7.4 Mögliche Umsetzungsformen des Blended Learnings
Wie bereits deutlich gemacht worden ist, gibt es beim Blended Learning keine
vorgeschriebenen oder empfohlenen Einsatzmöglichkeiten von Computern. Im
Folgenden stelle ich drei typische Szenarien vor: den Einsatz von Computern
a) ohne spezielle Lernsoftware oder Internet, b) mit Sprachlernsoftware und
c) zur Benutzung einer Lernplattform.
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a) Einsatz des Computers ohne spezielle Software
Medien- und Kommunikationstechniken können (...) ganz allge-
mein als Werkzeuge zur Erarbeitung, Sammlung, Aufbereitung und
Kommunikation von Wissen genutzt werden. (Kerres 2001: 97)
Die einfachste und kostengünstigste Variante des Computereinsatzes in Schulen
ist wohl der ohne spezielle Programme. Nur die Software, welche im Lieferumfang
enthalten war oder als kostenlos erhältlich ist, findet dabei Verwendung. Dabei ziele
ich auf die Programme ab, die den Schülerinnen und Schülern auch meist zu Hause
zur Verfügung stehen: Textverarbeitungsprogramme und Tabellenkalkulationen
(in Verbindung mit Präsentationsprogrammen auch als Office-Paket bekannt).
Zu den schon beschriebenen Vorteilen der Textverarbeitung (Löschen, Einfügen,
Umstrukturieren) ist noch hinzuzufügen, dass durch Speichern unter anderem
Dateinamen verschiedene Versionen des gleichen Texts erhalten bleiben. So kann
darauf immer zurückgegriffen werden (vgl. Grüner/Hassert 2000: 24), z.B. um
den Schülerinnen und Schülern deutlich zu machen, wie sich der Text im
Schreibprozess verändert hat. Durch das relativ einfache Kopieren (auf mobile
Datenträger) und Versenden (z.B. per E-Mail) können die Texte der restlichen
Klasse zugänglich gemacht werden. Auch besteht die Möglichkeit, dass die
Lernenden zu Hause an dem Text weiterarbeiten können. Eine arbeitsteilige Auf-
gabe kann so auch zu einem einzigen Endprodukt zusammengefasst werden
(vgl. ebd. S. 34). Die Möglichkeit, Textteile zu formatieren (z.B. Schriftgröße,
Schriftart, Farbe), sie auf dem virtuellen Blatt zu bewegen (durch Verschieben
oder Einrücken) oder durch Ausschneiden und Einfügen auf verschiedene Dateien
zu verteilen, erlaubt den Schülerinnen und Schülern die Texte nach ihren Bedürf-
nissen zu gliedern. Somit ist die Textverarbeitung ein Werkzeug, mit dem sich die
Lernen Texte besser erschließen können (Bimmel/Rampillon 2000: 111-113).
Ebenfalls als Werkzeug können Tabellenkalkulation eingesetzt werden. Damit
können die Lernenden einfache Simulationen konstruieren, um so beispielswei-
se (an Hand der Tabellenwerte oder des vom Programm gezeichneten Graphen)
zu erkennen, wie sich das Gewicht eines geworfenen Gegenstandes,
Abwurfwinkel und -geschwindigkeit auf die Flugbahn auswirken
(Physkunterricht, Thema »Schiefer Wurf«). Ähnliche Einsatzmöglichkeiten sind
in allen naturwissenschaftlichen Fächern zu finden.Ebenfalls zu dieser Gruppe
der Einsatzmöglichkeiten zähle ich die Nutzung des Internets zu Informations-
zwecken.
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Ein großer Vorteil bei der Verwendung von Office-Software liegt darin, dass sie
entweder dem Computer beiliegt oder kostenlos erhältlich ist
35
. Da bei vielen
Schülerinnen und Schülern der höheren Klassenstufen bereits Grundkenntnisse
im Umgang mit diesen Programmen vorhanden sind (zur Häufigkeit der
Verwendung siehe 10.2), ist keine „spezielle didaktische Aufbereitung des
Werkzeug selbst“ (Kerres 2001: 99) notwendig. Doch müssen spezielle
Lernaufgaben in diesem Einsatzbereich formuliert und die Lernorganisation so
arrangiert werden, dass die Lehrziele erreicht werden können (vgl. ebd.).
Ebenfalls in Hinblick auf die Studierfähigkeit oder das spätere Berufsleben ist es
sinnvoll, diese Werkzeuge zu nutzen, da Kenntnisse im Umgang mit diesen Pro-
grammen dort von Vorteil sein werden (vgl. z.B. Initiative D21 „eSkills-
Kompetenzstudie“).
Anzumerken ist noch, dass die Speicherung der erstellten Dokumente auf einem
Rechner in der Schule nur eine ortsgebundene Nutzung zulassen. Selbst wenn
die Übertragung auf den privaten Rechner der Schülerinnen und Schüler gelingt
(per mobilem Datenträger oder E-Mail), ist noch nicht gewährleistet, dass sich
die Datei dort öffnen lässt. Verschiedene Anwendungen und ihre spezifischen
Dateiformate sind nicht immer kompatibel untereinander.
b) Einsatz von Lernsoftware
Unter dem Begriff der hier exemplarisch betrachteten Sprachlernsoftware ver-
steht man Selbstlernkurse, welche „das Ziel haben, den Lernenden von einem
bestimmten Lernniveau zu einem anderen zu bringen, und dazu verschiedene
Fertigkeiten, Grammatik und Wortschatz vermitteln“ (Nandorf 2003: 36). Sie
können in traditionelle Drill & Practice-Programme ohne multimediale Elemente
und so genannte „geschlossene Multimedia-Anwendungen“ (Schmidt/Nandorf
2003: 66) unterschieden werden. Dabei gibt es lehrwerkbegleitende und lehr-
werkunabhängige Produkte. Da Lernsoftware ursprünglich für den
„Nachmittags-Bereich“ konzipiert wurde, ist es schwierig, sie in den Unterricht
zu integrieren. Aus Sicht des Kontruktivismus besitzen solche „»instruktivisti-
schen«, tutoriell orientierte Programme wenig lernförderndes Potenzial“ (ebd. S.
65). Wenn der Einsatz einer solchen Software doch gerechtfertigt wäre (siehe
unten), fehlt es meist von Seiten der Hersteller an Handreichungen für die
86
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35 Als freie Software ist hier Open Office zu nennen (http://de.openoffice.org).
Integration in der Unterricht (vgl. ebd. S. 65). Zwar ist festzustellen, dass die
Hersteller langsam von Software mit behavioristischer Prägung Abschied nehmen,
aber immer noch ist
der elektronische Lernmarkt nach wie vor stark von Materialien ge-
prägt, die den Erkenntnissen der Sprachlehr- und -lernforschung
nicht genügend Rechnung tragen. Es herrscht ein Überangebot an
instruktivistischen Lernpaketen und es fehlt an technologiege-
stützten Lernwerkzeugen und -angeboten für den eigenverant-
worteten Wissenserwerb (Rüschoff/Wolff 2002: 65).
Doch werden Drill & Practice-Programmen auch positive Seiten zugeschrieben.
So kommen Untersuchungen „zu dem Ergebnis, dass mit Drill- and Practice-
Programmen ein kurzzeitiger Effekt erzielt werden kann, vor allem bei sozial
schwächer gestellten, leistungsschwächeren oder lernbehinderten Schülerinnen
und Schülern“ (Schulz-Zander/Tulodziecki 2002: 318). Leider liegen mir diese Unter-
suchungen nicht vor, aber ich bezweifele, dass der Einsatz dadurch zu rechtfer-
tigen ist, dass eine Schülerin oder ein Schüler aus einer niedrigen sozialen
Schicht stammt.
Die negativen Eigenschaften überwiegen allerdings. So ist die Software bei der
Anschaffung meist recht teuer und die Inhalte veralten sehr schnell. Dadurch,
dass sie behavioristisch geprägt ist, gibt es wenig Möglichkeiten zum kooperati-
ven Lernen und die Rückmeldungen von Programm sind in der Regel unzurei-
chend und nicht auf den Lerner abgestimmt (vgl. Schmidt/Nandorf 2003: 65-67
und Knapp-Potthoff 2003: 430f)
36
.
c) Lernplattformen
Mit dem Begriff Lernplattform (auch LMS: Learning Management System) ver-
bindet man zunächst nur „Internetportale, die speziell auf die Bedürfnisse des
Lernens und Lehrens ausgerichtet sind“ (Kerkau 2002: 224). Dabei unterschei-
den sie sich grundlegend von Lehrskriptsammlungen oder Hypertext-
Sammlungen (vgl. Schulmeister 2005: 10). Obligatorisch muss für Schulmeister
(ebs.) eine Lernplattform über folgende Funktionen verfügen:
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36 Überlegungen zum Einsatz einer lehrwerksbegleitenden Sprachlernsoftware in einem
handlungsorientierten, kommunikativen Unterricht nehmen Schmidt und Nandorf
(2003: 65-90) vor.
• Benutzerverwaltung zum Erstellen von Accoutns (Nutzerkonten) mit
Benutzername und Passwort,
• Kurs-, Inhalts- und Dateiverwaltung,
• Rollen- und Rechtevergabe,
• Unterstützung von Browsern zum Zugriff und zur Darstellung der Inhalte,
Lernobjekte und der bereitgestellten Medien,
• verschiedene Kommunikationsmethoden und
• Werkzeuge für das Lernen.
Besonders durch die letzten beiden Punkte unterscheiden sich LMS von anderen
Formen des Lernens mit Computern. Vergleichbar dazu macht Kerkau (2002:
224) als Kernelemente
• die Möglichkeiten zum Zusammentragen von Arbeits- und Informations-
materialien,
• die Verwaltung,
• die Nutzung aller Internetkommunikationsformen und
• die Möglichkeit zur Aufgabenerstellung aus.
Weitere Merkmale sind „Lerneranmeldung und Kursverwaltung, Selbsttests und
Leistungskontrollen, Punkt- und Notenvergabe, Download- und Printvorlagen,
Personalisierungs-, Diskurs- und Kollaborationsmöglichkeiten“ (Döring 2002:
247).
Wie durch die beiden Begriffe LMS und Lernplattform schon deutlich wird, ist
die Bezeichnung wie in anderen Bereichen des Computerlernens alles andere als
einheitlich. In diesem Zusammenhang wird auch von
• VLE – Virtual Learning Environment,
• ILS – Integrated Learning Management System,
• CMS – Content Management System und
• LCMS – Learning Content Management System
gesprochen. Die Verwendung dieser Begriffe „ist nicht wirklich trennscharf“
(Schulmeister 2005: 14), die Systeme unterscheiden sich meist nur durch ver-
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schiedene technische Feinheiten (wie z.B. die Ausstattung mit bestimmten
Programmfunktionen). Als Beispiele für Lernplattformen sind im kommerziellen
Bereich WebCT und CLIX, im Bereich der freien Software ILIAS und Moodle zu
nennen.
Anders als bei Lernsoftware sind bei Lernplattformen vom Hersteller keine
Inhalte vorgegeben, sondern diese müssen von den Lehrerinnen und Lehrern er-
und eingestellt werden. Daher ist auch nicht zu befürchten, dass Inhalte veralten.
Es bestehen auch keine Vorgaben, welcher Lerntheorie der Unterricht bei der
Verwendung folgen soll. Von der klassischen Vermittlung vorgegebener Inhalte
mit anschließender Überprüfung nach behavioristischem Muster bis hin zur
Verwendung der Plattform als Sammelbecken für eigene Arbeitsmaterialien im
kooperativen und kommunikativen Unterricht ist alles möglich. Wegen dieser
Ungebundenheit eignen sich Lernplattformen optimal für das Blended Learning
(vgl. Villiger : 195f).
Auf den ersten Blick mag die Verwendung einer Lernplattform mit der
Einbeziehung des Internets in den Unterricht verwechselt werden. Dabei bedient
sich die Plattform lediglich der Vorteile des Internets:
Die Lernplattform erlaubt die zielgenaue Zusammenstellung von
thematischen Einheiten oder von Sprachlernmaterial, also eine themen-
und zielbezogene Arbeit und zugleich den Text- und Materialreich-
tum, wie sie nur in elektronischen Umgebungen möglich ist.
(Hallet 2006: 227)
Die erwähnte Zielgenauigkeit kann dabei auf die Schule, die Klasse, auf die
Lerngruppe oder sogar auf den einzelnen Lerner abgestimmt sein.
Lernplattformen unterscheiden sich in ihrem Einsatzbereich von herkömmlichen
Web-Based-Training-Angeboten. WBT dient dazu, dass sich Lernende Wissen
„selbständig nur mithilfe der Online-Materialien aneignen“ (Döring 2002: 259).
Diese Einsatzmöglichkeit kann zwar auch eine Lernplattform erfüllen, doch geht
ihr Potenzial weiter. Sie dient nicht nur zur Aneignung von Wissen.
In virtuellen Umgebungen begegnen Lernende zunächst nur den
»Lernobjekten«, also den mehr oder weniger didaktisch aufberei-
teten Inhalten. Beim Lernen in Präsenzsituationen dagegen befin-
den sich Lernende von vornherein in einer sozialen Umgebung:
Sie sind mit einem Lehrenden konfrontiert, der sie aktiviert. In E-
Learning-Phasen dagegen müssen individuelle Lernaktivitäten
(im Sinne der Interaktivität mit dem Lernobjekt) und soziale In-
teraktionen (im Sinne der Kommunikation und Kooperation ) erst
hergestellt werden. (Reinmann 2005: 81)
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Diese Aufgabe können in meinen Augen Lernplattformen bestens erfüllen. Sie
stellen nicht nur die Inhalte zur Verfügung, sondern auch viele Werkzeuge zur Kom-
munikation und gemeinsamen Konstruktion von Wissen. Lernplattformen sind hyper-
textuell konzipiert und so können die darauf bereitgestellten „Informationen und
Daten auch zur Individualisierung der Lern- und Konstruktionswege und damit zu
einer größeren Selbstständigkeit des Lernens und Arbeitens beitragen“ (Hallet
2006: 219). Dadurch, dass sie ortsunabhängig einsetzbar sind, können sie im
Unterricht und auch von zu Hause aus benutzt werden, was diese Prozesse weiter
unterstützen kann.
Die vielen Möglichkeiten, welche eine Lernplattform zur Verfügung stellt, sind
allerdings auch gleichzeitig ihr Nachteil: die komplexe Bedienung erfordert von
Lehrenden wie Lernenden eine intensive Einarbeitung. Setzt man die Lernplatt-
form allerdings schon in niedrigen Klassenstufen ein und verwendet dort nur die
nötigsten Elemente hält sich dieser Aufwand meines Erachtens in Grenzen. Mit
steigender Klassenstufe und zunehmender Kenntnis bezüglich der Benutzung
können neue Elemente integriert und ausprobiert werden.
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