Arbeitsmarktpolitische Integration im „aktivierenden Sozialstaat“
Ein Merkmal des Wohlfahrtsstaats ist es, in dekommodifzierender Weise durch Regulierung der Sozial- und Arbeitsgesetzgebung in den Arbeitsmarkt einzugreifen (vgl. ESPING-ANDERSON 1990). Dies erfolgt grundsätzlich mit Absicht von Inklusionsvermittlung, welche die Marktverhältnisse jedoch nicht außer Kraft setzt, sondern vielmehr den Zwang zur Erwerbsarbeit aufrechterhält (vgl. BOMMES/SCHERR. 2003: 168). Entsprechend schreibt das Arbeitslosenversicherungsgesetz (AlVG) hinsichtlich Zuerkennung einer Versicherungsleistung im Falle von Arbeitslosigkeit zwingend Arbeitswilligkeit vor, unter anderem dokumentiert durch „uneingeschränkte Verfügbarkeit“ auch im Falle hoher Sockelarbeitslosigkeit bzw. ohne (zumindest absehbare) realistische Aussicht auf einen Arbeitsplatz. Ausdrücklich ist auch die Absolvierung von, seitens der Arbeitsmarktverwaltung initiierten, Kursmaßnahmen bei sonstiger Aberkennung der Versicherungsleistung (Arbeitslosengeld, Notstandshilfe) verpflichtend.
Die Verpflichtung zu „Kursmaßnahmen“ erfolgt in diesem Sinne „nicht nur mittels Überzeugungsstrategien, sondern durch regulative Politik“ (vgl. DAHME/WOHLFAHRT 2002: 17). Der neuerdings „aktivierende Staat“ versucht also, das paradoxe Integrationsprinzip „soziale Inklusion durch Zwang“ durchzusetzen. Zur Legitimation dieser Strategie deutet der aktivierende Sozialstaat „das makroökonomische Phänomen der dauerhaften Massenarbeitslosigkeit … im Lichte der aktivierenden Förderstrategien mehr und mehr als eine Art individuelles, sprich persönliches Problem oder Defizit – sei es als angebliche Inkompetenz des Einzelnen bei Bewerbungen oder Arbeitsfindung, als eventuell fehlende Anpassung an „normal übliche“ Arbeitsbedingungen bzw. auch als (vermutlich) unzureichende Arbeitsmoral“ (TRUBE/WOHLFAHRT. 2001: 29). Diese Form des Sozialstaats verkörpert insofern einen neuen Typus „Staatstätigkeit“, als er die bisherige strategische Ausrichtung von Fürsorglichkeit umprogrammiert auf Strafe und Kontrolle. Insofern ereignet sich eine schleichende Umkehrung von der einen Überzeichnung in Form des alten Paternalismus in die andere, konträre Form eines tendenziellen Autoritarismus. Die Strategie wechselt quasi vom „Zuckerbrot“ zur „Peitsche“. In beiden Fällen agiert der Sozialstaat fernab von Bereitstellung adäquater Rahmenbedingungen zur Ermöglichung weitgehender Mündigkeit und Autonomie seiner Bürger.
Konsequenterweise stellt der aktivierende Sozialstaat das passgenaue Instrument globaler Ökonomisierung aller Lebenszusammenhänge (vgl. GALUSKE: 2002b: 7f.). Die Indienstnahme der Arbeitsmarktpolitik als „Kernbereich aktivierender Sozialstaatsstrategien“ ist aus der Perspektive einer „aktivierenden Sozialpolitik“ eine nur folgerichtige Entwicklung.
Im Zuge der Durchsetzung dieser neuen Arbeitsmarktpolitik bilden sich neue methodische Prinzipien für die Soziale Arbeit aus, nämlich „Durchsetzung von Disziplin“ und „Sozialisierung zur Arbeit“ im Sinne der Nachahmung der Regeln und Normen des Arbeitsmarkts im Rahmen einer „kontrollierten Betreuung“ (TRUBE/WOHLFAHRT. 2001: 30). Zwar ist das Aktivierungspostulat für die Soziale Arbeit keineswegs neu. „Befähigende“ Sozialpolitik war immer schon interessiert an Aktivierung von Benachteiligten. Neu ist allerdings die „konzeptionelle Ausgestaltung der Umsetzung aktivierender Politik vor allem auf Arbeitslose und Sozialhilfe-EmpfängerInnen“ (BESENFELDER 2002: 2). Dahinter findet sich die These von der selbst verschuldeten Notlage. Die gegenwärtig (noch) offene Frage zielt also darauf ab, ob es angesichts aktueller und zukünftiger Veränderungen der sozialpolitischen und ökonomischen Landschaft einer berufshabituell tendenziell auf Selbstbefähigung ausgerichteten Sozialen Arbeit in Integrationsmaßnahmen gelingt, ihren einmal erreichten Stand an professioneller Autonomie zu sichern, zumal „die Idee der „Aktivierung“ (…) mit zeitgemäßer Sozialer Arbeit und Sozialpädagogik leider wenig zu tun [hat]. „Aktivierung“ erfolgt in den bisherigen Konzepten in einem schlichten top-down-Modell. Sie ist kaum mehr als ein Euphemismus zur Propaganda eines liberalen Wohlfahrtsregimes.“ (OPIELKA. 2003: 543).
Derzeit ist seitens des Arbeitsmarktservice Wien eine Maßnahme namens „Aufsuchende Vermittlungsunterstützung“, Untertitel „Aktive Arbeitssuche“ im Gange (vgl. Arbeitsmarktservice Wien. 2005), welche die soeben beschriebenen repressiven Aspekte der fordernden Aktivierung weiter vorantreibt. Innerhalb eines Zeitraumes von 64 Wochen sollen insgesamt 300 langzeitarbeitslose Teilnehmer in den ´“Ersten Arbeitsmarkt“ integriert werden, wobei eine Arbeitsaufnahme „dann zielrelevant (und in weiterer Folge für die Erfolgsmessung der vorliegenden Maßnahme relevant)[ist], wenn die zeitliche Dauer des Arbeitsverhältnisses (bzw. mehrerer aufeinander folgender Arbeitsverhältnisse) mindestens 3 Monate beträgt“ (ebd. o.S.).
Im Fall von mehreren, insgesamt drei Monate dauernden, also kurzfristigen (z.B. saisonale Aushilfe) und prekären Dienstverhältnissen mit anschließend neuerlicher Arbeitslosigkeit von „Integration“ in den „Ersten Arbeitsmarkt“ zu sprechen, klingt einigermaßen vermessen, scheint jedoch insgesamt für die geschilderte „workefare“-Strategie des „aktivierenden Sozialstaates“ signifikant zu sein. Unter dem Passus „aufsuchend“ versteht das AMS, dass Teilnehmer gegebenenfalls „durch die JobworkerInnen des Maßnahmenträgers von zu Hause abgeholt und zu den Terminen (z.B. Vorstellungsgesprächen) begleitet werden“, wobei Lernziel darin besteht, „jene strukturierte Alltagsorientierung (zurück) zu gewinnen, die Grundvoraussetzung für einen erfolgreichen Einstieg ins Erwerbsleben ist“ (ebd.: 4) – und sei es eben auch nur für drei Monate. Endgültig entmündigend, bevormundend und kontrollierend erscheint schließlich das Verständnis von „vermittlungsunterstützend“, nämlich „Jobakquisition, Moderation bei den Vorstellungsgesprächen“ und „Unterstützung der TNInnen [TeilnehmerInnen; W.I.] während und bei der Arbeitsaufnahme.“ (ebd. o.S.).
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