Mein krieg aufzeichnungen aus 2129 Tagen



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Sana27.06.2017
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Heute war noch kein Alarm.

Urfeld, 2. September 39 [E. K.-Sch.]. Unten in Kochel ist man ungeheuer optimistisch. Deine Stimmung am Telefon gestern war mir sehr unverständlich. Glaubst Du wegen der zurückgenommenen Einberufung nicht mehr an den Wolf? Oder weißt Du mehr als wir? Hier wissen wir unheimlich wenig. Wenigstens wird Lisel nächstens sich eine Zeitung halten und sich aus der Leipziger Wohnung einen Atlas kommen lassen. Jetzt mußt Du alle Tage verdunkeln! Ob wir hier überhaupt erfahren, wenn es einen Luftangriff auf Berlin gibt?

3. September 39. Ich gehe, eine Karte von Polen zu kaufen. Als ich das Geld an Dich einzahlte und mir der Postbeamte gerade die Quittung aushändigte, gab es Alarm, und wir stürzten in den Keller. Eine halbe Stunde später war's zu Ende. Ob Ernst, ob Scherz, weiß niemand. Schreibe mir unter keinen Umständen in Briefen Nachrichten, die nur aus einem ausländischen Sender stammen können – das sind alle Nachrichten, die für uns abträglich sind.

Die Postkontrolle ist nur noch eine Frage von Tagen.

Gestern früh hat Sibylle ihre Zugehfrau, die langsam arbeitet, ermahnt. ››Ach«, sagte die Frau, »entschuldigen Sie, aber es ist mir so lächerlich, da soll ich nun putzen und morgen schlägt eine Bombe ein.«

4. September 39. Zunächst sind Einberufungen gestoppt, da das Ausrüstungsmaterial knapp wird, aber das ändert sich natürlich in wenigen Wochen. Außerdem brauchen sie in den folgenden Jahren ja auch noch Leute. Es wird lange dauern – sehr lange, glaube ich, weil nicht einzusehen ist, wie es beendet werden soll.

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Wir können die andern nicht erschöpfen, schlagen erst recht nicht; die andern werden uns auch nicht schlagen, aber vielleicht können sie uns ››aushöhlen« - das dauert sehr lange. Polen ist ganz unwichtig.

Ich kündige zum Ersten die Wohnung – das heißt, kündigen kann ich sie ja nicht, wir haben den Vertrag, aber ich suche jemand, der sie nimmt. Außerdem würden wir eben einfach ausziehen, das andere fände sich. Keinesfalls hierbleiben.

Du stellst Betrachtungen an über meine Reaktion auf den Krieg. Es wird in mir gar keine Reaktion geben. Wir sind gezwungen – und das ist meine einzige Verbindung zu allem, was jetzt geschieht. Schlimmstenfalls fängt man nachher noch mal von vorne an.

Das wichtigste ist, Neugierde auf Nachrichten, ich meine auf Nachrichten unseres Rundfunks und unserer Presse, zu verlieren, kein Radio zu hören und sich nur hin und wieder über die Situation informieren.

Du wirst erst in einiger Zeit einsehen, wie wichtig das ist, und H.s [Heisenbergs?] sehen es vielleicht überhaupt nicht ein. Die Folge wird sein, daß Euer Radio doch läuft. Das untergräbt alle Ruhe, verhindert Distanz gewinnen und etwas Gelassenheit. Die Nachrichten sind ja nicht dazu da, etwas mitzuteilen, sondern eine gewisse Seelenstimmung zu schaffen, die als notwendig betrachtet wird für die Fortsetzung des Krieges. Man lese nur die Berichte und Blätter der letzten acht Tage! Übrigens versuche ich die Zeitungen zu sammeln und etwas ausführlicher Tagebuch zu führen. Ich bitte Dich, es auch zu tun. Es wird später gut sein, die Zeit zu verfolgen, die wir nicht zusammen waren.

5. September 39. Im Schlafanzug auf dem Bett. Ich las ein paar Seiten in dem neuen Giono, Taube Blüten, vier Novellen. Vorher holte ich die Kisten aus dem Keller. Es ist noch nicht lange her, daß ich sie hinuntertrug.

Was das Packen angeht, kann ich wohl sagen: gelernt ist gelernt.

Es gibt immer wieder Augenblicke, in denen ich nicht geneigt bin zu glauben, daß unser bisheriges Leben ganz und gar zu Ende ist.

Ich räume zwar die Schränke und Regale aus, lasse aber zunächst das große Zimmer, die Diele und die Küche noch in Ordnung.

Wenn Dir Urfeld als der ruhigste Ort erscheint, so bleibe dort.

Wo immer Du Distanz legen kannst, da bleibe. Ich gewinne sie

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ganz unabhängig von den äußeren Umständen – und ich werde zu meinem eigenen Erstaunen lernen, sie mir in jeder Lage zu erhalten. Es ist ohne Sinn und ohne jede gute Wirkung, teilzunehmen. Es ist uns aufgezwungen – das ist die einzige Verbindung, die es gibt. Zu viel Vorsorgen schafft eine künstliche Atmosphäre, etwas Lebensfeindliches entsteht. Vielleicht ist es eine notwendige Erfahrung, einmal ganz gründlich im Dreck zu sitzen – ich meine in ganz realem Unglück, nicht in solchem, das sich aus Seelenschmerzen zusammensetzt, die zum Teil eingebildet sind, weil nur Konventionen dahinterstehen.

Ich kaufte heute früh noch fünf alte Kisten und fange nun richtig zu packen an.

6. September 39. Im Büro. Es ist so wunderbares Wetter, daß man kaum glauben kann, daß sie sich rundherum schießen. Aber sie tun es wohl doch. Ich bin so weit von Propaganda angekränkelt, daß ich noch immer einen ganz kleinen Rest von Hoffnung habe, daß es die Engländer nicht ganz ernst meinen, sondern aus Prestigegründen mobilisiert haben. Das würde bedeuten, daß man, wenn wir in Warschau sind, verhandelt. Aber freilich glaube ich nicht wirklich daran. Eine alte Angestellte kommt eben zu mir und macht mich darauf aufmerksam, daß vor einem Geschäftshaus nebenan drei Lastwagen vorgefahren sind, einer mit Schutzpolizei, zwei leer. Nach einer Weile seien die beiden leeren mit jungen Zivilisten gefüllt gewesen und abgefahren. Auf diese Weise möchte ich nicht gern einberufen werden.

Gestern abend aß ich mit Jeanne, die merkwürdigerweise noch immer einen Rest Optimismus hat – der Strohhalm, an den sie sich hält.

Wir warten hier im Betrieb auf Gesetze betr. Kürzung der Gehälter. Einen Antrag auf Unterstützung kannst Du erst stellen, wenn ich einberufen bin. Schreibe, was ich schicken soll. Mit den paar Sachen, die Du dort hast, kommst Du nicht über den Winter. Die Lastwagen haben mir die Schönwetterlaune verdorben.

Wir könnten die Möbel bei Knauer [große Speditionsfirma in Berlin] einstellen, das kostet nicht die Welt.

[An die Mutter, die in Weilheim, Oberbayern, im eigenen Haus und Garten lebt. Einige Wohnungen sind an andere Familien vermietet, die Felder verpachtet, der Stall ist leer.]

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11. September 39. Ich wollte nicht, daß die Mandeln mir beim Militär Ärger machen, und ging zum ersten Spezialisten hier, Prof. Döderlein, der mir zunächst ein Attest ausstellte. Dann wartete ich Edith [die aus Urfeld nach Berlin gekommen war] ab und begab mich heute, von ihr begleitet, nach Potsdam-Nedlitz zur Kaserne. Dort gelang es mir dank einer ganzen Reihe von Glücksfällen, abends um 6 Uhr das Tor als Zivilist wieder zu durchschreiten mit einem Aufschub bis nach der Operation, das ist etwa bis in 14 Tagen.



Uniform und Stiefel, die ich bekam und zwei Stunden später wieder abgab, paßten kein bißchen, waren zum erstenmal 1870 getragen und seither auch nicht gereinigt worden. Was ihnen an Material und Farbe fehlte, ersetzten sie durch eine feuchte, etwas seifige Schicht. In 14 Tagen ist wahrscheinlich alles besser organisiert, und für die Frontfreuden wird's wohl neues, sauberes Zeug geben. Soviel vom Krieg.

