Popularmusiker in der provinz


) Die massenmediale Darstellung popularmusikalischer Inhalte ist weitestgehend ohne Entsprechung in der Basis popularmusikalischer Praxis



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1) Die massenmediale Darstellung popularmusikalischer Inhalte ist weitestgehend ohne Entsprechung in der Basis popularmusikalischer Praxis.
2) Die untersuchte MusikerInnengruppe bleibt in der Mehrzahl einem mehr konsumtiven Verhalten gegenüber den Massenmedien verhaftet.
Zumindest 1) stünde in Entsprechung zu der in “Exkurs 2)” aus Kap. I) abgeleiteten Behauptung, gemäß welcher zwischen der “Welt der professionellen Popularmusik” und der “Welt” der in dieser Arbeit interessierenden Akteure allenfalls zu vernachlässigende Überschneidungen bzw. Berührungspunkte existieren. Nicht zuletzt ist massenmediale Präsentation von Popularmusik im wesentlichen den Erzeugnissen der “Welt der professionellen Popularmusik” vorbehalten - ein Umstand, dem nicht zuletzt einschlägige Aktivitäten der Popularmusikverwerter sowie ihrer Interessenverbände gelten.
Über die persönlichen Möglichkeiten als Rock-/Pop-/Jazz-“Profi” : Für einige ältere Interviewte (Beat, Spaß I./II. ; siehe auch “Vorstudie 81/82”) war für den Ausstieg aus einer “Szene” 339 der Umstand von Bedeutung dass sie unter den dort vorhandenen Bedingungen nicht Musik nach ihrem Geschmack hatten spielen können. Daneben dürften selbstverständlich auch bestimmte persönliche Gründe die jeweiligen Entscheidungen beeinflusst haben (Beat, Spaß II.). Nur in einem ähnlich kompromissbehaftetem Licht konnte sich auch Pharma eine professionelle Popularmusiker-Laufbahn überhaupt vorstellen (Pharma).

Die meisten “Vorstudien”-MusikerInnen äußern sich hinsichtlich ihrer persönlichen Möglichkeiten eher zurückhaltend. Allerdings kann das u.U. damit in Verbindung gebracht werden, dass hier die Interviews in Form von Gruppengesprächen geführt wurden und bei der Mehrzahl der Interviewten wohl auch deswegen der Tenor deutlich zu vernehmen war, man wolle es erst mal zusammen mit der Combo versuchen, weil man dadurch in der Interviewsituation möglicherweise gegenüber der Gruppe einer gewissen Loyalitätspflicht nachkommen konnte bzw. meinte, nachkommen zu müssen.

Aus einigen Antworten auf Fragen, die die individuellen handwerklichen Fertigkeiten der MusikerInnen betrafen, ist allerdings recht deutlich Selbstüberschätzung (New-wave), aber auch “sich-um-eine-konkrete-Antwort-herum-drücken” herauszuhören (Funk-rock ; Deutsch-rock).

Anscheinend sahen die MusikerInnen in Fragen nach den persönlichen Möglichkeiten vor dem Hintergrund ihrer individuellen musikalisch/ handwerklichen Fertigkeiten sogar eine Art wunden Punkt berührt. Ein Tabu vielleicht - dergestalt etwa, dass man mit der gemeinsamen Combo bestimmte höhere popularmusikalische Weihen anstrebte bzw. zum Zeitpunkt des Interviews bereits in gewisser Weise erreicht hatte und u.U. deswegen die Frage nach individuellen musikalisch/handwerklichen Fertigkeiten als irgendwie unerheblich betrachtet wurde (New-wave).

Denkbar ist auch, dass die jeweiligen Musikerselbstwertgefühle eher durch den Umstand gemeinsam angestrebter höherer Bestimmung eine gewisse Stützung erfuhren als durch tatsächliches Können (Funk-rock, Deutsch-rock). Entsprechenden Fragen dürfte dann als Enttarnungs- bzw. Bloßstellungsversuchen begegnet und ausgewichen worden sein, um nicht als jemand dastehen zu müssen, der zwar hochtrabende Pläne verfolgt, aber “der es eigentlich doch nicht so richtig bedienen kann” - und der auf diese Weise sein Gesicht verlieren könnte.

Mit einer Gruppe der “Vorstudie 81/82” (New-wave) musste seinerzeit das Interview wiederholt werden, da es während des ersten Interviewtermins im Zusammenhang von Fragen nach dem musikalisch/handwerklichen Bereich zu einem Streit zwischen Mitgliedern der betreffenden Musikgruppe und den Interviewern gekommen war. Lederjacke, seinerzeit Mitglied in der genannten Combo, weist ca. 15 Jahre später auf den Umstand hin, dass damals unter den Gruppenmitgliedern eine Art “Paranoia” geherrscht habe gegenüber Anfeindungen aus der “Szene”, die das objektiv schlechte handwerkliche Niveau - so bezeichnet Lederjacke diesen Sachverhalt inzwischen selber (Lederjacke II.) - seiner Band betroffen hätten. Nicht zuletzt hatte das Ensemble damals gerade als einzige Osnabrücker Rockgruppe einen Vertrag mit einer großen Schallplattenfirma abgeschlossen. Harley, der mit Lederjacke in derselben Combo gespielt hatte, berichtet darüber, welche Probleme im musikalisch/handwerklichen Bereich ihm aus dem Umstand erwachsen seien, dass eine stilistische Umstellung seiner Gruppe von ihm eine andere Art zu singen verlangt hätte.

Andererseits sieht Spaß, einer der älteren Interviewten, seine professionellen Möglichkeiten vor dem Hintergrund seines Autodidaktentums sowie des Umstandes, dass es - abgesehen von der durch seine beruflichen Verpflichtungen meistens knappen Zeit - in der Anfangsphase seiner popularmusikalischen Tätigkeit an entsprechenden Unterweisungsangeboten gefehlt habe (Spaß I./II.).

Hinsichtlich ihrer musikalisch/handwerklichen Fertigkeiten scheinen einige der in der “Vorstudie 81/82” zu Worte kommenden eher eine Art Verdrängungstaktik zu betreiben - als wären ihnen Defizite auf diesem Gebiet bzw. eine Benennung derselben irgendwie peinlich (Deutsch-rock). Dies kann auf die - bereits oben angesprochene - Interviewsituation (Gruppengespräche) zurückgeführt werden, aber auch auf eine zeitweilige Musikmode bzw. -ideologie, gemäß der zu Beginn der 1980-er Jahre Innovationen im Bereich der Popularmusik eher von Musikern mit handwerklich defizitärem Niveau ausgingen (Harley, Stichwort: “Geniale Dilettanten” - vergl. Stark/Kurzawa) 340.

Bei anderen Interviewten - Pharma oder Hobby - die für sich selber professionelle Ambitionen im Popularmusikbereich dezidiert ausgeschlossen hatten, scheint gegenüber dem handwerklichen Aspekt dann auch eine mehr lockere Einstellung auf (Hobby, Pharma, Gala).

Einige “jüngere” Interviewte, die hinsichtlich einer Karriere als professioneller Popularmusiker gewisse Ambitionen verfolgten (Lehrer, Paradiddle), nutzten recht konsequent mittlerweile regional und überregional bestehende popularmusikbezogene Lehrangebote und Ensemblespielmöglichkeiten, um sich künstlerisch weiterzuentwickeln (Lehrer), um Erfahrungen zu sammeln und um sich ein wenig profilieren zu können (Lehrer, Paradiddle). Insbesondere Lehrer scheint aber das mit dem Schritt ins professionelle Lager verbundene Risiko hauptsächlich aus der Angst zu scheuen, in Armut leben zu müssen - wie einige seiner ehemaligen Gitarrenlehrer. Hier ist der Schritt in eine professionelle Laufbahn zunächst nur die Entscheidung zu einer Lebensplanung, die es ermöglicht, jederzeit abkömmlich für eventuell sich bietende Arbeitsmöglichkeiten in einem professionellen popularmusikalischen Umfeld zu sein.

In den Interviews Lederjacke I./II. und Harley - auch Paradiddle - finden sich entsprechende Statements, gemäß denen die Akteure auch bereit wären, Nebentätigkeiten auszuführen, um den Lebensunterhalt sicherzustellen bzw. die Zeit bis zur nächsten Tournee/Schallplattenaufnahme oder Ähnlichem zu überbrücken. Lederjackes Laufbahn ist darüber hinaus von starker Diversifikation seiner Fertigkeiten/Fähigkeiten im Rahmen seiner popularmusikalischen Tätigkeit gekennzeichnet : Außer als Bassist betätigte er sich zeitweise noch als Produzent, als Studiobetreiber sowie als Label- und Verlagsinhaber.

Ein Beispielfall aus dem Kollegenkreis von Spaß aus Zeiten seiner Mitwirkung in der lokalen “progressiven Rockmusik” Szene am Ende der 1960-er Jahre und ein neueres Beispiel aus teilnehmender Beobachtung 341 zeigen, dass man anscheinend die besten Möglichkeiten zur Erlangung des Status eines - kreativen - Jazz-/Rock-/Pop-Profis gerade dann hat, wenn man sich dabei vor dem Hintergrund einer von Hause aus gesicherten Einkommenslage bewegen kann. Ähnliches dürfte z.B. auch für den lokalen Musikproduzenten gelten, der sich zunächst der Gruppe New-wave angenommern hatte.


c) Wie ist die konkrete Abwicklung der musikalischen Tätigkeit?

Das Problem von “Stilbildung und Erfolg” : Das besagte Problem stellt sich aufgrund der Interviewstatements in durchaus vielschichtiger Weise dar. So kann und wird Stilbildung einerseits auf den persönlichen Instrumentalstil bezogen, andererseits aber auch auf den jeweiligen Gruppenstil.

Ebenso findet sich “Erfolg” - im Hinblick auf “Stilbildung” - in recht unterschiedlichen Bezügen.



Spaß, einer der älteren Interviewten - auf seinem Instrument, dem Schlagzeug, ein Autodidakt -, interpretierte entsprechende Fragen nahezu ausschließlich im Hinblick auf die Entwicklung seines persönlichen Instrumentalspieles. Zwar ist seinen Ausführungen zu entnehmen, dass es ihm nicht unwichtig ist, Musik gemäß seinen Präferenzen zu machen. Gelegentlich ist Spaß in diesem Zusammenhang aber auch zu gewissen Abstrichen bereit, um überhaupt Schlagzeug spielen zu können. Der Erfolg seiner im wesentlichen durch Abgucken von anderen Musikern und Abhören von Schallplatten bewerkstelligten Stilbildungsschritte zeigte sich für Spaß in der diesbezüglichen Resonanz seiner Mitspieler. Spaß wurde so zu einem durchaus in der lokalen “Szene” anerkannten Drummer, was ihm z.B. Ende der 1960-er Jahre auch den “Cross-over” ins örtliche “progressive Rockmusik”-Lager ermöglichte.

Beat, nicht viel älter als Spaß, sieht demgegenüber in “Stilbildung” mehr eine Art gruppeninternen Prozess, in dessen Verlauf in einer Combo vorkommende Personalstile - eher -fertigkeiten - zu einem homogenen musikalischen Gruppenstil verschmolzen wurden, welcher gut beim Publikum ankommen sollte.

In ähnlicher Weise erklärt sich auch Hobby, einer der jüngeren Interviewten. Für spätere Phasen seiner popularmusikalischen Tätigkeit machte Hobby jedoch auch geltend, dass die gewählte Stilistik mehr oder weniger direkt vom jeweiligen Spielort abhängig sein konnte. Die Band passte ihr Repertoire den Erwartungen des vorhandenen Publikums an, und baute ggf. Cover-Versionen in das aktuelle Programm ein, um den Erfolg der Veranstaltung sicherzustellen 342.

Für Harley schien der Erfolg seiner Stilbildung als Instrumentalist, Sänger und Texter zunächst dann gegeben zu sein, wenn er sich durch die Ergebnisse in gewisser Weise in Entsprechung zu von ihm präferierter Popularmusik bringen konnte.

