Die Stabilisierung von Papier
Abb. 7.3 Die Siebwasehstation entfernt alle hängengebliebenen Fassern vom Sieb und sorgt für
'saubere Verhältnisse'.
Die Langsiebanfasermaschine ist fünf Meter lang und hat eine Siebbreite von 60 cm. Die Geschwindigkeit des umlaufenden Siebes ist stufenlos regelbar. Auf der Bedienerseite befindet sich in Siebhöhe eine flache Vorratswanne, die die anzufasernden Blätter aufnehmen kann. Auf der Abnehmerseite befinder sich eine Waschstation, die die Restfasern vom Sieb entfernt, so daß es in sauberem Zustand wieder zur Auflagestation zurückkommt. Wenn die angefaserten Blätter die Anfasereinhek, die durch zwei ungelagerte Rollen begrenzt ist, durchlaufen haben, erfolgt die Entwässerung. Das Sieb wird über eine Vakuumkammer geführt, mit dem Ergebnis einer hochgradigen Entwässerung von Original und Anguß. In diesem Zustand kann das angefaserte Blatt vom Sieb genommen werden und entweder geleimt oder ungeieimt zwischen Polypropytenvliesen und Pappen gestapelt und gepreßt werden. Geleimt werden die Blätter, wenn das Anfa-
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Das Prinzip der Angufiverfahrcn
sern die letzte Station der Stabilisierung darstellt. Werden die angefaserten Blätter noch gespalten, ist die Leimung unangebracht. Sie würde den folgenden Spaltvorgang behindern.
Je nach Siebaufteilung können mit der Maschine beliebig grosse Formate gebildet werden. Das Standardformat wird in der Praxis durch, die zur Verfügung stehende Preßfläche vorgegeben. Innerhalb des Standardformates können je nach vorliegender Blattgröße 2, 4, 6 oder 8 Einzelbauer zusammengefasert sein. Zwischen den Originalen befinden sich angefaserte Stege, die die spätere Vereinzelung erleichtern.
Die Möglichkeit der .Formatbildung hat Konsequenzen für das Anfasern selbst, für die Papierspaltung und für die Wiederherstellung der Buchform.
Die Einführung von Einheitsformaten beim Anfasern erlaubt die Verwendung normierter Hilfsmaterialien und damit eine rationelle Arbeitsorganisation.
Anfasern und Spalten
Die Bedeutung entwickelter Methoden der Anfasertechnobgie liegen in der Kombinierfähigkeit. Fehlstellenergänzung und Formatbildung als rationelle Verfahrensweise bilden eine Voraussetzung für mechanisierte restauratorische Abläufe.
Die Innovation des Anfaserns, wie sie sich in der Langsiebanfaserma-schine von P. Laursen manifestiert, gehört zu den richtungweisenden Entwicklungen der Bestandserhaltung. Die Kombination des Prinzips Anfasern mit dem Prinzip Papierspalten eröffnete eine Entwicklungsrichtung, deren Zielstellung nicht nur Quantitäts- und Qualitätsprobleme überwindet, sondern die universellere Anwendung der Stabilisierungsmethoden auf differenzierte Schadensbilder ermöglicht. Damit ist ein Niveau entstanden, daß notwendigerweise als Ausgangspunkt industrieller Problemlösungen dringend erforderlich war.
Die Grundproblematik des Anfaserns liegt in der Unterschiedlichkeit der Dehnungsfaktoren gealterter und neuer Fasern. Ihre Kombination und Verbindung stellt eine Kompromißebene dar. Die momentan erzielbaren Ergebnisse besitzen Akzeptanz, bei eingeschränkten Belastungsanforderungen. Diese Einschränkung entfällt, wenn sowohl der Anguß, als auch das Original gespalten und mit einem Kernmaterial in vergleichbar funktionierende Blattbereiche überführt werden. Anfasern als kontinuierliche Arbeits-
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Die Stabilisierung von Papier
Abb. 74 Detail der St. Petersburger ROM II
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Abb. 75 Die vollautomatische Papierbehandlungsanlage
Das Prinzip der Angußverfahren
Abb. 76 Detail von ROM III
Abb 77 Detail von ROM III, Beheizte Rollen zum Einschmelzen der Polyvinylalkoholiasern
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Abb. 77a Das vollautomatisierte Papiefbehandlungssystem
Entwicklung und Stand des Papierspaltverfahrens
weise ist Realität. Spalten als kontinuierliche Arbeitsweise ist Realität. Die Kombination des Anfaserns mit dem Spalten als kontinuierliche Arbeitsweise wird Realität sein.
Daß diese Entwicklungsrichtung auch anderwärts verfolgt wird, zeigt die Inbetriebnahme der Anfaserstraße ROM III, Nachfolger der legendären ROM II in der Saltykow-Scedrin-Bibliothek in St. Petersburg.
Entwicklung und Stand einer vollautomatischen Anlage
zur Restaurierung von geschädigtem Bibliotheks- und
Archivgut auf der Basis des Papierspaltverfahrens
Den Empfehlungen der Bund-Länder-Arbeitsgruppe Papierzerfall folgend, wurde zwischen 1992 und 1994 mit BMFT-Fördermitteln mit der Mechanisierung des Papierspaltverfahrens begonnen.
Mit der Entwicklung und der Inbetriebnahme der Kaschier- und Spaltmaschine Mitte des Jahres 1994 gelang es, zwei anspruchsvolle, arbeits-und zeitintensive Verfahrensschritte des Gesamtprozesses als mechanisierte Abläufe vorzustellen. Es war eine funktionsfähige Insellösung entstanden, die den Leisrungsprognosen völlig entsprach. Die Kapazität gegenüber den vergleichbaren manuellen Abläufen wurde um den Faktor Zehn erhöht (200 Blatt/Tag manuell - 2000 Blatt Tag maschinell). Die Tatsache, daß damit nur etwa 10% der Maschinenkapazität genutzt werden, illustriert den momentanen Zustand.
Um für das Gesamrverfahren entsprechend hohe Leistungen und Kapazitäten zu erreichen, ist es erforderlich, die Arbeitsschritte im Vorfeld und im Nachgang zu mechanisieren. Hierfür bietet es sich an, zunächst mit der Ablösemaschine zu beginnen, da damit direkt an die bestehende Spaltmaschine angeknüpft werden kann. Am Ende der Spaltmaschine liegt das fertig restaurierte Material, das aber noch mir den Kaschiergeweben verbunden ist, bereits als quasi Endlos-Bahn auf einer Bobine aufgewickelt vor. Dadurch liegt es in einer Form vor, in der es bereits ohne zusätzliche Vor-bereitungs- oder Arbeitsschritte für die Weiterverarbeitung in einer kontinuierlich arbeitenden Maschine geeignet ist. Durch die Kopplung und Ab-
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Die Stabilisierung von Papier
Stimmung der Kaschier-, Spalt- und Ablösemaschine untereinander kann der Verfahrensschritt der Papierspalrung komplettiert werden. Hierfür ist dann lediglich noch die Ergänzung einer Vorrichtung für den Zuschnitt der Formate im Anschluß an die Ablösemaschine erforderlich.
Mit der Realisierung des Schrittes 'Ablösemaschine' wird der Status der 'Insellösung' überwunden. Die konzeptionellen Vorarbeiten für diesen Arbeitsschritt, einschließlich Grundlagenforschung, sind soweit vorangetrieben, daß mit dem Bau der Maschine schnell begonnen werden könnte.
Um alle Maschinenkapazitäten auslasten zu können, ist es erforderlich, die Arbeitsgänge im Vorfeld der Stabilisierung den Quantitäten und Qualitäten der Papierspaltung anzupassen. Das bedeutet, daß die Naßbehandlungsprozesse und die Formatbildung integriert werden. Für beide Arbeitsschritte bestehen mechanisierte .Einzellösungen, die als Ausgangspunkt der Entwicklung anzusehen sind. Zielsteilung ist es, ein kontinuierlich arbeitendes, aufeinander abgestimmtes System der Restaurierungsschritte aufzubauen. Dieses System erlaubt einen individuellen Blattdurchlauf entsprechend dem Schadensbild.
Vom Verfahrensablauf her ist die Anfaserungsanlage der Naßbehandlungsanlage nachgestellt, weshalb es sinnvoll erscheint, diese Entwicklung nach der Entwicklung der Naßbehandlungsanlage durchzuführen. Diese Schrittfolge entspricht der Logik und dem Erkenntnisstand. Dieser Einschätzung liegen 30 Jahre Praxiserfahrung im 'Zentrum für Bucherhaltung' der deutschen bibliothek zugrunde.
Beschädigte Blätter werden in die Maschine eingegeben. Die Eingabe erfolgt kontinuierlich, anfangs per Hand. Erste Station ist die Naßbehandlung. Nach dem blattweisen Durchlaut ist die erste Weiche erreicht. Wenn mit der Naßbehandlung die Zielstellung der Restaurierung realisiert ist. gestattet die Weiche das Ausschleusen der Blätter. Nächste Arbeitsstation ist die Fehlstellenergänzung und Formatbildung mit Hilfe der kontinuierlichen Papierfaserung. Die zweite Weiche gestattet das Ausschleusen der an-gefaserten Blätter, wenn damit die Zielstellung der Restaurierung erreicht ist. Ansonsten werden die Blätter als zusammengefaserte Bahn oder als einheitliche Formate der Spaltanlage zugeführt. Nach der Ganzstabilisierung erfolgt die Wiederherstellung der originalen Buchform. Die skizzierten technisierten Abläufe beinhalten ein hohes Maß an Variabilität. In der Variabilität liegt eine wesentliche Voraussetzung für die Bearbeitung inhomogener Bestände, wie sie für Archiv und Bibliothek typisch sind.
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Entwicklung und Stand des Papierspattverfahrens
Nur mit Hilfe mechanisierter Abläufe können die Aufgaben der Bestandserhaltung geleistet werden. Entscheidender Bestandteil mechanisierter Abläufe ist die Preiswürdigkeit. Die zu erwartenden hohen finanziellen Aufwendungen müssen eine realistische Ebene erreichen. Aus der dramatischen Zustandssituation im Archiv- und Bibliothekswesen ist eine weitere Begründung für die zügige Entwicklung leistungsfähiger Restaurierungssysteme abzuleiten. Wenn es nicht gelingt, in angemessenen Zeiten praktische Lösungen zu entwickeln, besteht die Gefahr, dass Verluste eintreten. die deutsche bibliothek arbeitet an einer Bestandserhairungsstrategie, die alle Elemente der ßestandserhaltung in sinnvoller Weise verknüpft. Dabei nimmt die physische Erhaltung gefährdeter Sammlungsteile eine zentrale Position ein.
Die Größenordnung der Aufgabenstellung schließt aus, daß eine einzelne Institution die Chance hätte, zu Lösungen vorzudringen. Erforderlich ist die Unterstützung dieser Aktivitäten durch öffentliche Ressourcen.
Die bisher vorliegenden Ergebnisse belegen die Richtigkeit der Vorstellungen des 'Zentrums für Bucherhaltung'. Der gegenwärtige Stand repräsentiert im nationalen und internationalen Vergleich eine Spitzenposition. Daraus ist die Verpflichtung abzuleiten, weitere Anstrengungen mit bewährten Partnern zu unternehmen, um den deutschen Beitrag zur Erhaltung von Kulturgut zu vollenden.
Das Potential dieses neuen kostenintensiven Produktionsmittels kann nur sinnvoll und rentabel genutzt werden, wenn der gesamte Produktionsprozeß nach den Erfordernissen organisiert wird. Dazu bedarf es der Überarbeitung aller Ebenen der einzusetzenden Hilfsmaterialien und Chemika-lien. Über den Einsatz neuer, langlebiger Trägermaterialien, optimaler Klebstoffe, geschlossener Wasserkreisläufe und minimierter Chemikalien-einsätze kann in erheblichem Maße auf die Kosten eingewirkt werden. Detaillösungen aus diesen Problemkreisen liegen vor und werden derzeit in der manuellen Praxis überprüft.
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Schlußbemerkung
Im Ergebnis des Spaltprozesses erhalten wir unsichtbar mechanisch stabilisierte Objekte, deren Lebensdauerprognose durch den gleichzeitig erzielten stabilen chemischen Zustand (Schadstoffe und reaktionsfähige Gruppierungen sind weitgehend entfernt) als optimal einzuordnen ist, bei Erhaltung alier das Original charakterisierenden Eigenheiten.
Die das Spaltverfahren permanent begleitenden Wertungen und Einordnungen in 'restaurierungsethische' und 'ästhetische' Zusammenhänge bedürfen nunmehr der Relativierung. Das derzeit sich in Mode befindliche 'ethische' Hauptargument: 'das unkontrollierte Zerreißen von Originalfasern im inneren des Originales'.
Hält diese unbeschwert transportierte und kolportierte Formulierung einer Konfrontation mir der Realität stand? Oder ist sie nicht vielmehr Illustration unverstandener Sachverhalte und Vermischung mit nichtrezi-pierten philosophischen Kategorien?
Wie dem auch sei. Pseudoargumente bekleideten immer das Neue. Allenfalls konnten sie das Tempo der Entwicklung bremsen.
Eine sachliche Diskussion wäre verstellbar nur mit Partnern, die ihre Argumente mit besseren Ergebnissen belegen können, als sie gegenwärtig im Papierspaltverfahren kulminieren.
Nach jahrzehntelanger Praxis und Entwicklung steht das Papierspaltverfahren vor einer Zäsur. Die zukünftige Praxis wird auf der manuellen Ebene praktiziert werden, neben dem Betrieb mechanisierter Systeme. Beide Ebenen befruchten sich gegenseitig und bilden Ausgangspunkte neuer Zielstellungen. Unter diesem Aspekt steht die Methode wiederum am Anfang von Entwicklungen.
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Die Massenentsäuerung
Die Entwicklung von Massenentsäuerungsverfahren als wirksames Instrument der Bestandserhaltung wurde von Anfang an mir unterschiedlichsten Anforderungen und Erwartungen beobachtet. Vergleichbar mit anderen bestandserhaltenden Verfahren erfolgten die Entwicklungen in einem Umfeld, welches zwischen Euphorie und Verdammnis angesiedelt ist. Notwendig erscheint eine Wertung dieser Entwicklungen und eine Relativierung der Erwartungen. Was können Massenentsäuerungsverfahren leisten? Welche Quaütärsebene hält einer realistischen Sicht stand? Wo liegen die Grenzen der Verfahren? Welche Konsequenzen entspringen dem Zwang zum Handein, aufgrund der Schadenssituation in Bibliotheken und Archiven? Sind Alternativen zum massenhaften Entsäuern von Büchern und Akten zu erwarten? International wird seit den 60er jähren an der Entwicklung solcher Verfahren gearbeitet. Aus diesen Entwicklungsarbeiten gingen zahlreiche Verfahren hervor, die zum Teil in größerem Maßstab erprobt werden. Die Entwicklungen auf dem Gebiet der Massenentsäuerung wurden auch in der Bundesrepublik Deutschland verfolgt und seit 1987 mit Unterstützung des Bundesministeriums für Forschung und Technologie vorangetrieben. Nach einer Statuserhebung und mit den Ergebnissen dieser Bestandsaufnahme begann das Battelle-Institut im Auftrag der deutschen BIBLIOTHEK 1989 mit der Entwicklung einer deutschen Massenent-säuerungsanlage.
Entsäuerung - Neutralisierung
Unter dem Begriff 'Entsäuern1 verstehen wir die Entfernung oder Neutralisierung von sauren Substanzen, die im Material ihre schädigende Wirkung entfalten. Um den Effekt der Entsäuerung über möglichst lange Zeiträume
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Die Massenentsäuening
aufrechterhalten zu können, ist die Anlage einer alkalischen Reserve notwendig. Diese Reserve soll die Neubildung von sauren Produkten oder deren Eindringen von außen abpuffern.
Eine zentrale Stellung bei der Erforschung der Lebensdauer von Papier nehmen die Arbeiten von William James Barrow (1967) ein. Die für uns bedeutsamste Aussage seiner teilweise umstrittenen Forschungsergebnisse läßt sich zusammenfassend formuliert ausdrücken: Die Lebensdauer von Papier wird bestimmt durch die Anwesenheit oder das Fehlen von Erdalkaliionen. Sind genügend Erdalkaliionen im Papier vorhanden, so wird der Angriff von Säuren unterbunden. Sind im Verhältnis zur jeweiligen Säuremenge zu wenig Erdalkaliionen im Papier vorhanden oder entsteht mehr Säure, als abgebunden werden kann, fällt der pH-Wert ab. Aus der Vielzahl alkalisch reagierender Substanzen haben nur wenige ihre Eignung als Entsäuerungssubstanzen für Papier bewiesen. Besonders starke Alkalien sind ungeeignet, weil starke alkalische Einwirkungen auf Zellulose die Alterungsneigung fördern. Die wertvollsten Entsäuerungsmittel sind die Erdalkalisalze
Kalziumkarbonat (CaCO3)
Magnesiumkarbonat (MgCO3 ) Bariumhydroxid (Ba(OH)2).
Langjährige restauratorische Erfahrungen bestätigen die Wirksamkeit der wäßrigen Entsäuerungsmethoden, die in unterschiedlichen Abläufen und mit unterschiedlichen Chemikalien praktiziert werden. Den in das Papier eingebrachten Erdalkaliionen werden unterschiedlichen Wirkungsebenen zugeordnet. Ausgehend von der Erkenntnis, daß sich Oxidation und Hydrolyse der Zellulose gegenseitig beschleunigen und daß Oxidation durch Anwesenheit von Übergangsmetallionen (Eisen, Kupfer) beschleunigt wird, besteht die Notwendigkeit, diese Abläufe zu unterbrechen oder zumindest stark zu verlangsamen.
Die Depolyrnerisation der Zellulose durch den Angriff von Katalysatoren aus Übergangsmetallen kann durch die komplexbildenden Eigenschaften des Magnesiumkarbonats beherrscht werden. Der Abbau durch Säure kann durch Kalziumkarbonat aufgehalten werden.
Für die restauratorische Praxis ist abzuleiten, daß die Anwendung einer Kombination beider Erdalkalisalze als optimale Verfahrensweise anzusehen ist, weil damit nicht nur die Ebene der Entsäuerung abgedeckt wird.
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Entsäuerung - Neutralisierung
Die traditionelle restauratorische Entsäuerung im wäßrigen Medium hat einen qualitätsbestimmenden Effekt durch die Möglichkeit, wasserlösliche saure Substanzen auszuwaschen. Damit wird eine stabile chemische Situation im Papier geschaffen. Der Mangel der Methode besteht im manuellen Verfahren, das nicht geeignet ist, den Bedarf zu decken.