Es ist unwahrscheinlich, daß E. zu Dir kommen wird. Sicher ist nur, daß wir die Wohnung auflösen und sie aufs Land geht, wo es wahrscheinlich doch leichter sein wird mit Ernährung. Nach Urfeld ginge sie nur zurück, wenn sie müßte, das heißt, wenn ihre Schwester für ihre drei Babys gar kein Mädchen mehr bekommt.

Eine bessere Lösung wäre vielleicht Salem, dort unterrichtend, falls es Schule bleibt, oder pflegend, wenn es Lazarett wird. Vielleicht aber Holzschuhe schnitzen, vervielfältigen, verkaufen. Das hat gewiß eine große Zukunft in den lederlosen Jahren.

Du bist wahrscheinlich in der glücklichen Lage, rein wirtschaftlich gesehen durch den Krieg nicht viel verlieren zu können. Wir andern tun gut daran, uns auf eine sehr lange Zeit einzurichten – dazu gehört auch, keine Zeitungen zu lesen oder nur selten, und nicht Radio zu hören, sonst hält man es nicht aus. Bücher werden viel gekauft bzw. Ausgeliehen werden. Trotzdem wird vielleicht der Verlag etwas einschlafen, vor allem, wenn Dr. M. [Dr. Friedrich Minssen, Cheflektor] auch einberufen werden sollte. Ich fand beim Aufräumen einen Brief vom November 1933, in dem ich die Entwicklung des Nat.Soz., wie sie jetzt durch den Russenvertrag und den Krieg sich bestätigt hat, genau beschrieben habe. Ich fürchte, auch in allem andern recht zu behalten. Der polnische Krieg bedeutet für den ganzen Krieg überhaupt nichts.

Was wird Lisel [die einzige, 12 Jahre jüngere Schwester] tun?

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[Von Elsa Bernstein, die später in das KZ Theresienstadt kam und es als achtzigjährige, blinde Frau überlebte]

München, 29. September 39. O Zerstörung, Zerstörung, und auf lange hinaus. Denn ich bin ganz Deiner Ansicht – auf fahre! [Am 15. 9. wurde ich operiert, am 20. 9. verließ ich die Klinik, und da kein genauer Termin für die Rückkehr in die Kaserne befohlen war, machten ich und meine Frau eine ›Erholungsreise< nach Weimar und durch den völlig leeren, stillen Thüringer Wald. Am 5. Oktober kamen wir »bei sehr trübem \Wetter« nach Berlin zurück. Unter der Post befand sich die Mitteilung, ein Einschreibebrief läge auf dem Postamt. Am 6. Oktober um 10 Uhr vormittags holte ich diesen Brief ab: eine Mitteilung, ich würde als Fahnenflüchtiger behandelt, wenn ich mich nicht umgehend in der Kaserne meldete. Der angegebene, letzte Termin war der 6. Oktober früh 8 Uhr. Ich telefonierte mit der Kaserne und fuhr sofort nach Potsdam-Nedlitz, um mich bei der

1. Kompanie der Nachrichtenabteilung der 3. Inf. Div. Zu melden. Das Telefongespräch mit dem Hauptfeldwebel dieser Kompanie war mein erster massiver Zusammenstoß mit einem militärischen Vorgesetzten]

[Aus dem Notizkalender]

6. Oktober 39. Fahre mittags nach Potsdam. Das zivile Leben ist zu Ende. Einkleidung. Erste Nacht in der Kaserne. - 7. Oktober 39. Dienst. 1/26 Uhr aufstehen. Kameraden ganz ordentlich.

10 auf der Stube. E. kommt um 4 Uhr, wir sitzen zwei Stunden in der Kantine und reden Geschäfte. - 8. Oktober 39. Kaserne. »

9. Oktober 39. Gerücht, daß wir zur Erntearbeit kommen sollen.

Zunächst sehr ruhiger Dienst. Abends gelesen. - 10. Oktober 39.

Zur Erntearbeit.Abends um 17 Uhr auf Lastwagen nach Buberow bei Bauer Krause mit noch einem Mann einquartiert. Federbetten und Butter. - 11. Oktober 39. 150 Ztr. Kartoffeln geerntet. Ziemlich kreuzlahm. Abends mit E. telefoniert und dann Dorfkneipe.

[Zur Kartoffelernte in Buberow, nun in Uniform, bis 25. Oktober. Dann zurück in die Kaserne Nedlitz bei Potsdam, Nachrichten-Abteilung 3, Fernsprechkompanie. In die Eifel abgestellt wurde ich am 2. November. Am 4. November steht im Kalender: »Kriegsbrief Nr. 1 geht ab.« Ich hatte für mich und meine Frau sogenannte Durchschreibebücher, wie sie reisende Vertreter

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benützen, mit numerierten Seiten und Kopie-Blättern, besorgt in der Erwägung, daß die Feldpost unzuverlässig sein und viel verlorengehen werde. Das hat sich in den fünfeinhalb Jahren Krieg nicht bestätigt. Dennoch blieben wir, wenn es irgend anging, bei dieser Methode, Familienleben als Korrespondenz zu führen]

6. November 39. Kommen nachts 12 Uhr in Daleiden an [bei Prüm in der Eifel]. Heute hat das Soldatenleben angefangen, romantisch zu werden. Nachdem wir die Nacht ziemlich ungut in einer Scheune geschlafen hatten und die Stimmung morgens trotz Sonne unfreundlich war, kam gegen Mittag die Weisung, daß wir einige alte Baracken zu beziehen hätten, die unweit des Dorfes im Walde versteckt lägen, beim Friedhof. Es erwies sich, daß es sich um eine große und um zwei kleine Baracken handelt, die an steilem, bewaldetem Abhang vor kurzem vom Militär gebaut worden sind, aber nicht fertig wurden. Mein Bautrupp der Fernsprechkompanie – dies ist die Einheit, in der ich mich hinfort für alle Arbeiten befinde – besteht aus neun Mann und einem Unteroffizier, der durchaus akzeptabel ist; alle waren in Polen und der Uffz. hat das EK II von dort . . . mein Trupp also wählte eine der kleinen Hütten, bestehend aus einem Raum. Hier bauten wir nun aus Drahtnetzen, Balken, Stroh, Zeltbahnen usw. Betten; Tische fanden sich, fehlende Fensterscheiben wurden durch Bretter ersetzt, ein eisernes Öfchen aufgestellt, auch Koks ››beschafft«, das Öfchen glüht, zwei Karbidlampen geben Licht, Bier wurde aus dem Dorf hergefahren: kurz, eine durchaus freundliche Umgebung geschaffen, auch mir ist es behaglicher als in der Kaserne. Die Leute sind, obschon keiner darunter ist, mit dem ich ein Wort reden könnte, hinzunehmen, und keiner scheint bösartig zu sein von Natur. Sie sind zum Teil seit Mai zusammen. Decken, Teppiche, Kochtöpfe, Säbel – was sie alles aus Polen mitgebracht haben!

Ich versuchte mir im Dorf beim Arzt, Dr. Wippfelder, ein Zimmer zu mieten als Rückzugsklause, aber es ist unmöglich. Das Dorf hat sechsmal weniger Einwohner als Soldaten. Ich denke, wir bleiben hier vier bis fünf Tage.

7. November 39. Mitternacht. Ich sitze in unserem Mercedes und habe die Wache auf dem Parkplatz übernommen. »Schlafwache« nennt man das, ich dürfte schlafen, aber es ist nicht gerade bequem.


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Ich habe eine Lampe im Auto aufgehängt und lese schon eine Stunde im »Grischa« [Arnold Zweig, Der Streit um den Sergeanten Grischa, ein antimilitaristischer Roman]. Die Wagen stehen auf einem der höchsten Punkte weitum, und die Konturen der Eifelberge sind rundum gegen den Horizont zu sehen, selbst jetzt. Überall sind kleine Lichtinseln eingestreut, hier scheint man es mit dem Verdunkeln nicht ernst zu nehmen. Auch meine Lampe muß auf Kilometer zu sehen sein. Zwei sind aus dem Ur- laub zurückgekommen und sind schlechter Laune, weil sie die Freuden häuslichen Lebens gerade wieder genossen haben. Für alle diese Leute, die sich eigentlich nur wohl fühlen, wenn sie in ihrem Gleis sind und Freude nur aus ganz primitiven Genüssen gewinnen, ist eine solche Soldatenexistenz viel schwerer als für mich. Sie müssen laut sein und renommieren, um es überhaupt durchzustehen. Dann kommt der Augenblick, wo die Wut darüber, Soldat sein zu müssen, umschlägt in die Wut auf den Feind. Ergebnis: der gute Soldat. Immer feige und gelegentlich ››mutig«. Es ist mir hier noch keiner begegnet, der ruhig und gelassen und ein wenig sportiv das kriegerische Handwerk betriebe – nachdem er sich dem Zwang gebeugt hat. Wäre die Masse hierzu fähig, es gäbe sogleich keine Soldaten mehr, nur noch ein paar ehrgeizige Führer. Es wäre unmöglich, daß ein Volk, das in seiner Gesamtheit zu denken fähig geworden wäre, noch Kriege führte. Übrigens beweisen das die Juden.

Man braucht nicht General zu sein, um zu wissen, daß einige Siege, und zwar bequeme Siege, not tun als eine Art Impfung gegen die Vernunft.

8./9. November 39. Es ist einer da mit einer großen Ziehharmonika und macht Musik – er kann gut spielen. Wir waren gerade im Ort, um Bier zu holen – was natürlich verboten ist mit dem Wagen –, und nun, 10 Uhr abends, hebt sich die Stimmung sichtlich. Nach volkstümlichen Begriffen ist es urgemütlich. Eben hat Hitler gesprochen, wir haben es in unserer Hütte nicht gehört, aber es wurde gesagt, er habe angedeutet, es ginge los. Da vor uns frontwärts nur noch die kleinen, dickummauerten Zimmerchen mit kleinen Öffnungen für Schießwerkzeuge sind [Bunker des ››Westwalls«], so kann ich mir ausrechnen, daß wir in Kürze auch bald darin sitzen werden.

10. November 39. Wir liegen friedlich in unserem Waldheim und

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verbessern es täglich. Unten im Tal ist eine Quelle, an der ich mich jetzt immer wasche. Wenn man denkt, wie es noch werden wird, ist das hier paradiesisch.



Das Attentat [im Bürgerbräukeller in München] ist natürlich gestern abend Gespräch gewesen. Es wird die Stimmung gegen England erheblich steigern, da ja nur die Engländer Anstifter einer solchen Tat sein können.

Noch immer lese ich im ››Grischa«. Unser unerschöpflicher Bauwagen enthält auch eine Geige aus Polen. Sie ist ganz ordentlich.

Mit dem Ziehharmonikaspieler habe ich musiziert, es klang geradezu nach Konzert. Jeder spielte, was ihm einfiel, und der andere fand sich dazu.

10. November 39. Auf unseren Briefen darf nicht ››Funker« stehen, weil daraus auf die Waffengattung geschlossen werden könnte. In Zukunft also nur noch »Soldat K.«. Post wird gelegentlich zensiert. Vermutlich eher die an uns als die von uns. Wir haben nichts zu berichten, aber Ihr könnt ››Stimmung« verraten.

17. November 39. Gestern abend, nachdem sich der Sturm gelegt hatte, habe ich im Dunkeln noch einen langen Spaziergang gemacht. Unterhalb des Hügels ist der Bach, dem der Regen viel Mut gemacht hat, von Buchenwald und Tannen eingesäumt. Ich legte mich an einer trockenen Stelle unter eine Tanne und leuchtete manchmal mit der Taschenlampe in ihre Zweige hinauf, die dann scharf gezeichnet gegen die Dunkelheit standen. Ein stilles schönes Spiel, aber es ist von Übel, sich in zivile Seelenzııstände zu versetzen. Es ist mir sogar zuwider, den Roman in der Frankfurter zu lesen, obschon er nicht schlecht ist. Den ››Grischa« schicke ich morgen zurück. Ich habe ihn gestern beendet, es ist kaum ein verstaubtes Wort darin.
[An Jeanne Mammen]

I7. November 39. Liebe Jeanne, ja, wir leben friedlich und denken, es bleibt so den Winter durch. Wir verschönern unser Heim, Villa ››Eifelblick«, ich bemale Lampenschirme.



Der Trupp ist beim Saufen im Dorf. In zehn Minuten wird die Horde da sein. Etwas so Buchstabengläubiges wie diese Leute, obschon mit gutem Verstand versehen für ihre eigenen Dinge und nicht einmal ohne eine gewisse Urteilsfähigkeit, haben Sie gewiß nie erlebt.

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24. November 39. Seitdem Reif über den Feldern liegt, profilieren sich die Linien der Landschaft viel deutlicher. Ich will ein paar Skizzen machen. Es ist kaum möglich zu schreiben, eine allgemeine Unterhaltung über nichts ist im Gange. Auch ist es schrecklich heiß im Büdchen. Ich habe die F. Z. [Frankfurter Zeitung] gelesen – hast Du unser großes Inserat [der Steiniger-Verlage] in der vorletzten Nummer gesehen? Es war recht gut gemacht. Ich will mal an Hausenstein schreiben, er könnte mir Bücher zum Besprechen schicken, solche Arbeit ließe sich vielleicht hier machen. Sonst sieht es trüb aus mit Schreiben mangels Ruhe.

[An Helene Flohr in Berlin]

17. November 39. Ich war übers Wochenend bei Vatern in Remagen am Rhein. Er, der Vater, nicht der Rhein, ist dort ein höherer Soldat. Meine bescheidene Funkersdıaft wurde fürstlich behandelt, schlief im Bett, verwendete Wasser aus einem Hahn.

Gegen 4 Uhr heute früh kam ich wieder in der Waldhütte an und sah beim Kerzenschein Deinen Brief und das Buch. Wir warten bis die Blümlein sprießen und die Deutschen schießen. Wir werden bald in ein Städtchen auswandern, da kannste dann hinkommen zwecks Betrachtung Deines Soldaten.

27. November 39. Wir tun heute gar nichts, sitzen in der Hütte und pflegen den Eifelkoller, abgekürzt EK, in drei Klassen, auch am Halse zu tragen, dann irrenhausreif. Ich habe weder diesen noch andere Orden zu erwarten. Kopf, Magen und so Weiter befinden sich bei guter Laune. Es ist heute so föhnig und warm, daß wir die Fenster aufgemacht haben, und das will etwas heißen bei diesen Leuten, die die Zug-Angst haben. Drei lesen, einer schläft, zwei holen Essen, einer ist in Prüm mit dem Wagen zur Reparatur, der Uffz. in Berlin, und ich schreibe. So werden wir nicht die Weltherrschaft erringen.

Habt Ihr an dem Abend bei Vs. sehr klug geredet? Fehlen mir solche Abende wirklich? Ich glaube nicht. Der Gang der Dinge ist unerbittlich. Sie kritisch bedenken, motiviert Ohnmachtempfindungen.

29. November 39 [Umzug der Truppe nach Prüm]. Wir haben das Innere der Hütte ausgeleert, ein Anblick wüster Zerstörung. Ich hatte nicht wenig Gepäck, dreimal so viel wie die andern, demnächst muß ich es mal sichten. Unser Wagen war randvoll.

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Um 9 Uhr ging's los. Hohe Vorgesetzte hatten hier einen Parkplatz ausgesucht, der sich als Sumpf erwies, und die schweren Wagen steckten bis zur Achse im zähen Lehm. Den letzten Wagen zogen, o klägliche Technik, zwei schwere belgische Pferde aus dem Morast.

Wir sind im Internat des Bischofs für seine Zöglinge untergebracht. Es nennt sich Konvikt. Jetzt ist es zeitgemäßeren Zwecken zugewendet. Im Seitenflügel treiben noch einige Nonnen ein abseitiges Dasein, die haben den Schlüssel zur konvikteigenen Kirche, und mein erster Gang war zur Frau Oberin, die mir den Schlüssel freundlich gab. Die Orgel, mit viel Geld gebaut, hat zwei Manuale, ist klein, aber gut. Ich brauste gehörig und fächelte dann wieder sänftiglich. Die Kehrseite ist, daß wir nun zu 17 unter dem Dach in einer Stube mit schrägen Wänden liegen. Ehemals diente der Raum acht Schülern. Vorläufige Strohlager sollen in dreistöckige Betten verwandelt werden.

Der Film »Verwehte Spuren« steht sogar auf dem Dienstplan, kostet 40 Pfennige Eintritt, natürlich gehe ich nicht hin, d. h. ich bezahle die 40 Pfennige und tu nur so als ob. Gehe statt dessen zur Orgel. Will sehen, daß ich Noten auftreibe.

30. November 39. Im Wachlokal am Tor, das keine Torflügel hat, nur ein Loch in der Mauer ist, schreibe ich stehend an einem Schülerpult. Und habe also Wache. Das ist eine neue Nuance meines Dienstes fürs Vaterland, ich denke, sie wiederholt sich künftig häufiger. Dies ist der einzige Ort, wo ich Ruhe habe, und hier ist Schreiben eigentlich verboten.


Ich werde Dr. Minssen schreiben, ob er nicht den Verlag bestim- men kann, mich zu reklamieren. Diese Art Krieg ist zu dumm. Ich habe heute mindestens zweieinhalb Stunden Orgel gespielt und war dann so müde wie sonst nicht bei den Soldaten. Ging dann ins Kino, wachfreier Soldat, der ich war, die Vorstellung lief schon eineinhalb Stunden, und sie sangen gerade alle im Dunkeln, weil der Film gerissen war. Das sind so die revolutionären Aufwallungen dieses Volkes, aber auch dazu muß es dun- kel sein. Er riß noch zweimal und die Vorstellung dauerte insgesamt vier Stunden. Im Konvikt will man einen richtigen Kasernenbetrieb aufziehen mit Wecken, Flurfegen, Achtung-rufen, usw.

3. Dezember 39, Sonntag abend. Heute früh kam ich auf unvermutete

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Weise zu einem Stadtbummel. Es wäre eigentlich Dienst gewesen, aber unser stellvertretender Hauptwachtmeister griff mich im Flur auf und sagte, ich solle mich stadtfein machen und drei Kameraden nachgehen, die sich eben zur Kirche abgemeldet hätten. Er aber glaube nicht, daß sie zur Kirche gingen. Stell Dir vor, er erwartete, daß ich Spitzeldienste täte! Na, ich ging los, fragte, freilich vergeblich, nach Post und erkundigte mich bei dem Schaltermenschen nach der evangelischen Kirche. Er sagte: »Die Gnadentankstelle kenne ich nicht, ich bin von der Partei.« Derart belehrt, ging ich weiter und traf die drei Sünder auf dem Marktplatz vor dem katholischen Münster. Es war halb neun, der kath. Gottesdienst sollte um 10 Uhr anfangen. Also gingen wir alle vier ins Hotel Gebauer zum Kaffee, oder was sich so nennt.

5. Dezember 39. Je länger ich mit den Leuten meines Trupps zusammen und überhaupt in dieser Kompanie bin, desto mehr mißfallen sie mir. Durch die Umstände kommen die schlechten Eigenschaften mehr und mehr heraus. Ihre Kameradschaftlichkeit ist nur eine äußerliche. Es sind jedoch ››meine« Leute durchaus nicht die schlimmsten. Sie sind im bürgerlichen Sinne anständig, ehrlich, und so weiter. Aber sie sind unfähig, irgendeinen selbständigen Gedanken zu fassen. Kurz, sie sind wirklich Masse, ein Ausdruck, den ich nicht mag, aber mögen muß. Kindisch auch in der unmittelbaren Art zu reagieren. Als Gesamterscheinung sind sie mir lächerlich, d. h. sie wären es, wenn sich nicht eben von ihnen die ganze Struktur des Staates herleiten würde; sie sind es doch, um die ER buhlt.

Eben kam ein Junge mit der Lokalzeitung. Ich werfe hin und wieder einen Blick hinein, ohne gescheiter zu werden, aber auch ohne mich noch zu ärgern. Ob wir den finnischen Krieg mit so großer Begeisterung registrieren, wie wir vorgeben, erscheint mir zweifelhaft.

Wenn wir hierbleiben, will ich mich doch um ein Zimmer im Ort bemühen, so kann es nicht bleiben, immer mit 17 Leuten in einem Loch von Raum.


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