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gesellschaftliche und wirtschaftlichen Wandel, kaum verändert haben. (vgl. dazu Precht 2013, Sir Robinson
2006, Salcher 2010, et. al.)
Verdeutlichen lässt sich diese Argumentation exemplarisch an einem Klassenraum XY (Abbildung 8/
Bild 1). Die Standardnormierung ist ein Raum von 9x7 Metern. Zentral vorne befindet sich der
Lehrer/innen-Tisch, hinter dem sich die Schultafel auftürmt. Die Tische der Schüler/innen sind alle in Reih
und Glied angeordnet.
Interessant ist, dass sich dieses Anordnungskonzept weltweit durchgesetzt hat.
Schulen und Klassenräume sind auf globaler Ebene einheitlich organisiert, unabhängig vom Schultyp oder
ob es sich um eine kleine ländliche Dorfschule oder eine größer dimensionierte städtische Schule handelt.
An welchem Ort der Welt man sich auch befinden mag, beim Anblick eines Klassenzimmers stellt sich beim
Betrachter/ bei der Betrachterin sofort ein Wiedererkennungseffekt ein. Ausnahmen stellen alternative
Schulen dar, die beispielsweise die genannten reformpädagogischen Konzepte umsetzen.
Die Gestaltung eines Klassenraums vor über 100 Jahren (Abbildung 8/ Bild 2) ist identisch mit der,
heutiger Klassenräume. Geht man einen Schritt weiter und betrachtet die Ausbildungsräume von
Lehrer/innen heute (Abbildung 8/ Bild 3), lässt sich wiederum kein Unterschied gegenüber den
Klassenzimmern von heute oder vor über 200 Jahren feststellen. Die Auswirkungen der Theresianischen
Militärakademie sind bis heute wirksam,
und zwar nicht nur, was die Struktur der Klassenzimmer anbelangt,
sondern auch im Hinblick auf die Zeit- und Organisationsstruktur von Schule insgesamt. (vgl. dazu Windl
2012, S. 63).
Ihren Ursprung hat diese Raum- und Zeitkonfiguration in den Anfängen des allgemeinen Schulwesens
des 18. Jahrhunderts, das stark von militärischen Strukturen bestimmt wurde. Im Zeitalter der
Industrialisierung bediente das hierarchische System mit dem ihm immanenten Machtgefälle die Interessen
der Arbeitgeber zur Disziplinierung der arbeitenden Bevölkerung. Die Unterwerfung unter die stramme
zeitliche Organisation in der Schule war die ideale Vorbereitung auf einen streng genormten,
fremdbestimmten Arbeitsablauf. Die Einführung der Schulglocke und die Institutionalisierung
klarer
Hierarchien und Machtstrukturen sind nur zwei Beispiele für die Sozialisation der damaligen Zeit. (vgl.
dazu Kühn 2011, S. 73)
Die Assoziation, dass Schulen Fabriken ähneln, kommt also nicht von ungefähr. SIR ROBINSON K.
(2010) stellt in diesem Kontext die Einteilung der Schüler/innen in Jahrgangsstufen mit dem
Herstellungsdatum eines Produktes gegenüber. Die Gleichschaltung aller Schüler/innen die, jeglicher
Individualität beraubt, alle die gleiche Antwort auf eine Frage reproduzieren müssen, vergleicht er mit der
Gleichförmigkeit und Einheitlichkeit einer Fließbandproduktion.
Alle Lernräume in Abbildung 8 haben zum Ziel, das Lernverständnis der Industrialisierung zu tradieren.
Damals war der Zugang zu Information und Wissen anders als heute. Der/die Lehrer/in herrschte nicht nur
über das Wissen, sondern er/sie war auch der Filter dafür, welche Informationen wie und an wen
weitergegeben wurden. So stammt auch der Ursprung des Wortes „Vorlesung“ aus den Anfängen der
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Universitäten, als es noch keinen Buchdruck gab und der Vortragende fremde Werke vorlas. Durch seine
Kommentare zu den Werken war er das maßgebliche Medium, das bestimmte,
wie und welches Wissen
mehreren Personen zugänglich gemacht wurde (Fend 2006, S. 85).
Natürlich betreffen die Versäumnisse bei den schulischen Reformen nicht nur die physischen
Lernräume, sondern ebenso die Aspekte wie die Professionalisierung von Lehrer/innen und die Qualität des
Unterrichts. Diese Aspekte werden daher im folgenden Kapitel, in dem es um den Paradigmenwechsel in
der Bildung von der industrialisierten Gesellschaft hin zur Wissensgesellschaft geht, berücksichtigt.
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4.2
Schulisches Lernen im Spiegel der Wissensgesellschaft
4.2.1
Paradigmenwechsel in der Bildung
Nach den Erläuterungen, wie gesellschaftliche Umbrüche und die Funktionen der Institution Schule
zusammenhängen, wird nun ein besonderer Fokus auf die Beschreibung der Wissensgesellschaft gerichtet,
in die schulisches Lernen im 21. Jahrhundert eingebettet ist.
In der Industriegesellschaft lag der Schwerpunkt auf der fachlichen Ausbildung für einen bestimmten
Beruf, der ein Leben lang ausgeübt wurde. Diese ökonomischen Anforderungen wurden auf das
Bildungssystem übertragen. (OECD 2011)
Aufgrund sich rasch wandelnder Qualifikationsanforderungen und nicht vorhersehbarer
sozioökonomischer Entwicklungen hat die Verfolgung dieses Ziels heute keine Gültigkeit mehr. SIR
ROBINSON K. (2010) identifiziert diesbezüglich
als zentrales Problem, dass die Institution Schule die
gegenwärtigen und zukünftigen Herausforderungen der Gesellschaft durch Strategien lösen will, die in der
Vergangenheit, konkret in der Ära der Industrialisierung, angewandt wurden (vgl. dazu Vortrag und
Visualisierung „Changing Education Paradigm“ Abbildung 9). Er konstatiert in seiner Argumentation einen
Zusammenhang zwischen der Ausdehnung der ADHS
20
Vorkommen und der Zunahme standardisierter
Testungen in Schulen. Damit deutet er an, dass „teaching to the test“ für die Schüler/innen
nicht
sinnstiftend ist und ihre Aufmerksamkeit sich eher auf Computer, Smartphones und Fernsehen richtet,
anstatt schulischen Inhalten zu folgen.
Er spricht sich gegen die zunehmenden Standardisierungstrends von Lehr- / Lernprozessen aus. Diese
sollen seines Erachtens durch das Konzept des sogenannten
Do'stlaringiz bilan baham: