Bevor Goethe mit Schiller erstmals im Herbst 1788 im thüringischen
Rudolstadt
persönlich
zusammentraf, waren sich beide nicht fremd geblieben. Sie kannten jeweils die frühen Werke
des anderen. Bereits als Schüler der
Karlsschule
hatte Schiller
mit Begeisterung Goethes
Götz und
Werther gelesen und den von ihm Bewunderten bei der Abschlussfeier seines
Jahrgangs 1780 als Besucher gemeinsam mit dem Weimarer Herzog neben
Karl Eugen
stehen sehen.
[126]
Goethe, der Schillers
Räuber mit ihrer Gewalttätigkeit ablehnte, hatte nach
seiner Rückkehr aus Italien mit Erstaunen Schillers gewachsenen Ruhm wahrgenommen,
später auch die
Gedankenlyrik
Schillers und seine historischen Schriften schätzen
gelernt.
[127]
Schillers Urteile und Gefühle gegenüber Goethe waren zunächst schnell
wechselnd und darauf angelegt, sogleich wieder revidiert zu werden.
Mehrfach nennt er
Goethe einen „gefühlskalten Egoisten“.
[128]
Safranski spricht von einer „Haß-Liebe“ und zitiert
aus einem Brief Schillers an
Körner
: „Mir ist er […] verhaßt, ob ich gleich seinen Geist von
ganzem Herzen liebe“.
[129]
Für die Befreiung von
Ressentiment
und Rivalität hat Schiller
Friedrich von Schiller, Zeichnung von
Friedrich Georg Weitsch
, 1804
Zweimal weilte Johann Wolfgang von Goethe im Gleimhaus zu Halberstadt.
später die „wunderbare Formel“ (Rüdiger Safranski) gefunden: „daß es, dem Vortrefflichen
gegenüber keine Freyheit gibt als die Liebe“ (Brief an Goethe vom 2. Juli 1796).
Die erste persönliche Begegnung in Rudolstadt, arrangiert von
Charlotte
von Lengefeld
, der
späteren Ehefrau Schillers, verlief relativ emotionslos. In einem Bericht an Körner zweifelte
Schiller „ob wir einander je sehr nahe rücken werden“.
[130]
Nach dieser „misslungenen
Begegnung“ hatte Goethe Schillers Berufung auf eine Jenaer Professur betrieben, die dieser
aber zunächst unbesoldet antrat.
[131]
Seit 1789 als Geschichtsprofessor im nahen Jena lebend, hatte Schiller Goethe im Juni 1794
gebeten, dem Herausgeberkreis einer von ihm geplanten Zeitschrift für Kultur und Kunst,
Horen
, beizutreten.
[132]
Nach Goethes Zusage trafen sich die beiden im Juli des gleichen
Jahres in Jena, für Goethe „ein glückliches Ereignis“ und der Beginn der Freundschaft mit
Schiller. Im September 1794 lud er Schiller zu einem längeren Besuch in Weimar ein,
der sich
auf zwei Wochen ausdehnte und einem intensiven Ideenaustausch zwischen ihnen
diente.
[133]
Diesem Treffen schlossen sich häufige wechselseitige Besuche an.
Die beiden Dichter stimmten in der Ablehnung der Revolution ebenso überein wie in der
Hinwendung zur Antike als höchstem künstlerischen Ideal; dies war der Beginn eines
intensiven Arbeitsbündnisses, aus dem zwar alles Persönlichere ausgeklammert war, das
jedoch geprägt war von tiefem Verständnis für das Wesen und die Arbeitsweise des anderen.
In der gemeinsamen Erörterung ästhetischer Grundsatzfragen entwickelten beide eine
Literatur- und Kunstauffassung, die als „Weimarer Klassik“ zur literarhistorischen
Epochenbezeichnung werden sollte. Goethe, dessen literarisches Schaffen, ebenso wie
dasjenige Schillers,
zuvor ins Stocken gekommen war, betonte die anregende Wirkung der
Zusammenarbeit mit dem zehn Jahre Jüngeren: „Sie haben mir eine zweite Jugend
verschafft und mich wieder zum Dichter gemacht, welches zu sein ich so gut als aufgehört
hatte.“
[134]
Im ersten Jahrgang der
Horen erschienen die
Römischen Elegien erstmals unter dem Titel
Elegien und ohne Angabe des Verfassers.
[135]
Darüber empörten sich offensichtlich „alle
ehrbaren Frauen“ Weimars. Herder veranlasste die Veröffentlichung zu dem ironischen
Vorschlag, die
Horen müssten nun mit einem „u“ geschrieben werden.
[136]
In den
Horen
veröffentlichte Schiller 1795/96 in drei Folgen sein
Traktat
Über naive und sentimentalische
Dichtung
, eine poetische Typologie, die wesentlich zu ihrer beider Selbstverständnis beitrug:
Goethe der „
naive
“, Schiller der „sentimentalische“ Dichter.
[137]
Beide Dichter nahmen lebhaften theoretischen und praktischen
Anteil an den Werken des
anderen. So beeinflusste Goethe Schillers
Wallenstein
, während dieser die Arbeit an Goethes
Roman
Wilhelm Meisters Lehrjahre
kritisch begleitete und ihn zur Fortführung des
Faust
ermunterte. Goethe hatte Schiller gebeten, ihm bei der Fertigstellung des
Wilhelm Meister-
Romans behilflich zu sein, und Schiller enttäuschte ihn nicht. Er kommentierte die ihm
zugesandten Manuskripte und war höchst erstaunt, dass Goethe nicht genau wusste, wie der
Roman enden sollte.
An Goethe schrieb er, er rechne es „zu dem schönsten Glück meines
Daseins, dass ich die Vollendung dieses Produkts erlebte“.
[138]
Für Nicholas Boyle bildete der
Briefwechsel über den
Wilhelm Meister in den Jahren 1795/96 den Höhepunkt in der
geistigen Beziehung zwischen Goethe und Schiller.
[139]
Sie betrieben auch gemeinsame publizistische Projekte. Zwar beteiligte sich Schiller kaum an
Goethes kurzlebiger Kunstzeitschrift
Propyläen
; dieser jedoch veröffentlichte zahlreiche
Werke in den
Horen und dem ebenfalls von Schiller herausgegebenen
Musen-Almanach
. Der
Musen-Almanach für das Jahr 1797 brachte eine Sammlung gemeinschaftlich verfasster
Spottverse, die
Xenien
.
[140]
Im
Musen-Almanach des Folgejahres
[141]
erschienen die
berühmtesten
Balladen beider Autoren, wie Goethes
Der Zauberlehrling
,
Der Schatzgräber
,
Die
Braut von Korinth
,
Der Gott und die Bajadere
sowie Schillers
Der Taucher
,
Die Kraniche des
Ibykus
,
Der Ring des Polykrates
,
Der Handschuh
und
Ritter Toggenburg
.
Im Dezember 1799 zog Schiller mit seiner vierköpfigen
Familie nach Weimar um, zunächst in
eine Mietwohnung, die zuvor
Charlotte von Kalb
bewohnt hatte; 1802 erwarb er ein
eigenes
Haus auf der Esplanade
. In Weimar bildeten sich Parteien, die zum Vergleich der beiden
„Dioskuren“ herausforderten. So versuchte der erfolgreiche Theaterautor
August von
Kotzebue
, der sich in Weimar niedergelassen hatte, mit einer
prunkvollen Feier zu Ehren
Schillers einen Keil zwischen die beiden zu treiben. Trotz einiger zeitweiliger Irritationen
zwischen ihnen blieb ihre Freundschaft bis zum Tode Schillers jedoch intakt.
[142]
Am 13. September 1804 wurde Goethe Wirklicher Geheimer Rat mit dem Ehrenprädikat
Excellenz
.
[143]
Die Nachricht von Schillers Tod am 9. Mai 1805 stürzte Goethe in einen Zustand der
Betäubung. Er blieb der Beerdigung fern. An den befreundeten Musiker
Carl Friedrich Zelter
schrieb er, er habe einen Freund und mit ihm „die Hälfte meines Daseins“ verloren.
[144]
Der
Tod Schillers markierte für Rüdiger Safranski eine Zäsur in Goethes Leben, einen „Abschied
von jenem goldenen Zeitalter, als für eine kurze Zeit die Kunst nicht nur zu den schönsten,
sondern zu den wichtigsten Dingen des Lebens gehörte“.
[145]
Mit ihm endete
Dieter
Borchmeyer
zufolge die prägende Periode der Weimarer Klassik.
[146]
Do'stlaringiz bilan baham: