Mein krieg aufzeichnungen aus 2129 Tagen



Download 2,31 Mb.
bet21/41
Sana27.06.2017
Hajmi2,31 Mb.
#17369
1   ...   17   18   19   20   21   22   23   24   ...   41

23. März 42. Die Kälte erlaubt, daß Waschwasser einfach vor die Tür geschiittet wird, wo es sofort gefriert, und desgleichen, daß jeder sein eigenes Wasser irgendwo im Hof los wird. Wenn Tau- wetter kommt, gibt es eine Riesenschweinerei. Ich benutze nicht das unmögliche Örtchen rechts in der Hofecke, wo selbst die Kälte des Saustalls nicht Herr wird, sondern verziehe mich in die Ruinen jenseits des Platzes.

217

24. März 42. Heute nachmittag war Kino. Erstaunlich und be- zeichnend für diese Kriegsform, daß wir uns ein paar hundert Meter vom Feind entfernt im Saal des ehemaligen Ortssowjet »Bel ami« ansehen können. Aus den Stellungen sind sie in ihren weißen Tarnanzügen gekommen, und was ihnen auf der Lein- wand aufgetischt Wurde, entspannt sie. Diese Schneeanzüge sind ausgezeichnet in Form und Material, sie bieten sogar einen ge- wissen Schutz gegen Kälte und Nässe. Vor zo Tagen habe irh zuletzt meine Kleider nachts ausgezogen. Es wird Zeit für ein größeres Reinigungsfest. Der Arzt kann das richtige Mittel gegen meine Hautgeschichte nicht verschreiben, denn es ist in der Apo- theke nicht vorhanden. Er füttert diese Milben oder was es nun ist mit Kalomel.

25. März 42. Es taut. Eine Woche noch und wir werden im Schlamm sitzen. Richtiger gesagt, die Russen werden im Schlamm sein, wahrend die Straße nach Rudnja genügend befestigt ist, um auch im Frühjahr befahrbar zu bleiben. Nachmittags war ich in der Sauna. Mein geistiger Pegelstand wird jeden Tag niedri- ger.

Gestern abend ergab sich zwischen einem Obergefreiten aus einer Artillerie-Einheit, den zwei Unteroffizieren der Schreibstube und mir eine dreistündige Unterhaltung bis Mitternacht. Der Oberge- freite hatte zusammen mit einem ukrainischen Hilfssoldaten Ortsstreife; wie die Nachtwächter Kontrolluhren schließen, muß- te er sich auf seiner Runde bei uns melden und in ein Buch ein- tragen. Den Ukrainer hatte er draußen im Hof stehengelassen.

Vom Wind durchblasen, mit hochgeschlagenem Mantelkragen kam er herein, machte die üblichen Sprüche, trug sich ins Streifen- buch ein und sagte plötzlich zu uns: »Morgen ist wieder Schlachte- festl« Ich muß bereits, obgleich ich nicht das Mindeste wußte, hinter diesen Worten etwas Ungeheuerliches geahnt haben, denn dieses dialektgcfärbte Wort »Schlachtefesm wird mir für immer im Gedächtnis bleiben. Die Unteroffiziere, die wie ich Briefe schrieben und deshalb noch in der Stube saßen (ich hatte außer- dem Nachtdienst), hoben die Köpfe. Ich fragte, was er damit meine. Es kam heraus, daß etwa 180 Juden, die in einem Vorrats- haus in Demidoff zusammengepfercht sind, in einer Mulde vor dem Ort erschossen werden sollen. Der Obergefreite setzt in recht fröhlichern Ton hinzu: »Die ganzen Familien!« Ich blieb nicht 228

still, sondern bemerkte, daß es Dinge gäbe, über die man nur mit Ernst sprechen, die inan vor allem nur ernst empfinden dürfe.

Der Obergefreite stellte sich allmählich als SS-Mann aus Saar- brücken vor, der dort, als die Stadt bei Beginn des Krieges vor- übergehend geräumt wurde, alles verloren hat. Er besaß ein Hotel. Nachdem er mir Hurnanitätsduselei und Weichheit vor- geworfen hatte, redete er auch von den Silberbestecken, die er dort eingebüßt habe. Ich versuchte dann drei Stunden lang, wäh- rend denen der Obergefreite auf seine Runde vergaß und den Ukrainer im Hof warten ließ (der wartete wirklich, und die Kälte machte ihm gar nichts aus), mich verständlich zu machen, ohne mich auszuliefern. Ich gab vor, es gehe mir keineswegs um die Juden – für die es übrigens wirklich leichter ist, sie werden heute erschossen, als sie verhungern langsam in ihrem Gefäng- nis -, es sei mir nicht um Hurnanität zu tun, sondern nur um die Haltung, um den Ernst, um alles das, »was uns qualifizieren würde, Europa zu leiten«. Naoh Stunden hatte ich den einen der beiden Unteroffiziere so weit, daß er mir zugestand, man dürfe keine Freude über die Vernichtung von Menschen äußern, wer sie auch seien, und keine noch so lange Gewöhnung ans Töten entschuldige Leichtfertigkeit dabei. Der andere Unteroffizier war um sein politisches Alibi besorgt, und der Obergefreite war un- belehrbar und packte immer wieder seine Silberbestecke aus. Un- ter drei Preußen dieses Schlages wäre die Diskussion noch un- fruchtbarer verlaufen. Bei den Münchner Unteroffizieren kam doch eine gewisse Neigung zum Philosophieren zu Tage. Der ältere wollte nicht davon abgehen, daß es eigene Erfahrungen und Erlebnisse gäbe (die silbernen Löffell), die einen Menschen veranlassen könnten, Vergnügen über die Vernichtung seines Feindes zu empfinden. Im Affekt vielleicht, gab ich zu; aber inwiefern seien diese russischen Juden Feinde des Saarbrückers? Diese armen Teufel? - Ob ich vielleicht die Juden verteidigen wolle. Als ich später bedachte, was ich gesagt hatte, lobte ich mich für alles, was ich nicht gesagt hatte.

[An Hansheinrich Bertram]

29. März 41. Ich brauche Dir nicht zu sagen, daß dieser Schreib- stubendienst kein Leben für mich ist. Ein klaglicher Druckposten, den ich nicht suchte ~ aber hätte ich ihn ausschlagen dürfen? 229

Der Krieg tut sehr wild, aber ich mißtraue seiner Ríístigkeit. Er ist bereits ein sehr erwachsener Mann und zeigt schon erste An- zeichen von Greisenhaftigkeit. Seine johannistriebe in diesem Sommer sollen uns nicht täuschen. Noch mal so lang kann er kaum durchgeh-alten Werden. Aber das kriecht so hin.

Nicht noch mal so lang: ich überlasse es Dir, darin einen Ausdruck von Optimismus oder Pessimismus zu sehen. Du wirst sagen, was heißt dann unendlich? Der kriegerische Zustand, von dem ich spreche und den ich mir ››endlos« vorstelle, ist ein anderer als der gegenwärtige. Aber lassen wir es uns nicht verdrießen! Es müßte mit dem Teufel zugehen, wenn wir après nicht wieder in unsere Wege einbiegen könnten.

Du mußt mir das Geheimnis verraten, wie die Maler Winterbil- der malen. Vor der Natur. Hier ist so viel zu skizzieren, die Sonne strahlt drauf, die erste des jahres, und macht es märchenhaft, und überhaupt ist das winterliche Rußland schöner als das sommer- liche, in sich geschlossener noch, und die Hütten mit ihren Rauch- fahnen über den Dächern _ . . In ihnen ist gut sein. Ein paar Tage wohnte ich mit Russen zusammen, sauber war es da, und es schien, als sei das russische Volk zerfallen in den Feind einerseits, in eine aus Frauen und Halbwüchsigcn bestehende Menge andererseits, die heiter, plauderig und höflich ist.

Mit Frauen und halben Kindern gruben wir die Straße aus, um überhaupt hierher durchzukommen. Wir schaufelten an einer Wohl hundert Meter langen Stelle 3 m hohen Schnee weg. Das alles wäre zu zeichnen und zu malen, aber es ist viel zu kalt, und die Kunst friert ein, die Finger, die Tusche, der Pinsel. So verlege ich mich aufs Knipsen, ich habe wieder eine gute Kamera mit.

31. März 42.. Mit einem jungen Leutnant wurde ich zur Feldpoli- zei geschickt, um zwei Vernehrnungen mitzuschreiben. Die eine galt einem Ukrainer, der gestern iíbergelaufen ist. Er sagte aus, die Russen hätten iooo Mann Verstärkung bekommen ohne schwere Waffen. So ist diese Nachricht nicht Weiter beunruhigend, abgesehen davon, daß man sie mit Vorsicht aufnehmen muß. Mei- nes Erachtens reden uns die Überläufer nach dem Mund und er- zählen ihre eigenen Erfindungen in der Absicht, uns guter Laune zu machen. Wenn ihre Aussagen zutreffen würden, müßten alle Russen längst verhungert und erfroren sein.

230

Während der Vernehmung schossen die Russen plötzlich mit Artil- lerie. Wir sprangen eilig aus dem hölzernen, kellerlosen Quartier der Feldpolizei hinaus und stellten uns in Deckung hinter die Ost- wand des Technikums. Daran taten wir gut, denn die nächste Salve verwandelte das Holzhaus in einen Trümmerhaufen, aus dem ich die Schreibmaschine glücklicherweise nur verschmutzt, aber unbeschädigt bergen konnte. Als ich später zum Gefechts- stand zurückkam, war auch dort keine Scheibe mehr ganz.

Die lang vermißte frische Luft ist jetzt im Unterkunftsraum irn Übermaß vorhanden, und der Ziegelofen kämpft vergeblich ge- gen die Kälte an. Ich schlafe nun als einziger im oberen Raum, ein seltener, beglückender Luxus. Die andern haben sich Dauer- quartier im Keller gesucht. Der Hauptfeldwebel hat einen schwa- chen Versuch unternommen, den Schlafplatz zum Gegenstand eines Befehles an mich zu machen, aber es gelang mir, ihn noch vorher durch das Bild abzulenken, an dem er sehr interessiert ist.

Ich habe begonnen, eine Ansicht des Garnisonortes Kempten, das ich nur im Vorüberfahren einige Male habe liegen sehen, nach einer Fotografie auf die Ostwand des großen Zimmers zu zeich- nen. Es stehen mir dazu rote,blaue, grüne und schwarze Bürostifte zur Verfügung, mit denen ich eine Fläche von 4 X 2 rn füllen will.

Karfreitag, 3. April 42. Ich kenne nun schon drei Soldaten im Re- giment, die mit der Ausarbeitung ihrer Notizen aus der Einschlie- ßungszeit beschäftigt sind.

Ostersonntag, 5. April 42. Das Sehneetreiben am Karfreitag war eine letzte Anstrengung des Winters. Die eifrige Sonne erlaubte mir, mich mit bloßem Oberkörper auf die Hoftreppe zu setzen.

Ich hoffe, das mißfällt der Kraltze. Nachher waren sehr langwei- lige Tabellen zu schreiben. Um 3 Uhr war ich damit fertig, nahm den Fotoapparat und machte eine Erkundungsfahrt in die frem- den Länder hinter dem Marktplatz. Der Himmel war blau und sanft, und selbst wenn ich nicht gewußt hätte, daß heute Ostern ist, wäre mir die feiertägliche Stille auf den Straßen aufgefallen.

Nichts war zu hören außer den Vögeln, die da und dort in den kahlen Bäumen sangen.

D. ist zweifellos der einzige hier, mit dem ich offen sprechen kann und der versteht, was ich meine. Wir haben verabredet, unsere Übereinstimmung nach außen zu verbergen, damit wir nicht un- 231

nötig unsere Stellung noch schwieriger machen. Als dritter fällt mir ein Mann Ludwig Sch. Auf, ein dinarischer Typ rnit fortge- schrittener Glatze, Sohn eines wohlhabenden Bauern. Er vermag mit einem Mindestmaß an Arbeit und Bewegung seine Tage hin- zubringen, ohne dadurch an allgemeiner Sympathie einzubüßen oder die Aufmerksamkeit seiner Vorgesetzten auf sich zu ziehen.

7. April 41. Das Wandbild von Kempten ist fertig und gefällt nicht nur den andern, sondern auch mir. Das Bild ist heiter, sowohl in der naiven Zeichnung wie in den Farben.

Seit drei Tagen haben sich die Russen eine neue Gewohnheit zu eigen gemacht. Zur Teestunde schießen sie ein paar Salven aus 12,5-cm-Geschützen in den Ort. Gestern war das Wanderkino wieder hier, und als in der Wochenschau Artillerie vor Leningrad gezeigt wurde, setzte das Feuer ein. Film und Wirklichkeit ver- rnischten sich, und die zoo Männer im Saal sagten halblaut vor sich hin: Abschußl, wenn der unverkennbare dumpfe Ton zu hö- ren war, und warteten dann gespannt auf die Einschläge. Sie la- gen nahe um die Kommandantur herum.

13. April 42. Ich kann eine Karte aller unserer Kriegsschauplätze nicht ansehen, ohne von den zahllosen Möglichkeiten der kriegeri- schen Entwicklung überwältigt zu werden. Wer im einzelnen die Anspannung der Kräfte und die Verwirklichung oder Preisgabe der Pläne überschaut, müßte in einer abenteuerlichen Seelenver- fassung sein, wenn nicht die Beschäftigung mit den technischen Details seiner Hybris ihm den Blick über das Ganze verwchren würde. Selbst Napoleon, der doch zuweilen eine zutreffende Vor- stellung seiner eigenen Rolle hatte, wußte den Argumenten Cou- laincourts gegen das russische Unternehmen nur Truppenstärken, Ausrüstungsziffern und Kilometerzahlen entgegenzusetzen wie irgendein simpler Stabsoffizier. Von dem dunklen Drang, dem er unterlag, redeten clie verständigsten Zeitgenossen im geheimen und von der ungeheuerlichen Großartigkeit des Unternehmens schrieb der ››M0niteur« für das Volk ¬ nur, daß er ein Plus- statt ein Minuszeichen davorsetzte. Bei uns hat man aus dem Gebrauch des gesunden Menschenverstandes ein Sakrileg gemacht, und da- mit regiert es sich ausgezeichnet. Ohne Bremsen rollt unser Natio- nalfahrzeug dahin.

15. April 24. Das Frühjahr ist erst am Himmel, in der Luft einge- zogen. Auf die Erde will es nicht kommen. Sie ist tief hinunter 232


noch eisenhart gefroren und der Schlamm obenauf, der während der Mittagsstunden ebenso rasch entsteht, wie er sich wieder ver- härtet, ist nur eine vergleichsweise dünne Schicht, wenn auch die Stiefel bis zum Schaftansatz darin versinken.

Gestern sind die Notizblattchen nicht abgegangen. Sie waren schon im Kasten abends, aber morgens habe ich sie Zurückbehalten, manchmal warnt mich eine innere Stimme vor der Absendung, und ihr gehorche ich immer.

Wenn ich den Brief von Ehbinghaus an Dich recht verstehe, so hat er mein Manuskript an Carossa weitergegeben. Und auch an Kubin? Die Kopien fangen also an, sich selbständig zu machen.

Es soll mir recht sein, solange sie an verständige Leute geraten.

Von so sensiblen Opportunistcn wie C. sind ja wohl keine Dumm- heiten zu befürchten. Der Ebbinghausensche Brief machte mir, wie neulich der Hausensteinsche, wieder einmal klar, daß es noch fast normale Bereiche gibt. Zuweilen, wenn ich unaufmerksam bin mit mir selber und plötzlich unmittelbar und hart dessen innewerde, daß ich nur die Vox Rindvieh höre, kommt mich ein leiser Neid an im Gedanken an zivile Existenzen. Aber was be- zahlen sie dafür, die, die solche doch nur dem Anschein nach »nor- male« Existenzen der Ver-Rücktheit entreißen? Ich will ganz ge- wiß nid1t sagen, daß ich dieses Mistleben führen würde, wenn ich einen Weg sähe, rauszukommen. Aber dazu gezwungen, tröstet mich die Vorstellung in den ödesten Augenblicken, daß diese Art Zwang der politisch blindeste ist, den dieses System auf seiner Speisekarte hat. Obwohl ich wenn auch keine Fahne, so doch ein Fähnchen mit dem Frankreich-Manuskript aufgezogen hatte; ob- wohl ich das große Tier damit immerhin soweit gereizt habe ohne gezielte Absicht, daß ich vors Kriegsgericht kam: so richtig haben die andern doch nicht begriffen, worauf sie stießen. Sie wurden bösartig, aber die Uniform war ihnen im Wege, und die Tatsache, daß ich sozial so überhaupt nichts darstelle, diese unschätzbare, wenn auch zuweilen lästige Tatsache, sie hemmte ihren Vernich- tungstrieb. Wäre ich Mitglied der Reichsschrifttumskammer ge- wesen, also etwa in Rothes Umständen und Position, ich wäre auf der Strecke geblieben. (Das ist freilich eine in sich wider- spruchsvolle Anmerkung, denn der, der ich bin, kann nicht in R.s Position sein.) Es sieht nur so aus, als bezahlte ich teuer, aber wenn ich lebend und heil herauskomme, werde icl1's billig gehabt 233


haben, billiger zum Beispiel als »der Sachverständige, dessen Na- men Sie erraten werden«, wie Ebbinghaus schreibt und Wumit er Carossa meint. Wer mittut, um etwas zu sein, kann in seiner Gesinnung sein, was er will, er ist ein Komplize. Wenn diese Sa- che go Jahre dauerte, dann hätten wir eben Pech gehabt mit unse- rer sozialen Existenz; im Verzicht, sie nach dem eigenen Rang zu bauen: eben darin läge dann der Sinn des Lebens.

Aus Kempten ist ein sehr gefiirchteter Hauptmann eingetroffen.

Er muß ein Sehreckensregiment in der Garnison geführt haben.

Es wird von ihm erzählt, daß er sich Sonntag nachts betrunken im Schlafanzug auf die Treppe seines Kompaniegebäudes gesetzt habe, um gleichfalls betrunken heimkomn-rende Soldaten abzu- fangen, die er dann am nächsten Tage bestrafte. Sein Exerzieren soll die Hölle gewesen sein. Der Mann heißt Salisko.

[Es ist mir trotz einiger Versuche nicht gelungen, diesen Salisko nach dem Krieg zu identifizieren. Arn 14. Juli, zwei Tage nach dem Beginn des deutschen Angriffs im Abschnitt Demidoff, wurde er aus mir unbekanntem Anlaß von der Truppe entfernt.

Anfang 1945 hatte er es zum Chef der Leibgarde des Münchner Gauleiters Giesler gebracht und in dieser Stellung ›Menschen- jagd< getrieben, bis ihn sein Schicksal ereilte.]

[Von Hansheinrich Bertram]

19. April 42. Ich hörte lange nichts von Dir. Durch einen Brief meiner Frau erfuhr ich, daß Du unterwegs zur Front hist, d. h.

also jetzt schon lange irgendwo eingesetzt. Du hast Dich hei Irm- gard [B.s Frau] erkundigt, oh ich noch lehe, Das finde ich nett.

Inzwischen wirst Du meinen Brief erhalten hahen. Seit damals hat sich für uns wenig ereignet, in der Szenerie nichts geändert.

Wir genießen das hisher unheleannte Glüc/e eines *uierteljührigen Dauerquartiers, das uns üher die letzten Winterstürme hinweg- geholfen hat. Eigentlich erst seit 14 Tagen hat sich der Frühling, den ich in meinem letzten Schreihen schon hesang, durchgesetzt.

Wir hefinden uns mitten in der berüchtigten Schlammperiode.

Wahrscheinlich erlehst Du sie selhst und freust Dich wie ich üher das Plätschern und Rieseln der tausend Bäche, über das Auftauen der gelhhraunen Erde, üher Kinderlachen, Vogellieder und die unzähligen Frühlingsstimmen, -farhen, -hilder und -stimmungen.

Die Kompanie hefindet sich seit Monaten in einem rüclewürtigen 234

Raum. So /eommt zu den iihrigen Vorteilen unserer Lage das relativ freie und unheaufsichtigte Dasein eines Betriehstrupps (der eine Difuisionsrıermittlung aufrechterhalt), dessen Du Dich erinnerst. Oh mit oder ohne Wehmut, /eann ich nicht entscheiden.

Aber diese ist ja, Gott sei Dan/e, nicht Dein Fall. Du fragtest da- mals nach der Stimmung hier draußen (wobei Dir hoffentlich hewußt ist, daß der Soldat keine Stimmung, sondern nur Haltung kennt). Ich finde, sie ist nicht schlechter geworden. Nicht auf Grund einer heroischen, sondern eher fatalistischen Einstellung der Masse. Die anfangs nicht erwartete Lange und Schwere des Krieges wird jetzt als selbstverständlich hingenommen, die Mög- lich/eeit eines zweiten russischen Winters durchaus ernstgenom- men. Daß man einen ersten und einmaligen für ausgeschlossen hielt, ist vergessen. Die Hoffnungen des 'vorigen Sommers uher- tragt man mit der gleichen Üherzeugtheit auf den hevorstehen- den.

[Von Tante Agnes Ruoff]

Pasing, 19. April 42. Ich werde Dir jetzt oft schreihen, auch wenn ich so gut wie nichts zu herichten weiß, denn vieles, was ich Dir gerne sagen würde, muß ia leider aus triftigen Griinden unaus- gesprochen hleihen. Ich hahe auch gleich Deinen jetzigen Stand- ort Demidoff auf der Karte gesucht und zu meiner Freude ge- funden.

Wir sind 'vollständig Deiner Meinung, daß der Tiefpun/et der Lehens- und Existenzhedingungen im nachsten Winter leornrnen wird. Dariiher mehr zu schreihen, hat leeinen Sinn. Entweder halt man's aus oder nicht.

[Vom Vater]

204 April 42. Die schriftliche Verhindung ist im Gegensatz zu der mit der Heimat hier draußen noch recht langsam. Wenn Du Gelegenheit hast, an eine Fernleitung zu leommen, so versuche mich iiher die Standortoerrnittlung Briansle zu erreichen. Bis Smo- lensle geht die Verhindung von hier aus. Ich hin von meiner Difvi- sion getrennt und ganz allein auf weiter Flur. Ehen sind eine Menge Flieger da und krachen in die Gegend. Ich furchte für meine Fensterscheihen. Bei Smolens/e learınst Du 'verschiedene Spu- ren 'von uns finden. Wir waren sechs Wochen in der Gegend 'von Orscha his Brians/e, in Srnolensle war ich am 18. fuli, 235


Mit meiner Beförderung [zum Major] bist Du der Zeit voraus.

Sie hängt seit November irgendwo, 'von der Division ist sie ge- meldet, aber schriftlich nicht bei mir angekommen. Laß bald was hören.

[Feldpost-Faltbrief, auf der Rückseite steht gedruckt: »Man muß das Unmögliche verlangen, damit das Mögliche geleistet wird.

M0ltl§e.<<]

19. April 41. Morgen ist Hitlergeburtstag, und es gibt Reispud- ding. Heute gab es Schnaps und Besoffenheit.

zo. April 42. Eben erfahren wir, daß morgen unser neuer Regi- mentskommandeur kommen soll. Ein Oberst. Bisher führte ein älterer Major das Regiment stellvertretend. Wir sind neugierig, was das für ein Herr sein wird, und selbst für einen so kleinen Soldaten wie mich ist diese Frage nicht ganz ohne Bedeutung.

Herr Salisko hat glücklicherweise nicht die Stabskompanie, sondern das II. Bataillon bekommerı. Dort hat er bald nach sei- ner Ankunft eine Unteroffiziersbesprechung abgehalten und cla- bei die ausgezeichnete Formulierung gefunden: Menschenjagd ist die schönste Jagd.

zt. April 42. Der Oberst ist gekommen, er heißt M. [Maydorn].

Er sieht wie ein Offizier aus und paßt in die Uniform. Ein älte- rer Herr, der wahrscheinlich langjährige Erfahrungen mit Rheu- matismus hat. Das verrät seine Art, sich zu bewegen. Er ließ sein Schreibstubenpersonal antreten: verheiratet, wie viele Kinder, wie lange beim Militär? Bei solchen Fragen erinnere ich mich im- mer des alten Zaren Ferdinand von Bulgarien, der, als ihn ein Scherl-Fotograf namens Nordhausen 1938 für das Archiv dieses Verlages aufnahm, an diesen nach der Vorstellung die Frage rich- tete: Sind Sie aus Nordhausen?

Als ich dem Oberst auf seine Frage sagte, daß ich nun im dritten jahr Soldat sei, ging sein Blick mit jenem Erstaunen, das ich nun schon gut kenne, nach meinem linken Oberarm. Nicht der klein- ste Winkel ist dort zu sehen. Als der Cercle zu Ende war, behielt er mich da, und ich teilte ihm mit nıöglichster Kürze das Notwen- digste mit. (Noch immer sind meine Papiere nicht nachgekcm- men.) F,r scheint mir zu denjenigen Offizieren zu gehören, die einen rein militärischen Fauxpas für harmloser halten als einen politischen, und dementsprechend setzte ich den Akzent. Der 236

Oberst, vom Adjutanten offenbar nicht zu meinem Nachteil über mich instruiert, kehrte sich mit väterlicher Strenge mir zu und meinte, er wolle dafür sorgen, daß die Sache ganz »geglärtem werde, dazu müsse er mich aber kennenlernen, und das sei hinter der Schreibmaschine nicht möglich. Welche Ausbildung ich gehabt habe? Fernsprecher, je nun, er werde mich iın Auge behalten. Ein neuer Mann also, der Wievielte?, dem die Verhältnisse gestatten, Schicksal über mich zu spielen.

Der Krieg reibt sich den Winterschlaf aus den Augen. Meine Ver- mutung bezüglich des Rheumatismus bestätigte sich, insofern der Herr Kommandeur eine Vorliebe für die Sauna haben. Ein jun- ger Russe aus dem der Sauna nächstgelegenen Hof sollte das Bad für den Oberst vorbereiten, aber das klappte nicht, der Badegast hatte den Weg umsonst gemacht, die Hütte War nicht geheizt.

Daraufhin bekam der Adjutant den Befehl, dafür zu sorgen, daß die Sauna jeden Samstag gegen ıo Uhr 1. leer, 2. geheizt und

3. sauber sei. Was tut der Leutnant, der meinen freundlichen Urn- gang mit unserer ››Zugehfrau« beobachtet hat? Er gibt den Befehl an mich weiter. Schreiber, Kartenzeichner, Skizzenbuchverfas- ser – und Badewärter. Das ist mein 387. Beruf als Soldat. [Ich hatte für den Divisions-General ein »Demidoffer Skizzenbuch« gezeichnet, vom Regimentsadjutanterı dazu sanft gedrängn] [Von Jeanne Mammen, der Malerin aus Berlin]

26. April 42. Derıleen Sie/ die Cigaretten sind 'wi'/lelich angeleom- men/ Ich habe mich sehr dariiber gefreut. Sie wissen, daß 'wir die beste Gelegenheit haben, uns zu Heiligen emporzuranleen “von einer Entsagung zur anderen; ich habe es noch nicht so weit ge- bracht, da/K »Rıíiclefälle« mir unangenehm sind. So war mein Ate- lier ziemlieh 'uernebelt wegen Ihrer Spende.

Ich möchte so sehr gern Ihr Russenbuch lesen, ist das denn noch immer nicht möglich?

Wie leben Sie jetzt dort? Kommen Sie überhaupt zum Schreiben fiir sich und Zeichnen und ~ zur Musile? In Rußland gibt es /eeine Kathedralen und keine Orgeln. Und 'was für ein erschreckend niichterner Insehtenlerieg zwischen tiefem Himmel und flacher Erde! Ich bereite mich jetzt so langsam auf meine Prager Reise vor. Am 15. Mai soll es losgehen. Ich fahre für das Institut, um dort Motive fiir Theaterde/eorationen zu zeichnen.

137

Im Herbst möchte ich dann runter zu Edith und Thomas fahren.

Meine wirkliche Arbeit [zu malen] ist mit all diesem etwas ins Hintertreffen geraten. Ich bin oft zu müde und zu angestrengt.

Morgen höre ich ein sehr schönes Konzert, Edwin Fischer spielt mit seinem Kammerorchester Bach, Klaz/.Conc. D-moll für 1 Kla- vier, C-dur fiir 3, f-moll fiir 1, a-moll für 4. Der Frühling ist eiskalt und strahlend schön (hier in Berlinl). Wann werden Sie den Bodensee sehen? Schreiben Sie mir öfter, wie es Ihnen geht im ››.S`owjetparadies« (so die Reklame im K. d. W. [Kaufhaus des Westens] für die diesbezügliche Ausstellung im Lustgarten; eine riesengroße Schlange, Typ Boa constrictor, wälzt sich dort durch Fotografien 'ucrwahrloster Russentypen).


Download 2,31 Mb.

Do'stlaringiz bilan baham:
1   ...   17   18   19   20   21   22   23   24   ...   41




Ma'lumotlar bazasi mualliflik huquqi bilan himoyalangan ©hozir.org 2024
ma'muriyatiga murojaat qiling

kiriting | ro'yxatdan o'tish
    Bosh sahifa
юртда тантана
Боғда битган
Бугун юртда
Эшитганлар жилманглар
Эшитмадим деманглар
битган бодомлар
Yangiariq tumani
qitish marakazi
Raqamli texnologiyalar
ilishida muhokamadan
tasdiqqa tavsiya
tavsiya etilgan
iqtisodiyot kafedrasi
steiermarkischen landesregierung
asarlaringizni yuboring
o'zingizning asarlaringizni
Iltimos faqat
faqat o'zingizning
steierm rkischen
landesregierung fachabteilung
rkischen landesregierung
hamshira loyihasi
loyihasi mavsum
faolyatining oqibatlari
asosiy adabiyotlar
fakulteti ahborot
ahborot havfsizligi
havfsizligi kafedrasi
fanidan bo’yicha
fakulteti iqtisodiyot
boshqaruv fakulteti
chiqarishda boshqaruv
ishlab chiqarishda
iqtisodiyot fakultet
multiservis tarmoqlari
fanidan asosiy
Uzbek fanidan
mavzulari potok
asosidagi multiservis
'aliyyil a'ziym
billahil 'aliyyil
illaa billahil
quvvata illaa
falah' deganida
Kompyuter savodxonligi
bo’yicha mustaqil
'alal falah'
Hayya 'alal
'alas soloh
Hayya 'alas
mavsum boyicha


yuklab olish