»Wieviel Kinder hatte Karl der Kühne*?« erwidere ich ruhig.
»Aus Ihnen wird im Leben nichts, Bäumer«, quäkt Müller.
»Wann war die Schlacht bei Zama*?« will Kropp wissen.
»Ihnen fehlt der sittliche Ernst, Kropp,
setzen Sie sich, drei minus – «,
winke ich ab.
»Welche Aufgaben hielt Lykurgus* für die wichtigsten im Staate?« wispert
Müller und scheint an einem Kneifer zu rücken.
»Heißt es: Wir Deutsche fürchten Gott, sonst niemand in der Welt*, oder
wir Deutschen…?« gebe ich zu bedenken.
»Wieviel Einwohner hat Melbourne*?« zwitschert Müller zurück.
»Wie wollen Sie bloß im Leben bestehen, wenn Sie das nicht wissen?«
frage ich Albert empört.
»Was versteht man unter Kohäsion*?« trumpft der nun auf.
Von dem ganzen Kram wissen wir nicht mehr allzuviel. Er hat uns auch
nichts genutzt. Aber niemand hat uns in der Schule beigebracht,
wie man bei
Regen und Sturm eine Zigarette anzündet, wie man ein Feuer aus nassem Holz
machen kann – oder dass man ein Bajonett am besten in den Bauch stößt, weil es
da nicht festklemmt wie bei den Rippen.
Müller sagt nachdenklich: »Was nutzt es. Wir werden doch wieder auf die
Schulbank müssen.«
Ich halte es für ausgeschlossen. »Vielleicht machen wir ein Notexamen.«
»Dazu brauchst du Vorbereitung. Und wenn du es schon bestehst, was
dann? Student sein ist nicht viel besser. Wenn du kein Geld hast, musst du auch
büffeln*.«
»Etwas besser ist es. Aber Quatsch bleibt es trotzdem, was sie dir da
eintrichtern.«
Kropp trifft unsere Stimmung:
»Wie kann man das ernst nehmen, wenn man hier draußen gewesen ist.«
»Aber du musst doch einen Beruf haben«, wendet Müller ein, als wäre er
Kantorek in Person.
Albert reinigt sich die Nägel mit dem Messer. Wir sind erstaunt über dieses
Stutzertum*. Aber es ist nur Nachdenklichkeit. Er
schiebt das Messer weg und
erklärt: »Das ist es ja. Kat und Detering und Haie werden wieder in ihren Beruf
gehen, weil sie ihn schon vorher gehabt haben. Himmelstoß auch. Wir haben
keinen gehabt. Wie sollen wir uns da nach diesem hier« – er macht eine
Bewegung zur Front – »an einen gewöhnen.«
»Man müsste Rentier* sein und dann ganz allein in einem Walde wohnen
können – «, sage ich, schäme mich aber sofort über diesen Größenwahn.
»Was soll das bloß werden, wenn wir zurückkommen?« meint Müller, und
selbst er ist betroffen.
Kropp zuckt die Achseln. »Ich weiß nicht.
Erst mal da sein, dann wird
sich’s ja zeigen.«
Wir sind eigentlich alle ratlos. »Was könnte man denn machen?« frage ich.
»Ich habe zu nichts Lust«, antwortet Kropp müde. »Eines Tages bist du
doch tot, was hast du da schon? Ich glaube nicht, dass wir überhaupt
zurückkommen.«
»Wenn ich darüber nachdenke, Albert«, sage
ich nach einer Weile und
wälze mich auf den Rücken, »so möchte ich, wenn ich das Wort Friede höre,
und es wäre wirklich so, irgend etwas Unausdenkbares tun, so steigt es mir zu
Kopf. Etwas, weißt du, was wert ist, dass man hier im Schlamassel gelegen hat.
Ich kann mir bloß nichts vorstellen. Was ich an Möglichem sehe, diesen ganzen
Betrieb mit Beruf und Studium und Gehalt und so weiter –
das kotzt mich an,
denn das war ja immer schon da und ist widerlich. Ich finde nichts – ich finde
nichts, Albert.«
Mit einemmal scheint mir alles aussichtslos und verzweifelt.
Kropp denkt ebenfalls darüber nach. Es wird überhaupt schwer werden mit
uns allen. Ob die sich in der Heimat eigentlich nicht manchmal Sorgen machen
deswegen? Zwei Jahre Schießen und Handgranaten – das kann man doch nicht
ausziehen wie einen Strumpf nachher – «
Wir stimmen darin überein, dass es jedem ähnlich geht; nicht nur uns hier;
überall, jedem, der in der gleichen Lage ist, dem einen mehr,
dem andern
weniger. Es ist das gemeinsame Schicksal unserer Generation.
Albert spricht es aus. »Der Krieg hat uns für alles verdorben.«
Er hat recht. Wir sind keine Jugend mehr. Wir wollen die Welt nicht mehr
stürmen. Wir sind Flüchtende. Wir flüchten vor uns. Vor unserem Leben. Wir
waren achtzehn Jahre und begannen die Welt und das Dasein zu lieben; wir
mussten darauf schießen. Die erste Granate, die einschlug, traf in unser Herz.
Wir sind abgeschlossen vom Tätigen,
vom Streben, vom Fortschritt. Wir
glauben nicht mehr daran; wir glauben an den Krieg.
Do'stlaringiz bilan baham: