Siehe auch: Freud (Familie)
Gymnasialzeit
Nach dem Besuch einer privaten Volksschule ging Freud ab 1865 auf das Leopoldstädter Communal-Realgymnasium. Das auf das Erlernen der alten Sprachen und den Erwerb historischen Wissens zentrierte humanistische Bildungsangebot kam Freuds Anlagen und Interessen entgegen. Gelesenes vermochte er nach eigenem Bekunden auch in längeren Passagen auswendig herzusagen. Neben dem Pflichtpensum las er für sich in den Schriften der Vorsokratiker, Platons sowie der attischen Tragödiendichter und beschäftigte sich mit archäologischen Studien, insbesondere denen Heinrich Schliemanns zu Troja.[7]
Unter den Geschwistern hatte er als einziger einen eigenen Raum in der Wohnung, den er mehr und mehr mit Büchern füllte. Um beim Lesen keine Zeit zu verlieren, nahm er hier auch oft seine Mahlzeiten ein. Seinen Schwestern half er bei den Hausaufgaben, verlangte aber energisch Rücksichtnahmen auf den eigenen Pauk- und Studienbetrieb. „Als er sich, in seine Bücher vergraben, über den Lärm beklagte, den Annas Klavierstunden machten, verschwand das Piano auf Nimmerwiedersehen.“ Die Familie nahm seine „jungenhafte Herrschsucht“ gleichmütig hin und bestärkte ihn in dem Gefühl der eigenen Außergewöhnlichkeit.[8]
Für die Vorbereitung der Reifeprüfung an den zeitgenössischen österreichischen Gymnasien war umfängliches Auswendiglernen über Monate nötig.[9] Wechselnde Stimmungslagen des Hoffens, Schwankens, der Bestürzung und Erheiterung begleiteten Freud in der Abschlussprüfung im Juli 1873, die mit glänzenden Ergebnissen für ihn endete. In sieben Fächern erreichte er die Bestnote: „Vorzüglich“. Die Übertragungsaufgabe ins Altgriechische bestand aus 33 Versen der Sophokles-Tragödie König Ödipus. Noch im selben Jahr schaffte Freud sich eine deutsche Ausgabe der Tragödien des Sophokles an, mit der er später weiterhin arbeitete.[10]
Ausgedehntes Medizinstudium
Freud, der auch mit dem Gedanken an ein Studium der Rechtswissenschaft gespielt hatte, entschied sich – in der Absicht, Naturforscher werden zu wollen – für Medizin und immatrikulierte sich im Sommer 1873 an der Universität Wien. Sein Interesse galt dabei vor allem der menschlichen Natur und ihrer Erforschung.[11] Der Andrang auf das Fach war so groß – etwa 1300 Medizinstudenten Anfang der 1870er Jahre an der Universität Wien –, dass dort bereits damals die anonyme Atmosphäre einer Massenuniversität herrschte.[12] Freud war von vornherein entschlossen, seine akademischen Interessen nicht auf die Ausbildung als Mediziner zu beschränken. So nahm er bald auch an Vorlesungen Franz Brentanos über Logik, aristotelische Erkenntnistheorie und Empirismus teil und begann Brentanos psychologische Schriften zu lesen. „Sein ganzes Leben stand jetzt unter dem Diktat eines großen, nahezu unersättlichen Bildungstriebs, geprägt von heftigen Neigungswechseln, schwankend zwischen Zoologie, Physiologie und Naturphilosophie“, so Peter-André Alt.[13] Beim Durchlaufen der medizinischen Fachrichtungen ließ sich Freud speziell von den Vorlesungen des Psychiaters Theodor Meynert anregen, in dessen Klinik er nach beendetem Studium 1883 „das breite Spektrum unterschiedlichster Nervenleiden kennenlernte und den Grundstock für eigene Forschungen auf therapeutischem Feld legte.“[14]
Seit Herbst 1874 betrieb Freud seinen eigenen Philosophiezirkel, teils mit früheren Schulkameraden, und widmete sich unter anderem Feuerbachs Werk Das Wesen des Christentums mit Aussagen zur Religionskritik, die ihn dauerhaft beeindruckten.[15] Im Sommer 1875 besuchte er seine Halbbrüder in Manchester und zeigte sich hinfort von englischer Lebensart äußerst positiv eingenommen. Anschließend nahm ihn der Zoologe Carl Claus – von Peter Gay zu den „erfolgreichsten und fruchtbarsten Propagandisten Darwins in deutscher Sprache“ gezählt – als Famulus in sein Labor auf und verschaffte ihm die Möglichkeit, an der von ihm eingerichteten Versuchsstation für Meeresbiologie in Triest Forschungsarbeit an Aal-Hoden zu leisten.[16] 1876 wechselte Freud in das Labor des Physiologen Ernst Wilhelm von Brücke, in dessen Auftrag er, hauptsächlich mikroskopierend, bis 1882 arbeitete und forschte. Die Untersuchungen bezogen sich auf das Nervensystem niederer Fische und im Vergleich dazu auf das menschliche.
Vor den Abschlussprüfungen seines Medizinstudiums hatte Freud 1879 noch seinen einjährigen Militärdienst im Wiener Sanitätskorps zu absolvieren. Da er seine Dissertation Über das Rückenmark niederer Fische bereits vor den Prüfungen abgeschlossen hatte, wurde er schon am Tag nach Bestehen der letzten medizinischen Prüfung auch zum Doktor der Medizin promoviert.[17] Das mit 17 Jahren früh begonnene Medizinstudium endete für den 25-Jährigen vergleichsweise spät. „Seine umfassende Neugier und sein Hang zur Forschung hinderten ihn daran, seinen Doktorgrad innerhalb der üblichen fünf Jahre zu erwerben“, resümiert Peter Gay.[18]
Berufliche Ausgangslagen
Physiologische Forschung und klinische Erfahrungen
Noch mehr als ein Jahr nach der Promotion setzte Freud seine physiologische Forschung in Brückes Labor fort. Schon während des Studiums hatte er einem Freund geschrieben, dass er es bei der Berufsvorbereitung vorziehe, lieber „Tiere zu schinden“ als „Menschen zu quälen“.[19] Als er jedoch im April 1882 Martha Bernays kennenlernte und zu heiraten begehrte, musste er eine deutliche Verbesserung seiner Einkommensverhältnisse anstreben.
Ende Juli 1882 nahm Freud eine Beschäftigung als Assistenzarzt im Wiener Universitätsklinikum an, um auf klinischem Gebiet Kenntnisse zu erwerben, die ihm für den anschließend geplanten Betrieb einer eigenen Praxis nützlich sein sollten. In der Chirurgie, für die ihm das handwerkliche Geschick und Zutrauen fehlten, blieb er nur wenige Wochen und wechselte dann mit einer Empfehlung Meynerts in die von Hermann Nothnagel geführte innere Abteilung, in der er sich aber ebenfalls eher schlecht als recht aufgehoben fühlte. So ergriff er ein halbes Jahr später eine Gelegenheit, in Meynerts psychiatrischer Klinik unterzukommen. Dort bekam er es mit drastischen Krankheitsbildern zu tun, für deren Behandlung Psychopharmaka noch nicht zur Verfügung standen. Auch in der syphilitischen Abteilung beschäftigte man Freud, ein „Gruselkabinett der Geschlechtskrankheiten“ mit hoher Sterberate.[20]
Hirnanatomie, Kokain und Pariser Impulse
Jeweils nach Beendigung des Dienstes an den Patienten bei 19 Uhr begab sich Freud für hirnanatomische Studien in Meynerts Labor. Um diese Forschungsarbeit enger mit der klinischen Tätigkeit verbinden zu können, wechselte er im Januar 1884 in die neurologische Abteilung, wo Nervenleiden wie Lähmungen, Kopfschmerz und Wahrnehmungsstörungen behandelt wurden.[21]
Mit der medizinischen Verwendung der damals neu in sein Blickfeld geratenen Substanz Kokain hatte Freud in doppelter Hinsicht kein Glück: Die von ihm angeregte Verwendung als örtliches Betäubungsmittel ging als wissenschaftliches Verdienst mangels näherer Beschäftigung nicht auf sein Konto, sondern auf das von Carl Koller, der die lokalanästhetische Wirkung des Kokains am Auge untersuchte und publizierte. Freuds an dem befreundeten Arztkollegen Ernst von Fleischl vorgenommene und als unbedenklich angesehene Behandlung einer Morphiumabhängigkeit mittels Kokain-Ersatzgaben zeigte nur anfänglich deutlichen Erfolg, erzeugte aber ebenfalls die fatale Sucht nach Dosissteigerung. Freud, der Kokain in kleinen Dosen unter anderem zur lokalen Behandlung von Nebenhöhlenentzündungen und als leistungssteigerndes Mittel bis 1896 selbst konsumierte, und seine Verlobte Martha, die damit auf seine Empfehlung kleine Beschwerden kurierte, wiesen hingegen keine Suchtmerkmale auf.[22]
Charcot demonstriert die Wirkung der Hypnose an einer „Hysterikerin“, der Patientin Blanche Wittman, Gemälde von André Brouillet (1887)
Im September 1885 erhielt Freud nach erfolgreich absolviertem Habilitationscolloquium die Zulassung als Privatdozent an der Universität Wien. Unmittelbar danach erhielt er die Zusage für ein von ihm beantragtes sechsmonatiges Reisestipendium für Nachwuchswissenschaftler und verbrachte es bei Jean Martin Charcot an der Pariser Salpêtrière, weil die dortige Neuropathologie als die seinerzeit fortgeschrittenste überhaupt galt. Nachhaltig beeindruckend für auswärtige Gäste der Einrichtung waren vor allem Charcots im wöchentlichen Turnus vor Fachpublikum stattfindende Patienten-Vorführungen mit Diagnose-Erhebung, bei denen oft eine Hypnotisierung der Kranken die Feststellung der jeweils typischen Krankheitssymptome erleichtern sollte. Auch gab Charcots regelmäßig herausragende Beispiele belebender Vortragskunst in Vorlesungen. Nach Wien zurückgekehrt, übersetzte Freud einige Schriften Charcots und würdigte ihn in einem Nachruf 1893 unter anderem als Entdecker der traumatisch ausgelösten Neurosen und für die Verfeinerung des hypnotischen Verfahrens.[23]
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