Kap.III) Lokale Bedingungen für eine musikalische Tätigkeit im Popularmusik-Bereich
Da zum Betrachtungsgegenstand dieser Untersuchung solche Musiker gewählt wurden, die sich in ihrem Genre um gewisse kreative Leistungen bemühen - sei es hinsichtlich des eigenen Instrumentalspiels, auf dem Gebiet der Komposition oder in Hinblick auf die Interpretation fremder Stücke -, soll einer ausführlicheren Betrachtung lokaler Ausprägungsformen der Traditionen der Hausmusik, der Tanzmusik und des Orchestermusikwesens nicht weiter nachgegangen werden. Ein mögliches Durchscheinen dieser Traditionen in der musikalischen Tätigkeit wenigstens einiger der interessierenden Personen war im Bereich der Berührung mit klassisch ausgerichteter “musikalischer Grundausbildung” im vorangegangenen Kapitel zumindest skizzenhaft dargestellt worden.
Zumindest die beiden letztgenannten musikalischen Traditionsbereiche widmen sich fast ausschließlich der Interpretation. Möglichst originalgetreue Wiedergabe gilt in zeitgemäßen Tanzmusikerkreisen z.T. als Zeichen besonders hoher Qualität bzw. Qualifikation. Der Status des Orchestermusikers rangiert andererseits in der Palette der bürgerlichen Berufe an durchaus angesehener Position. Eine gewisse Außenseiterrolle würde sich zumindest für die Orchestermusiker zwar aus der Komplementarität ihrer Arbeitszeiten ergeben, möglicherweise auch aus ihrem Selbstverständnis als Angehörige des “gehobenen Kulturbetriebes”. Eine vertiefende diesbezügliche Erörterung war jedoch nicht zum Gegenstand dieser Arbeit gewählt worden.
Orchester - sowie Tanzmusik, allerdings mit gewissen Einschränkungen (s.o.) - können auch als Bereiche professioneller Musikpraxis betrachtet werden, hinsichtlich derer in Osnabrück ebenfalls entsprechende Ausübungsmöglichkeiten vorhanden sind : Für Orchestermusik steht vor Ort ein subventioniertes Stadttheater mit Symphonie-Orchester zur Verfügung. Im Tanzmusikbereich gibt es im ländlichen Osnabrücker Umland eine Anzahl jährlich durchgeführter Zeltfest-Veranstaltungen sowie Wirte, die regelmäßig Tanzkapellen engagieren. Mit der Vermittlung von Tanzkapellen befassen sich in und um Osnabrück inzwischen mehrere Agenturen auf professioneller Ebene, z.T. kontinuierlich seit den 1960-er Jahren - so führen es zumindest Spaß und Beat aus.
Zwar formulierten zumindest die in der “Vorstudie 81/82” der Universität Osnabrück vorkommenden Musiker hinsichtlich ihrer musikalischen Tätigkeit durchaus ernstzunehmende professionelle Ansprüche und Ambitionen. Andererseits waren sie nicht in der Lage, mit ihrer Musik den Lebensunterhalt bzw. ein einigermaßen der Rede wertes Zubrot zu erwirtschaften. Wenn eine der seinerzeit beobachteten Musikgruppen 10-mal im Jahr auftreten konnte, so galt das als durchaus häufig, was auf gegenwärtige Verhältnisse einschränkungslos übertragen werden kann 196.
Demgegenüber waren jedoch mehrheitlich weder die in der “Vorstudie 81/82” vorkommenden Musiker noch die später Interviewten bereit, bei ihren künstlerischen Ansprüchen Abstriche z.B. zugunsten der gelegentlich recht lukrativen Mitwirkung in einer Tanzkapelle zu machen 197.
Im Folgenden sollen die spezifischen lokalen Bedingungen näher betrachtet werden, die den Rahmen für die interessierenden Musiker und ihre musikalische Tätigkeit liefern.
Annahmen über die Relevanz der genannten Aspekte ergaben sich zunächst - wie in Kap. II) - aus den Ergebnissen der “Vorstudie 81/82” sowie aus den zu der Vorstudie “nachgelegten” Interviews. Zur weiteren Vertiefung wurden Aussagen aus später durchgeführten Interviews, offizielle Quellen - lokale Printmedien, entsprechende wissenschaftliche Arbeiten, Vereinssatzungen, von den interessierenden Musikern selbst herausgegebene Publikation u.ä. - sowie Befunde aus eigener teilnehmender Beobachtung herangezogen.
1) Hinsichtlich des “Subkultur-Aspektes” ergab die “Vorstudie 81/82” zwar, dass die beobachteten Musikgruppen nicht bestimmten (jugend-)subkulturellen Stilen zugeordnet werden konnten bzw. ihre jeweiligen Mitglieder nicht an entsprechenden (jugendlichen) subkulturellen Gruppen teilnahmen. Die Literatursichtung zeigte jedoch, dass spezielle Ausprägungsformen - nicht unbedingt jugendlicher - Subkulturen hinsichtlich des Einstieges und/oder einer gewissen Dauer einer musikalischen Tätigkeit im Popularbereich begünstigende Rahmenbedingungen zur Verfügung stellen können. Insofern dient die folgende Vertiefung der Beantwortung der Frage, ob es in und um Osnabrück vergleichbare Ausprägungsformen - nicht notwendigerweise jugendlicher - Subkultur zumindest gegeben und ob deren Vorhandensein ggf. einen begünstigenden Effekt auf die in dieser Arbeit interessierende musikalische Tätigkeit bzw. für deren Ausübende hatte.
2) Die vertiefende Betrachtung des “Bohemien-Aspektes” steht vor dem Hintergrund der am Ende von Kap. II) formulierten “Hypothese II)”. Ausgangspunkt für die zur Aufstellung von “Hypothese II)” führende Argumentation waren Aussagen von MusikernInnen aus der “Vorstudie 81/82” gewesen, sie wollten ihre eigene Musik machen, sie strebten über ihre Musik “Spaßgewinn” und “Selbstverwirklichung” an sowie ihren Lebensunterhalt bestreiten dadurch zu können. Ebenso war das Aufscheinen des “l´art pour l´art”-Prinzipes bemerkt worden. Die Vertiefung des “Bohemien-Aspektes” dient der Beantwortung der Frage, ob die für die Existenz einer “musikalischen Bohéme” notwendigen Bedingungen in und um Osnabrück vorhanden sind.
3) Im Zusammenhang der Behandlung des “Technologie-Aspektes” ist zunächst von der - trivialen - Feststellung auszugehen, dass Popularmusik der Unterhaltung eines Massenpublikums dient und dass hierbei in der Regel bestimmte technische Hilfsmittel benötigt werden.
Zwar war in Kap. I) die Annahme formuliert und begründet worden, dass es sich bei der “Welt der professionellen Popularmusik” um einen ganz anderen Bereich handelt, als der es ist, in dem der in dieser Arbeit interessierenden Personenkreis agiert. Jedoch zeigten wenigstens die in der “Vorstudie 81/82” vorkommenden Musiker/Musikgruppen hinsichtlich der “technologischen Präsentation” ihrer Musik ein ähnliches Gebaren wie solche Künstler, die zur “Welt der professionellen Popularmusik” gehören.
Aus weiteren teilnehmenden Beobachtungen ergab sich, dass das beschriebene Prozedere der “Vorstudien”-Musiker kein Ausnahmeverhalten darstellte, so dass bei der Vertiefung des “Technologie-Aspektes” die Frage nach der Ausprägung und Verfügbarkeit der für die interessierende musikalische Tätigkeit erforderlichen “technologischen Rahmenbedingungen” gestellt wird.
4) Bei der Betrachtung des “Kulturpolitik-Aspektes” wird davon ausgegangen, dass im Verlauf der 1970-er Jahre Veränderungen im geistigen bzw. im kulturpolitischen Klima der BRD eingetreten waren, die auch die Popularmusik in günstiger Weise betrafen 198.
In diesem Zusammenhang war hinsichtlich der Musik zunächst besonders dem Jazz und dem Rock-/Popbereich anglo-amerikanischer Prägung Aufmerksamkeit gewidmet und bundesdeutschen Vertretern dieser Bereiche mit regionalem bzw. sogar nationalem Bekanntheitsgrad bisweilen auch durch die öffentliche Hand Förderung zuteil geworden 199. Die bei der Vertiefung dieses Aspektes relevante Frage ist, ob sich aus der o.g. Veränderung des kulturpolitischen Klimas in den 1970-er Jahren im Osnabrücker Raum begünstigende Effekte auf die Rahmenbedingungen für den Einstieg und/oder die Andauer einer musikalischen Tätigkeit im Popularmusikbereich ergeben haben und welcher Art diese Effekte ggf. waren.
5) Die in der “Vorstudie 81/82” vorkommenden Musiker sowie auch die später Interviewten befanden sich zum Zeitpunkt der Befragungen mehrheitlich in einem Altersbereich zwischen 22 und 30 Jahren. Die meisten unter ihnen verfügten derzeit über keine abgeschlossene Ausbildung - Studium o.ä. -, einige gaben ferner an, sich in einer Art Probierphase bezüglich des weiteren beruflichen Lebensweges zu befinden. In Bereichen der Soziologie bzw. der Sozialpsychologie werden einen vergleichbaren Status einnehmende Individuen in der Regel als “Postadoleszenten” bezeichnet, die mit dem Status verknüpfte Lebensphase als “verlängerte Adoleszenz”.
Da “verlängerte Adolszenz” wegen der “Vorstudien”-Ergebnisse und entsprechender Statements aus später durchgeführten Interviews als eine Bedingung für eine gewisse zeitliche Andauer einer popularmusikalischen Tätigkeit zu betrachten wäre, gilt die Vertiefung des diesbezüglichen Aspektes der Beleuchtung des Umstandes, ob und welche Bedingungen in und um Osnabrück vorhanden sind, die die “verlängerte Adoleszenz” im Hinblick auf eine damit verknüpfte, zeitlich andauernde popularmusikalische Tätigkeit begünstigen.
6) Die Annahme einer “gestiegenen Vorliebe für alternative Kulturangebote” ergibt sich aus der Beobachtung von solchen Aktivitäten, die die untersuchten AkteureInnen hinsichtlich der Präsentation ihrer Musik unternahmen - z.B. gelegentliche selbstorganisierte lokale Großveranstaltungen in den 1970-er/-80-er Jahren -, von Veränderungen im Bereich der etablierten Kulturpflege hinsichtlich “alternativer” Sujets sowie der Offerten seitens der lokalen Unterhaltungsbranche.
Nicht nur Teile der lokalen Kulturpflege griffen hinsichtlich “alternativer” Angebote gelegentlich auf die künstlerischen Fähigkeiten von Angehörigen des untersuchten Personenkreises zurück. Aus Statements von MusikernInnen aus der “Vorstudie 81/82” kann auch auf eine die musikalische Tätigkeit begünstigende Einstellung seitens einiger “Alternativ”-Gastronomen geschlossen werden. Da das für Verhalten dieser Gastronomen eine gewisse Sensibilität hinsichtlich der Präferenzen ihrer Gästeschaft und somit im wesentlichen wirtschaftliche Gründen als ursächlich angenommen werden können, ergibt sich die Frage nach eventuell resultierenden förderlichen Rahmenbedingungen für die untersuchte popularmusikalische Tätigkeit.
7) In den Ausführungen der MusikerInnen aus der “Vorstudie 81/82” sowie der später Interviewten sind häufig Statements über die Bedeutung von Freundeskreisen bzw. sog. “Gleichaltrigengruppen” im Hinblick auf die Entwicklung ihrer persönlichen Musikpräferenzen enthalten sowie hinsichtlich der Aufnahme einer popularmusikalischen Tätigkeit.
Zwar wird die Phase der Pubertät als von häufigem und manchmal ebenso schnellem Präferenzenwechsel gekennzeichnet betrachtet, dem andererseits speziell durch die Jugend-orientierten Bereiche der Freizeit- und/oder Unterhaltungsindustrie ein sich anscheinend ständig erweiternder und/oder verändernder, massiv beworbener Angebotskatalog gegenüber gestellt wird. Trotzdem gaben einige der Interviewten an, dass während dieser Phase nicht nur der erste Einstieg in popularmusikalische Aktivitäten erfolgte, sondern auch Voraussetzungen für die zeitweilige Andauer der musikalischen Tätigkeit geschaffen wurden.
Die hinsichtlich der Vertiefung des “peer-group”-Aspektes relevante Frage ist also in der Richtung zu stellen, ob und ggf. welche begünstigenden Rahmenbedingungen für die Ausbildung bestimmter Popularmusikpräferenzen, den Einstieg in eine die musikalische Tätigkeit selbst sowie deren zeitliche Stabilität während der Teilnahme an sog. “peer groups” speziell im Osnabrücker Raum vorhanden sind 200.
1) Subkultur
Dass in einer Stadt von der Größenordnung Osnabrücks, die Anfang der 1960-er Jahre ca. 140.000 Einwohner zählte, in den späten 1950-ern/frühen 1960-ern für Jugendliche ein eher sparsames Freizeitangebot bestanden hatte, beschreibt Spaß : Abhilfe wurde hier durch einen selbstorganisierten Jugendclub im Hafengebiet geschaffen, wo man unter sich sein, Alkohol trinken und Beat-Musik hören konnte 201.
Durch zunehmenden Stellenwertgewinn von Beatmusikveranstaltungen im kommerziellen lokalen Unterhaltungsangebot verliert der selbstorganisierte Club schnell an Bedeutung und geht schließlich ein. Dennoch avancieren diverse lokale Beat-Ensembles in kurzer Zeit in den Rang von Lokalmatadoren (vergl. Hohlfeld 1965).
Die Zeit der “Jugendbewegung” der späten 1960-er/frühen -70-er Jahre erlebt Spaß als Mitglied einer lokalen Topband, die “progressive”, experimentelle Rockmusik spielt. Die Combo absolviert häufiger Auftritte vor größerem Publikum auf Veranstaltungen, die teils von selbstorganisierten Jugendgruppen, teils von kommerziellen Ausrichtern durchgeführt werden 202. Spaß führt jedoch aus, dass die Auftrittshäufigkeit der Gruppe bei weitem nicht so hoch wie die von den Beat-Combos gewesen sei, in denen er vorher mitgewirkt hatte. Dennoch macht das besagte Ensemble sogar in Eigenregie Schallplattenaufnahmen, bei denen auch Spaß mitwirkt.
Die Aktivitäten der Nachfolgeformation von Spaß´ “progressiver Rockband” Anfang der 1970-er Jahre - er selbst ist inzwischen wieder ins Tanzmusiker-/“Top 40”-Lager übergewechselt -, finden zunächst häufig auf Veranstaltungen in mittlerweile in und um Osnabrück entstandenen selbst-organisierten Jugendzentren statt. Dabei dürfte mit den 1970-er Jahren in der BRD aufgekommene “Jugendzentrumsbewegung” auch im Osnabrücker Raum einen “alternative” Popularmusikaktivitäten begünstigenden Hintergrund geliefert haben 203.
Zeitlich parallel dazu konnte ferner im Osnabrücker Umland eine Entsprechung zu der von verschiedenen Autoren festgestellten Neuentdeckung des Landlebens durch Teile der Hippie-Subkultur Anfang der 1970-er Jahre beobachtet werden 204. In aufgelassenen Katen (im hiesigen Sprachgebrauch “Kotten”) und auf kleineren ehemaligen Bauernhöfen des Osnabrücker Landkreises siedelten sich zu dieser Zeit vermehrt Jugendliche aus der städtischen “Szene” in Wohngemeinschaften an, darunter auch einige Angehörige der lokalen Drogen-Szene 205. Nicht selten pflegte man in einzelnen “Kotten-WG´s” gemeinschaftliche musikalische Tätigkeit im Pop-/Rock-Bereich - wie etwa den Ausführungen DJ´s entnommen werden kann. Darüber hinaus wurden auf den Grundstücken der Anwesen auch gelegentlich kleine “Open-Air”-/ “Free”-Konzerte veranstaltet, zu denen man befreundete Musiker einlud.
Wie groß der Einfluss der Hippie-Subkultur zu Beginn der 1970-er Jahre auf Osnabrücker Jugendliche gewesen sein muss, kann durch den - über persönliche Erfahrung belegten - Umstand illustriert werden, dass sich zu dieser Zeit zumindest unter den Gymnasiasten Kanabis-Produkte (Haschisch) sowie bestimmte Halluzinogene (vorwiegend LSD) eines regen Zuspruchs erfreute. Erhältlich waren diese Drogen an den jeweiligen Schulen sowie an beliebten Osnabrücker Jugendtreffpunkten : bei der Spielhalle “Trix” in der Großen Hamkenstraße, im Schloßgarten, in der Discothek “Ocambo-Club” am Harmannsbrunnen und im “Westend-Club”, einer damals von PH-Studenten betriebenen “Alternativ”-Kneipe in der Lotter Straße (in den beiden letztgenannten Lokalen gab es auch gelegentlich “Live”-Musik von “progressiven” Bands aus der lokalen “Szene”) sowie in der Discothek “Lila Eule”, die sich seinerzeit auf dem historischen “Heger Tor” befand. An den Gymnasien wurden die Drogen nicht selten von Oberstufenschülern bzw. von “älteren” Mittelstufenschülern gedealt.
Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass zu Beginn der 1970-er Jahre auch in der BRD vor allem in Gymnasiasten- und Studentenkreisen eine Art Drogen-Ideologie, als deren wichtigste Protagonisten u.a. Aldous Huxley und Timothy Leary firmierten, relativ populär war, gemäß welcher der Genus sog. “weicher Drogen” als irgendwie “gut” - weil “bewusstseinserweiternd” - betrachtet wurde 206.
Der weitere Verlauf der 1970-er Jahre brachte für den Genus weicher Drogen einen gewissen Spektakularitätsverlust. Die Osnabrücker Drogen-Treffpunkte verlagerten sich zur Altstadtkneipe “Fättken” (ca. 1971-1974) und später zu einer im Stadtteil “Dodesheide” gelegenen Discothek. Als im Sommer 1976 der “Hyde Park”, eine “Alternativ”-Discothek mit “Live”-Musik-Angebot, an der Rheiner Landstraße eröffnete, kann eine Konzentration der lokalen Drogen-Szene an diesem Platz angenommen werden, möglicherweise auch die Tatsache, dass durch diesen Umstand die Observationstätigkeit des Osnabrücker Rauschgift-Dezernates erleichtert wurde. Jedenfalls wurde das Lokal Anfang der 1980-er Jahre mehrere Male wegen BTG-Verstößen dort Beschäftigter kurzzeitig geschlossen 207.
Die Beobachtung, dass sich gegen Ende der 1970-er/Anfang der -80-er Jahre vor dem “Szene”-Treff “Hyde Park” immer öfter bei Konzerten mit unbekannten, nicht selten auch mit der interessierenden “Szene” angehörenden Musikgruppen große Menschentrauben bildeten und das Innere des Lokales sich erst mit Publikum zu füllen begann, wenn kein Eintritt mehr bezahlt werden musste, welches dann mehrheitlich der i.d.R. immer noch spielenden Kapelle kaum Interesse entgegenbrachte, mag als eher “allgemeiner” Rückgang des Interesses vieler Jugendlicher daran interpretiert werden können, sich durch gewissermaßen “X-beliebige” Angebote mit “Live”-gespielter Popularmusik unterhalten zu lassen. Immerhin nahmen die Verantwortlichen des Lokales deswegen mit der Zeit Abstand von Veranstaltungen mit “Live”-Musikangeboten lokaler Provenienz.
Die Entstehung weiterer Treffs mit Groß-Discothekencharakter (vergl. DJ), die auch in zunehmendem Maße “Live”-Musik-Angebote mit national oder sogar international bekannten Protagonisten ermöglichten, sowie andererseits die steigende Anzahl der Kino-Betriebe in der Stadt - z.T. mit derzeit modischem “Studio-Charakter” - sollten in diesem Zusammenhang ebenfalls nicht unerwähnt bleiben.
Wenn auch die Kultur der Hippies etwa zur Mitte der 1970-er Jahre bereits an Bedeutung verloren hatte, so tauchten mitunter gewisse auf die Popularmusik bezogene Elemente ihrer Ideologie wie “Kreativität” oder “Innovation” als nicht selten im Zusammenhang der Vermarktung von Popularmusik noch weiterhin gehörte Formeln auf. Diese Begriffe konnten dabei auch gelegentlich in Verbindung mit den musikalisch/handwerklichen Fertigkeiten und Fähigkeiten bestimmter Musiker/Ensembles vorkommen. Wie etwa anlässlich des Überganges vom “Beat” zur sog. “progressiven Rockmusik” zu schon beobachten war, dürfte sich zumindest im Bereich kommerziell verwerteter und massenmedial verbreiteter Popularmusik hin zu den 1980-ern mit dem erfolgreichen Auftauchen neuer Protagonisten, die sich zumindest im Einklang mit gerade aktuellen jugend-subkulturellen Strömungen befanden, ebenfalls ein gewisser “künstlerischer Wertewandel” vollzogen haben 208.
Wie entsprechenden Interview-Statements (Beat ; Spaß I./II.) entnommen werden kann, vollzieht sich auch in der interessierenden lokalen “Szene” solcher Wandel mitunter im Zusammenhang des Auftauchens neuer AkteureInnen.
Gemäß Spaß´s Ausführungen rekrutierten sich z.B. die lokalen Protagonisten der “progressiven Rockmusik” 209 zumeist aus Kreisen klassisch-musikalisch vorgebildeter Osnabrücker Gymnasiasten und PH-Studenten. Diese Akteure hatten kaum bzw. gar keine Berührung mit der aktuellen örtlichen Beat-“Szene” sowie mit dem lokalen Tanzmusikbereich und waren darüber hinaus auch nicht ausschließlich von Popularmusik-bezogenem Ideengut der derzeit aktuellen Hippie-Kultur beeinflusst (Spaß II.). Andererseits traten einige lokale Adepten der Beat-Musik der 1960-er Jahre mit dem Abklingen der Beat-Welle dem Tanzmusik-Lager bei 210.
Auch der o.g. popularmusikalische künstlerische Wertewandel zum Wechsel in die 1980-er Jahre bildet sich in der interessierenden “Szene” u.a. im Aufscheinen neuer AkteureInnen ab. Ein Unterschied dürfte jedoch darin bestanden haben, als dass diese neuen Akteure mitunter von bereits etablierten örtlichen “Szene”-Angehörigen “lanciert” wurden - anders als die lokalen Vertreter des “progressiven” Genres ca. 10 Jahre früher 211.
Obschon bereits einigen Statements aus der “Vorstudie 81/82” entnommen werden kann, dass gemäß den “neuen Werten”, die stark an der englischen Punk-Musik der späten 1970-er Jahre orientiert waren, das Vorführen musikalisch-handwerklicher Fähigkeiten/Fertigkeiten, ausufernde Instrumentalsoli sowie komplexe Arrangements und/oder Kompositionen als verpönt galten, bleibt dennoch das Festhalten am Verdikt der künstlerischen Eigenständigkeit sowie die Ablehnung der Tanzmusik bzw. des “Top 40”-Bereiches zu beobachten.
Das “Eigenständigkeits-Verdikt” mag - in diesem Sinne äußert sich zumindest Lederjacke (Lederjacke II.) - den Hintergrund dafür geliefert haben, dass seinerzeit eine fruchtbare gemeinsame Tätigkeit zwischen den Adepten der “alten” und der “neuen” künstlerischen Werte eher zustande kommen konnte als ca. 10 Jahre zuvor zwischen den Beat-Musikern und den “progressiven Rockern” : Während musikalisch mehr unbedarfte Akteure sich die Fähigkeiten der etablierten, manchmal auch ausgebildeten Kollegen zunutze machen können, erscheint kompetenten Akteuren mit Hang zum “Experiment” die gemeinsame Tätigkeit mit den bisweilen zu “originellen musikalischen Lösungen” neigenden “Dilettanten” reizvoll.
Im Vergleich dazu hatten sich zumindest die lokale Beat-Musik und das mit Ende der 1960-er Jahre auch in Osnabrück aufkommende “progressive” Idiom als schon vom künstlerischen Ansatz her weitestgehend nicht so gut miteinander vereinbar geriert. Darüber hinaus - so führen es Beat und Spaß aus - rekrutierten sich die Akteure dieser beiden Genres auch nicht selten aus unterschiedlichen sozialen Gruppierungen (s.o.).
Wie allerdings nicht nur Statements aus der “Vorstudie 81/82” zeigen, sondern auch aus späteren Interviews mit jüngeren AkteurenInnen sowie aus teilnehmender Beobachtung hervorgeht, scheint zumindest das Kriterium der künstlerischen Eigenständigkeit für die popularmusikalische Tätigkeit des untersuchten Personenkreises eine gewisse Dauerhaftigkeit zu besitzen.
2) Bohemien
Die Vergrößerung im lokalen Angebotskatalog der Unterhaltungsmöglichkeiten für Jugendliche, aber auch eine Erweiterung des kulturellen Spektrums im Hinblick auf “Alternativen” zum etablierten Kulturbetrieb können im Zusammenhang mit dem Ausbau der Pädagogischen Hochschule Osnabrück zur Universität zu Beginn der 70-er Jahre gesehen werden. Aus diesem Grund begannen sich einerseits mehr junge Leute im Alter zwischen 20 und 30 des Studiums wegen in der Stadt aufzuhalten. Andererseits dürfte auch das wachsende, häufig akademisch gebildete Personal der jungen Universität nach gewissen Qualitäten in der kulturellen Lebenswelt verlangt haben : Seit 1973 hat sich z.B. die Anzahl der von Studenten und überwiegend akademisch gebildeten Personen frequentierten Lokale mehr als verfünffacht, und 1983 gab es in Osnabrück 3 “alternative” Großkneipen mit Discotheken-/ Musikveranstaltungsbetrieb und einem Fassungsvermögen zwischen 1.400 und 2.500 Personen. Die in diesem Zusammenhang entstandenen Arbeitsmöglichkeiten - von Gläsersammeln über Thekendienst bis hin zur Organisation des “Live”-Musikangebotes - unterlagen i.d.R. keinen arbeitsvertraglichen Regelungen bzw. wurden “schwarz” abgerechnet und nicht selten mit Studenten und Angehörigen der lokalen Künstler-/Musiker-Szene besetzt, für die sich so eine Gelderwerbsmöglichkeit auftat, die um die künstlerische Tätigkeit “herumorganisiert” werden konnte 212.
