Rhetorik als literaturtheoretische Praxis (zu Derrida, de Man und Barthes)
217
2. Rhetorizität – Paul de Man
Paul de Man, um den es im Theoriezirkus der vergangenen Jahre unter dem Vorwand
seines ›Wartime Journalism‹
41
und aufgrund der Verkulturwissenschaftlichung der
Literaturwissenschaft still geworden ist, gilt als einer der führenden Vertreter der
Dekonstruktion. Zutreffender wäre, seine Herangehensweise als ›rhetorische Lek-
türe‹ zu bezeichnen
42
, da seinem Ansatz ein rhetorisches Apriori zugrunde liegt.
Unterstellt wird eine unhintergehbare Rhetorizität von Texten, wobei de Man nicht
zögert, die rhetorische, d.i. für ihn immer: bildliche Macht der Sprache mit Literatur
selbst gleichzusetzen.
Dadurch, daß er de Mans Sammelband
Allegorien des Lesens
eröffnet, bekommt
der Aufsatz
Semiologie und Rhetorik
eine programmatische Stellung.
43
Die Argu-
mentation verfolgt eine Art binomischer Spaltungsrhetorik, insofern eine Reihe
von Unterscheidungen vorangetrieben werden: Außen/Innen, Semantik/Semiologie,
Grammatik/Rhetorik, buchstäbliche Bedeutung/figurative Bedeutung. Die einzelnen
Unterscheidungen, die einer dissoziativen Rhetorik folgen, zielen darauf, jeweils
das linke (Außen, Semantik, Grammatik, buchstäbliche Bedeutung) zugunsten des
rechten Unterscheidungsglieds (Innen, Semiologie, Rhetorik, figurative Bedeutung)
abzuwerten und im Sinne einer dekonstruktiven Lektüre zu eliminieren.
Gleich eingangs wird eine Innen/Außen-Metapher genutzt, um verschiedene lite-
raturwissenschaftliche Ansätze scheinbar bloß zu typisieren, tatsächlich jedoch mit
Hilfe der Unterscheidung zu werten und zu hierarchisieren, d.h. ›außerliterarische
Wege‹ gegenüber ›innerliterarischen Methoden‹ der Literaturwissenschaft diskrimi-
nieren zu können. Die Unterscheidung selbst übernimmt de Man aus Wellek/Warrens
Theory of Literature
(1949).
44
Einige Literaturwissenschaftler setzten auf die »Re-
levanz« der Literatur, betrieben also eine Art ›Innenpolitik‹, insofern sie innere
Gesetze und die innere Ordnung literarischer Werke untersuchen, d.h. sich auf die
»internen, formalen und privaten Strukturen der literarischen Sprache« (31–32) kon-
zentrierten. Als Beispiel hierfür wird der
New Criticism
mit seinem ›close reading‹
genannt. Andere Literaturwissenschaftler setzten auf »Referenz«, betrieben also ei-
ne Art »Außenpolitik der Literatur« (31), insofern das literarische Werk mit seinem
»nichtsprachliche[n] Außen« in Verbindung gebracht und nach seinen »externen,
referentiellen und öffentlichen Wirkungen« befragt würde (32).
45
41
Vgl. Paul de Man,
Do'stlaringiz bilan baham: