Ausschluss als Frage sozialer Ungerechtigkeit
Das differenzierungstheoretische Theoriemodell Inklusion/Exklusion ist also für eine Klärung der Folgen für die arbeitsmarktintegrative soziale Arbeit nicht ausreichend. Exklusionen aus dem Arbeitsmarkt ziehen keineswegs immer eine für die Sozialarbeit bedeutsame Hilfsbedürftigkeit nach sich. Ebenso wenig gehen wie Inklusionen immer mit Abwesenheit von Hilfebedürftigkeit einher. Auf eine Teilnahme an Erwerbsarbeit sind Gesellschaftsmitglieder nur dann angewiesen, wenn andere Einkommensquellen zur Bestreitung des Lebensunterhaltes nicht ausreichen (vgl. SCHERR 2004a: 67).
Das aus ihrem berufshabituellen Selbstverständnis resultierende, übergreifende Ziel der Sozialarbeit ist letztlich immer ihr Klientel zu eigenständiger, von Hilfeleistungen möglichst unabhängiger, Lebensführung zu befähigen bzw. zumindest deren „problematische Lebenssituationen erträglicher zu machen“. (BOMMES/SCHERR. 2000: 13). Paradoxerweise impliziert ersteres in letzter Konsequenz die Auflösung der Organisation respektive des Teilsystems „Soziale Arbeit“ und mündet letzteres in ein Sich-Abfinden mit einem Ungerechtigkeit produzierenden System bzw. Gesellschaftsmodell.
An dieser Stelle ist auf das über die persönlichen Motive der Angehörigen dieser Berufsgruppe hinausgehendes konstitutives Element der sozialen Arbeit schlechthin, nämlich der „Solidarität mit den Leidenden, Ausgestoßenen, Problembeladenen“ (GILDEMEISTER 1992: 216), hinzuweisen. Kritische Vertreter der Sozialen Arbeit weisen im professionellen, disziplinären Diskurs immer wieder hin auf die zunehmend “problematischen Entwicklungen in einer fortgeschritten liberalen Gesellschaft im Umgang mit Akteuren, die mit als maßgeblich erachteten Anforderungen bzw. Zumutungen nicht Schritt halten können.“ (KRONAUER 2002: 9). „Sozialer Ausschluss“ stellt demzufolge eine bewusst moralische Kategorie dar im Sinne der Thematisierung der damit verbundenen „Ungerechtigkeit“ (vgl. OTTO/ZIEGLER. 2004: 117). Ungerechtigkeit, Unterdrückung und Entwürdigung im Zusammenhang mit struktureller (Langzeit-)Arbeitslosigkeit ist demnach folgerichtig auch als Ungerechtigkeit zu thematisieren und nicht als sozialer Ausschluss (ebd.).
Von Arbeitslosigkeit unmittelbar Betroffene stellen vor allem eine gesellschaftliche Gruppierung dar, die - infolge der konsequenten Fortschreitung unserer, nach dem Zusammenbruch des „real-kommunistischen Systems“ mehr denn je kapitalistisch ausgerichteten, paradigmatische Ungerechtigkeiten generierenden Gesellschaft - zunehmend Gefahr läuft, den Anschluss gänzlich zu verlieren und sozial deklassiert zu werden. Von Aspekten der Ungerechtigkeit ist in den gegenwärtigen Diskursen um soziale Gerechtigkeit allerdings kaum etwas zu erkennen, auch nicht seitens der modernen Sozialdemokratie.
Für die Sozialwissenschaften ist das Problem der „Integration“ wesentlicher Bestandteil der Frage nach der Möglichkeit einer Organisation und Regulation von Gesellschaften (vgl. OFFE. 1979). Ein entscheidendes Merkmal des derzeit vorherrschenden Diskurses um sozialen Ausschluss besteht allerdings darin, dass er pragmatisch auf virulente Probleme blickt, aber nichts wissen will von Beobachtungen und Einsichten einer im weitesten Sinne mit dem Namen MARX verbundenen Tradition (vgl. OTTO/ZIEGLER. 2004: 118).
Sozialer Ausschluss wird weiters unter dem Begriff „Entkopplung“ verhandelt (vgl. CASTEL 2000), mit Blick auf „Vorenthaltung der Teilhabe an als wertvoll erachteten […] symbolischen Gütern“ - wie Arbeit - und auf damit zusammenhängende „Verweigerung der entsprechenden Handlungs- und Daseinsform“ als Erwerbstätige. (OTTO/ZIEGLER. 2004: 119)
Funktion oder Funktionalisierung der sozialen Integrationsarbeit?
Für die soziale arbeitsmarktbezogene Integrationsarbeit lassen sich grob drei mögliche idealtypische Funktionen erkennen (vgl. BOMMES/SCHERR 1996: 116). Im Falle der Exklusionsvermeidung geht es in erster Linie um Setzung präventiver Maßnahmen im Sinne einer Stützung der Exklusionsgefährdeten bereits im Vorfeld drohender Arbeitslosigkeit, z.B. durch vorausschauende, technische Entwicklungen antizipierende, Aufqualifizierung (wie im Falle der Mitte der 1980er stattgefundene Umschulungen der Drucker auf EDV).
Es geht aber auch um soziale Abfederung arbeitsmarktbezogener biografischer Risiken, wie z.B. der Sicherstellung von Kinderbetreuung. Eine derartige Integrationspolitik war vor allem bis Mitte der 1980er-Jahre erkennbar. Eine zweite potentielle Funktion liegt in der Vermittlung von Inklusionsmöglichkeiten, wie z.B. der Integration Arbeitslose durch Qualifizierung und Training. Dies entspräche vom vordergründig intendierten Anspruch her sowohl Maßnahmen des Referenztyps A bzw. auch der Variante B. Eine dritte idealtypische Variante läge in der reinen Exklusionsverwaltung, indem man z.B. aus dem Arbeitsmarkt Exkludierte (bzw. in Folge aus weiteren Funktionssystemen Ausgeschlossene) durch eine Vielzahl von Maßnahmen schleust, ohne je in nennenswertem Umfang die Grenze zum regulären Arbeitsmarkt zu überschreiten (vgl. BOMMES/SCHERR. 1996: 116). Dies ist im Referenztyp B de facto häufig zu beobachten.
Auf Grund des schrumpfenden Arbeitsmarktes unter der Prämisse einer „aktivierenden“ Sozialstaatspolitik findet sich die arbeitsmarktintegrative Maßnahmensozialarbeit in einem fortschreitenden Verlagerungsprozess der Funktionen hin zu mehr Exklusionsverwaltung bzw. der Verwaltung gesellschaftlicher Spaltung (vgl. OTTO/ZIEGLER. 2004: 120). Exemplarisch ist diese Tendenz in der hier präsentierten Maßnahmenvariante B zu erkennen. Das arbeitsmarktintegrative Segment der Sozialarbeit gerät somit wieder zunehmend zum Wächter an den durchlässiger werdenden Grenzlinien sozialer Integration und Desintegration bzw. ist immer weniger in der Lage, ihre eigentliche zentrale Aufgabe zu erfüllen. Vor allem unfreiwillig zugewiesener Teilnehmer wie Pensionsanwärter, akut Alkohol- und Drogenabhängige, bei denen es beim besten Willen nicht (mehr) um Arbeitsmarktintegration gehen kann, fühlen sich folgerichtig auch subjektiv in hohem Ausmaß verwahrt und verwaltet.
Grundsätzlich weist arbeitsmarktintegrative Soziale Arbeit als „sekundäres Primärsystem“ einen für alle anderen Teilsysteme nicht substituierbaren Leistungsbezug auf, indem sie gesamtgesellschaftliche Dysfunktionalitäten der Exklusion bearbeitet. Sie tut dies erstens durch Begrenzung von Exklusion, das heißt, sie arbeitet gegen das Versagen der Interdependenzunterbrechung (im Fall von Totalexklusion) und sorgt durch ihre Kontrollfunktion dahingehend, dass sich teilsystemisch organisierte Bereiche (vor allem der Ökonomie) auch auf den Exklusionsbereich ausdehnen. Im Gegenzug dazu hat sie durch ihre Kompensationsfunktion menschenwürdige Lebensverhältnisse zu gewährleisten und, indem sie durch ihre Korrekturfunktion auf Inklusion hinarbeitet, in der Intention, Exklusion als vorübergehenden Zustand zu gestalten (vgl. LUTHE. 2003; SOMMERFELD. 2000: 121). Schließlich muss sie sich zur Identifikation des Problemfalls (wer benötigt in welcher Weise Hilfe?) und zur Art und Weise der Problemlösung (mit welchen Mitteln ist zu helfen?) auch noch der Programme anderer Systeme bedienen (vgl. LUTHE. 2003: 7), vor allem jener der Ökonomie, der Politik und des Rechts. Die soziale Arbeit beobachtet grundsätzlich, aus welchen Teilsystemen (Wirtschaft respektive Arbeitsmarkt, Bildung, Recht, Familie etc.) Exklusionen drohen oder schon eingetreten sind und von welchen Teilsystemen bzw. deren Organisationen Leistungen in Anspruch genommen werden können.
Inklusionshilfe setzt in diesem Kontext die „prinzipielle Verfügbarkeit der Leistungen der gesellschaftlichen Funktionssysteme und Organisationen voraus“ (BOMMES/SCHEER. 2000). Diese Verfügbarkeit ist jedoch im dem gegenwärtig Arbeitsmarkt gegenwärtig faktisch nicht gegeben. Ihre Hilfefunktion operiert somit quer zum Leitprinzip funktionaler Differenzierung und ist a priori auf inkongruente Perspektiven zugeschnitten, impliziert also per se Dilemmata und Transintentionen. Indem somit permanent die Grenzen und Möglichkeiten anderer Funktionssysteme ins eigene Handlungskalkül eingebaut werden müssen, ist eine Sachkongruenz zwischen Funktion und Programmatik von vornherein ausgeschlossen.
Das Spezifische an „Inklusionshilfe“ ist, dass sie ihre „Ordnungsleistungen aus der Instrumentalisierung des Ausgeschlossenen“ generiert, ohne dies in planbarer Weise wirksam durch eine „Dachprogrammatik steuern zu können, die mehr sein kann als Ansammlung bewährter Praxiserfahrungen und Sekundärtugenden“ LUTHE. 2000. 7) - im Sinne von Sensibilität für die Situation, also Reflexion, Koordination, Empathie. Eine aus diesem Dilemma resultierende Bereitschaft zur Überanpassung an fremde Funktionslogiken ist dem entsprechend auch in der arbeitsmarktintegrativen sozialen Arbeit ein verbreitetes Phänomen und drückt sich dort (mehr noch im Projekttyp B) vor allem im Sinne eines wirtschaftsaffinen „Integrationsmanagements“ seitens einer neuen Generation von dienstleistungsorientierten „Trainern“, ausgestattet mit originär aus dem Managementbereich stammenden und auf die Maßnahmenziele hin transferierten Instrumentarium. 35 Zudem erscheint der „Modus des Erwartens von Hilfe (…) an keinem Ort der Gesellschaft wirklich klar vorgegeben“ (vgl. LUTHE. Ebd. 14f.) und erklärt zusätzlich den Hang der sozialen Integrationsarbeit, „sich politisch, ökonomisch oder therapeutisch korrumpieren zu lassen und den Vergleichsradius über das eigene System hinweg auszuweiten“ (ebd. 15).
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