Tanja Ackermann
Historische Linguistik
Institut für Deutsche und Niederländische Philologie
Probleme der
(morpho)syntaktischen
Kategorisierung von Eigennamen
DGfS-Workshop 7
Probleme der syntaktischen Kategorisierung
Marburg, 7. März 2014
2
Das morphosyntaktische Sonderverhalten von Eigennamen
... 800 900 1000 1100 1200 1300 1400 1500 1600 1700 1800 1900 2000...
Entwicklung der „Sparflexion“
Entwicklung der Stellungsasymmetrie
Fixierung des Gesamtnamens
Entwicklung Monoflexion
Flexionslosigkeit
Morphosyntax
Morphosyntax
Morphosyntax
Morphologie
Syntax
Syntax
Definitartikel bei Personennamen
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AG7: Probleme der syntaktischen Kategorisierung, 7. März 2014
3
Der adnominale Genitiv im Deutschen
E
IGENNAMEN
A
PPELLATIVE
•
Stellungsasymmetrie
Genitiv > Kopfnomen
Kopfnomen > Genitiv
Heikos Buch
* des Mannes Buch
†das Buch Heikos
das Buch des Mannes
•
Postnominales Verhalten
ohne Determinierer
mit Determinierer
das Verschulden Heikos
* die Verschwendung Wassers
mit Adjektiv: mit Determinierer
mit Adjektiv: mit/ohne Determinierer
*das Verschulden armen Heikos
die Verschwendung klaren Wassers
das Verschulden des armen Heiko(s)
die Verschwendung des klaren Wassers
Wirft Probleme bezüglich der NP-Syntax auf
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Der adnominale Genitiv bei Eigennamen –
zwei bisherige Analysen
D
EMSKE
(2001)
Bei D
EMSKE
(2001) werden EN je nach syntaktischer Stellung unterschiedlichen
Kategorien zugeordnet:
(1) Pränominal sind EN Elemente der Kategorie D
(2) Postnominal sind EN Elemente der Kategorie N
(1)
(2)
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AG7: Probleme der syntaktischen Kategorisierung, 7. März 2014
PP
P‘
NP
Peter
P°
von
Ø
N‘
N°
Koffer
NP
Ø
DP
D‘
D°
der
Ø
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Der adnominale Genitiv bei Eigennamen –
zwei bisherige Analysen
F
Uß
(2011)
Eigenname in Spec DP pränominal Element der Kategorie N
• Flexive können keine funktionalen Köpfe sein
• das -s ist ein Klitikon
was spricht für die Analyse des
-s
als
Klitikon
?
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Empirische Evidenz für das -s als klitischer
Possessivmarker – Methodik
K
ORPUSSTUDIE
Korpus: COW – Corpora from the web (linguistisch annotierte Webkorpora in
Gigatokengröße)
(B
ILDHAUER
& S
CHÄFER
2012)
• Untersuchung der syntaktischen Distribution von 120 Rufnamen
• Die RufN wurden nach
Geschlecht (10m/w), Silbenzahl (Ein-, Zwei-, Drei- & Viersilber),
Frequenz (nieder-, mittel- & hochfrequent) und Auslaut (Vokal, Sonorant & Obstruent)
SPR-T
EST
Self paced reading-Experiment mit moving window | 50 Teilnehmende
• Untersuchung des -s-Wegfalls bei Eigennamen, Fremdwörtern, Kurzwörtern und
Eigennamenähnlichen
L
ÜCKENTEXTTEST
Untersuchung enger Koordinationen | 28 Teilnehmende
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Der Apostroph I: Distribution im Korpus (n = 1628)
• Apostrophsetzung hauptsächlich bei
pränominalen Possessivkonstruktionen
• Morphographischer Apostroph = Markierung morphologischer Grenzen
(N
ÜBLING
i.Dr.)
Empirische Evidenz für das -s als klitischer
Possessivmarker
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92,51%
3,99%
3,44%
0,06%
0,00%
10,00%
20,00%
30,00%
40,00%
50,00%
60,00%
70,00%
80,00%
90,00%
100,00%
Lisa's Buch
Buch Lisa's
viele Lisa's
Lisa's wegen
8
Der Apostroph II: SPR (Wahrnehmung)
Postnominal:
das V. des kleinen Michael’s Ø: 1084,05 ms
das V.
des kleinen Michaels Ø: 926,36 ms
das V. des kleinen Jeremy’s Ø: 1012,40 ms
das V.
des kleinen Jeremys Ø: 917,06 ms
Die Variante mit Apostroph wird langsamer verarbeitet
Pränominal:
Mustafa’s
Geburtstag
Ø: 1072,22 ms
Mustafas Geburtstag Ø: 1123,10 ms
Lisa’s
Handy
Ø: 899,63 ms
Lisas Handy
Ø: 949,93 ms
Die Variante mit Apostroph wird im Durchschnitt schneller verarbeitet
Empirische Evidenz für das -s als klitischer
Possessivmarker
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Die +/-Femininum-Schranke
• Keine +/-Femininum-Schranke bei adnominalen Possessivkonstruktionen
• Ulla-s Buch | das Buch Ulla-s
• Peter-s Buch | das Buch Peter-s
• +/-Femininum-Schranke bei postnominalen Genitiven mit Determinierer
• *das Buch der kleinen Ulla-s
• das Buch des kleinen Peter-s
/ des kleinen Peter
Allomorphie abhängig von morphologischen Merkmalen wie [±feminin] ist eine
typische Eigenschaft von Flexionselementen, während Klitika in der Regel
invariant sind
( vgl. Z
WICKY
& P
ULLUM
1983)
Empirische Evidenz für das -s als klitischer
Possessivmarker
Klitikon
Flexiv
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Abbau der Selektionsbeschränkungen für die Besetzung der Position vor dem
enklitischen Marker
„Wenn die s-Endung an pränominalen Genitivattributen als klitischer
Possessivmarker reanalysiert wurde, sollten neue Possessivkonstruktionen –
ähnlich dem englischen Gruppengenitiv – möglich sein.“
(Fuß 2011: 37)
„[Beim engl. group genitive] wird also deutlich, daß sich S-Klitika im Gegensatz zu
einfachen Klitika auch [...] von der rechten Seite her entwickeln können. Solchen
Klitika kommt entgegen den einfachen Klitika keine Zugehörigkeit zu einer
Wortart zu“.
Nübling (1992: 28-29)
Empirische Evidenz für das -s als klitischer
Possessivmarker
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Abbau der Selektionsbeschränkungen : Enge Koordinationen
• Für die Analyse des -s als enklitischer Marker sprechen auch enge
Koordinationen, bei denen das -s am ersten Konjunkt weggelassen werden kann
(vgl. P
LANK
2011: 275)
.
Empirische Evidenz für das -s als klitischer
Possessivmarker
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Abbau der Selektionsbeschränkungen : Enge Koordinationen
Ich würde gerne zu
Ullas und Annes
Tanzvorführung gehen.
Empirische Evidenz für das -s als klitischer
Possessivmarker
n = 176
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0,00%
10,00%
20,00%
30,00%
40,00%
50,00%
60,00%
70,00%
doppelte Markierung
Markierung nur am zweiten
Konjunkt
61,36%
38,64%
davon mit
Apostroph
13
Abbau der Selektionsbeschränkungen :
Entstehung neuer Possessivkonstruktionen
• Gegenwärtig scheint die Restriktion (Zugehörigkeit zur Wortart EN) bereits
gelockert zu werden
(vgl. F
Uß
2011, S
COTT
2014
):
Klitikon auch bei DPs, bestehend aus Possessivpronomen und
Verwandtschaftsbezeichnung (im weiteren Sinne):
„Also ich hatte früher auch einen Goldhamster er hat mein Mutters Klamotten angebissen
XD ...“
„..., möchte mein Vaters Onkologe eine Schaukeltherapie , mit Novantron beginnen , falls
sich nichts weiteres ergibt ... „
„Jedoch mein Bruders Katzen sind dann immer bei mir einquartiert worden , wenn die in
Urlaub waren .“
DECOW2012
Empirische Evidenz für das -s als klitischer
Possessivmarker
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Zwischenfazit
• Der -s-Marker an Eigennamen in Prä- und Poststellung hat sich
vom Genitivflexiv
zum klitischen Possessivmarker
entwickelt
• Aus syntaktischer Sicht können Eigennamen weiterhin als Elemente der Kategorie
N analysiert werden (im Spezifikator der DP)
• Aber: Wenn Eigennamen adnominal im Genitiv nicht mehr flektieren, wo flektieren
sie dann überhaupt noch?
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Die Eigennamenmorphologie
Theorie
Die Distribution von artikellosen Eigennamen in Genitivphrasen nach G
ALLMANN
(1990: 275)
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Die Eigennamenmorphologie
Empirie
Die Distribution von Rufnamen in Genitivphrasen in DECOW2012-00 (n = 19.767)
Syntaktische Konfiguration
Beispiel
Vorkommenshäufigkeit
mit -s ohne -s
nach Präpositionen
wegen Uwe(s)
5
176
vor Postpositionen
†
Uwe(s) wegen
2
1
in vorangestellten Attributen Uwes Ideen
16.493
0
in nachgestellten Attributen
(ohne Det.)
die Ideen Uwes
3.240
0
in nachgestellten Attributen
(mit Det.)
die Ideen des klugen Uwe(s) 26
507
in Genitivobjekten
†
wir gedenken Uwe(s)
1
1
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Die Eigennamenmorphologie
Empirie
Die Distribution von Rufnamen in Genitivphrasen in COW (n = 19.767)
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83,44%
16,39%
0,13%
0,04%
0%
0,00%
10,00%
20,00%
30,00%
40,00%
50,00%
60,00%
70,00%
80,00%
90,00%
Uwes Ideen die Ideen Uwes die Ideen des
klugen Uwes
wegen Uwes
wir gedenken
Uwes
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Die Eigennamenmorphologie diachron
Althochdeutsch
Frühneuhochdeutsch
Neuhochdeutsch
EN
APP
EN
APP
EN
APP
Nom. Hartmuot
stab
Hartmut
stap
Hartmut
Stab
Akk.
Hartmuot-
an
stab
Hartmut-
en
stap
Hartmut
Stab
Dat.
Hartmuot-
e
stab-
e
Hartmut-
e
(-
en
) stab-
e
Hartmut
Stab (-
e
)
Gen. Hartmuot-
es
stab-
es
Hartmut-
s
(-
ens
) stab-
es
Hartmut (-
s
) Stab-
s
Zu beobachtende Deflexion auch im Plural : die beiden Deutschland(s)
(vgl. N
ÜBLING
2012)
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Die Eigennamenmorphologie
Morphologische / paradigmatische Wortartenklassifikation
Substantive
:
+
Kasusflexion
+
Numerusflexion
+
inhärentes Genus
Eigennamen
:
-
Kasusflexion
+
/
-
Numerusflexion
+
/
-
inhärentes Genus
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Die Eigennamenmorphologie
Die Wortarteneinteilung nach D
UDEN
-Grammatik (2005: 133)
Wortarten
unveränderbar
(nicht flektierbar)
veränderbar
(flektierbar)
nach Tempus
(konjugierbar)
nach Kasus
(deklinierbar)
mit variablem Genus
mit festem
Genus
steigerbar
(komparierbar)
Verb
Substantiv
Adjektiv
Pronomen
Nichtflektierbare
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Die Eigennamenmorphologie
Eigennamen auf dem Weg zu Nichtflektierbaren
Wortarten
unveränderbar
(nicht flektierbar)
veränderbar
(flektierbar)
nach Tempus
(konjugierbar)
nach Kasus
(deklinierbar)
mit variablem Genus
mit festem
Genus
steigerbar
(komparierbar)
Verb
Substantiv
Adjektiv
Pronomen
Nichtflektierbare
E
IGENNAMEN
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Fazit
•
Syntaktisch
lassen sich Eigennamen am ehesten wie
Substantive
behandeln
•
Morphologisch
entwickeln sie sich in Richtung
Nichtflektierbare
• Eigennamen driften diachron immer weiter von ihren Vorgängern, den
Appellativen ab und nutzen gezielt die Grammatik, um sich von ihnen
abzugrenzen
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Vielen Dank für die
Aufmerksamkeit!
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