229
4.5 Essen und Trinken
Die Ess- und Trinkgewohnheiten fremder Ethnien waren für Reiseautoren immer ein
Punkt, an dem sie ihren Gefühlen freien Lauf ließen; viele Autoren waren entweder
begeistert und beglückt, oder verwundert über das, was ihnen die fremde Küche und
fremde Ess- und Trinkmanieren abverlangten.
4.5.1 Ein usbekisches Mahl – „tötender Luxus“
Die orientalischen bzw. usbekischen Mahlzeiten werden von europäischen Reisenden
meist als übertrieben üppig empfunden, sogar Vámbéry beklagt in seiner Derwisch-
Position den „
tötenden Luxus
“:
„
Meine Haare sträuben sich, wenn ich daran denke, wie oft ich vor Sonnenaufgang
zwischen 3 und 4 Uhr morgens vor einer kolossalen Schüssel mit Reis, der in Fett von
Schafschwanz gebadet war, sitzen und mit nüchternem Magen zugreifen mußte. Wie
sehnte ich mich da nach einem trockenen, ungesäuerten Brot in der Wüste zurück, und
wie gern hätte ich diesen tötenden Luxus mit der heilsamen Armut vertauscht.
“
61
(Vámbéry 1983 [1865], S. 176)
Vámbéry gebraucht in dem oben angeführten Bespiel zur Steigerung der Emotionalität
eine Reihe rhetorischer Stilmittel: die Redensart – „
Meine Haare sträuben sich
“
statt
Ich bin entsetzt
;
die Hyperbel – „
kolossal
“
statt
groß
;
die Metapher
–
„
Reis […], der in
Fett von Schafschwanz gebadet war
“; die Antithese – „
tötender Luxus
“
–
„
heilsame
Armut
“
.
All diese Stilmittel erzeugen eine starke Verbildlichung mit emotionalem
Hintergrund, infolge der der europäische Leser das turkestanische Essen als eine Qual
empfindet.
„
Meine Hadschikollegen gaben immer glänzende Beweise von ihrem guten Benehmen,
und ich staune, daß sie nicht geplatzt sind von dem schweren Pilow, denn eines Tages
hatte ich ausgerechnet, daß jeder von ihnen ein Pfund Schafschwanzfett und zwei Pfund
Reis (ungerechnet Brot, gelbe und weiße Rüben und Rettiche) genossen hatte und dazu
ohne Übertreibung 15-20 Suppenschalen voll grünen Tees. In solchen Heldentaten
mußte ich natürlich zurückstehen, und jedermann staunte, daß ich trotz meiner
Gelehrsamkeit in den Büchern nur eine halbe Bildung hatte.
“
61
Es lässt sich vermuten, dass Vámbérys Einladungen vor Sonnenaufgang den „Nahorgi Osh“ bzw. den Hochzeitsplow betrafen,
die am frühen Morgen zwischen fünf und acht Uhr verteilt werden. Diese Tradition wird bis heute gepflegt,
es gibt allerdings
heutzutage auch Usbeken, die den Hochzeitsplow tagsüber um 11 Uhr organisieren.
230
(Vámbéry 1983 [1865], S. 176)
Im vorgenannten Textbeispiel beschreibt Vámbéry das Essverhalten in Zentralasien,
wobei er postuliert, dass Essen als Symbol des
Vertrauens und Beweis guten
Benehmens eine große Rolle spielt; er betont jedoch auch die Üppigkeit, den enormen
Fettgehalt und die großen Portionen beim Essen. Zur Steigerung der Authentizität
greift er auf Realienwörter zurück (
Desturchan
,
Pilow
), auf Ironie als Mittel des Humors
(„
Meine Hadschikollegen gaben immer glänzende Beweise von ihrem guten
Benehmen
“
bzw.
„
In solchen Heldentaten mußte ich natürlich zurückstehen
“), oder
sogar auf das Paradoxon („
Do'stlaringiz bilan baham: