differenzierter, wir wären längst irrsinnig, desertiert oder gefallen. Es ist wie
eine Expedition im hohen Eise; – jede Lebensäußerung darf nur der
Daseinserhaltung dienen und ist zwangsläufig darauf eingestellt. Alles andere ist
verbannt, weil es unnötig Kraft verzehren würde. Das ist die einzige Art, uns zu
retten, und oft sitze ich vor mir selber wie vor einem Fremden, wenn der
rätselhafte Widerschein des Früher in stillen Stunden wie ein matter Spiegel die
Umrisse meines jetzigen Daseins außer mich stellt, und ich wundere mich dann
darüber, wie das unnennbare Aktive, das sich Leben nennt, sich angepasst hat
selbst an diese Form. Alle anderen Äußerungen liegen im Winterschlaf, das
Leben ist nur auf einer ständigen Lauer gegen die Bedrohung des Todes, – es hat
uns zu denkenden Tieren gemacht, um uns die Waffe des Instinktes zu geben, –
es hat uns mit Stumpfheit durchsetzt, damit wir nicht zerbrechen vor dem
Grauen, das uns bei klarem, bewusstem Denken überfallen würde, – es hat in uns
den Kameradschaftssinn geweckt, damit wir dem Abgrund der Verlassenheit
entgehen, – es hat uns die Gleichgültigkeit von Wilden verliehen, damit wir trotz
allem jeden Moment des Positiven empfinden und als Reserve aufspeichern
gegen den Ansturm des Nichts. So leben wir ein geschlossenes, hartes Dasein
äußerster Oberfläche, und nur manchmal wirft ein Ereignis Funken. Dann aber
schlägt überraschend eine Flamme schwerer und furchtbarer Sehnsucht durch.
Das sind die gefährlichen Augenblicke, die uns zeigen, dass die Anpassung
doch nur künstlich ist, dass sie nicht einfach Ruhe ist, sondern schärfste
Anspannung zur Ruhe. Wir unterscheiden uns äußerlich in der Lebensform
kaum von Buschnegern; aber während diese stets so sein können, weil sie eben
so sind und sich durch Anspannung ihrer Geisteskräfte höchstens fortentwickeln,
ist es bei uns umgekehrt: unsere inneren Kräfte sind nicht auf Weiter-, sondern
auf Zurückentwicklung angespannt. Jene sind entspannt und selbstverständlich
so, wir sind es äußerst angespannt und künstlich. Und mit Schrecken empfindet
man nachts, aus einem Traum aufwachend, überwältigt und preisgegeben der
Bezauberung heranflutender Gesichte, wie dünn der Hak und die Grenze ist, die
uns von der Dunkelheit trennt – wir sind kleine Flammen, notdürftig geschützt
durch schwache Wände vor dem Sturm der Auflösung und der Sinnlosigkeit, in
dem wir flackern und manchmal fast ertrinken. Dann wird das gedämpfte
Brausen der Schlacht zu einem Ring, der uns einschließt, wir kriechen in uns
zusammen und starren mit großen Augen in die Nacht. Tröstlich fühlen wir nun
den Schlafatem der Kameraden, und so warten wir auf den Morgen.
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