§ 188
Man hielt diese Uebel für bloß örtliche und nannte sie deßhalb Local-Uebel, gleichsam an diesen Theilen ausschließlich stattfindende Erkrankungen, woran der Organism wenig oder keinen Theil nehme, oder Leiden dieser einzelnen, sichtbaren Theile, wovon, so zu sagen, der übrige lebende Organism nichts wisse 1).
1) Eine von den vielen verderblichen Hauptthorheiten der alten Schule.
§ 189
Und dennoch ist schon bei geringem Nachdenken einleuchtend, daß kein (ohne sonderliche Beschädigung von außen entstandenes), äußeres Uebel ohne innere Ursachen, ohne Zuthun des ganzen (folglich kranken) Organisms entstehen und auf seiner Stelle verharren, oder wohl gar sich verschlimmern kann. Es könnte gar nicht zum Vorschein kommen, ohne die Zustimmung des ganzen sonstigen Befindens und ohne die Theilnahme des übrigen lebenden Ganzen (d.i. des, in allen andern, empfindenden und reizbaren Theilen des Organisms waltenden Lebens-Princips); ja dessen Emporkommen läßt sich, ohne vom ganzen (verstimmten) Leben dazu veranlaßt zu sein, nicht einmal denken, so innig hängen alle Theile des Organisms zusammen und bilden ein untheilbares Ganze in Gefühlen und Thätigkeit. Keinen Lippen-Ausschlag, kein Nagelgeschwür giebt es, ohne vorgängiges und gleichzeitiges inneres Uebelbefinden des Menschen.
§ 190
Jede ächt ärztliche Behandlung eines, fast ohne Beschädigung von außen, an äußern Theilen des Körpers entstandenen Uebels, muß daher auf das Ganze, auf die Vernichtung und Heilung des allgemeinen Leidens, mittels innerer Heilmittel gerichtet sein, wenn sie zweckmäßig, sicher, hülfreich und gründlich sein soll.
§ 191
Unzweideutig wird dieß durch die Erfahrung bestätigt, welche in allen Fällen zeigt, daß jede kräftige, innere Arznei gleich nach ihrer Einnahme bedeutende Veränderungen, so wie in dem übrigen Befinden eines solchen Kranken, so insbesondere im leidenden äußern, (der gemeinen Arzneikunst isolirt scheinenden) Theile, in einem sogenannten Local-Uebel selbst der äußersten Stellen des Körpers verursacht und zwar die heilsamste Veränderung, die Genesung des ganzen Menschen, unter Verschwindung des äußern Uebels (ohne Zuthun irgend eines äußern Mittels), wenn die innere, auf das Ganze gerichtete Arznei passend homöopathisch gewählt war.
§ 192
Dieß geschiehet am zweckmäßigsten, wenn bei Erörterung des Krankheitsfalles, nächst der genauen Beschaffenheit des Local-Leidens, zugleich alle im übrigen Befinden bemerkbaren und vordem, beim Nichtgebrauch von Arzneien bemerkten Veränderungen, Beschwerden und Symptome in Vereinigung gezogen werden, zum Entwurfe eines vollständigen Krankheits-Bildes, ehe man ein, dieser Gesammtheit von Zufällen entsprechendes Heilmittel unter den nach ihren eigenthümlichen Krankheitswirkungen gekannten Arzneien sucht, um darunter eine homöopathische Wahl zu treffen.
§ 193
Durch diese bloß innerlich gegebene Arznei (und wenn das Uebel erst kürzlich entstanden war, oft schon durch die erste Gabe) wird dann der gemeinsame Krankheitszustand des Körpers, mit dem Local-Uebel zugleich aufgehoben, und letzteres mit ersterem zugleich geheilt, zum Beweise, daß das Local-Leiden einzig und allein von einer Krankheit des übrigen Körpers abhing und nur als ein untrennbarer Theil des Ganzen, als eins der größten und auffallendsten Symptome der Gesammtkrankheit anzusehen war.
§ 194
Weder bei den schnell entstehenden, acuten Local-Leiden, noch bei den schon lange bestandenen örtlichen Uebeln, ist es dienlich, ein äußeres Mittel, und wäre es auch das specifische und, innerlich gebraucht, homöopathisch heilsame, äußerlich an die Stelle einzureiben oder aufzulegen; selbst dann nicht, wenn es innerlich zugleich angewendet würde; denn die acuten topischen Uebel (z.B. Entzündungen einzelner Theile, Rothlauf u.s.w.), die nicht durch verhältnißmäßig eben so heftige, äußere Beschädigung, sondern durch dynamische oder innere Ursachen entstanden waren, weichen am sichersten und gewöhnlich ganz allein, den, dem gegenwärtigen äußerlich und innerlich wahrnehmbaren Befindens-Zustande homöopathisch angemessenen, innern Mitteln, aus dem allgemeinen Vorrathe geprüfter Arzneien gewählt; weichen sie ihnen nicht völlig, bleibt an der leidenden Stelle und im ganzen Befinden, bei guter Lebensordnung, dennoch ein Rest von Krankheit zurück, den die Lebenskraft zur Normalität wieder zu erheben nicht im Stande ist, so war (wie nicht selten) das acute Local-Uebel ein Product auflodernder, bisher im Innern schlummernder Psora, welche im Begriff ist, sich zu einer offenbaren, chronischen Krankheit entwickeln.
§ 195
In solchen, nicht seltnen Fällen, muß dann, nach erträglicher Beseitigung des acuten Zustandes, gegen die noch übrig gebliebenen Beschwerden und die, dem Leidenden vorher gewöhnlichen, krankhaften Befindens-Zustände zusammen, eine angemessene, antipsorische Behandlung gerichtet werden (wie in dem Buche von den chronischen Krankheiten gelehrt worden), um eine gründliche Heilung zu erzielen. Bei chronischen Local-Uebeln, die nicht offenbar venerisch sind, ist ohnehin die antipsorische, innere Heilung vorzugsweise erforderlich 1).
1) Wie ich dieß in meinem Buche v. d. chron. Krankheiten angegeben habe.
§ 196
Es könnte nun zwar scheinen, als ob die Heilung solcher Krankheiten beschleunigt würde, wenn man das, für den ganzen Inbegriff der Symptome als homöopathisch richtig erkannte Arzneimittel nicht nur innerlich anwendete, sondern auch äußerlich auflegte, weil die Wirkung einer, an der Stelle des Local-Uebels selbst angebrachten Arznei, eine schnellere Veränderung darin hervorbringen könnte.
§ 197
Diese Behandlung ist aber nicht nur bei den Local-Symptomen die das Miasm der Psora, sondern auch bei denen, die das Miasm der Syphilis, oder der Sykosis zum Grunde haben, durchaus verwerflich, denn die neben dem innern Gebrauche gleichzeitige, örtliche Anwendung des Heilmittels, bei Krankheiten welche ein stetiges Local-Uebel zum Haupt-Symptome haben, führt den großen Nachtheil herbei, daß durch eine solche örtliche Auflegung, dieses Hauptsymptom (Local-Uebel) 2)
2) Frischer Krätz-Ausschlag, Schanker, Feigwarze.
gewöhnlich früher aus den Augen verschwindet, als die innere Krankheit vernichtet ist und uns nun mit dem Scheine einer völligen Heilung täuscht, wenigstens uns die Beurtheilung, ob auch die Gesammtkrankheit durch den Beigebrauch der innern Arznei vernichtet sei, durch die vorzeitige Verschwindung dieses örtlichen Symptoms erschwert und in einigen Fällen selbst unmöglich macht.
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