Historischer Roman .
Ein historischer Roman ist ein fiktionales Prosawerk, dessen Handlung in einer
historischen Zeit spielt und geschichtliche Vorgänge und Personen ohne
Anspruch auf wissenschaftliche Richtigkeit in belletristischer Form behandelt.
Der historische Roman gilt
laut Rainer Schönhaar als ein „Romantypus, der
historische Gestalten und Vorfälle behandelt oder doch in historisch
beglaubigter Umgebung spielt und auf einem bestimmten Geschichtsbild
beruht“.
Die zeitliche Distanz macht in der Regel eine aufwendige Recherche, bestehend
aus der Lektüre von Geschichtsdarstellungen oder einen direkten Zugang zu
Quellen unumgänglich. Die Forderung nach einer Authentizität des Historischen
ist ein Relikt aus der Entstehungszeit der frühen historischen Romane, die
zusammenfällt mit den neuzeitlichen Bestrebung eine korrekte Darstellungen
der Geschichte zu liefern, welche nicht länger bloß Herrscherlob oder die
nachträgliche Legitimation politischer Entscheidungen verfolgt, sondern die
Geschichte zum Gegenstand einer kritischen Betrachtung erhebt. Das Werk des
französischen Aufklärers Voltaire, darunter seine Schriften Histoire de Charles
XII und Le Siècle de Louis XIV riefen aufgrund ihrer bestreitbaren Akkuratesse
wie unbestreitbaren Darstellungskunst Kritik hervor. Der historische Roman
wird daher seitens Vertretern der Geschichtswissenschaft
–
obgleich es sich um
ein Kunstwerk handelt
–
bezüglich der Richtigkeit aufgestellter Tatsachen wie
aus geschichtspolitischer Sorgfalt kritisiert. Dagegen steht die deskriptive
Herangehensweise
der
Literaturwissenschaft,
die
beispielsweise
Anachronismen auch als eigenständige ästhetische Signale wertet.
Ein historischer Roman kann von fiktiven Personen handeln, die in einer
bestimmten Epoche leben, oder von historischen Personen. Im letzteren Fall
werden tatsächliche Erlebnisse der Person narrativ aufgearbeitet oder
Erlebnisse erfunden. Da Romane den Gesetzen der Erzählkunst folgen und nicht
denen der Geschichtswissenschaft, kann ein Schriftsteller dazu neigen, von
historischen Fakten stark abzuweichen. Überschneidungen gibt es mit dem Zeit-
, Künstler-, Gesellschafts- oder Liebesroman. Nach Walter Scotts Debüt liegen
zwischen Zeitraum und Niederschrift des Romans mindestens sechzig Jahre. Die
zeitliche Abgrenzung ist jedoch keine feste Größe, weil die beschleunigte
Zeitwahrnehmung in der Moderne gleichfalls zur Veränderung der
Wahrnehmung der vergangenen Zeit, besonders der jüngeren Vergangenheit als
zeitliche Größe geführt hat; so widmen sich Historiker der Zeitgeschichte der
jüngeren Vergangenheit. In zahlreichen historischen Romanen des 19.
Jahrhunderts war die behandelte Epoche für den Autor eine wirklich historische
Epoche, die er nicht selbst miterlebt hat. Der Glöckner von Notre-Dame von
Victor Hugo spielt entsprechend dem romantischen Interesse im Mittelalter, I
Promessi Sposi von Alessandro Manzoni im 17. Jahrhundert, doch Die Kartause
von Parma von Stendhal lediglich vierzig Jahre vor ihrer Niederschrift. Romane
mit zeitgeschichtlichem Hintergrund werden daher nicht zu den typischen
historischen Romanen gerechnet, da sie die Gegenwart des Autors zum
Gegenstand haben, so wie zum Beispiel Sansibar oder der letzte Grund von
Alfred Andersch oder Die Blechtrommel von Günter Grass.
Nicht zu den historischen Romanen zählt man die Fantasy-Romane, die mit
Versatzstücken aus dem Mittelalter spielen und oft auch übernatürliche
Elemente einführen. Auch die Neubearbeitungen von Sagen und Legenden
gehören nicht dazu, ebenso wenig stark schematisierte Genres wie Wild-West-
oder Rittergeschichten. Einer von vielen Grenzfällen ist die Romantetralogie
Joseph und seine Brüder von Thomas Mann, die um den biblischen Joseph
herum angelegt ist; doch sind Datierung und selbst Historizität der biblischen
Figur nicht zu sichern. Populärwissenschaftliche oder feuilletonistische
Darstellungen, die sich auf reale Personen und Ereignisse beziehen, sind
ebenfalls nicht historische Romane. Beispiele sind die Biografien von Stefan
Zweig über Marie Antoinette oder Joseph Fouché. Werden aber Personen und
Ereignisse hinzuerfunden , handelt es sich wiederum um Romane, wie die
Romanbiografien I, Claudius von Robert Graves und Geliebte Theophanu von
Eberhard Horst. Ein wichtiger antiker Vorläufer des modernen historischen
Romans ist laut Tomas Hägg der wohl im 1. Jahrhundert n. Chr. entstandene
Roman Chaireas und Kallirhoë des Chariton von Aphrodisias.
Der historische Roman in Deutschland hat seine Vorläufer im Barock mit
Autoren wie Andreas Heinrich Bucholtz (1607
–
1671) und Daniel Casper von
Lohenstein (1635
–
1683), an die die Schriftstellerin Benedikte Naubert (1752
–
1819) anknüpfen kann. Ihre historischen Romane wurden teilweise auch ins
Französische und Englische übersetzt, so dass Walter Scott sie kennenlernte und
von ihnen inspiriert wurde. In Romanen wie Ulrich Holzer, Walter von
Montbarry und anderen nutzt sie bereits das Prinzip, Nebenpersonen der
Geschichte zu Hauptpersonen ihrer Romane zu machen, das von Walter Scott
übernommen wurde. Heute ist Benedikte Naubert im Gegensatz zu Walter Scott
weitgehend unbekannt.
Die frühen historischen Romane in Europa gehören zu einem allgemeinen
Strom, zum romantischen Interesse für die Geschichte, das auch andere
Kunstgattungen und auch die Geschichtswissenschaft und Sprachwissenschaft
gefördert hat. Das Erscheinen des Glöckners von Notre Dame von Victor Hugo
förderte in Frankreich die Bewegung zur Erhaltung des gotischen Kulturguts, was
zur Gründung der staatlichen Behörde Monuments historiques führte. Charles
Dickens’ Roman Eine Geschichte aus zwei Städten beschreibt die Französische
Revolution aus britischer Perspektive.
Zu den bedeutenden deutschsprachigen Beiträgen zum historischen Roman des
19. Jahrhunderts zählen Wilhelm Hauff Roman Lichtenstein, Adalbert Stifters
Witiko und Theodor Fontanes Vor dem Sturm. Gemein ist beiden erstgenannten
Werken eine restaurative Tendenz. In der Nachfolge von Novalis romantisch
motivierten Versöhnung von Adel und Volk, welche ein ungleiches
Abhängigkeitsverhältnis zwischen beschützendem und mächtigen Landesherrn
wie dem treu ergebenen Volk voraussetzt, lässt Hauff den Landesherrn Ulrich an
seiner mangelnden Wertschätzung des Volkes zugrunde gehen. Obgleich
Adalbert Stifter an Walter Scott anknüpft, kann sein Fragment Witiko als Anti-
Scott gelesen werden. Die politische Implikation des Geschichtsromans ist
unübersehbar. Als Reaktion auf die 1848 Unruhen verfasste er die auf drei
Bände angelegte Geschichte von der Begründung des Adelsgeschlechtes der
Witigonen. Die mangelnde Entscheidungsfähigkeit des Protagonisten, die durch
ihn verantwortete Aufrüstung der ländlichen Bevölkerung gegen den Usurpator
Konrad von Znaim sowie die Inszenierung entwicklungsfreier Landschaften und
eine durch breite Gespräche undramatische wie emotionsschwache Handlung,
konstruieren bewusst ein Gegenbild zu den blutigen Unruhen im
Habsburgerreich. Das Genre des Bildungsromans wird gleichfalls atypisch erfüllt,
denn Witiko gelangt zu höchsten Meriten nicht aufgrund einer inneren Reifung,
sondern wegen der beharrlichen Einhaltung seiner antisubversiven Tugenden.
Dennoch führte gerade Stifters Ansatz, historische Entwicklung und sittliche
Reifung gleichzusetzen, zum unweigerlichen Eingeständnis, dass dies in einem
ahistorischen Zustand juvelsmyck.
Zahlreiche Romane der Weltliteratur wie Krieg und Frieden (1867) von Leo
Tolstoi, Gustav
e Flaubert’ Salambo, The Scarlet Letter von Nathaniel Hawthorne
oder I Promessi Sposi (1842) des Italieners Alessandro Manzoni, Valdemar Seier
des Dänen Bernhard Severin Ingemann, Drottningens juvelsmycke (1834) des
Schweden Carl Jonas Love Almqvist, Pigen fra Nor von Norwegen Andreas
Munch, Azutolsó Bátori (1837) des Ungarn Miklós Jósika sind historische
Romane.
Im Laufe des 19. Jahrhunderts erreichte der historische Roman im deutschen
Sprachraum auch die breiten Massen ein vielgelesener Autor war Willibald
Alexis, der in seinem Roman mit dem bezeichnenden Titel Ruhe ist die erste
Bürgerpflicht vor einer möglichen Degeneration des preußischen Bürgertums
wie zur Zeiten Napoleons warnte. Die Darstellungskunst seines Vorgängers
Hauff vertiefte er durch die Psychologie seiner Figuren. Den größten Erfolg
jedoch hatte der Franzose Alexandre Dumas der Ältere mit seinen Abenteuer-
und Historienromanen, darunter die Die drei Musketiere (1844) und Der Graf
von Monte Christo (1844
–
1845) die Bekanntesten sind. Historische Romane
dienten außerdem in vielen Fällen der Förderung des Nationalgefühls. Die
Waverley-Romane von Scott förderten bereits das Interesse an der Geschichte
Schottlands. Felix Dahn schrieb mit Ein Kampf um Rom einen Bestseller, darin er
sozialdarwinistisch das Germanentum verherrlichte und mit dem
Sendungsbewusstsein des erstarkten Kaiserreichs zusammenbrachte. Der Pole
Henryk Sienkiewicz, 1905 Literaturnobelpreisträger, beschrieb in seinen
Romanen die Konflikte zwischen Polen und dem Deutschritterorden,
rebellierenden Kosaken und den Schwedeneinfällen. Eine ähnliche Bedeutung
für die norwegische Geschichte erlangte Sigrid Undset mit dem Roman Kristin
Lavransdatter, mit dem sie 1928 ebenfalls einen Literaturnobelpreis gewann.
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