Mutter bilder aus dem Leben von Dora Rappard-Gobat Von Emmy Veiel-Rappard



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Das junge Mädchen

Wissensdurst

Weit zurück liegt die schöne Jugendzeit. An Hand derTage- bücher, die Dora als junges Mädchen mit großer Genauigkeit führte, könnte manches aus den Frühlingstagen ihres Lebens erzählt werden. Aber es ist feine Kleinmalerei, und wir stellen lieber ein von Meisterhand in einem Zuge entworfenes, vollkommenes Bild vor die Augen derer, die Liebe und Teilnahme dafür haben. Mutter selbst hat es geschaffen. Auf diese Weise entrollt sich ihr äußeres und besonders auch ihr inneres Leben mit Klarheit und Wahrhaftigkeit vor den Blicken.

So zeige ihr kleines Manuskriptbuch „Umriß meines Lebenslaufes“, das sie auf die Bitte ihrer Kinder am Schluß des Jahres 1909 geschrieben hat, wie das aus der Fremde heimgekehrte frohe Kind sich in Jerusalems Luft, umhegt von Vater- und Mutterliebe, weiterentwickelt hat.

Dora Gobat schreibt:



„Ich war noch nicht völlig 14 Jahre alt, als ich meine letzte Schulstunde erhielt mit Ausnahme des später genossenen Unterrichts in der arabischen Sprache. Wenn ich mich frage, wie ich trotz des so mangelhaften Bildungsgrades zu dem bißchen Wissen gelangt bin, das ich besitze, so schreibe ich es neben der wirklich gediegenen Grundlage, die ich in Jerusalem und Mont- mirail erhalten hatte, drei Faktoren zu, die ich bezeichnen kann mit: ,Lesen, Zuhören, Kadischlagen .

  1. Ich habe gern und viel gelesen. Eine große Auswahl von Büchern hatte ich zum Glück nicht, Romane gab’s nicht. Aber Bücher über die Weltgeschichte, Aubignes Reformationsgeschichte in fünf Bänden, allerlei Vorlesungen über Literatur, sogar theologische Abhandlungen, zum Beispiel über den historischen Christus, auch Professor Riggenbachs Leben Jesu wurden mit ebensoviel Fleiß gelesen, wie die in Europa auferzogenen Kinder ihre modernen .historischen Erzählungen1 verschlingen.

  2. Zuhören. Ja, darin hatte ich es gut. In meines Vaters

Hause verkehrten viele berühmte, gelehrte und vielgereiste Leute. Was da besprochen, erzählt und vordemonstriert wurde, war hochinteressant. Wohl niemand ahnte, daß das wohl etwas linkische Mädchen, das stets schweigsam am Tisch oder in einer Ecke des Zimmers saß, mit wahrem Hunger den Gesprächen lauschte und das Gehörte im Gedächtnis aufspeicherte. Ich erinnere mich, wie von Tischendorff, direkt vom Sinai kommend, wo er im Katharinenkloster seinen berühmten Codex Sinaiticus gefunden hatte, mit Begeisterung davon erzählte. Ein andermal war es Layard von Ninive oder ein Hauptmann desselben Namens aus Indien, die von ihren Entdeckungen und Reisen berichteten. Ich kann die vielen nicht nennen, hoch und niedrig, arm und reich, die aus ihrem Schatz mich bereicherten durch das ausgesprochene Wort. Doch einen muß ich noch nennen, dem ich wohl das meiste und Beste abgelauscht habe, und das ist mein Vater.

  1. Meine dritte Wissensquelle war das Wörterbuch und das Lexikon, in denen ich fleißig nachschlagen lernte. War mir beim Lesen oder Zuhören ein fremder Ausdruck vorgekommen, so hatte ich keine Ruhe, bis ich in irgendeinem Buch die genaue Bedeutung, Schreibweise usw. ausgekundschaftet hatte. Gerade die Mühe des Suchens, oft auch des Abschreibens half, die Sache im Gedächtnis festzuhalten.“

Dieses Nachschlagen war zu einer solch fruchtbringenden Gewohnheit geworden, daß es bis ins hohe Alter hinein fortgesetzt wurde. Darum war Mutter auch eine überaus zuverlässige Führerin auf jedem Gebiet. Nie klangen ihre Antworten unsicher, und wie viele Fragen wurden in der langen Reihe von Jahren an sie gestellt! Wenn sie einmal einen gewünschten Aufschluß nicht geben konnte, sagte sie einfach: „Ich weiß es nicht.“

Dora fügte sich mit Freuden und Leichtigkeit in das Leben daheim, das sie vier Jahre entbehrt hatte, ein.

„Äußerlich war alles lieblich“, erzählte sie. „Da unser Haus nicht groß genug war für die heranwachsende Familie, hatten meine Eltern das Nachbarhaus dazu gemietet, und wir zwei Schwestern hatten dort ein Schlaf- und ein ganz reizendes Wohnzimmer. Eine alte bethlehemitische Magd schlief in unsrer Nähe und hatte unsre Zimmer zu besorgen. In dem erwähnten Wohn- raum war ein großes Erkerfenster, das hinausschaute auf den

Teich Hiskia, und wenn wir mit Begleitung des Klaviers unsre hellen Lieder sangen, tönte es in eigentümlichem Echo über den Teich zurück. Das allgemeine Wohnzimmer oder der Salon soll noch beschrieben werden. Er war groß, mit einer hohen und einer kleinen Kuppel. Ein weicher Smyrna-Teppich bedeckte den ganzen Fußboden. Was für köstliche Erinnerungen birgt dieser Raum! Auf einer Seite ging es drei Stufen hinauf in das Schlafzimmer der Eltern. Noch eine Treppe führte auf die Terrassen, wo man um die Kuppeln herum Platz zum Spazieren hatte.

Als Hauptaufgabe wurde mir der Unterricht meiner sechsjährigen Schwester Blandina gegeben. Das war nun eine wahre Lust, obwohl das kleine Persönchen mir, der ehrwürdigen vierzehnjährigen Lehrerin, nicht immer die nötige Achtung zollte. Aber es ging doch prächtig, und die paar Schuljahre sind uns beiden in freundlicher Erinnerung.“

Dora war sehr begabt für Musik und Gesang, und was sie dafür an Ausbildung empfangen konnte, ward ihrer Seele zum Genuß, öfters besuchte sie auch die russische Kirche, um dem wundervollen Gesang zu lauschen. Doch bald mußte sie auf diese stille Freude verzichten, weil das Gerücht ging, Bischof Gobats Tochter habe die Absicht, sich der griechisch-katholischen Kirche anzuschließen.



Sündennot und „Es ist vollbracht!“

„Innerlich fing mit den Wintertagen 1856 für mich eine Zeit der Angst, der inneren Unruhe, ja des heißen Kampfes an“, bekennt Dora. „Trotzdem ich von Kindheit an den Heiland geliebt, zu ihm gebetet und sein Wort mit Freuden gelesen hatte, auch nach außen als ein frommes Kind galt, fühlte ich auf einmal die Verderbnis meines ganzen Wesens so sehr, daß ich mich für das schlechteste und allerärmste Menschenkind ansah. Das Wort des Herrn: .Ihr seid wie die übertünchten Gräber, die von außen hübsch scheinen, aber inwendig sind sie voller Totenbeine und alles Unflats' strafte mich so genau, daß es mir vorkam, es sei für mich geschrieben, und das ,Wehe euch', das diesem Wort vorangeht, machte mich erzittern. Es waren schwere Tage und Nächte. Wahrscheinlich hatte ich auch Zeiten, da ich mein Elend vergaß; denn die Meinigen merkten es nicht so sehr. Auch gestaltete sidi das äußere Leben gerade damals überaus schön.

Im Frühling 1857 nämlich kam aus England mein geliebter ältester Bruder Benoni, ein flotter Student von Oxford, um nach langer Zeit seine Ferien wieder einmal zu Flause zuzubringen. Zum ersten und einzigen Male hatten meine Eltern in jenem Sommer die Freude, ihre sieben Kinder zusammen um sich zu haben. Es war eine wundervolle Zeit. Wir verbrachten manche Wochen in Zelten auf dem schönen Lagerplatz bei Lifta. Die befreundete, ebenfalls kinderreiche Familie Sandreczki lagerte in unsrer unmittelbaren Nähe. O welche Spaziergänge und Ritte, welche Spiele und Übungen machte man da! Benoni war die Seele von allem. Wir sangen viele Lieder und kamen auch zusammen zum Lesen, hie und da unter einer Gruppe von Olivenbäumen, die den Namen ,Sonntagsbäume1 trugen, andre Male unter dem großen, einsamen Feigenbaum am Talabhang, von wo man hinunterschaute auf das leuchtende Minarett von Nebi Samuel.

Während all der Freudenzeit schlief in meiner Seele der Gefangene, der nach wahrer Freiheit dürstete. Ganz ersticken durfte die fröhliche Umgebung ihn nicht; aber zum Schweigen bringen, das konnte sie.

Da kam der Herbst. Der Bruder verließ uns. Das regelmäßige Leben in der Stadt fing wieder an, und in der stillen Nächte Stunden hörte ich wieder mit Macht die Stimme des Gerichts. .Wenn du stirbst, so bist du verloren!1 — so hieß es in mir, und ich wußte, daß die Stimme die Wahrheit redete. In jener Zeit begann für mich der Konfirmationsunterricht bei meinem lieben Vater. Leider offenbarte ich ihm meinen Herzenszustand nicht; aber ich denke doch, daß die Heilslehre, in der er mich so treu unterwies, mitgeholfen hat zu der seligen Erlösung, die nun folgte.

Es war eine stürmische Nacht im Februar 1858. Der Wind heulte um unser Haus her; ich dachte, es könnte niedergerissen werden von dem Orkan. Und noch gewaltiger stürmte es in meiner Seele. Ängste der Hölle hatten mich getroffen; ich kam in Jammer und Not. Aber ich rief an den Namen des Herrn: O Herr, errette meine Seele! Und siehe da, mitten in der größten Not trat ein längst bekanntes Wort vor meine Seele: Glaube



an den Herrn Jesus Christus, so wirst du und dein Haus selig. Mein Ohr hörte keine Stimme, mein Auge sah kein Licht, meine Seele empfand keine besondere Regung; aber mein Glaube erfaßte fest und kühn das klare Wort des Evangeliums. ,Herr, ich glaube, ja, ich glaube an dich, so bin ich denn gerettet!“ So jubelte es in mir. Und unmittelbar an dies erste Wort reihte sich ein zweites: Es ist vollbracht!

Ich erfuhr damals, was ich später aussprechen lernte:

O Wort des Lebens! Hier kann mein Glaube ruhn; auf diesen Felsen kann ich mich gründen nun.

Ewig vollkommen ist unsers Gottes Heil; nimm es, o Sünder, an, so wird dir’s ganz zuteil!

Nichts kannst du machen mehr, Gott hat’s gemacht:

Es ist vollbracht!

Als am nächsten Morgen meine liebe jüngere Schwester Maria mich sah, merkte sie gleich, daß mir etwas Besonderes widerfahren sei, und fragte mich danach. Ith weiß nicht genau, was ich antwortete, aber der Sinn war: ,Ich habe etwas glauben gelernt, was schon lange geschehen ist, und in mir ist alles neu geworden.“

Jetzt weiß ich, daß es der werte Heilige Geist war, der mich in den vergangenen Monaten der Sünde überführt hatte, mir nun aber die Gerechtigkeit meines Heilandes zueignete und midi mit den Kleidern des Heils bedeckte.

Wenn ich mich fragte, warum wohl der Herr mich so tief und schwer führen mußte, so glaube ich, ihn wohl zu verstehen. Bei meinem von Natur zur Frömmigkeit neigenden Temperament und der christlichen Erziehung, die ich genoß, hatte sich viel .Firnis“ an mich geheftet, und es brauchte solch radikale Kur, um mich von meiner tiefen Verderbnis zu überzeugen.

Dann sehe ich auch in dieser Zucht der Gnade eine Vorbereitung auf spätere Wirksamkeit, da mich mein treuer Herr brauchte, um andern Seelen den Weg zur Rettung zu zeigen.

Es folgten selige Wochen und Monate. Nun fiel im Unterricht der gute Same auf ein wohlzubereitetes, tief durchfurchtes Land. Und als der Tag der Pfingsten gekommen war und ich mit vier andern Jungfrauen in unsrer lieben Christuskirche meinen Taufbund erneuern durfte und meines Vaters Hände segnend auf mir ruhten, da hieß es aus tiefster Seele: Ich bin dein, o Jesu und du bist mein für Zeit und Ewigkeit! — Es war der 23. Mai 1858. Die Hochflut der Freude im Heiligen Geist stieg so sehr, daß sie den Damm der Schüchternheit und der Zurückhaltung meinen lieben Eltern gegenüber durchbrach. Als mein Vater in seinem Bischofsornat aus der Kirche kam, konnte ich nicht anders, als mich in seine Arme werfen und sagen: .Mir ist, als sei ich eben jetzt getauft worden und komme aus den Wellen des Jordans, wo ich meinen Heiland habe öffentlich bekennen dürfen als meinen Retter und König/

Ich habe darum immer die Konfirmation so gern aufs innigste mit der Taufe verbunden. Meines Erachtens solite die Konfirmation etwas Freiwilliges sein und nicht an eine Altersstufe gebunden werden. Der Jünger, der als Kind getauft wurde, sollte bei seiner Taufbundemeuerung wirklich bekennen wollen und bekennen können, was er glaubt.

Als der Sommer mit seiner erschlaffenden Hitze und seinem blendenden Glanz sich über Land und Stadt breitete, bekam ich eine leise Angst, mein Inneres möchte wie im vorigen Jahr wieder vertrocknen und das neue Leben einschlafen. Aber es war nicht so. Es blieb. Ja, und es ist geblieben durch manche Untreue, manches Wanken, manche Entmutigung hindurch. Es ist geblieben, wahr und immer bestimmter seit mehr als 60 Jahren. Er hat auch zu mir gesagt: .Meine Gnade soll nicht von dir weichen und der Bund meines Friedens nicht hinfallen, spricht der Herr, dein Erbarmer/ “

)erusalemer Leben

Hier sei zuerst ein kleines Ereignis aus dem Jerusalemer Gemeindeleben eingefügt, wie Doras älteste Schwester Hanna es aufgezeichnet hat. Es betrifft den Gottesacker. Schon in den dreißiger Jahren hatten Amerikaner ein kleines Stück Land auf dem Zion, nahe bei Davids Grab, als Friedhof gekauft. Auch Bischof Alexander erwarb ein Stückchen Feld, halbwegs zwischen dem Jaffator und dem Manillateidh, das, als Bischof Gobat nach Jerusalem kam, etwa zehn Gräber barg.

Eines Tages entdeckte ein Scheich, daß zu einer bestimmten Jahreszeit der Schatten eines der Minarette darauf fiel, und sofort wurde Gobat mitgeteilt, er müsse einen anderen Ort als Be- gräbnisplatz der Protestanten suchen. Mit Mitteln aus England, Deutschland und der Schweiz kaufte er nun ein großes Stück Land am südlichen Abhang des Berges Zion. Der Platz wurde geebnet, die eine Hälfte für die Missionsschule mit Garten bestimmt und die andre zum unveräußerlichen Gottesacker für die protestantische Gemeinde hergerichtet. In aller Stille brachte man die Särge von Bischof Alexander und andern Gemeindegliedern in den neuen Friedhof. Viele Bäume wurden gepflanzt, und bald war der Gottesacker ein Ort der Schönheit und des Friedens, besonders im Vergleich mit andern orientalischen Begräbnisplätzen. — Da liegen nun die drei ersten Bischöfe, viele Entschlafene aus den deutschen, englischen und arabischen Gemeinden, auch manche, die als Reisende ins Heilige Land kamen und hier ihren Pilgerlauf endeten. Unter einem großen Ölbaum, nahe am westlichen Eingang, schlummern die teuren Eltern dem großen Ostermorgen entgegen.

Und nun lassen wir Dora wieder berichten:

,,Im Jahr 1858 wurde meine liebe Mutter nach Beuggen gerufen an das Sterbebett ihrer teuren Mutter. Vater begleitete sie natürlich, und Maria samt den beiden jüngeren Brüdern wurden mitgenommen, erstere um in Montmirail, letztere in Korntal unterrichtet zu werden. So blieben Hanna und ich mit Blandina allein zurück. Unsre guten Freunde, der preußische Konsul Rosen und seine Gattin, versprachen, uns in jeder Schwierigkeit beistehen zu wollen, und jede Woche waren wir für einen ganzen Tag im Konsulat eingeladen.“

Hier können wir uns nicht enthalten, eine Beschreibung dieses alten, merkwürdig gebauten Hauses, wie Hanna sie gibt, einzuschalten. Unten war ein großer Hof mit den Wohn- und Schlafzimmern ringsherum. Auf einer Seite führte eine hohe Treppe, die ganz von einem schönen, alten Weinstock beschattet war, auf eine Terrasse. Da war das Studierzimmer und ihm gegenüber eine große, gedeckte Laube mit einem Springbrunnen, von wo aus man in einen ziemlich großen, sehr gut gepflegten Garten kam. Dieser Garten, sowie ein gepflasterter Hof. in dem immer drei oder vier reizende Gazellen umhersprangen, lag direkt über einem überwölbten Bazar, in den man durch Luftlöcher hinunterschauen konnte.

Außer mit Rosens hatten die Bischofstöchter auch mit andern englischen und deutschen Freunden viel Verkehr, zogen auch auf einige Wochen in die Zionsschule, der Kühle und guten Luft wegen.

Auf den Oktober war die Hochzeit des abessinischen Missionars Flad mit einer der Familie Gobat sehr lieben Diakonisse in Jerusalem festgesetzt worden. Leider konnten der Bischof und seine Gattin einer lästigen Quarantäne wegen nicht zur bestimmten Zeit zurück sein, und so fiel es den Töchtern zu, im Auftrag ihres Vaters die Hochzeitsfeier auszurichten. Dora sagt, das Fest habe ihnen wohl etwas Mühe, aber unendlich viel mehr Freude bereitet. Sie verfolgte später mit besonderer Teilnahme die Arbeit, die Leiden der Gefangenschaft und die Befreiung der Missionsgeschwister in Abessinien und blieb stets mit ihnen verbunden. Bis zuletzt hatte sie eine mütterliche Liebe für den Sohn Friedrich, der seines Vaters Lebenswerk als Leiter der Mission unter den Falaschas fortsetzte.

Im November 1858 kehrten die Eltern wohlbehalten aus Europa zurück. Dora berichtet weiter:

„Das Jahr 1859 war ein ereignisreiches. Das erste Kind schied aus dem Geschwisterkreis, um ein eigenes Heim zu gründen. Hanna reichte am 23. Juni dem Missionar John Zeller die Hand zum Ehebund und folgte ihm in die neue Heimat nach Nazareth. Das griff tief ein in unser Familienleben.“

Hanna beschreibt einen Ausflug, den sie um Ostern herum, gleichsam als Abschied von ihrer Mädchenzeit, mit Dora und zwei Freundinnen in Begleitung des alten Kawassen Mustafa nach dem Jordan und Toten Meer machte. Sie erzählt: „Da die Gegend ziemlich unsicher war, schlossen wir uns den rassischen Pilgern an und schlugen unser Zelt in der Nähe ihres Lagers am Bach Krith bei Jericho auf. Die ganze Nacht hörten wir das Reden oder Beten der Pilger, das Bellen der Hunde und Schakale und das Geklingel der Maultierschellen. Mit Tagesanbruch ritten wir ans Tote Meer und dann an den Jordan, wo wir wieder mit den 70 bis 100 Pilgern zusammentralen, die sich da untertauchen und laufen ließen. Sie meinen, dadurch ihre Sünden abzuwaschen, und das Hemd, das sie während der Zeremonie tragen, heben sie sorgfältig auf, um es später als Sterbekleid zu benützen. — Eine drollige Geschichte passierte einer deutschen Dame einige Jahre später. Um besser alles sehen zu können, ging sie mit in die Fluten des Jordans und wurde, trotz starken Protestes, von dem russischen Priester dreimal untergetaucht.

Die zweite Nacht waren wir im gleichen Lager bei Jericho, und am nächsten Tag ritten wir heim, an Bethanien mit seinen vielen Mandelbäumen vorbei.“

Dora fährt fort: ,.Um jene Zeit besuchte die liebenswürdige schwedische Schriftstellerin Frederica Bremer das heilige Land. Wir sahen sie öfter. Sie faßte eine Neigung zu mir und namentlich zu meiner Stimme und bat meine Eltern, mich ihr anzuvertrauen, damit sie mich als Sängerin ausbilden lassen könne. Obschon die Eltern natürlich nicht dafür sein konnten, wünschten sie eine Erklärung von mir. Ich legte sie meinem Vater aufs Nachttischchen. Ich sagte darin, sein Gott sei auch mein Gott, ich wolle nur für ihn leben. — Dies kleine Ereignis war mir wichtig, einesteils, weil es meiner Eitelkeit schmeichelte, aber besonders, weil idi da ganz deutlich spürte, daß nur der Dienst des Herrn mich innerlich befriedigen würde. Es war wie eine ahnende Berufung zum Dienst der Seelenrettung.

Im darauffolgenden Jahr (1860) durfte ich meinen teuren Vater auf seiner Visitationsreise nach Ägypten, das auch zu seiner Diözese gehörte, begleiten. Die Reise brachte mir für Geist, Seele und Leib großen Gewinn. Schon ehe wir nach Jerusalem zurückkehrten, hörten wir die ersten dumpfen, beängstigenden Berichte von dem Drusenaufstand im Libanon. Im ganzen Land machte sich die Gärung fühlbar. Wie wir später hörten, war auch für Jerusalem ein Tag der Metzelei bestimmt, der 20. Juli. Mutter war nach Nazareth gereist, um dort das erste Enkelkind zu empfangen. Vater hielt mit Blandina und mir die ernste Morgenandacht an dem gefürchteten Tag. ,0 Herr', so betete er, daß uns in deine Hand fallen; denn deine Barmherzigkeit ist groß, und laß uns nicht in der Menschen Hände fallen!' — Er wurde erhört. — Das Blutbad wurde in Jerusalem verhindert. Aber mein Vater wurde schwer krank und konnte sich lange nicht erholen

Die Herbstmonate waren eine reiche Segenszeit. Der Tod eines jungen Arztes, mit dem mich eine kurze, aber warme Freundschaft verbunden hatte, schnitt mir ins Herz. Die Erde wurde dunkler, aber der Himmel lichter. Wir verspürten in Jerusalem die Wellenschläge der großen gottgewirkten Erwek- kung, die in den Jahren 1859/60 in England und Irland viele Sünder zum Heiland brachte. Wunderbarerweise war es der ehrwürdige lutherische Pastor Valentiner, der am eifrigsten die Erweckungsberichte las und weiter mitteilte.

Herrlich waren die Gottesdienste und namentlich die Gebetsstunden. Diese fanden zuerst zweimal, später einmal wöchentlich im Schulhause statt. Da war mein ehrwürdiger Vater immer dabei, zu seiner Rechten der anglikanische, zur Linken der lutherische Geistliche, die abwechslungsweise leiteten. Das war wirkliche Allianz. In jenen ersten Jahren 1859/60 waren diese Stunden ungemein belebt. Wo der Geist Gottes ist, da ist Freiheit. So erinnere ich mich, wie der englische Arzt Dr. MacGowan einst den Strom der Gebete unterbrach und bat, ein Wort sprechen zu dürfen, das seine Seele bewegte, und ein andermal Freund Frutiger aus Basel vorschlug, man möchte doch das Lied singen: ,Wenn ich ihn nur habe1, was so ganz seines Herzens Stimmung ansdrücke.

Hier muß ich auch einen Namen einschalten, der für mich bedeutsam geworden ist, Herr Henry Crawford, ein Mann voll Heiligen Geistes, der mir und vielen ein Segen war.

Einen Sonntagnachmittag möchte ich noch schildern. Wir wohnten damals für einige Wochen in der Schule auf Zion. Ich war in die Stadt gegangen, um dem Nachmittagsgottesdienst beizuwohnen, und wanderte gegen Abend wieder nach Hause. Durch das armenische Viertel ging mein Weg, an der großen Klostermauer vorüber. Es war so still und feierlich. Mein Herze ging in Sprüngen und könnt’ nicht traurig sein. Die Seligkeit der Gemeinschaft mit meinem Heiland war so groß und fühlbar, daß ich an jenem Sonntagabend mich halb im Himmel fühlte. Da drang von weitem der heisere Ruf eines Aussätzigen an mein Ohr. Ich war mittlerweile in die Nähe des Zionstores gekommen, wo damals die Aussätzigen ihre Hütten hatten, und bald erblickte ich drei dieser Elenden, die am Wege saßen und bettelten. In der freudigen Stimmung, in der ich war, hätte ich ihnen

gern ein Geldstück geschenkt; aber ich hatte meinen Beutel nicht bei mir. Nur meinen steten Begleiter, mein arabisches Testament, hatte ich in der Hand, und plötzlich durchzuckte mich der Gedanke: daraus kannst du ihnen etwas Wertvolles geben. Fast mit den Worten des Apostels sagte ich den drei Aussätzigen: ,Gold und Silber habe ich nicht; was ich aber habe, möchte ich euch anpreisen. Darf ich euch etwas vorlesen?1 — ,Nein, nein1, riefen sie, ,das verstehen wir nicht1. — ,Versucht es nur einmal!1 erwiderte ich und schlug gleich im 8. Kapitel des Matthäus die Geschichte von der Heilung des Aussätzigen auf. Sie horchten aufmerksam. ,Lies es noch einmal!1 baten sie. Und dann: ,Hat er ihn wirklich angerührt?1, so kam die Frage. Und so gut ich konnte, erzählte ich ihnen vom Heiland.

Mir war so wohl zumute, und noch manchmal von dem Tage an konnte ich ihnen vorlesen und erzählen, am Wegesrand oder in ihren ekelhaften Hütten. Viel habe ich nicht für sie getan; aber für dies wenige bewahrten sie mir eine rührende Liebe und Dankbarkeit.“

Es wurde große Gastfreundschaft geübt im Bischofshause, wodurch man in Beziehung zu vielen lieben und interessanten Leuten kam. Die Sonntage waren still und durch Gottesdienste ausgefüllt. Um 10 Uhr gingen alle in die englische Kirche. Die beiden englischen Geistlichen kamen, den Bischof abzuholen, der im Ornat zwischen ihnen ging. Voran zogen die beiden Kawas- sen mit den Silberstöcken, und Frau Gobat mit den Kindern folgte. Um 3 Uhr fand der deutsche Gottesdienst statt. Rev. Henry Crawford und Pastor Valentiner wirkten in herzlichem Einverständnis mit demBischof zusammen, so daß die Jahre 1859 und 1860 eine Blütezeit der Gemeinde in Jerusalem genannt wurden.

Ein Jahr in England

Unverkürzt verwenden wir die vorliegenden Aufzeichnungen: „Meines Vaters Gesundheit machte eine Reise nach Europa notwendig, und mit frohem Herzen reisten wir im Mai 1861 ab. Zunächst ging es nach Beuggen. Dort war zwar das liebe Großmütterlein schon im Jahre 1858 und der teure, prächtige Großvater im Mai 1860 heimgegangen. Aber der von uns allen so innig geliebte Onkel Reinhard war an der Spitze der Anstalt, und das alte Heim war uns offen geblieben. Wir hielten uns nicht allzulange auf; denn diesmal war England unser Ziel. Anfang August reisten wir ab und kamen über Paris—Dieppe— New Haven auf Englands Boden an. Ein mehrwöchiger Aufenthalt in London mit vielen, vielen Erlebnissen war meist unbefriedigend für Herz und Gemüt. Die größte Freude war ein Wiedersehen mit meiner geliebten Freundin Florence Barker. Eine liebliche Woche brachte ich mit ihr in ihrem elterlichen Hause in Holloway-London zu. Sie war schmal und müde und mußte viel liegen. Aber meine Augen waren gehalten; ich sah nicht, was gewiß alle wußten, mir aber nicht sagten, daß sie sterbend sei. Es war so schön in ihrem friedlichen Zimmer.

Einmal bat sie mich, ihr die Beschreibung des neuen Jerusalems zu lesen. Andre Male zeigte sie mir einige ihrer Lieblingslieder. Sie war mir bis zuletzt ein Segen, und mit Tränen schied ich von ihr. — Nicht gar lange hernach, am 18. Dezember 1861, wurde die 24jährige Jungfrau als eine früh gereifte Garbe in die ewigen Scheunen heimgeholt.

Mitte September reisten meine teuren Eltern wieder ab. Ich blieb, auf die flehentliche Bitte meines Bruders Benoni hin, in England zurück. Er war nämlich seit einigen Monaten Vikar in dem Städtchen Romsey in Hampshire und wünschte sich sehnlich eine Schwester, um seine Einsamkeit zu verschönern. Meinen lieben Eltern und auch mir selbst war dieser Vorschlag sehr willkommen, und am 21. September 1861 zog ich ein in die schlichte Wohnung, die mein Bruder gemietet hatte. Wir hatten jedes ein Zimmer und dann noch ein gemeinsames Wohnzimmer über dem ehrbaren Spezereiladen des Mr. Pinnick in der Straße, die den Namen trug: The Hundred. Vor meinem Fenster war ein leerer Platz, auf dem eine wunderschöne Trauerweide stand, und als wenige Wochen nach meinem Einzug der Heibstwind die zarten Blätter der Weide hinwegwehte und zuweilen durch das offene Fenster in mein Zimmer hineintrug, da meinte ich vergehen zu müssen vor Sehnsucht nach etwas Ewigem, Unveränderlichem.

Romsey hatte eine prachtvolle Kirche, eine alte normannische Abtei. (Mitunter durfte ich auf der herrlichen Orgel spielen, da ich Unterricht nehmen konnte, der mich in dieser Beziehung weiterführte. Diese Stunden brachten mir viel Gewinn und Genuß, auch Segen.) Ein Pfarrer und zwei Vikare verwalteten das Amt, und da sowohl die Frau des Pfarrers als die des älteren Vikars kränklich waren, fielen allerlei Aufgaben mir zu. Ich sah älter aus als neunzehnjährig. Mein Bruder meinte einmal scherzhaft: ,Meine Schwester war eben vier Jahre alt, als sie geboren wurde“, und es wurde mir eines der verrufensten Quartiere des Städtleins als Besuchsfeld angewiesen. Eine Dame der Gemeinde machte in mütterlicher Teilnahme, mir unbewußt, dem Hauptpfarrer Vorstellungen deswegen, und es wurden mir daraufhin einige anständigere Häuserreihen zur Pflege übergeben. Wie gern machte ich da meine täglichen Rundgänge! Trotz aller Vorsicht meiner mütterlichen Freundin kam ich mit furchtbar viel Sünde und Schlechtigkeit in Berührung.

Ich kann hier nicht auf zuviel Einzelheiten eingehen; ich könnte fast ein Büchlein füllen mit den inneren und äußeren Erlebnissen während der elf Monate meines Aufenthaltes in Romsey1. Meine Haupttätigkeit war in der Sonntagssdiule, wo ich jeden Sonntag, vormittags von ^10 bis Hll und nachmittags von 3 bis 4 Uhr, eine Klasse mit zwölf- bis fünfzehnjährigen Knaben unterrichtete. Ich durfte herrliche Erfahrungen machen, besonders mit dem bösesten von allen, dem fünfzehn Jahre alten Tom Rogers, den Gottes Gnade erfaßte und zu einem neuen Menschen machte. Bei meinem Abschied von Rom- sey sagte mir seine Mutter: ,Jetzt muß ich Ihnen erzählen, was bei Tom den Ausschlag gegeben hat; denn Sie sind noch jung, und es kann Ihnen auch später von Nutzen sein. Als Sie ihn an jenem Abend zum erstenmal bei mir trafen, da merkte ich nachher, daß er eigentümlich bewegt war. Ich hieß ihn, sich die Hände zu waschen und zum Nachtessen zu kommen. Da sagte er: Ich möchte am liebsten die rechte Hand gar nicht waschen. Sieh, es hat mir schon lange, lange niemand mehr die Hand gegeben. Alle haben mich verachtet, nur Miß Gobat nicht. Aber jetzt will ich auch in die Sonntagsschule gehen. Das war der Anfang seiner Umkehr.“

Fünf Jahre später, als ich als Braut in England weilte und einen Besuch in Romsey machte, sah ich meinen lieben jungen

Freund wieder. Er wandelte als ein ernster, entschiedener Chi ist Der Pfarrer, den ich nach ihm gefragt hatte, sagte mir: ,Tom ist alles, was man nur wünschen könnte; nur besucht er die Bibelstunden der Dissenters (freien Gemeinschaften) und sagt, es sei ihm dort wohler als in unsern schönen Gottesdiensten in der Abtei/ — Allzu traurig machte mich jenes Urteil nicht, hatte ich doch selbst seinerzeit einen Durst nach engerer Gemeinschaft gefühlt und war manchmal an stillen Sonntagabenden in die Nähe der kleinen Methodistenkapelle gegangen, um mich an dem warmen, innigen Gesang zu erlaben. Ja, ich schloß sogar Freundschaft mit einigen lieben Töchtern aus jener Gemeinde, zum großen Erstaunen und Ärger einiger unsrer näheren Bekannten, die jene Mädchen als durchaus nicht ,ebenbürtig1 fanden. Aber die Liebe zu Jesus schlug die Brücke über bürgerliche und kirchliche Scheidegräben, und wenn wir uns auch nicht oft trafen, so genügte ein Blick und ein Händedruck, um unsre Einheit im Geist zu bekunden.

Machte ich Besuche in entlegenen Häusern, so nahm ich unsern schönen Bernhardinerhund mit, der mich wie seinen Augapfel bewachte. Einst besuchte ich eines Abends eine kranke Frau und blieb länger, als ich beabsichtigt hatte, so daß es zu dunkeln anfing. Da klopfte es an die Kammertür, und ein Mann bat: .Liebes Fräulein, bitte, kommen Sie und rufen Sie Ihren Hund weg! Er liegt über der Schwelle unsrer Haustür und läßt niemand aus noch ein/ Als mein Bruder und ich einmal zehn Tage abwesend waren, hörten wir, daß der Bernhardiner Tag für Tag unsre bekanntesten Armen und Kranken aufgesucht hatte — vermutlich in der Hoffnung, uns zu finden. Zu einem armen, sterbenden Soldaten, der mehrere Treppen hoch wohnte, kam der Hund am meisten und machte durch seine Treue große Freude.

In der Nähe von Romsey liegt Broadlands, der herrliche Sitz des damaligen Premierministers, Lord Palmerston. Wir sahen die Herrschaften nicht oft, obschon sich Lady Palmerston für den .jungen Riesen“ interessierte, wie sie meinen Bruder gern nannte. Da der Kirchenstuhl des Vikars für eine kinderreiche F’amilie berechnet war und ich meist allein darin saß, so führte der alte Kirchendiener oft Herren hinein, die in dem Palmer- stonschen Sitz nicht mehr Platz hatten. Bei Gelegenheit erzählte er mir dann gern, wer die Herren gewesen seien: Lord Shaftes- bury, Lord Cowper, Minister und Generäle, auch mitunter Poeten und Künstler.

Mehr noch als die große Abtei beschäftigte uns die Filiale Lea, wo durch meines Bruders Energie eine kleine Kapelle erbaut wurde. Manche Gänge über den knisternden, glänzenden Schnee sind mir noch in Erinnerung, in sternenhellen Dezembernächten um die Weihnachtszeit. Das Dorf war etwa eine Stunde von Romsey entfernt.

Eine liebliche Erinnerung zum Schluß. In der Karwoche 1862 hatte ich alle Gottesdienste mit großer Andacht mitgemacht, wohl, wie ich mir’s nachher erklärte, in eigenem Trieb und selbstgewählter Heiligkeit mit Fasten und Beten. Am Abend vor Ostern überfiel mich eine namenlose Traurigkeit. Gottes Antiitz war mir ganz verdunkelt. Der Ostersonntagmorgen fand mich so traurig wie Magdalena am Grabe des Herrn. Ich hatte ihn verloren und konnte ihn nicht finden. So ging es die ganze Woche. Nach alter, schüchterner Gewohnheit sagte ich meinem Bruder nichts davon und meinte, er merke gar nichts. Am Sonnabend fing es wieder an zu dämmern in meiner Seele, und Sonntag konnte ich von neuem dem Herrn danken, der midi geliebt und erkauft hat mit seinem Blut. Schweigend gingen wir zusammen nach Lea, wo ein lieblicher Sonntagabend-Gottesdienst stattfand. Als wir hernach bei hereinbrechender Nacht nach Hause wanderten, sprachen wir dies und jenes, ohne auf tiefere Gedanken einzugehen. Als wir aber oben im trauten Stübchen uns zu Tisch setzen wollten, schaute mein Bruder mich zärtlich an und sagte mit fast schelmischem Lächeln: ,Dora, mir scheint, du hast dies Jahr erst mit Thomas Ostern gefeiert.“

Wie freute mich da sein zartes Verständnis und — sein vorheriges zartes Schweigen!

Einen kleinen Zug will ich noch erwähnen zur Ermunterung für solche, die alle ihre Gaben ganz dem Heiland weihen wollen. — Es wurde in den Gesellschaftskreisen, in denen wir verkehrten, viel gesungen, sowohl solo als in gemischtem Chor. Seit ich des Herrn bewußtes Eigentum geworden war, hatte ich keinen Gefallen mehr an Liedern, die nur der Weltlust dienten, und machte darum nicht gern mit. Aber zu Hause wurde jeden Abend in der Dämmerstunde ein Lied oder eine Arie gesungen zu stiller Erbauung: und Freude. Gegen Ende meines Aufenthaltes erfuhr ich, daß ich damit ganz ungesucht einem kleinen Kreis von Armen und Geringen unter unsern Nachbarn gedient und manchen von ihnen Trost und Heilsverlangen ins Herz gesungen hatte. Sie hätten jeden Tag, so erzählten sie, auf ihr Abendlied gewartet. Wieviel köstlicher war das als aller Beifall, den das törichte Herz etwa einmal gewünscht hätte! Alles, was wir dem König opfern auf irgendeinem Gebiet, ist nicht Verlust, sondern Gewinn.

Während meines Aufenthaltes in Romsey verlobte sich mein lieber Bruder, und obschon die Hochzeit erst ein Jahr später stattfinden sollte, so erleichterte mir doch der Gedanke an sein Glück den Trennungsschmerz. Im Sommer kam die zarte Braut auf Besuch nach Romsey, zu gleicher Zeit mit meinen lieben Eltern. (Mein Vater hätte eigentlich einen zweijährigen Urlaub nehmen sollen, zog es aber vor, den Winter in Jerusalem bei seiner Arbeit zuzubringen. Dies zur Erklärung des so baldigen Wiederbesuches in Europa.)

Wir verlebten schöne Tage zusammen, und nach dem Besuch machte ich mich zur Rückkehr bereit. Viel Liebe durfte ich erfahren, und mit tief dankbarem Herzen sagte ich dem lieblichen Romsey mit seiner prächtigen alten Abtei und all seinen Bewohnern Lebewohl. Es war Mitte August 1862.

Auf der Rückreise nach Jerusalem hielten wir uns in Beuggen, Rheinfelden. Basel und Riehen auf. Benoni ließ es sich nicht nehmen, mich selbst auf den Kontinent zu begleiten, und zwar zunächst nach Fellbach, wo ich mit den lieben Eltern zusammentraf und bald darauf den zwanzigsten Geburtstag feierte.“

Erstmals auf St. ChrisclionaC. H. Rappard

„Eines lieblichen und in der Folge mir überaus wichtigen Ereignisses muß ich Erwähnung tun. Während wir in Riehen im Hause meiner Paten, Herrn und Frau Bischoff-Respinger, wohnten, fand auf St. Chrischona eine Einsegnungsfeier statt. Meine Freundin, Hanna Bischoff, später Frau Sarasin, schlug mir vor, mit ihr den Berg hinaufzusteigen. um der Feier beizuwohnen. Das machte mir große Freude, und an dem schönen.

sonnigen Nachmittag des 28. September 1862 piLgerte ich erstmals den steilen Waldweg hinauf. Eingesegnet wurde unter andern Herr Joh. Hermann, der als Missionskaufmann nach Jerusalem ausgesandt wurde. —

Nach der Feier trat ein hochgewachsener, vornehm aussehender .Bruder“ zu uns und lud uns zu einer Tasse Kaffee in den Speisesaal ein. Hanna flüsterte mir zu: ,Das ist der junge Herr Rappard vom Löwenstein“ und teilte mir einiges von der Familie mit. Ich wußte, daß seine Schwester AdUe mit uns die Reise nach Jaffa in Palästina machen sollte, wo sie als freiwillige Diakonisse den Kranken dienen wollte.“

Was Dora Gobat damals im Flüsterton durch ihre Freundin erfuhr, soll aus bekannten Gründen offen und durch Einzelheiten ergänzt hier mitgeteilt werden:

Carl Heinrich Rappard wurde am 26. Dezember 1837 als zweites Kind seiner Eltern Carl August Rappard und Marie, geb. de Rham, in Giez im schweizerischen Kanton Waadt geboren. Der Vater, einem alten Adelsgeschlecht entstammend, war von seiner Heimat Neukirchen im Rheinland, wo er Theologie studiert hatte, zuerst nach Basel, dann in die französische Schweiz gekommen, um der von ihm erkannten göttlichen Wahrheit nachleben zu können. Die Heilige Schrift war ihm so sehr Quelle und Maßstab für seinen Glauben, aber auch für sein eigenes Verhalten geworden, daß er alles, was ihm in der Heimat an Ehre und Stellung zuteil geworden wäre, verließ, um nach Persönlichkeiten zu suchen, mit denen er, eins im Glauben und im Gehorsam gegen Gott, Gemeinschaft haben könnte. In Yverdon und Umgegend wurde sein sehnsüchtiges Verlangen gestillt. Es wehte Erweckungsluft dort, und er durfte in einen kleinen Kreis von Gläubigen, die mit ganzem Emst dem Herrn nachfolgten, eintreten.

Unter diesen Freunden war auch eine junge Witwe, Adelaide de Rham, geborene Doxat. Sie hatte in ihrem Leid bei Jesus Christus Trost gefunden, schied sich von der Welt und wollte ihre drei Kinder nur für das Reich Gottes erziehen. Mit Freuden nahm sie den ernsten, jungen Gelehrten aus Deutschland, der ihr warm empfohlen war, als Lehrer und Erzieher ihres Sohnes in ihr Haus auf. Sie hat es nie bereut, und als später August Rappard um die Hand ihrer Tochter Marie warb, gab sie ihre freudige Zustimmung. Ein einfaches, mit feinem Geschmack ausgestattetes Landhaus wurde die Wohnstätte des glücklichen Paares, und die dazugehörenden Grundstücke boten reichlich Gelegenheit, Landwirtschaft zu treiben. Diesen Beruf hielt Rap- pard für den Gott wohlgefälligsten. Dort in Giez verlebte Heinrich acht seiner fröhlichen Kindheitsjahre.

Der Familienkreis erweiterte sich, und verschiedene Umstände veranlaßten den Vater, im Jahr 1845 in den Kanton Schaffhausen zu ziehen, wo er ein Gut, Löwenstein genannt, käuflich erwarb. Der muntere Knabe erhielt mit seinen Geschwistern die Schulstunden zu Hause, und der Vater überwachte sorgfältig die Erziehung. In den folgenden Jahren gingen Lernen und Feldarbeit Hand in Hand. Die Arbeit war oft streng. Heinrich hat praktisch gelernt, was es ist, das Joch in der Jugend zu tragen; aber er durfte auch erfahren: Es ist solches dem Manne gut.

Die Kinder wurden allem Weltlichen ferngehalten, und in den oft langen Hausandachten gewannen sie durch ihren Vater eine reiche Bibelkenntnis. Doch das Gesetzliche herrschte vor. Da erwachte in Heinrichs Seele die Überzeugung, daß er innerlich nicht recht stehe vor Gott. Lange wußte er kaum, was ihm fehlte. Plötzlich erinnerte er sich des Wortes: „So denn ihr, die ihr arg seid, könnet euren Kindern gute Gaben geben, wieviel mehr wird der Vater im Himmel den Heiligen Geist geben denen, die ihn bitten!“ (Luk. 11, 13). Das drang mit überwältigender Macht in sein Herz. An einem verborgenen Plätzchen des Baumgartens kniete er nieder und tat nach jenem Wort. Das war der Anfang seiner bewußten Gemeinschaft mit Gott.

Zehn Geschwister wuchsen mit Heinrich auf. Da bot der Löwenstein nicht mehr genug Beschäftigung für alle. Die kräftig erwachsenen Söhne sollten selbständige Landwirte werden und dazu ein weiteres Gebiet der Arbeit haben. Der Vater wußte Rat. Er kaufte ein zweites Gut, Iben, oberhalb Stein am Rhein, das mit seinen fruchtbaren Äckern, von Waldungen umgeben, als ein blühender Gottesgarten daliegt.

Dorthin führten im Frühjahr 1856 Vater und Mutter ihre vier ältesten Kinder und vertrauten ihnen die Leitung des Ganzen an. Gott gab viel Segen. Das innere Leben Heinrichs wurde befruchtet durch die Begegnung mit Missionar Hebich, der 1859 von Indien zurückkehrte. Seinem Einfluß konnte auch Vater Rappard sich nicht entziehen, und ihm ist es wohl vornehmlich zuzuschreiben, daß die ganze Familie die sonntäglichen Gottesdienste in der Kirche zu Schaffhausen und zu Burg besuchte und sich überhaupt an andere Gotteskinder näher anschloß. Das bereicherte ihr Leben.

Heinrich hatte in früheren Jahren den Wunsch geäußert, Theologie studieren zu dürfen. Sein Vater konnte es nicht erlauben, da er die ungläubigen Strömungen auf den Universitäten fürchtete, und der Sohn fügte sich willig. Er fand auch je länger je mehr Freude an seinem Beruf, besonders in Iben, wo er mit seinem Bruder Carl zusammen arbeitete. Aber im Herbst 1860, als er auf dem wohldurchfurchten Acker goldenen Weizensamen streute, zog es mit wunderbarer Macht durch sein Gemüt: So sollst du den unvergänglichen Samen des Wortes Gottes ausstreuen in die Herzen der Menschen.

Nun erkannte auch der Vater den Ruf Gottes und gab seinen Sohn frei für den Dienst des großen Ernteherrn. Als Ausbildungsstätte wählte er nach eingehender Prüfung die Pilgermissionsanstalt zu St. Chrischona bei Basel, weil sie seinen Grundsätzen und Überzeugungen in mehrfacher Beziehung am besten entsprach. Im Herbst 1861 trat Heinrich als Zögling in die Anstalt ein und bewährte sich durch Wort und Wandel a's Knecht Jesu Christi. Die Vorbereitungszeit war eine gesegnete.

So kam es, daß Heinrich Rappard und Dora Gobat ihre erste flüchtige Begegnung auf dem Berge hatten, wo sie später berufen waren, als glückliche Ehegatten 41 Jahre lang zusammen dem Herrn zu dienen. Wie wenig ahnte irgend jemand etwas davon!

Bald wurde Dora durch Land und Meer von den lieben Freunden getrennt, die sie auf der Reise getroffen; denn am 12. November erreichte sie mit ihren Eltern die teure Heimat Jerusalem.

Innere und äußere Erlebnisse

Es mag nicht ganz leicht gewesen sein für Dora, nach dem selbständigen Leben und Wirken in der Gemeinde ihres Bruders und nach der überaus reichen Anerkennung, die ihr in

Romsey zuteil geworden war, einfach wieder Haustochter zu werden. Etliche Tagebuchnotizen zeigen uns, daß es an Demütigungen nicht fehlte. Aber die junge Christin sagt einmal, sie habe ihren Heiland gebeten, sie von Herzen demütig zu machen, und dann dürfe sie sich nicht wundern, wenn er sie Wege der Niedrigkeit führe. Tapfer und siegreich kämpft sie gegen unfreundliche Gedanken, als sie erfährt, daß jemand sie verwöhnt und eingebildet genannt habe. Sie flüchtet sich zum Herrn und dankt ihm, daß er ihr Gebet um Demut erhörte. Den Demütigen aber gibt Gott Gnade. So finden wir Dora bald wieder in einer neuen, sie beglückenden Tätigkeit. Es ist nichts Großes für die Sichtbarkeit; aber es ist ein Dienst des Herrn. Sie erzählt darüber:

„Bald nach meiner Rückkehr ins Elternhaus sollte ein Wunsch meines Vaters in Erfüllung gehen, nämlich die Eröffnung einer Schule für arabische Mädchen, die in arabischer Sprache unterrichtet werden sollten. Es waren ja schon gute Pensionate da, vor allem die Schule der Kaiserswerther Schwestern, die später als Talitha Kumi bekannt geworden ist. Aber viele Mädchen durften schlechterdings nicht in ein solches Internat eintreten, und diesen sollte meine kleine Tagschule dienen, die mehrere Jahre hindurch mein besonderes Arbeitsfeld war. Mein lieber Vater hatte mir dazu in einem gemieteten Hause auf Zion einen freundlichen Saal einrichten lassen. Die Wände waren mit schönen biblischen Bildern geschmückt, die Steinfliesen des Bodens mit sauberem Strohgeflecht belegt, und durch das breite Fenster, das in den heißen Sommermonaten nur zuviel Sonnenglanz hereinstrahlen ließ, schweifte der Blick über die große, dunkle Kuppel der Grabeskirche hinweg auf die Berge, von denen der Psalmist einst sang: ,Um Jerusalem her sind Berge, und der Herr ist um sein Volk her von nun an bis in Ewigkeit'(Ps. 125,2).

Eine meine liebsten Schülerinnen war Susu, die mit ihrer verwitweten Mutter ein Glied unsrer arabischen protestantischen Gemeinde war. Ich sehe es noch vor mir, das schöne, stille Mädchen mit dem sonnigen Lächeln, den leuchtenden braunen Augen und dem reichen, welligen Haar, das die hohe Stirn umrahmte. Sie lernte leicht und gründlich, hatte auch eine wunderschöne Stimme, mit deren Hilfe unser Chor trotz der arabischen Kehllaute wirklich lieblich klang. Susu war entschieden die tonangebende Person in der kleinen Schar. Und wenn ich mich frage, woher das kam, so zweifle ich nicht daran, daß es die Frucht ihrer großen Pflichttreue war. Damit übte sie unbewußt einen starken, stillen Einfluß auf ihre Gefährtinnen aus, wie denn überhaupt die Menschen mehr wirken durch ihr innerstes Wesen als durch das, was sie sagen und tun. Susu ist später als Bibelfrau angestellt worden und hat ihre alte Mutter treu gepflegt bis an ihr Ende. Sie hat sich nicht verheiratet, ein Fall, der ganz vereinzelt dasteht im Kreis meiner palästinensischen Bekannten, bei denen die Verheiratung stets das wichtigste und notwendigste Ereignis zu sein pflegt. Wie freut es mich, zu denken, daß sie auf ihrem einsamen Weg den besten Freund zum Führer hatte!

Ein anderes Christenmädchen war Labibeh, ein zartes, blauäugiges Kind mit einer Fülle blonder Haare. Blaue Augen zu haben, galt in Palästina für ein Wunder der Schönheit; aber Labibeh war so sanft und schüchtern, daß man ihr die Vorzüge gern übersah und sie nicht durch allzugroßen Neid unglücklich machte. Sie gehörte der griechisch-orthodoxen Kirche an. Eine sehr liebe Erinnerung knüpft sich an ihren Namen. Eines Mittags hatte mir unser guter Doktor von einer armen jüdischen Wöchnerin erzählt, der es an den nötigsten Kleidungsstücken für ihr Kindlein gebrach. Mein teures Mütterlein gab mir aus ihren Vorräten manche Elle Leinen und Baumwollstoff, und mit diesem Reichtum versehen ging ich zur Nachmittagsschule und sagte den größeren Mädchen, wir wollten heute, statt der gewohnten Aufgaben, eine kleine Aussteuer nähen für das arme Büblein. Ich machte sie darauf aufmerksam, wie schön es sei, solchen Liebesdienst tun zu dürfen, und daß der Heiland es ansehe, als wär’s ihm selbst getan. Rasch und fleißig wurde nun Windel um Windel gesäumt und Hemdchen und Jäckchen genäht. Einzig Labibeh kam mit ihrer Arbeit langsam voran. Etwas ungeduldig rief ich ihr zu: ,Nun, Kindchen, du bist heute recht träge, hast ja erst einen Saum fertig!' Dunkle Röte übergoß Gesicht und Hals der zarten Kleinen. ,Ach, Sitte', sagte sie, ,ich dachte, weil es für den Herrn Jesus sei, möchte ich so gern ganz schöne Stiche machen'. — Das Kindeswort ist mir in meinem Leben oftmals in den Sinn gekommen und hat mich daran gemahnt, meine Arbeit für den Herrn möglichst gut zu machen.