Für Paradiddle lief Stilbildung anfänglich hinaus auf eine Abgrenzung gegenüber anderen derzeit aktiven lokalen Combos. Gemäss Paradiddles Auffassung wurde der Erfolg dieser Stilbildung zwar vom Publikum anscheinend durchaus als gegeben betrachtet. Er selbst kann jedoch nicht konkret benennen, hinsichtlich welcher Aspekte sich der Stil seiner damaligen Combo von demjenigen bestimmter anderer lokaler Musikgruppen bzw. von Vorgaben seinerzeit aktueller massenmedial vermittelter Musikmoden unterschieden hatte.


Für einige an der “Vorstudie 81/82” beteiligte Combos (Deutsch-rock, Funk-rock) ergab sich Stilbildung in den Anfangsphasen ihrer Musikgruppenexistenz nicht selten aus dem Verlauf gruppeninterner Ausdiskussion, aber auch aus dem Ausprobieren der jeweiligen musikstilistischen Vorlieben und Standpunkte der einzelnen Gruppenmitglieder, bis ein Ergebnis in Form eines allgemein in der Gruppe akzeptierten Kompromisses gefunden werden konnte. Eine Art “Geschmacksmittelwert” also, dessen zeitliche Stabilität mitunter durchaus niedrig gewesen sein dürfte, zumal besagter Mittelwert nicht unbedingt von allen Gruppenmitgliedern über Zeit und grundsätzlich als gleichermaßen verbindlich betrachtet und wenigstens hin und wieder von einzelnen Comboangehörigen hinsichtlich einzelner Punkte neu diskutiert zu werden pflegte (“Vorstudie 81/82”/ Auswertung, teilnehmende Beobachtung).

Es wird an dieser Stelle die Interpretation festgehalten, dass bei untersuchten Musikgruppen Erfolg hinsichtlich einer bestimmten Stilbildung zunächst eher im - durchaus oft recht mühevollen Zustandebringen eines gruppeninternen Kompromisses zu sehen ist. Vor allem, wenn als Hintergrund für die gemeinsame musikalische Tätigkeit auch noch das unterschiedliche, manchmal defizitäre musikalisch/handwerkliche Niveau der einzelnen Combomitglieder mit zu berücksichtigen ist. Dieser Prozess ist vor der Schaffung künstlerisch bedeutsamer oder gar markttauglicher popularmusikalischer Artefakte zu durchlaufen - einmal dahingestellt, nach welchen Kriterien über die letzten beiden Items überhaupt entschieden werden sollte. Die beobachtete, teilweise sehr gute Publikumsresonanz der “Vorstudien”-Combos ließe sich in diesem Zusammenhang einmal vor dem Hintergrund des aktuellen Massenmedienbezuges der Ergebnisse besagter Stilfindungsprozesse sowie zum anderen durch zeitabhängige popularmusikalische Publikumsvorlieben erklären.

Einige professionell ambitionierte “jüngere” und ”mittlere” Interviewte betrachten es durchaus als erstrebenswert, es im Verlauf ihrer popularmusikalischen Tätigkeit zu einem eigenen Instrumentalstil zu bringen (Paradiddle).

Erfolg versprach man sich hierbei u.a. durch gewisse Lern- bzw. Übe-Exkursionen in andere als die selbst präferierten Musikstile oder -bereiche 343.


Die Transformation von der Spaß-/Freizeitaktivität zum “quasi-professionellen Verhalten” : Für Spaß vollzog sich der genannte Übergang vergleichsweise schnell, da er sehr früh Gelegenheit bekam, über seine Mitgliedschaft in einer lokalen Beat-Combo ins quasi-professionelle örtliche Tanzmusiklager einzusteigen. Diese Phase seiner popularmusikalischen Tätigkeit war für Spaß im wesentlichen geprägt durch folgende Umstände :

1) Dass er seine spieltechnischen Unzulänglichkeiten beizubehalten gezwungen war, da er - er befand sich zu dieser Zeit in einer Ausbildung zum Raumausstatter, die er im benachbarten Münster absolvierte - keine Zeit und Gelegenheit fand, diesen Defiziten Abhilfe zu schaffen.

2) Durch Routine bzw. musikalische Langeweile.

3) Durch teilweise missliebige Resonanz seitens der Kollegen auf Spaß´s gelegentliche “Trommel-Eskapaden” und -“Experimente”.

Insofern ist Spaß ein “Regress” auf weniger professionelle Musizierformen lieber, die ihm mehr Spielraum für spieltechnische und/oder musikalische Experimente erlauben.

Einen gewissen musikalischen Stillstand macht Paradiddle auch als Charakteristikum für seine popularmusikalische professionelle Tätigkeit bei der Osnabrücker ABM-Band geltend. Die Einrichtung war Mitte der 1980-er Jahre mit AB-Mitteln geschaffen worden, um arbeitslosen hiesigen Popularmusikern die Gelegenheit eines Broterwerbs durch professionelle musikalische Tätigkeit zu verschaffen. In dieser bunt zusammengewürfelten, auf den reinen Gebrauchswert der Tanzmusik reduzierten Band macht Paradiddle ferner die Erfahrung, dass beim Broterwerb durch Musik auch persönliches Konkurrenzverhalten der Musiker untereinander eine Rolle spielen kann. Diese Erfahrung desillusioniert ihn zunächst sehr in seinen professionellen Ambitionen.

Für Harley ist der hier diskutierte Transformationsprozess begleitet von der Aufgabe bestimmter “Accessoires”, die seine popularmusikalische Tätigkeit bislang im wesentlichen zum Zwecke gesteigerter Spaßgewinnung begleitet hatten, als da wären : Drogenkonsum während und anlässlich der musikalischen Tätigkeit sowie Spontaneität, da die gemeinsame popularmusikalische Tätigkeit im Zuge fortschreitender Professionalisierung inzwischen immer mehr dem Verdikt des Unterhaltungswertes und auch der Reproduzierbarkeit der Tätigkeitsergebnisse unterworfen wird.

Ebenso ändert sich für Harley der Vorgang des Komponierens, den er allmählich von einer gemeinsamen im Überaum und im Gruppenverband stattfindenden Tätigkeit zu einer von Einzelpersonen - termingerecht - quasi im stillen Kämmerlein durchzuführenden Verrichtung mutieren sieht. Auch bezieht Harley - bedingt durch Lederjackes zeitweilige Mentorentätigkeit - mit der Zeit immer mehr in der Popularmusik gebräuchliche, “tradierte” Spielmuster in seine musikalische Tätigkeit ein, für die er bislang kein besonderes Interesse gehabt hatte und die er demzufolge nach eigenen Angaben auch nicht besonders gut beherrschte.

Allerdings gibt Lederjacke an, durch die unorthodoxe Art von Harley und seinen damaligen Mitspielern seinerzeit quasi im Austausch selbst den einen oder anderen “Kick” erhalten zu haben.

Pharma, der, von Rheine nach Osnabrück übergesiedelt, hier Drummer in einer Blues-Band wird, kennzeichnet die gemeinsame Combopraxis als geprägt von musikalischen Spannungen zwischen den “Blues-Authentikern” in der Band und den “Unorthodoxen”, zu denen er sich selber zählt. Er gibt an, selber eigentlich ganz andere Musikpräferenzen zu haben. Im Hauptberuf ist Pharma zum Zeitpunkt des Interviews Vertreter für ein Krebsmedikament und keineswegs gewillt, für die Musik seinen Beruf aufzugeben. Als Pharmas Combo eine CD aufnimmt und mehr Auftritte macht, sieht Pharma - nicht nur bedingt durch seine beruflichen Verpflichtungen, sondern auch durch die beiden unterschiedlichen Lager in der Band - die Grenzen für das quasi-professionelle Verhalten.

Pharma insistiert in diesem Zusammenhang - kurioserweise - auch auf der musikalischen Kompromisslosigkeit der Band, obschon die Unterschiede in den Intentionen der einzelnen Combomitglieder - so Pharma - innerhalb der Band bislang noch nicht thematisiert worden waren. Pharma kann auch nicht konkret sagen, wie man die musikalische Kompromisslosigkeit der Combo beschreiben sollte.

Für Lehrer ergibt sich ein Transformationsproblem eher aus der seiner Meinung nach wirtschaftlich desolaten Situation einiger seiner ehemaligen - professionellen - Gitarrenlehrer sowie aus deren Tabuisierung dieses Themas.

Einen regelrechten Motivationsschub hinsichtlich der Verbesserung seiner eigenen instrumentaltechnischen Fertigkeiten erfährt Paradiddle im Zusammenhang der Zuteilung einer Fördermaßnahme für seine derzeitige Combo seitens der “LAG Jazz”/Niedersachsen (“Jazz-Podium”), die professionell ambitionierten Jazzmusikern zugute kommen soll. Wohl wegen der Abwicklung der Maßnahme kommt Paradiddle schließlich zu der Auffassung, die Förderung diene mehr den Förderern als den zu Fördernden. Obschon Paradiddle und die anderen Bandmitglieder sich durch die genannte Fördermaßnahme seitens “LAG-Jazz” als “Profis” ausgezeichnet und anerkannt fühlen konnten, sind zumindest Paradiddle und Lehrer - der der betreffenden Combo ebenfalls angehörte - von der Förderpraxis sehr enttäuscht.
Anders als einige der älteren Interviewten, die angaben eher zufällig ins professionelle Geschäft mit der Popularmusik hineingerutscht zu sein (Beat, Spaß) betrieben einige der “Vorstudien”-Combos die Transformation von der Spaß-/ Freizeitaktivität zum quasi-professionellen Verhalten zeitweilig durchaus aktiv, was mit gewissen Anstrengungen zusammenging, dem Musikgeschäft beizutreten. Dazu gehören sog. “Showcases” vor Angehörigen der Musik-Branche (Funk-rock), in Hoffnung auf sog. “Bandübernahmen” veröffentlichungsreifes Bandmaterial zu produzieren (Jazz-rock) und/oder das Einlassen mit einem lokalen Musikproduzenten mit daraus resultierender weiterer Aufnahmetätigkeit (Deutsch-rock). Dafür, inwieweit die Fehlschläge im Zusammenhang der genannten Aktivitäten zur letztendlichen Auflösung der betreffenden Musikgruppen geführt bzw. dazu einen nicht unwesentlichen, gewissermaßen katalytischen Beitrag geliefert haben könnten, finden sich zumindest in den Interviews keine erhärtenden Statements.
“Kognitive Dissonanz” - Wie sehen die “Erfolgsprognosen” aus, wie verändern sie sich ggf. mit der Zeit, wie sind die Reaktionen auf den Misserfolg der gewählten Konzepte ?/Der Aspekt der “sozialen Isolation” : In Festingers “Theo-rie der kognitiven Dissonanz” findet sich das Statement : “Es kommt gelegentlich vor, dass es einer großen Gruppe von Menschen gelingt, weiterhin an einer Überzeugung oder Meinung festzuhalten, obwohl fortwährend eindeutige Beweise für das Gegenteil sichtbar werden.” (Festinger 1978, S. 196)

In derselben Arbeit (ebd., S. 349 ff.) beschreibt Festinger das Verhalten einer religiösen Sekte gemäß der Prophezeiung des Weltunterganges für ein bestimmtes Datum : Als die Voraussage sich nicht bewahrheitet, wird dieser Umstand innerhalb der Sekte auf besonders gottesfürchtiges Verhalten zurückgeführt. Ein neuer Weltuntergangstermin wird vorausgesagt, auch in diesem Fall trifft die Prognose nicht zu. Die Sekte läuft schließlich auseinander 344.

Lange nicht bei allen der interviewten Musiker finden sich Statements, die sich im Hinblick auf ein Vorliegen einer “kognitiven Dissonanz” im Sinne von Festinger interpretieren ließen, bzw. Aussagen, aus denen entsprechende Schlüsse gezogen werden können.

Wenn Aussagen Interviewter hinsichtlich “kognitiver Dissonanz” interpretiert werden können, muss der Kontext auch nicht unbedingt eine nicht in Erfüllung gegangene Prognose sein :


1) So moniert Pharma die musikalische Kompromisslosigkeit seiner Combo, ohne diese konkret in der musikalischen Faktur benennen zu können. Andererseits gehört Pharma in seiner Blues-Band zum Lager der “Unorthodoxen” (s.o.), und es gibt gelegentliche Reibereien mit den “Orthodoxen” (Pharma), die wiederum den Anteil derjenigen Musiker der Gruppe stellen, die von der musikalischen Tätigkeit leben müssen.

Ihr Bemühen kollidiert bisweilen mit Pharmas anderweitigen beruflichen Verpflichtungen, womit die Möglichkeit für eine Dissonanz gegeben wäre, da Pharma selbst seine musikalische Tätigkeit als “schönes Freizeitvergnügen” betrachtet.

Es bleibt die Frage, ob Pharma in diesem Zusammenhang nicht dissonanz-auflösend tätig ist, indem er die möglicherweise aus seinem Schlagzeugspiel und seinen beruflichen Einbindungen für die gemeinsame musikalische Tätigkeit erwachsenden negativen Effekte - im Sinne der professionellen “orthodoxen” Fraktion - vor den Interviewern und wohl auch vor sich selber zu musikalischer Kompromisslosigkeit stilisiert.
Um enttäuschte Erwartungen - “Prognosen” im weitesten Sinne - geht es in den folgenden beiden Beispielen :
2) Paradiddle hat einschlägig schlechte Erfahrungen mit sog. Fördermaßnahmen im Popularmusikbereich gemacht, zunächst bei einer Aktion des DRMV (“Deutscher Rockmusikerverband”). Allerdings dürften die bei dem von dieser Organisation ausgerichteten Wettbewerb enttäuschten Erwartungen für Paradiddle nicht allzu groß gewesen sein : Die gemeinsame Combo gewinnt zumindest einen Sachpreis, obschon Paradiddle die dabei zur Anwendung gekommene Urteilsfindung für “getürkt” hält.

U.U. mag Paradiddle aus der gemachten Erfahrung den Schluss gezogen haben, dass es bei anderen Wettbewerben vielleicht seriöser zugeht. Immerhin beteiligt er sich später mit einer anderen Combo beim Niedersächsischen “Jazz-Podium”, einem von der “LAG-Jazz”/Niedersachsen ausgerichteten Wettbewerb, der professionellen Jazzmusikern zugute kommen soll. Paradiddle erlebt auch in diesem Zusammenhang eine Enttäuschung, für deren Zustandekommen aber auch die etwas laxe Einstellung von Paradiddles derzeitigen Bandkollegen verantwortlich gemacht werden kann.

Hinsichtlich der hier bei Paradiddle anscheinend entstehenden Dissonanz bietet er als Auflösung die Behauptung an, die Ausrichter der besagten Fördermaßnahme förderten mit der betreffenden Aktion eigentlich mehr sich selbst - eine Auffassung, die sich bei oberflächlicher Betrachtung der Förderzuweisungen als nicht unbedingt haltbar darstellt 345.
3) Harley steigt mit einer seiner ersten Combos sehr schnell in eine professionelle Laufbahn ein. Die in diesem Zusammenhang produzierte LP floppt. Die Karriere droht - nach anfänglichen Vorschußlorbeeren - zu scheitern. Zunächst versucht die Band gemeinsam mit Produzent und Schallplattenfirma die Karriere doch noch zu retten, indem man nach mehr oder weniger in Industriekreisen üblichem Muster eine Single produziert, die für die Hitparaden vorgesehen ist. Auch hierbei ergibt sich ein Fehlschlag.

Die sich damit möglicherweise einstellende Dissonanz löst Harley für sich zunächst dadurch auf, indem er sich nach dem “Exitus” seiner Combo mehreren Spaßprojekten widmet. Vor dem Hintergrund entsprechender derzeit aktueller massenmedialer popularmusikalischer Orientierungsmuster mit passendem “Appeal” auf Harley wird nach einiger Zeit ein neues, ernsthafteres Projekt ins Leben gerufen. Die Combo startete zunächst als sog. “Independent”-Band. Ob damit in der Absicht gehandelt wurde, einer derzeit gängigen Musikmode zu folgen, kann zumindest aufgrund der von Harley abgegebenen Statements nicht entschieden werden (vergl. Independent). Man produziert mehrere LP´s selbst, bekommt gute Resonanzen u.a. in einschlägigen Printmedien und wechselt schließlich zu einer großen Schallplattenfirma, nicht ohne inzwischen erneut gewisse Anleihen bei gerade aktuellen popularmusikbezogenen Massenmedientrends gemacht zu haben - ob nach eigenem Gutdünken mittels oben beschriebenen Musters oder ob mittlerweile in Erachtung gewisser kommerzieller Notwendigkeiten, kann auch hier nicht entschieden werden. Als sich das Desaster auch dieses Projektes abzuzeichnen beginnt, versucht man es noch mit anderen handwerklich auf einem höheren Standard spielenden Musikern, produziert gemeinsam eine letzte CD und bekommt sogar einige Fernsehauftritte. Dieses vermag die endgültige Auflösung der Combo allerdings nur mehr hinauszuschieben.

Bleibt abschließend die Frage, ob das Scheitern von Harleys Projekten nicht im wesentlichen auf sein wiederholtes, wenn auch auf sehr persönliche Weise bewerkstelligtes Adaptieren bestimmter, meist gängiger popularmusikbezogener Massenmedienmoden zurückgeführt werden kann. Diese “Moden” dürften durchaus Harleys “Naturell” und vielleicht auch seinem derzeitigen Lebensgefühl entsprochen haben. Es ist immerhin anzunehmen, dass von den Akteuren - zumindest von Harley - mit diesem Umstand möglicherweise überhöhte, wenn nicht sogar objektiv falsche Erwartungen hinsichtlich eines eventuellen Erfolges der gemeinsamen musikalischen Tätigkeit verknüpft worden waren.

Festinger (1978, S. 196 ff.) führt aus, wie “kognitive Dissonanz” und Verleugnung der Realität zusammengehen können und dass es Personen, die über eine bestimmte realitätsbezogene Dissonanz verfügen, mitunter gelingen kann, an dieser Dissonanz weiterhin festzuhalten, wenn sie sich mit anderen Personen zusammentun, bei denen dieselbe Dissonanz vorhanden ist (ebd., S. 198).

In Harleys Fall mag sich eine “kognitive Dissonanz” vielleicht bereits während der recht frühen Involvierung einer seiner ersten Musikgruppen in das professionelle Musikgeschäft ergeben haben, etwa der Art, dass er die - sehr unwahrscheinliche - Erwartung entwickelt haben dürfte, mit seiner Combo in der Musikbranche bald eine glänzende Karriere zu machen.

Aus Statements von Lederjacke, der ebenfalls in der besagten Kapelle mitwirkte, geht hervor, dass diese Erwartung seinerzeit von Harleys Musikgruppenkollegen im wesentlichen geteilt wurde (Lederjacke II). Aber auch, dass die betreffenden Akteure sich damals stark von der restlichen lokalen “Szene” isoliert hatten, aus der sich möglicherweise Beweise für das Gegenteil bzw. Gründe für die Annahme einer - objektiv - äußerst geringen Eintretenswahrscheinlichkeit für die “Karriere-Erwartungen” Harleys und seiner Kollegen im Festingerschen Sinne ergeben hätten (Lederjacke II., teilnehmende Beobachtung). Dieses Isolier-Verhalten kann als ein begünstigender Umstand für das gemeinsame Festhalten an der Dissonanz durch die betreffenden Musiker betrachtet werden.

Aus Festingers Ausführungen (Festinger 1978, S, 396 ff. ; vergl. Festinger/ Riecken/Schachter 1956), kann die Annahme abgeleitet werden, dass dissonante Kognitionen u.U. von einem “Guru” entweder geweckt bzw. angeregt oder zumindest zeitweilig genährt bzw. stabilisiert werden.

In Harleys Fall dürfte es solch einen “Guru” wenigstens in Gestalt des Musikproduzenten gegeben haben, der seinerzeit die Gruppe entdeckt und deren Karriere er zunächst auch selbst begleitet hatte (vergl. Lederjacke II.).


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