Nicht zuletzt war zumindest von den “Vorstudien”-TeilnehmernInnen mehrheitlich eine positive Einstellung gegenüber den Popularmusik-bezogenen Werten der Hippie-Kultur als “zeitgemäßer Bohéme” - unbedingtes Streben nach eigener, “unverwechselbarer künstlerischer Identität”, “Selbstverwirklichung” und “Spaß-haben-wollen” bzw. “Ausdrücken der persönlichen Gefühle” durch die popularmusikalische Tätigkeit - geäußert worden.
Zudem war es ausgeschriebener Bestandteil der städtischen Kulturpolitik (siehe “Kulturentwicklungsplan der Stadt Osnabrück 1976-86”), professionell ambitionierten Künstlern Zubrotverdienstmöglichkeiten zu eröffnen 213, und Anfang der 1980-er Jahre wurde einem Kreis hiesiger Musiker durch Vermittlung des damaligen Kulturamtsleiters sogar die Bewirtschaftung einer brachliegenden Gastronomie in der Osnabrücker Innenstadt angeboten.
In diesem Zeitraum kommt es ferner mit großzügiger Unterstützung des lokalen Arbeitsamtes zur Installierung diverser Projekte 214, die auf der Basis von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen Künstler einstellten. Wie realitätsnah sich diese Projekte gelegentlich gestalteten, zeigt der Fall der “ABM-Band”, deren Initiatoren, der Verein “Arbeitslosenabgabe e.V.”, weniger mit dem Problem des Findens qualifizierter arbeitsloser Musiker zu kämpfen hatten als vielmehr mit dem Umstand, genügend ordnungsgemäß arbeitslos gemeldete Musiker zur Besetzung der jeweiligen Instrumente finden zu können 215.
Wenn sich auch bis zum Beginn der 1990-er Jahre in Osnabrück ein gewisses “alternatives” Kulturangebot ausdifferenziert, so kann die lokale “alternative” Künstlerszene - abgesehen von der zahlenmäßig recht starken und z.T. in verschiedenen Vereinen und Initiativen organisierten Popularmusikfraktion - allenfalls als recht klein bezeichnet werden. Zwar bietet die Stadt im Vergleich zu den Verhältnissen in BRD-Metropolen (noch) recht günstig erschwinglichen Wohnraum sowie Möglichkeiten, Räume preiswert für Werkstatt- oder Ateliernutzung anzumieten, wobei derartige Vorhaben in der Vergangenheit mitunter von der Städtischen Kulturbehörde finanziell bezuschusst wurden 216. Bereiche der Innenstadt - z.B. das sog. “Katharinen-Viertel” - haben zeitweilig sogar eine Art “Alternativ-Flair” angenommen, weil sich dort bevorzugt Studenten und Angehörige des akademischen Mittelbaus ansiedelten.
Dass bei der eher mittleren Größe der Stadt Osnabrück (z.Zt. ca.160.000 Einw.) die Zahl der Personen, die sich vom gepflegten Lebensstil her als “Bohemiens” bezeichnen ließen, nicht allzu groß sein dürfte, kann an dieser Stelle nur gemutmaßt werden, zumal entsprechendes demographisches Material bislang noch nicht erstellt wurde. Möglichkeiten, solch einen Lebensstil zumindest eine Zeitlang wirtschaftlich abzusichern, bietet die Stadt zwar wie oben beschrieben. Andererseits dürften Metropolen in dieser Hinsicht eine Art Standortvorteil besitzen, der im Wesentlichen darin besteht, dass die entsprechenden lokalen Bohemien-Szenen zumindest wegen des früher und/oder stärker einsetzenden Wachstums solcher Großstädte, der damit anfallenden weit umfangreicheren wirtschaftlichen Ressourcen und der manchmal tradierten größeren Duldsamkeit gegenüber Minderheiten, einen ganz anderen Entwicklungszeitraum zur Verfügung hatten 217.
Darüber hinaus sich in diesem Zusammenhang mitunter einstellende touristisch attraktive Aspekte der jeweiligen Szenen dürften die Stadtobrigkeiten im einen oder anderen Fall auch zu entsprechenden Pflege- und/oder Fördermaßnahmen veranlasst haben. Brake (1981, S. 119) weist z.B. darauf hin, dass die zu Beginn der 1970-er Jahre weltweit sehr einflussreiche Rock-Szene von San Francisco z.B. von der Musikindustrie finanziell gepushed wurde. Ähnliches kann für die sich zu Beginn der 1980-er Jahre in kommerzieller Hinsicht auch für die Musikbranche recht interessant gerierende “Berliner Szene” geltend gemacht werden, deren Aktivitäten z.T. mit Senatsgeldern gefördert wurde.
Es dürfte ferner nichts Ungewöhnliches sein, dass zumindest in modernen Gesellschaften westlicher Prägung Leute mit bestimmten gemeinsamen Attributen - z.B. gemeinsamen Interessen, Anschauungen o.ä. - sich zusammenfinden und - weil sie u.U. von ihrer Umwelt dazu gezwungen werden - “(Außenseiter-)Gruppen” herausbilden. Andererseits kann es im Fall von Stigmatisierung durch Außenseiter- oder Einzelgängertum - auch bedingt z.B. durch eine künstlerische Tätigkeit, der jemand nachgeht, und/oder dadurch, dass jemand dem “Bohemien-Status” anhängt - zu Sanktionen oder zumindest zu einer mitunter spürbaren negativen Einstellung seitens der sonstigen sozialen Umwelt kommen.
Ob solche Tendenzen in kleineren Städten stärker ausgeprägt sind als in größeren, kann an dieser Stelle nicht weiter diskutiert werden, möglicherweise müsste die Klärung dieser Frage Gegenstand eigener Studie sein. Immerhin berichteten Spaß und Beat, die sich in den 1960-er Jahren die Haare hatten lang wachsen lassen und sich nach gängigen Jugendmoden kleideten, in durchaus nicht einhelliger Weise über Diskriminierungsakte gegenüber den Musikern seitens der Bevölkerung vor allem des ländlichen Umlandes. Harley, der mehr als 10 Jahre jünger ist und in einer Osnabrück benachbarten Kleinstadt aufwuchs, wo er bis 1998 noch wohnte, weiß von vergleichbaren Vorkommnissen überhaupt nichts zu berichten.
Selbstverwirklichungsversuchen durch die Musik überhaupt steht Lehrer, einer der jüngeren Interviewten, eher ablehnend gegenüber - jedenfalls dann, wenn es darum geht, solche Versuche als Ziel der eigenen musikalischen Tätigkeit in Betracht zu ziehen.
Andererseits waren gerade bei Leuten mit einer gewissen Affinität zu Künstlerkreisen und/oder zu einer “Bohemien-Einstellung” sowie auch unter älteren Angehörigen des untersuchten Personenkreises gelegentlich Tendenzen beobachtbar, Osnabrück zu verlassen und sich in die Nähe einer der Metropolen-Szene zu begeben - was zumindest nicht unbedingt in jedem Fall auf die Nähe großer bzw. bedeutender Kunstverwerter zurückzuführen war 218.
3) Technologie
Verschiedene Autoren (z.B. Frith) begreifen zeitgemäße Popularmusik als Phänomen, das ohne Existenz und/oder Wirkungsweise moderner Massenmedien nicht denkbar wäre.
Dieses steht vor dem Hintergrund der Präsenz dieser Medien selbst in den Privathaushalten, die faktisch durch die zunehmende Verbreitung elektronischer Empfangs- und/oder Abspielgeräte vor allem in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts gegeben ist und die durch ein großes diesbezügliches Interesse seitens der Benutzerschaft begünstigt wird.
Aus den Aussagen von Spaß und Lehrer über die Verfügbarkeit entsprechender elektronischer Geräte (Radioapparate, Tonbandgeräte, Schallplattenspieler u.a.) während ihrer Kindheit, lassen sich keine nennenswerten Unterschiede entnehmen, obwohl diese Zeiträume bei den beiden etwa 20 Jahre auseinanderliegen.
Dass Spaß jedoch im Zusammenhang seiner ersten Kontakte mit Popularmusik in den späten 1950-er Jahren bereits ein Tonbandgerät zur Verfügung hatte, und Lehrer in den späten 1970-ern auch nicht “viel mehr”, mag eher in der sozialen Situierung begründet sein : Spaß stammt aus einer angesehenen lokalen Handwerkerfamilie, die ein gut gehendes Unternehmen betreibt, Lehrer´s Vater ist Lagerverwalter und hat seinen drei Kindern eine höhere Schulbildung zu bezahlen. Dass gerade Radio- und Fernsehgeräte mittlerweile zu einer Art Grundausstattung moderner Haushalte gehören, benötigt wohl keiner weiteren Erörterung 219.
Mit der Zulassung von privaten Radio- und Fernsehsendern in der BRD, zusammengehend mit der Einführung der Übertragungstechnologie via Kabel/Satellit, nimmt ferner Anzahl der ausgestrahlten Programme drastisch zu. Popu-larmusikangebote kommen in diesem Zusammenhang zumindest insofern zum Tragen, als dass Sendungen mit besonders beliebten Genres - wie etwa “Volksmusik” - sich zunächst als sehr attraktiv für die Werbewirtschaft erweisen, andererseits das von der Musikindustrie gegen in der Regel recht niedrige Gebühren zur Verfügung gestellte Videoclipmaterial (vergl. Wimmer 1995) das Erstellen von “Low Budget-Programmen” ermöglicht 220. Seit Anfang 1996 hat der Musiksender “VIVA”, der sich u.a. der Teilhaberschaft mehrerer großer nationaler Tonträgerfirmen erfreut, damit begonnen, Regionalstudios einzurichten, deren Aufgabe lokalspezifische Berichterstattung zum Thema “Popularmusik” ist. Vergleichbare Maßnahmen wurden von privaten und öffentlich-rechtlichen Radiosendern bereits schon früher vorgenommen 221, und Boehme führt aus, dass z.B. das Osnabrücker Regionalstudio des NDR I etwa seit 1960 besteht und seit 1992 nach einer Zeit der “Führungslosigkeit” von seiner neuen Leiterin mit einer “neuen”, “qualitativ verbesserten Identität” versehen wurde (Boehme 1993, S. 31). Auch neue Entwicklungen im Bereich von Kostengünstigkeit und Kompaktheit verfügbarer Sendetechnologie dürften sich hierbei als begünstigend ausgewirkt haben.
Boehmes Ausführungen über die Entwicklung lokaler Medien ist weiter zu entnehmen, dass neben der Ausstrahlung von Programmen überregionalen Zuschnitts, bei denen das “Airplay” von Schlagern und anglo-amerikanischer Popmusik den wesentlichen Zeitanteil bestreitet, in der Programmgestaltung zumindest des Privatsenders “Radio ffn” Berichte über lokale Ereignisse deswegen von Bedeutung sind (ebd., S. 37), weil sich so eine Möglichkeit ergibt, auch regionale Geschäftsleute als Werbekunden zu gewinnen, deren Werbung üblicherweise in die “Regionalblöcke” eingebunden werden 222.
Der sich seit dem 1.10.1996 in Sendeaktivität befindende “Offene Kanal Osnabrück”- ein u.a auch von Osnabrücker Kulturbehörde gesponsertes Lokalradio-Projekt - könnte vor diesem Hintergrund zu einer Alternative in der hiesigen Rundfunklandschaft verhelfen, da laut Satzung des Trägervereins Rundfunk-veranstalterInnen, Mitarbeiter lokaler marktbeherrschender Tageszeitungen im Bereich des Verbreitungsgebietes des Senders sowie Angehöriger etablierter politischer Parteien nicht nutzungsberechtigt sind (vergl. Satzung vom 7.12.1995, § 1, Abs. 3).
Ebenso dürfen die zu sendenden Beiträge “keine Werbung und kein Sponsoring enthalten” (ebd., § 2, Abs. 4).
Da die NutzerInnen des “Offenen Kanals Osnabrück” die “volle Verantwortung für ihre Beiträge” zu übernehmen haben (ebd., § 2, Abs. 1), andererseits das Interesse der Musikwirtschaft an vergleichbaren Lokalradio-Projekten 223 nicht sehr groß sein dürfte, ergäbe sich die Möglichkeit, für entsprechende Sendeeinsätze mehr auf das lokale Angebot im Popularmusikbereich zurückzugreifen. Diese würde jedoch - zumindest wegen § 6, Abs. 5 - für die hiesigen Popularmusik-Urheber kaum zu kommerziell interessanten Auswirkungen führen 224 - wie der laufende Betrieb des Senders zeigt, sogar zu gar keinen, da die GEMA im Falle von “Kleinstverwertung” i.d.R. eine Art Unerheblichkeitsregelung zur Anwendung bringt und die Sendeaufführungen der betreffenden Werke mit den Urhebern nicht abrechnet.
Das Hauptaugenmerk von Boehmes Arbeit gilt den Osnabrücker Printmedien, in deren Bereich in den letzten 20 Jahren sowohl eine Zunahme unter den verbreiteten Publikationen beobachtet werden konnte als auch der Umstand einer mehr oder weniger engen Verknüpfung zwischen Wirtschaftlichkeit und Unterhaltung.
Der Gegenstandsbereich Popularmusik wird in diesem Zusammenhang zwar zu einem größeren Anteil durch Berichte über nationale und internationale Pop-Stars/-ereignisse sowie durch Tonträgerrezensionen abgedeckt, jedoch werden auch regionale Aktivitäten mehr oder weniger regelmäßig und umfangreich beachtet.
Eine gewisse Verflechtung zwischen bestimmten lokalen Printmedien und der interessierenden “Szene” dürfte sich aus dem Umstand ergeben, dass einzelne Mitglieder involvierter Musikgruppen sowie andere “Szene”-Angehörige - DJ - sich manchmal als Gelegenheits-Schreiber für popularmusikalische Themen betätigen. Zwar bemühen sich die untersuchten Musikgruppen i.d.R. um ein gutes Verhältnis bisweilen nicht nur zu Mitarbeitern regionaler Printmedien - ein solcher persönlicher Kontakt mag im Fall von Harley und Lederjacke ausschlaggebend dafür gewesen sein, dass über eine Tournee ihrer gemeinsamen Musikgruppe eine Fotoreportage erstellt und später in der Illustrierten “STERN” veröffentlicht wurde. In solchen Kontexten allerdings von “Klientel-Wirtschaft” zu sprechen, ist sicherlich unangebracht, auch wenn es in der Vergangenheit gelegentlich zu gewissen “Wunderlichkeiten” kam 225.
Ist die Verbreitung von Popularmusik in hohem Maße mit Medientechnologie und deren Entwicklung (vergl. Chapple/Garofalo u.a.) verknüpft, so ist die praktische Erstellung der Musik selbst sowohl im Übungsraum als auch in der Konzertsituation stark von der Elektronik abhängig. Nicht zuletzt werden in den meisten Popularmusik-Genres seit einiger Zeit elektronische bzw. elektronisch verstärkte Instrumente sowie Verstärkeranlagen eingesetzt, die auch zur Übertragung des Schlagzeuges, der menschlichen Stimme sowie diverser akustischer Instrumente geeignet sind.
Wenn Spaß es noch als eine Hauptschwierigkeit beschreibt, in den frühen 1960-er Jahren für eine Beat-Combo halbwegs anständiges elektronisches Equipment und Instrumente zusammen zu bekommen - es gab gemäß seinen Ausführungen entweder gebrauchten oder neuwertigen Ramsch oder für die damaligen Verhältnisse sehr teure amerikanische oder englische Markeninstrumente, mit denen damals erhältliche preisgünstige Erzeugnisse z.B. deutscher oder italienischer Provenienz in qualitativer Hinsicht nicht konkurrieren konnten -, so gelangten etwa seit Mitte der 1970-er Jahre einige Produkte aus z.B. Ostasien auf den BRD-Markt, die sich durch ein besonders gutes Preis-Leistungsverhältnis auszeichneten und die z.T. durch geschickte Werbestrategien lanciert wurden 226.
Die erforderlichen finanziellen Anstrengungen, für Aktivitäten im Popularmusikbereich eine qualitativ akzeptable Grundausstattung zu erwerben - z.B. eine E-Gitarre mit Verstärker - senkten sich somit nicht unerheblich ab. Der Preis für einen E-Bass der Marke “Fender”, Modell “Precission-Bass”, hat sich z.B. seit 1970 mit etwa DM 1.400,-- bis DM 1.500,-- zwar kaum nennenswert verändert. Allerdings muss in diesem Zusammenhang die Inflationsrate berücksichtigt werden sowie der allgemeine Anstieg der Netto-Verdienste. Erheblich erweitert hat sich seit 1970 auch die Angebotspalette von qualitativ guten Instrumenten der Preisklasse zwischen DM 800,-- und DM 1.200.-- 227.
Mitte der 1970-er Jahre begann ferner in einer Kleinstadt, Ibbenbüren, ca. 30 Km von Osnabrück entfernt, ein Einzelhandelsunternehmen für elektronische Musikinstrumente in großem Stil seine Aktivitäten aufzunehmen. Mittlerweile besitzt das Unternehmen Filialen im ganzen Bundesgebiet und im benachbarten Ausland. Zeitweise gab es auch eine Filiale in den USA. Ein Standbein dieses Unternehmens war zunächst die Einfuhr von Markeninstrumenten in großen Mengen aus den USA und der Weiterverkauf dieser Produkte zu seinerzeit sehr günstigen Preisen auf dem deutschen Markt. Dabei dürften sich aller Wahrscheinlichkeit nach die bei Einfuhr größerer Warenkontingente zur Anwendung kommenden Zollbestimmungen sowie u.a. auch die Möglichkeit des Aufkaufs von entsprechenden Lagerbeständen, die Zwischenhändler wegen rigoroser Abnahmebedingungen der Hersteller anzulegen hatten, als begünstigend ausgewirkt haben. Wegen der dem genannten Unternehmen somit möglichen Preispolitik rekrutierte sich seine Kundschaft schnell aus einem Einzugsbereich mit einem Radius von bis zu 200 Km 228.
Der Umstand, dass auch Pop-/Rockmusiker, die lediglich in einem regional relativ eng begrenzten, vielleicht sogar provinziellen Rahmen agieren, gelegentlich bestrebt sind, ihre Musik einem größeren Publikum zuzuführen, hatte gegen Ende der 1970-er Jahre zumindest in Osnabrück zum Entstehen eines Selbsthilfezusammenschlusses unter den lokalen Popularmusikern geführt, in dessen Rahmen man sich zunächst im Wesentlichen der Organisation von Großveranstaltungen mit lokalen Rock-/Pop-/Jazz-Ensembles widmete 229.
In der praktischen Durchführung benötigen derartige Großveranstaltungen mit Pop-/Rockmusik i.d.R. eine technisch aufwendige und sehr kostspielige elektronische Beschallungsanlage (PA), die von einem kompetenten Techniker bedient werden muss. Zur Abdeckung dieses Bedarfs entwickelte sich seit etwa der zeigten Hälfte der 1970-er Jahre auch in Osnabrück bald eine Art Kleinunternehmertum, welches Beschallungssysteme sowie die Tontechnikerdienstleistungen gegen Gebühr für die jeweiligen Veranstaltungen zur Verfügung stellte. Z.T. konnten dabei Ausrüstungen einzelner Musikgruppen ausgenutzt werden, die man sich - möglicherweise - in Hinblick auf den baldigen, mitunter lange erhofften Beitritt zum dem angestrebten professionellen Status angeschafft hatte und die nun für Nebenverdienstmöglichkeiten zur Verfügung standen 230.
Die schnell wachsende Anzahl von Anbietern derartiger Beschallungsdienste und die daraus resultierende Konkurrenz untereinander, die Konkurrenz zu etablierten überregionalen Firmen sowie die gelegentlich zweifelhafte Qualität der Dienstleistungen führten ebenso zügig zu einem Verfall des Preisniveaus wie auch nebenbei zu dem Umstand, dass das Publikum die eine oder andere der von solchen Dienstleistern beschallten Großveranstaltungen wegen des fehlerhaften Zustandes des eingesetzten PA-Systems und/oder dessen inkompetenter Handhabung in dauerhafterer Erinnerung behalten haben dürfte 231.
Da Popularmusik nicht nur Gegenstand von Großveranstaltungen ist, sondern auch in kleineren Rahmen angeboten wird - etwa in Clubs und Lokalen mit “Live”-Musikprogramm, in Jugendzentren u.ä. - und die meisten in und um Osnabrück in den unterschiedlichen Populargenres tätigen Musiker bzw. Musikgruppen darüber hinaus kaum über Medienpräsenz und/oder eigene Schallplatten-/CD-Produktionen verfügen, sind sie - falls keine persönlichen Kontakte o.ä. vorhanden sind - genötigt, sich für die Teilnahme auch an kleineren Veranstaltungen mit der Vorlage einer Demo-Kassette zu bewerben.
Demo-Kassetten sind Musik Kassetten, die in der Regel 3 bis 5 Stücke aus dem Repertoire der jeweiligen Gruppe enthalten und die fast ausschließlich zur Bemusterung in Frage kommender Veranstalter benutzt werden 232. Selbst wenn die betreffenden Musiker nicht die Absicht haben, mit solch einer Produktion etwaigen Medienvorbildern nachzueifern, sind sie häufig trotzdem nicht in der Lage, ein Demo-Band selbst aufzunehmen. Sie bleiben darauf angewiesen, stationäre Einrichtungen - Aufnahmestudios - in Anspruch zu nehmen, die mit der entsprechenden für die Aufnahme notwendigen Technik ausgestattet sind.
Auch in diesem Dienstleistungsbereich ist es in Osnabrück in den letzten 20 Jahren zu einem starken Angebotszuwachs gekommen. Vergleichbar dem Bereich des PA-Verleihs wurden im einen oder anderen Fall bereits vorher bestehende Ressourcen in die Studioeinrichtung eingebracht, natürlich auch, um den Eigenbedarf an - selbst gemachter - qualitativ hochwertig aufgezeichneter Musik zu gewährleisten 233.
Inwieweit die meisten dieser Studios - in und um Osnabrück dürfte es mittlerweile ca. 20 geben - für die Betreiber mehr als ein gelegentliches Zubrot abwerfendes Hobby darstellen und eigentlich auch gar nicht anders projektiert sind, welche Studios Gewinn erwirtschaften und woher sie Aufträge bekommen, kann an dieser Stelle nicht weiter beleuchtet werden. Immerhin ist davon auszugehen, dass die meisten Studiobetreiber betriebswirtschaftliche Daten - schon allein aus Angst vor einem in der Konsequenz zu erwartenden Zugriffs der Finanzbehörde - nicht herausgeben. Der angebliche wirtschaftliche Erfolg eines Studios kann jedoch mitunter als Gegenstand von diesbezüglichen “Aufschneidereien” des Betreibers firmieren.
Festzuhalten bleibt, dass das Preisniveau in diesem Bereich einigermaßen stabil zu sein scheint, da einige der Studios hin und wieder auswärtige Kundschaft haben und die Studiobetreiber sich demzufolge in einem überregionalen Preisgefüge ansiedeln können, was um so leichter fällt, wenn sie von den ortsfremden Kunden wegen CD-Produktionen aufgesucht werden 234.
Zumindest zeitweilig schien in Osnabrücker Popularmusikerkreisen die Anschauung verbreitet zu sein, die Vorlage einer - wenn auch selbstfinanzierten und verlegten - CD könne dazu beitragen, die Chancen bei der Beschaffung von Engagements zu verbessern. Zwar soll nicht an der gelegentlichen Richtigkeit dieser Auffassung gezweifelt werden. Andererseits hatte es vor diesem Hintergrund zu Beginn der 1990-er Jahre eine kleine “Veröffentlichungs-Inflation” von Tonträgern mit Musik lokaler Formationen aus dem Rock-/Pop-/Jazz-Bereich gegeben. Obschon diese Aktivitäten in den meisten Fällen doch nicht zu den möglicherweise erhofften Erfolgen führten (teilnehmende Beobachtung), hatte sich in diesem Kontext die Inanspruchnahme eines hiesigen Studios ebenfalls angeboten - wegen der geringen Entfernung, weil man den Betreiber und/oder die technische Ausstattung des Studios kannte u.ä. 235.
Für Musiker, die zunächst ihre Ideen auf einem Tonband festhalten und/oder ausarbeiten möchten oder die sich mit weniger aufwendigen Produktionen zufrieden geben, liefert die mittlerweile weltweit verbreitete Methode des “Home-Recording” Möglichkeiten, die sich über das Aufnehmen eigener Musikstücke hinaus zumindest im Osnabrücker Raum auch auf den Bereich der Jugend- und/oder Erwachsenenbildung erstrecken können 236. Das Interesse von Bildungseinrichtungen an Kursusangeboten, die das “Home-Recording” betreffen, ist zwar seit einem “Boom” gegen Ende der 1980-er Jahre zurückgegangen, ganz verschwunden ist es nicht. Datenmaterial, das diese Aussage erhärten kann, ist jedoch nicht vorhanden.
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