Unter meinen Kindern waren manche Mohammedanerinnen. Die Arbeit an ihren Seelen war schwer; ich hatte oft das Gefühl, als trenne mich eine eiserne Mauer von ihnen; doch könnte auch Ermutigendes und Liebliches erzählt werden.

Das Beten machte den Kindern einen tieferen Eindruck als alles andre. Ein Unwohlsein hielt midi einmal von der Schule fern. Als ich dann wieder erschien, umringte mich fröhlich die kleine Schar, und Susu flüsterte mir zu; ,Wir waren fast gewiß, daß du heute kommen würdest; denn Esther, Labibeh, Hazifa und ich (zwei Christinnen, eine Jüdin und eine Mohammedanerin!) haben uns verbunden, darum zu bitten, und der Herr Jesus hat doch gesagt: Wo zwei eins werden, warum es ist, daß sie bitten, so soll es ihnen widerfahren.1

Wie weit waren diese lieben Kinder zurück in der Erkenntnis, und doch verschmähte der gnädige Herr sie nicht!

Wenn im Oktober oder November der Frühregen gefallen war und die kahlen Berge Judäas während einiger Monate in saftigem Grün und prächtigem Blumenflor prangten, dann zogen wir gern zusammen aus zu den Königsgräbern oder nach Siloa, am allerliebsten aber nach Bethanien. Dort lagerten wir uns unter einem schattigen Feigen- oder Granatbaum, ordneten die gepflückten Blumen, labten uns an mitgebrachten Früchten, machten Spiele, sangen immer und immer wieder und schlossen mit einem Wort Gottes und mit Gebet.

Durch diese Schule waren meine Vormittage stets ausgefüllt, und dieser kleine Missionsdienst beglückte mich.“

Mehr denn fünfzig Jahre später erlebte die teure Jerusalemer Lehrerin eine große Freude. Ihre Schwester Blandina war die Vermittlerin derselben. Sie erzählte Dora folgende Begebenheit:

„Eine englische Missionarin besuchte jüngst ein arabisches Dorf, um den weiblichen Einwohnern das Evangelium zu bringen. Sie wurde empfangen mit der Nachricht, die Frau des Scheichs (Häuptlings) sei todkrank; die Missionarin möchte doch gleich zu ihr kommen. Sie ging, und zu ihrem Erstaunen fand sie in der Sterbenden eine Seele, die auf Jesus vertraute und sich freute, zu ihm zu gehen. Auf die Frage, wie sie zu solchem Vertrauen gekommen sei, antwortete sie, sie habe als junges Mädchen in deiner kleinen Schule von Jesus gehört und habe

in all den vielen Jahren täglich zu ihm gebetet und sich an ihn gehalten."

Das war wie ein Gruß der Güte Gottes an seine Magd, die schon in jungen Jahren versucht hatte, ihm zu dienen. Es war eine gute Botschaft, eine Bestätigung der göttlichen Verheißung: .,Das Wort, das aus meinem Munde geht, soll nicht leer zurückkommen, sondern tun, das mir gefällt, und soll ihm gelingen, dazu ich es sende“ (Jes. 55,11).



Seelenkämpfe

Wer Dora in späteren Jahren kannte und ihr innerlich nahetreten durfte, wird den Inhalt der folgenden Seiten kaum verstehen. Viele, die sich an ihrem Glauben aufrichteten und an ihrer Freude im Herrn stärkten, ahnten nicht, durch welche Dunkelheiten des Zweifels ihre Seele einst hatte gehen müssen. Aber vielleicht war gerade dieses tiefe Erleben das Geheimnis ihrer Kraft.

Als nach ihrer Bekehrung die Sonne der Gnade hell leuchtete, schienen die Schatten auf immer verschwunden zu sein. Aber das innere Leben sollte sich vertiefen, der Glaube sich bewähren. Deshalb ließ Gott ihr Anfeditungen zuteil werden. Dora spricht sich offen darüber aus, und um der Wahrheit des in diesen Blättern gezeichneten Lebenslaufes willen schlagen wir auch die uns dunkel erscheinenden Seiten ihres Büchleins auf.

Es sei uns aber erlaubt, eine Bemerkung vorauszuschicken. Die Aufzeichnungen aus den Jahren 1862 bis 1867 lassen erkennen, daß Dora in jener Zeit fast beständig von Kopfweh und Schwächezuständen geplagt wurde. Ob das Jerusalemer Klima erschlaffend wirkte oder große Blutarmut vorhanden war, jedenfalls kannte das junge Mädchen die Wohltat eines gesunden Körpers damals nicht. Leib und Seele sind aber so eng miteinander verbunden, daß wir nicht umhin können, in der Angst des Herzens und der Schwachheit des Leibes einen Zusammenhang zu finden. Das ist menschlich gesprochen. Mutter wäre die erste, die entgegnen würde, daß Jesu Gnade für alle Verhältnisse ausreicht; und Gott sei Dank, er behielt den Sieg. Das Bewußtsein ihrer Gotteskindschaft blieb ihr auch in den schweren Zeiten erhalten. Und nun lassen wir Dora selbst reden:

„Am 22. Februar 1863 hörte ich eine Predigt über die Apologie des Christentums. Ich war tief und freudig bewegt. An meinem Fensterlein kniend, dankte ich Gott in der Abendstunde, daß ich nicht nur gedankenlos (wie wir gemahnt worden waren) die Wahrheit des Christentums angenommen, sondern daß ich seine Kraft erfahren habe.

In der Nacht erwachte ich mit dem Gedanken, der mich durchschoß wie ein feuriger Pfeil: Wie, wenn das Christentum nicht wahr wäre?

Von dieser Stunde an kam ich in einen heißen Kampf. Es ist nicht gut, viel davon zu reden. Ich habe gerungen mit Gott. Als acht Tage darauf das Abendmahl gehalten werden sollte, fühlte ich mich zu unwürdig, um dazu zu nahen. Bis 3 Uhr morgens lag ich auf meinen Knien und wollte nicht aufstehen, bis volles Licht da wäre. Etwas Licht kam, und zwar gerade von dem Abendmahl selbst. Dieses Mahl des Herrn war doch, so sagte ich mir, ein sichtbares, greifbares Zeichen von der Realität des Todes und der Auferstehung Jesu Christi. Diese Seite des Abendmahls ist mir stets eine besondere Stärkung gewesen.

Diese innere Verdunkelung hielt lange an. Meine Eltern, bei denen ich mich diesmal rückhaltlos aussprach, versicherten mir, es sei eine satanische Anfechtung, und ich müsse mich nur um so fester an den Heiland klammern. Ja, klammern, das lernte ich. Wie Schiffbrüchige sich an ein Brett klammern, so hing ich an Jesus als dem Retter in der Dunkelheit des Zweifels und der Angst.

Zu einem freudigen Genuß der Gnade wie in früheren Jahren kam es aber nicht. Und weil ich ihn nicht mehr so völlig hatte, darum hatte die Welt mehr Reiz für mich, und ich denke mit Betrübnis daran, wie eine Seele, die Jesu so ganz angehört hatte, wieder gefangen werden konnte von Eitelkeit, Gefallsucht und Scherz.

Äußerlich gab es in den Jahren manches Schöne. So zum Beispiel im Jahr 1864 einen entzückenden Aufenthalt mit den lieben Freunden Dr. Rosen und seiner Frau in Zelten unter Abrahams Eiche in Hebron. Wie flüsterte da der Abendwind durch die Zweige! Wie leuchteten die Sterne so klar vom dunkeln Himmelsdom hernieder! So schimmerten sie einst über dem Vater der Gläubigen, und er schaute hoch über sie empor, bis hinein in das Herz Gottes und — glaubte.“




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