V8: „Es gilt nicht als Ausrede, dass die Lehrer/innen sagen: „Das können wir alles nicht
machen, weil wir haben keinen Platz und keine Räume“. Viele Lehrer suchen sich auch
Möglichkeiten und die gibt es, wenn man sie finden will. Dazu muss man nicht immer mich
als Direktion einschalten. Wir haben zum Beispiel Individualisierungsklassen. Da liegen die
Schüler/innen dann am Gang, am Bauch. Jedes Kind hat so einen kleinen Fleckerlteppich und
sitzt dort und arbeitet. Natürlich ist es ganz wichtig organisatorisch, institutionell, räumlich
hier unterstützend zu wirken, aber ich kann als Lehrperson schon viele Möglichkeiten finden,
wo ich mich verwirklichen kann, wo ich vielfältigste Methoden einsetzen kann. Es muss nicht
immer technologisch, elektronisch sein, um innovativ zu arbeiten.“ (V8_Ö_2.2 #00:27:46#)
Folgen
Im Fall der SBW Häuser des Lernens orientiert sich das didaktische Konzept an aktuellen
wissenschaftlichen Erkenntnissen hinsichtlich der Gestaltung von Lehr-/Lernprozessen. Die Auswirkungen
des Umstandes, dass Lehrer/innen zum Teil nicht fachgeprüft eingesetzt werden und daher den
Planungsprozess der Lektionen nur geringfügig eigenständig entwickeln können, würden entsprechende
genauere Untersuchungen ratsam erscheinen lassen. Sowohl die Lehrer/innen als auch die Schulleitung des
Wiener Gymnasiums haben betont, dass die räumlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen
schulischen Lernens eine optimale Ausschöpfung didaktischer Möglichkeiten verhindern. Dieser an sich
drastischen Feststellung sollte in jedem Fall in weiterführenden Forschungen nachgegangen werden, um das
tatsächliche Ausmaß dieses genannten Wirkungsgefüges wissenschaftlich fundiert bewerten zu können. In
diesen Kontext könnte auch die Fragestellung integriert werden, ob eine funktionale Abhängigkeit zwischen
fachlichen Inhalten und der Gestaltung von Lernumgebungen besteht bzw. herbeigeführt werden kann.
Kontext Individualisierung
Der Fall des Wiener Gymnasiums zeigt, dass die Lehrer/innen durchaus differenzierte Vorstellungen für
die Gestaltung von individualisierten Lehr-/Lernprozessen haben. Trotz improvisierter Maßnahmen, wie
beispielsweise der temporären Nutzung des Gangbereichs, werden unterrichtliche Entscheidungen sowohl
von den Raumqualitäten als auch den Organisationsstrukturen (kustodial, zeitlich und räumlich)
eingeschränkt.
Quellen
Kapitel 5.3
Didaktische Professionalität von Lehrenden
Kapitel 8
Dimension: Raumqualitäten
Kapitel 9
Dimension: Organisationsstrukturen
279
11.3.6
Beispiel: außerschulische Lernorte
Akteur/innen: Lehrer/innen
Situation: Aufsuchen des schulischen Umfelds
Beschreibung der Situation
Die Bedeutung außerschulischer Lernorte zur Förderung individualisierter Lehr-/Lernprozesse wurde
nicht nur aus fachdidaktischer Perspektive begründet, sondern auch von einzelnen Aussagen der
Lehrer/innen bekräftigt. Im Fall des Wiener Gymnasiums wurde von den Lehrer/innen bemängelt, dass
selbst das direkte schulische Umfeld aufgrund organisatorischer Richtlinien nicht immer entsprechend
lernzieladäquat genutzt werden kann. Die Schule bleibt dadurch ein isoliertes Konstrukt im jeweiligen
kommunalen Umfeld.
Damit außerschulische Lernorte auch entsprechend in den Unterricht integriert werden können, bedarf
es einer gewissen didaktischen Professionalität der Lehrer/innen, um die damit in Zusammenhang stehenden
potentiellen Chancen zur Initiierung individualisierter Lernprozesse zu erkennen. Im Rahmen der
Interviewanalyse konnten diesbezüglich bei den Lehrer/innen beider Fallstudien große Unterschiede
festgestellt werden.
Das schulische Umfeld wird von den SBW Häusern des Lernens auf unterschiedliche Weise integriert,
wie beispielsweise als disloziertes Klassenzimmer, für Social Services in Kooperation mit dem kommunalen
Netzwerk oder für Aktivitäten im Rahmen der CréActivas. Bezüglich der einzuhaltenden Aufsichtspflicht
der Schüler/innen gibt es dazu spezifische Vereinbarungen zwischen Schüer/innen, Erziehungsberechtigten
und der Schule.
Motivationen
Die Nutzung des schulischen Umfelds ist im Fall des Wiener Gymnasiums aufgrund der
Aufsichtspflicht und der organisatorischen Vorlaufzeiten eingeschränkt. Gerade aus der fachdidaktischen
Perspektive in GW würden sich aber viele Möglichkeiten anbieten, lebensweltliche Bezüge für die
Schüler/innen herzustellen und somit sinnstiftende Lernprozesse zu initiieren.
In den SBW Häusern des Lernens geht man davon aus, dass individualisierte Lehr-/Lernprozesse
niemals im vollen Maße in den schulischen Räumlichkeiten ausgeschöpft werden können. Ihrer Philosophie
nach ist es deshalb wichtig, authentische Lernorte aufzusuchen, um verstärkt sinnvolle Lernprozesse zu
ermöglichen.
Folgen
Die Maßnahmen, die durch Lehrer/innen der SBW Häuser des Lernens getroffen werden,
verdeutlichen, dass durch die verstärkte Interaktion nach außen die Schule von der sozialen Umgebung und
280
auch von den schulischen Akteur/innen nicht mehr als isoliertes Gebäude wahrgenommen wird. Dadurch
profitiert nicht nur die Schule, sondern auch das kommunale Netzwerk rund um die Schule.
Mit der Integration authentischer Lernorte können den Schüler/innen auch andere Raumqualitäten für
Lehr-/Lernprozesse ermöglicht werden. Es zeigt sich aber auch, wie schon oben angedeutet, dass das
Erkennen von Lernanlässen mit der didaktischen Professionalität der Lehrer/innen zusammenhängt.
Manche können aus Alltagssituationen spannende inhaltliche Problemstellungen gestalten. Andere
wiederum assoziieren mit außerschulischem Lernen ausschließlich andere „Bildungsinstitutionen“ wie
Theater, Museen etc. Nicht zuletzt durch die einschränkenden Organisationsstrukturen werden
außerschulische Lernorte nicht in vollem Umfang genützt.
Kontext Individualisierung
Die schulisch-universitären Kooperationsprojekte im Rahmen der Lehramtsausbildung in GW zeigen
wie höchst individuell und sozioökonomisch relevant die Problemstellungen von Schüler/innen sein
können, wenn das schulische Umfeld für Lehr-/Lernprozesse genutzt wird. Mit der Methode der
Spurensuche (vgl. dazu Deninger 1999; Vielhaber 1999a) wird die Wahrnehmung der Schüler/innen für
räumliche und ökonomische Prozesse sensibilisiert. Damit kann der/die Lehrer/in nicht nur dem Prinzip
der lebensweltlichen Orientierung, sondern auch der Schüler/innen- und Handlungsorientierung einfacher
gerecht werden. Die Aufsichtspflicht, die gegenüber Schüler/innen wahrgenommen werden muss, ist
aufgrund der Betreuung durch die Studierenden, die in Kleingruppen erfolgt, sehr gut gelöst. Maßnahmen
zu überlegen, wie die Strukturen dieser Kooperationspraktika zu einem konstitutiven Element des
Schulalltags gemacht bzw. wie diese verstärkt etabliert werden können, wären ein interessanter
weiterführender Forschungsaspekt.
Quellen
Kapitel 8.2.1
Nach außen: Umgebung und Infrastruktur
Kapitel 5.3
Didaktische Professionalität von Lehrenden
Kapitel 6
Lernen in Geographie und Wirtschaftskunde
281
11.3.7
Beispiel: Funktionsräume
Akteur/innen: Lehrer/innen und Schüler/innen
Situation: Funktionsräume für bestimmte Sozialformen
Beschreibung der Situation
In der Schweizer Fallstudie unterscheidet sich die Gestaltung der Räume je nach ihrer Funktion, also
ob sie für Instruktionsphasen, für autonomes Lernen, als definierter Rückzugsbereich und Arbeitsplatz für
Lehrer/innen und Schüler/innen, als Gemeinschaftsraum oder als Raum für Coaching gedacht sind.
Berücksichtigt werden die Raumdimension, die Möblierung und die Anordnung der
Einrichtungsgegenstände im Raum. Die dadurch entstehende Vielfalt, insbesondere auch hinsichtlich der
räumlichen Atmosphäre, wird sowohl von den Lehrer/innen als auch den Schüler/innen sehr positiv
bewertet.
Betont wird in diesem Kontext wiederum, dass die Stimmigkeit des Gesamtkonzepts in räumlicher,
didaktischer, organisatorischer und schulkultureller Hinsicht für den Erfolg dieses Konzepts konstitutiv ist.
Dabei lässt sich vor allem das Zusammenwirken von räumlicher und sozialer Atmosphäre immer wieder
erkennen, wie das nachfolgende Zitat der Lehrerin verdeutlicht.
STIMMIGE LERNATMOSPHÄRE: RÄUMLICH UND SOZIAL
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