S2: „Es ist zum Beispiel am Klo ziemlich grauslich. Am Vormittag vor allem bei den Burschen,
da hat es einen Geruch, es brunzelt, wenn ich mich so ordinär ausdrücken darf. Aber immer
wieder, was die aufführen, ist ein Wahnsinn. Also ich gehe nicht gerne auf das Klo. Am
Nachmittag wird es dann gereinigt. Ich glaub, es ist nicht einmal irgendwie die Putzfrau oder
irgendwer schuld, das sind einfach nur die depperten Schüler. Also, nicht alle Schüler sind
deppert.“ (S2_Ö_1.6 #00:18:08#)
SAUBERKEITSASPEKT
S7: „Ich bin sehr sauber und für mich ist es auch ganz wichtig. Wenn eine Klasse für mich
verunreinigt ist oder der Mist überall herumliegt, oder ich keinen gescheiten Sessel habe, weil
er so schmutzig ist, würde ich am liebsten wegrennen. Keine Ahnung, ich brauche das Saubere
auch.“ (S7_Ö_4.1#00:22:23#)
Die Kultur des Essens ist ebenfalls sehr prägend und wurde in beiden Fallstudien aus unterschiedlichen
Blickwinkeln beschrieben. In der österreichischen Fallstudie beispielsweise wird das Schulbuffet eher
gemieden und es werden außerschulische Restaurant- und Einkaufsmöglichkeiten genutzt. Dieses
Ausweichen wird relativ schnell nachvollziehbar aufgrund der Aussage der Schulleitung, die für diese
Räumlichkeiten sehr viel Verbesserungspotenzial sieht.
SCHULBUFFET
S2: „Einfach das Schulbuffet taugt mir nicht. Das kann man sich erstens nicht leisten. Da hat
man dann eine Essenskarte und kann bestellen. Und es ist aber kein gutes Mittagessen.“
(S2_Ö_1.1 #00:07:43#)
UMGESTALTUNG BUFFET
V8: „Ein Ort, der mir nicht gefällt, den ich heuer umgestalten möchte, ist der Speisesaal der
Schüler. Dort ist nur eine Aufwärmküche dabei und die betreut das Schulbuffet. Bisher waren
da immer die Jalousien unten, es riecht nicht gut, es ist keine gute Atmosphäre um zu essen.
Jetzt habe ich gebeten, dass man die Jalousien hinaufgibt, dass es heller ist. Ich möchte auch
Pflanzen drinnen haben und ein bisschen anders gestalten.” (V8_Ö_1.5. #00:12:10#)
In der Schweiz hingegen steht das gemeinsame Essen stärker im Vordergrund. Es gibt zwar auch hier
unterschiedliche Möglichkeiten Essen zu konsumieren, zum Beispiel in einer gemeinsamen Küche Essen
aufzuwärmen oder zuzubereiten. Es gibt aber auch für Lehrer/innen und Schüler/innen die Möglichkeit in
259
der Mensa gemeinsam zu essen. Im Wiener Gymnasium gibt es keine vergleichbare Tradition des
gemeinsamen Essens von Lehrer/innen und Schüler/innen.
GEMEINSAMES ESSEN – KOCHEN
L5: „Mittagszeit ab 12:30 -13:00. Ich gehe hinunter in die Kantine zum Mittagessen für
Lernpartner und Lernbegleiter.“ (L5_CH_1.1 #00:09:33#)
S3: Es gibt eine Mikrowelle, einen Backofen. Wir haben auch die Mensa, aber die ist meistens
ziemlich voll. Die meisten essen also hier, wir haben gestaffelte Mittagszeiten.“ (S3_CH_1.1
#00:05:39#)
Aus der Schulkultur lassen sich für die Fachdidaktik GW zwar keine expliziten Maßnahmen ableiten,
man kann aber den Raum an sich zum Thema des GW-Unterrichts machen, indem man anhand des
Fallbeispiels Schule Raum als begrenztes Gut betrachtet, das von vielen bzw. immer mehr Menschen mit
unterschiedlichen Interessen beansprucht wird. So lassen sich für die Schüler/innen lebensweltliche Bezüge
herstellen, auf deren Basis der Umgang mit räumlichen Ressourcen thematisiert und auf andere inhaltliche
Problemstellungen im Rahmen des GW-Unterrichts transferiert werden kann.
Unabhängig von diesem fachdidaktischen Fokus geht es im Kontext der Schulkultur vor allem um die
Etablierung und Umsetzung von entsprechenden Rahmenbedingungen und gelebten Prinzipien, die sich
im Endeffekt auf fachdidaktische Konzepte förderlich auswirken. Damit Inhalte im GW-Unterricht
mehrperspektivisch betrachtet und die sehr persönlichen Lebenswelten der Schüler/innen in den Unterricht
integriert werden können, braucht es als zentrale Basis ein Miteinander, das von gegenseitigem Respekt und
wertschätzendem Umgang geprägt ist. Wie meistens, so ist auch das keine Einbahnstraße: Schließlich hat
diese Untersuchung gezeigt, dass sich die genannten Grundhaltungen und die erfolgreiche Umsetzung der
in dieser Arbeit aufgezeigten Konzepte gegenseitig bedingen. Es muss daher an beiden Enden gleichzeitig
angesetzt werden, um die zur Förderung individualisierter Lernprozesse notwendigen Veränderungen der
Lernumgebungen im GW-Unterricht herbeiführen zu können.
260
11
Das Verhältnis zwischen den vier Dimension von Lernumgebungen
In den vorangegangenen Kapiteln 8-10 wurden die vier ausdifferenzierten Dimensionen von
Lernumgebungen weitestgehend isoliert voneinander beschrieben. Darauf aufbauend fokussiert dieses
Kapitel auf die Wechselwirkungen zwischen einzelnen Faktoren der unterschiedlichen Dimensionen.
Anhand ausgewählter Beispiele, die im Rahmen der Fallstudien herausgearbeitet wurden, können förderliche
Faktoren für individualisierte Lehr-/Lernprozesse identifiziert werden. Insbesondere wird dabei auf die
eingangs formulierten Hypothesen Bezug genommen.
11.1
Zentrale Charakteristika individualisierter Lernprozesse
Zentrale Erkenntnisse aus dem zweiten Teil dieser Arbeit werden im Folgenden beschrieben, damit die
wichtigsten Aspekte, die das Konzept der Individualisierung prägen, nochmals zusammengefasst sind
48
. Im
Anschluss daran können gezielt geeignete Lernumgebungen herausgearbeitet und charakterisiert werden.
Spannungsfeld zwischen individualisierten und standardisierten Lernprozessen
Schulisches Lernen steht im Zuge der Globalisierung vor der Herausforderung, immer komplexere
Problemzusammenhänge bewältigen und bearbeiten zu müssen. Geprägt sind diese nach SCHEUNPFLUG
(2010) durch die Schrumpfung der Zeit und veränderte räumliche Dimensionen in Folge neuer
Technologien, was zu einer Gleichzeitigkeit lokaler und globaler Ebenen führt ebenso wie zu einer sozialen
Fragmentierung von Vertrautheit und Fremdheit. (vgl. dazu Kapitel 4.2.3)
Politik und Wirtschaft übertragen viele Entscheidungen und immer mehr Verantwortung dem
einzelnen Individuum und entziehen sich damit ihren gesellschaftspolitischen Verpflichtungen.
Gesellschaftskritische Theorien bauen ebenfalls auf den Prinzipien der Individualisierung auf, jedoch mit
der Stoßrichtung, dass sich eine kritisch denkende Bevölkerung entwickelt, deren Bürger/innen emanzipiert
am öffentlichen Leben teilhaben und dieses mitgestalten. Individualisiertes Lernen steht damit in einem
Spannungsfeld zwischen ökonomischen, politischen und gesellschaftlichen Interessen. Im Kontext
schulischen Lernens manifestiert sich dieses Spannungsfeld in der gleichzeitigen Implementierung der
Konzepte Individualisierung und Standardisierung, deren angestrebte Ziele keinen gemeinsamen Nenner
aufweisen. (vgl. dazu Kapitel 5.1).
48
Für detailliertere Informationen zu den einzelnen Punkten ist jeweils am Ende des Absatzes auf das Kapitel
verwiesen, wo die angesprochenen Themen ausführlich diskutiert und kommentiert werden. In diesem Abschnitt
geht es primär darum, die relevanten Aspekte in aller Kürze zusammenzufassen.
261
Methodische und inhaltliche Konzepte von individualisierten Lernprozessen
Basierend auf den Erkenntnissen der konstruktivistischen Lerntheorie und der Neurowissenschaften
können dem Konzept der Individualisierung unterschiedliche Prinzipien, Methoden und Strategien zur
Gestaltung und Umsetzung von Lehr-/Lernprozessen zugeordnet werden (vgl. dazu Kapitel 5.1).
Erfolgreiches Lernen bedeutet in diesem Kontext, dass Schüler/innen in für sie sinnstiftender Weise an ihre
individuellen Vorerfahrungen und ihren jeweiligen Wissensstand anknüpfen können.
In der sich stetig verändernden Umwelt gewinnen damit intrinsisch motiviertes Lernen oder auch das
Konzept lebenslangen Lernens, die im bildungstheoretischen Diskurs durchaus widersprüchlich erörtert
werden, zunehmend an Bedeutung. Kooperative Lernformen rücken ebenso in den Vordergrund wie
persönliche und authentische Lernsituationen.
Die befragten Schüler/innen beider Fallstudien haben in diesem Kontext sowohl auf die Notwendigkeit
einer spezifischen fachlichen Kompetenz der Lehrer/innen bei der Gestaltung von Lehr-/Lernprozesse als
auch auf die Bedeutung des Einsatzes abwechslungsreicher methodischer Vermittlungsstrategien verwiesen.
Damit wird ein wichtiger Punkt für eine gelingende Individualisierung und eine breit angelegte
fachdidaktische Perspektive der GW angesprochen. Wenn Lehr-/Lernprozesse basierend auf den Prinzipien
der Individualisierung gestaltet werden, dann kann die planerische Basis nicht auf eine monotone und sich
wiederholende unterrichtliche Vermittlungsstrategie ausgerichtet sein. DAUM (2002) verdeutlicht in
diesem Kontext, wie wichtig es für die subjektive Erfahrbarkeit ist, dass die Schüler/innen vielfältige
Möglichkeiten erhalten, den Realitäten zu begegnen und sich die Welt entsprechend zu erschließen (vgl.
dazu Kapitel 6.2).
Die Analyse der beiden Fallstudien hat aber auch Erkenntnisse der konstruktivistischen Lerntheorie
bestätigt, nämlich dass die Beziehungsebene zwischen den Lehrenden und Lernenden für den Lernerfolg
besonders wichtig ist (vgl. dazu Kapitel 5.2 ).
Mit der Beziehungsebene eng verbunden ist das Lehr-/Lernverständnis von Lehrer/innen. Die kritische
Auseinandersetzung mit ihren jeweiligen subjektiven und deren Überprüfung anhand aktueller
fachdidaktischer Erkenntnisse ist von zentraler Bedeutung. Es geht um die Entwicklung einer
theoriegeleiteten Begründungsfähigkeit von didaktischen Entscheidungen. Dieses Verständnis integriert
auch einen Wandel der Rolle des/der Lehrenden, weg von einer institutionalisierten, keinerlei Widerspruch
duldenden Autorität hin zu einem/einer Lernbegleiter/in (Coach). Demgemäß verändert sich auch die Rolle
des/der Lernenden, der/die seine/ihre primär passive Haltung aufgeben und zu einem/einer aktiven,
selbsttätigen Teilnehmer/in am Lernprozess werden muss.
Damit das Konzept der Individualisierung als Gesamtes umgesetzt und gelebt werden kann, müssen
also auch die Schüler/innen ein verändertes Lernverständnis entwickeln. Dafür brauchen sie die
Unterstützung durch die Lehrenden und entsprechende schulische Rahmenbedingungen. Die
262
Fallstudienanalyse hat gezeigt, dass einige Schüler/innen erfolgreiches Lernen nicht als persönliche
Eigenaktivität verstehen, sondern durch die Notengebung als fremdbestimmtes Konzept definieren.
Individualisiertes Lernen als eine zentrale Basis im Fach GW
Prinzipien, wie beispielsweise die Schüler/innen-Orientierung, die Handlungsorientierung oder die
Orientierung an der Lebenswelt der Schüler/innen, die in einschlägigen Publikationsreihen wie „GW
Unterricht“
49
oder der „Zeitschrift für Geographiedidaktik – Journal of Geography Education“
50
aufgegriffen werden, zeigen, dass das Konzept der Individualisierung in der Fachdidaktik GW an Einfluss
zu gewinnen scheint. Allerdings werden noch immer vorwiegend inhaltliche und methodische Aspekte -
sprich die Dimension der didaktischen Entscheidungen - thematisiert. Andere Dimensionen, wie etwa
schulische Raumqualitäten oder Organisationsstrukturen, werden als Einflussfaktoren kaum aufgegriffen
und zumeist als fixe, nicht veränderbare Variable angenommen. (vgl. dazu Kapitel 2.1)
Das schulisch-universitäre Kooperationspraktikum, ein fixer Bestandteil der Lehramtsausbildung der
GW an der Universität Wien, stellt eine Ausnahme dar (vgl. dazu Kapitel 6.4). Es orientiert sich auf allen
Ebenen an den zentralen Prinzipien individualisierten Lehrens und Lernens. Von großem Interesse ist in
diesem Kontext, wie diese Prinzipien flächendeckend in die alltägliche Praxis des GW-Unterrichts integriert
werden können. Denn um individualisierte Lehr-/Lernprozesse ganzheitlich umzusetzen, bedarf es auch
einer Integration der anderen Dimensionen von Lernumgebungen.
11.2
Theoretische Einbettung der Gestaltung von Lernumgebungen
Es gibt zwar Bestrebungen von Seiten der Bildungspolitik und der Fachdidaktik GW, individualisiertes
Lernen in der Schulpraxis zu implementieren, allerding gelingt die Umsetzung bis jetzt nur unvollständig.
(vgl. dazu Kapitel 1.1). Aus diesem Grund versucht dieses Forschungsvorhaben zu klären, welche
Rahmenbedingungen Lehrer/innen und Schüler/innen bei der Realisierung individualisierter Lehr- und
Lernprozesse unterstützen bzw. welche hinderlich sind.
11.2.1
Der Zusammenhang von Handeln und räumlichen Strukturen
Im Zuge der Beschreibung relevanter Theoriebezüge (vgl. dazu Kapitel 3.1) wurde neben den
Raumbegriffen nach WARDENGA (2002) und LUHMANNS (1993) systemtheoretischem Ansatz
insbesondere die Raumsoziologie nach LÖW (2001) für die Gestaltung von Lernumgebungen als besonders
relevant identifiziert. Grund dafür ist, dass ihr soziologischer Ansatz die Entstehung von Raum als eine
49
Genauere Informationen und Artikel unter:
http://www.gw-unterricht.at/
50
Genauere Informationen und Artikel unter:
https://www.geographie.hu-
berlin.de/de/abteilungen/didaktik/zgd/zeitschrift-geographiedidaktik
263
Wechselwirkung von Handlungen und Strukturen beschreibt. Sie spricht von einer Dualität des Raumes,
die sich darin äußert, dass räumliche Strukturen das soziale Handeln beeinflussen. Umgelegt auf dieses
Forschungsvorhaben bedeutet diese Annahme, dass die Organisationsformen schulischen Lernens das
Handeln der schulischen Akteur/innen beeinflussen. Dieser Ansatz spiegelt sich in den aufgestellten
Hypothesen zur zentralen Forschungsfrage wider und wird aus diesem Grund als zentrale Bezugstheorie für
die Untersuchung von Lernumgebungen genauer beschrieben.
Dazu identifiziert die Autorin neben den Prozessen
Do'stlaringiz bilan baham: |