§ 124
Jeden Arzneistoff muß man zu dieser Absicht ganz allein, ganz rein anwenden, ohne irgend eine fremdartige Substanz zuzumischen, oder sonst etwas fremdartig Arzneiliches an demselben Tage zu sich zu nehmen, und eben so wenig die folgenden Tage, so lange als man die Wirkungen der Arznei beobachten will.
§ 125
Während dieser Versuchszeit, muß auch die Diät recht mäßig eingerichtet werden, möglichst ohne Gewürze, von bloß nährender, einfacher Art, so daß die grünen Zugemüße und Wurzeln (1)
1) Junge grüne Erbsen (Schoten), grüne Bohnen, über Wasser-Dampf gesottene Kartoffeln und allenfalls Möhren (Mohrrüben) sind zulässig, als die am wenigsten arzneilichen Gemüße.
und alle Salate und Suppenkräuter (welche sämmtlich immer einige störende Arzneikraft, auch bei aller Zubereitung behalten) vermieden werden. Die Getränke sollen die alltäglichen sein, so wenig als möglich reizend 2).
2) Die Versuchsperson muß entweder an keinen Wein, Branntwein, Kaffee noch Thee gewöhnt sein, oder sich diese theils reizenden, theils arzneilich schädlichen Getränke schon längere Zeit vorher völlig abgewöhnt haben.
§ 126
Die dazu gewählte Versuchsperson muß vor allen Dingen als glaubwürdig und gewissenhaft bekannt sein; sie muß sich während des Versuchs vor Anstrengungen des Geistes und Körpers, vor allen Ausschweifungen und störenden Leidenschaften hüten; keine dringenden Geschäfte dürfen sie von der gehörigen Beobachtung abhalten; sie muß mit gutem Willen genaue Aufmerksamkeit auf sich selbst richten und dabei ungestört sein; in ihrer Art gesund an Körper, muß sie auch den nöthigen Verstand besitzen, um ihre Empfindungen in deutlichen Ausdrücken benennen und beschreiben zu können.
§ 127
Die Arzneien müssen sowohl an Manns- als an Weibspersonen geprüft werden, um auch die, auf das Geschlecht bezüglichen Befindens-Veränderungen, an den Tag zu bringen.
§ 128
Die neuern und neuesten Erfahrungen haben gelehrt, daß die Arzneisubstanzen in ihrem rohen Zustande, wenn sie zur Prüfung ihrer eigenthümlichen Wirkungen von der Versuchs-Person eingenommen worden, lange nicht so den vollen Reichthum der in ihnen verborgen liegenden Kräfte äußern, als wenn sie in hohen Verdünnungen durch gehöriges Reiben und Schütteln potenzirt zu dieser Absicht eingenommen worden; durch welche einfache Bearbeitung die in ihrem rohen Zustande verborgen und gleichsam schlafend gelegnen Kräfte bis zum Unglaublichen entwickelt und zur Thätigkeit erweckt werden. So erforscht man jetzt am besten, selbst die für schwach gehaltenen Substanzen in Hinsicht auf ihre Arzneikräfte, wenn man 4 bis 6 feinste Streukügelchen der 30sten Potenz einer solchen Substanz von der Versuchs-Person täglich, mit ein wenig Wasser angefeuchlet, oder vielmehr in einer größern oder geringern Menge Wasser aufgelöset und wohl zusammengeschüttelt, nüchtern einnehmen und dies mehrere Tage fortsetzen läßt.
§ 129
Wenn nur schwache Wirkungen von einer solchen Gabe zum Vorschein kommen, so kann man, bis sie deutlicher und stärker werden, täglich etliche Kügelchen mehr zur Gabe nehmen, bis die Befindens-Veränderungen wahrnehmbarer werden; denn wenige Personen werden von einer Arznei gleich stark angegriffen; es findet im Gegentheile eine große Verschiedenheit in diesem Punkte statt, so daß von einer als sehr kräftig bekannten Arznei, in mäßiger Gabe, zuweilen eine schwächlich scheinende Person fast gar nicht erregt wird, aber von mehreren andern dagegen, weit schwächern, stark genug. Und hinwiederum giebt es sehr starke Personen, die von einer mild scheinenden Arznei sehr beträchtliche Krankheits-Symptome spüren, von stärkern aber geringere u.s.w. Da dieß nun vorher unbekannt, so ist es sehr räthlich, bei Jedem zuerst mit einer kleinen Arzneigabe den Anfang zu machen, und wo es angemessen und erforderlich, von Tage zu Tage zu einer höhern und höhern Gabe zu steigen.
§ 130
Wenn man gleich Anfangs zum ersten Male eine gehörig starke Arzneigabe gereicht, so hat man den Vortheil, daß die Versuchs-Person die Aufeinanderfolge der Symptome erfährt und die Zeit, wann jedes erschienen ist, genau aufzeichnen kann, welches zur Kenntniß des Charakters der Arznei sehr belehrend ist, weil dann die Ordnung der Erstwirkungen, so wie die der Wechselwirkungen am unzweideutigsten zum Vorschein kommt. Auch eine sehr mäßige Gabe ist zum Versuche oft schon hinreichend, wenn nur der Versuchende feinfühlig genug und möglichst aufmerksam auf sein Befinden ist. Die Wirkungsdauer einer Arznei wird erst durch Vergleichung mehrerer Versuche bekannt.
§ 131
Muß man aber, um nur etwas zu erfahren, einige Tage nach einander dieselbe Arznei in immer erhöheten Gaben derselben Person zum Versuche geben, so erfährt man zwar die mancherlei Krankheitszustände, welche diese Arznei überhaupt zuwege bringen kann, aber nicht ihre Reihenfolge, und die darauffolgende Gabe nimmt oft ein oder das andere, von der vorgängigen Gabe erregte Symptom wieder hinweg, heilwirkend, oder den entgegengesetzten Zustand hervor bringend - Symptome, welche als zweideutig eingeklammert werden müssen, bis folgende, reinere Versuche zeigen, oh sie Gegen- und Nach-Wirkung des Organisms, oder eine Wechselwirkung dieser Arznei sind.
§ 132
Wo man aber, ohne Rücksicht auf Folgereihe der Zufälle und Wirkungsdauer der Arznei, bloß die Symptome für sich, besonders die eines schwachkräftigen Arzneistoffs, erforschen will, da ist die Veranstaltung vorzuziehen, daß man einige Tage nach einander, jeden Tag eine erhöhete Gabe reiche. Dann wird die Wirkung, selbst der mildesten, noch unbekannten Arznei, besonders an empfindlichen Personen versucht, an den Tag kommen.
§ 133
Bei Empfindung dieser oder jener Arzneibeschwerde, ist es zur genauen Bestimmung des Symptoms dienlich, ja erforderlich, sich dabei in verschiedne Lagen zu versetzen und zu beobachten, ob der Zufall durch Bewegung des eben leidenden Theils, durch Gehen in der Stube oder in freier Luft, durch Stehen, Sitzen oder Liegen sich vermehre, mindere oder vergehe und etwa in der ersten Lage wiederkomme,- ob durch Essen, Trinken oder durch eine andere Bedingung sich das Symptom ändere, oder durch Sprechen, Husten, Nießen, oder bei einer andern Verrichtung des Körpers und darauf zu achten, zu welcher Tages- oder Nachtzeit es sich vorzüglich einzustellen pflege, wodurch das jedem Symptome Eigenthümliche und Charakteristische offenbar wird.
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