viele Jahre davon im Ausland, ehe er auf Grund der hier als bekannt vorausgesetzten „Dynamik“ des Arbeitsmarktes infolge personeller Einsparungen, vor allem wegen seines nunmehr fortgeschrittenen Alters vor einiger Zeit „freigesetzt wurde“. Trotz unzähliger Versuche und auch seiner deklarierten Bereitschaft zur Zurückschraubung seiner beruflichen und finanziellen Ambitionen fand er keinen Dienstgeber.
Die über einige Monate hinweg befragten Teilnehmer fühlten sich nahezu ohne Ausnahme auf Grund der Art der Art und Weise der Zuweisung und der damit verbundenen pauschalen Unterstellung bzw. Zuschreibung der Selbstverschuldung ihrer Lage mangels persönlicher Fähigkeiten und Kenntnisse massiv abgewertet, entwürdigt und stigmatisiert und auf Grund der oft als uninteressant empfundenen Lern- und Arbeitsinhalte der Maßnahmenmodule eher verhöhnt und weiter abgewertet als unterstützt. Dies betrifft in erster Linie das immer wiederkehrende „Bewerbungstraining“ und die vielen „Leerläufe“. Etliche Teilnehmer betonten, derartige Maßnahmen mit den gleichen Inhalten bereits zum wiederholten Male (unter den Befragten war das bis zu sieben Mal der Fall), teilweise in derselben Einrichtung, durchlaufen zu haben. Das Interaktionsverhältnis zwischen Trainer und Teilnehmern ist dabei von vornherein zunehmend von (gegenseitigem) Misstrauen und Unterstellungen geprägt. Diese und ähnlich strukturierte Maßnahmen scheinen in der Folge die potentielle Erfahrung des Tätigseins zu untergraben und letztlich zu massivem Motivationsrückgang zu führen (vgl. GALUSKE 1993; STAUBER/WALTHER. 2001: 17).
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