Auf der Suche nach Entsäuerungsverfahren bestimmt die Forderung, gebundenes Material in großen Dimensionen behandeln zu können, die Entwicklungsrichtung. An praktikable Massenentsäuerungsverfahren sind folgende Forderungen zu stellen:
-
vollständige und dauerhafte Neutralisation aller Säuren,
-
Ablagerung einer ausreichenden Menge eines alkalischen Puffers,
-
gleichmäßige Verteilung des alkalischen Puffers im Papier,
-
Verträglichkeit mit den verschiedenen Materialien des Buches (Papier
sorten, Einbände, Schreibstoffe, Farben usw.),
-
keine Vorauswahl des Behandlungsgutes,
-
Behandlung gebundener Werke und beliebiger anderer Formate,
-
Möglichkeit der Behandlung des gesamten gefährdeten Bestandes und
aller Neuzugänge in einem möglichst kurzen Zeitraum zur Eindämmung
weiterer Schäden,
-
technische Realisierbarkeit des Verfahrens zu vertretbaren Kosten, nied
rige spezifische Behandlungskosten,
-
ausreichender Entwicklungsstand
-
Umweltverträglichkeit und Sicherheit.
Beim gegenwärtigen internationalen Entwicklungsstand ist wohl keines der bekannten Verfahren in der Lage, alle Anforderungen zu erfüllen. Es bedarf der weiteren intensiven Arbeit, um die Verfahren Schritt für Schritt zu perfektionieren, um letztlich in die Nähe der idealen Qualitäten zu kommen.
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Die Massenentsäuerung
Abb. 7S Die Versuchsanlage in Houston
Das DEZ-Verfahren
Das DEZ-Verfahren ist eine Entwicklung der amerikanischen Library of Congress, ausgerichtet zur Behandlung der eigenen Sammlungen. Wert gelegt wurde vor allem auf eine hohe Behandhmgskapazität von etwa l Mio. Bänden jährlich und eine Verträglichkeit des Verfahrens, mit allen Buchmaterialien ohne Vorauswahl.
Nach großen Problemen mit der ersten, bis 1985 zusammen mit der NASA entwickelten Pilotanlage wurde eine zweite Versuchsanlage in Houston, Texas, beim DEZ-Hersteller Texas Alkyls errichtet. Diese wesentlich verbesserte und sichere Anlage wird seit 1988 im Versuchsmaßstab betrieben.
Nach Abschluß der öffentlichen Ausschreibung einer Massenentsäuerung für die Kongreßbibliothek wurde jedoch Mitte 1991 auch das DEZ-Verfahren als noch nicht einsatzfähig von der Prüfungskornmission der Bi-
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Das DEZ-Verfahren
bliothek abgeiehnr. Eingesetzt wird bei der DEZ-Papierentsäuerung die sehr reaktionsfähige und selbstentzündliche metaliorganische Verbindung Diethylzink (DEZ. chemisch Zn(C 2H5)2 . Bei der Begasung der zu behandelnden Papiere neutralisiert das DEZ die Säure im Papier unter Bildung von Zinksulfat und lagert als alkalische Reserve mit der Restfeuchte des Papiers gebildetes Zinkoxid ab. Als Nebenprodukt entsteht bei beiden Reaktionen gasförmiges Ethan.
Die Menge des bei der Reaktion im Papier gebildeten basischen Zinkoxids ist prinzipiell über den Restfeuchtegehalt in weiten Grenzen einstellbar. Ein Zinkoxidgehalt von l- 2% wird für optimal gehalten. Die Alkali-nirät derart behandelter Papiere liegt bei ca. pH 7,0- 8,0.
Der DEZ-Prozeß bestehe prinzipiell aus drei Stufen
-Vortrocknung,. ca. 25- 30 Stunden
-
DEZ-Behandlung ca. 6- 9 Stunden
-
Spülen und Wiederbefeuchtung ca. 7-8 Stunden
die jeweils aus einer Vielzahl von Einzelschritten mir u.a. mehreren Spül-, Erwärmung«- und Kühlphasen bestehen. Bei den angegebenen Zeiten handelt es sich um ungefähre Werte, die bis heute Gegenstand von Optimierungsversuchen sind. Mit Beladen, Entladen und weiteren Zwischenschritten wird eine Gesamtdauer für den Behandlungszyklus von etwa 60 Stunden erreicht. Die Neutralisationswirkung und alkalische Pufferung der DEZ-Behandlung gilt als erwiesen. Es wurde eine Lebensdauerverlängerung des Papiers um den Faktor 3- 5 ermittelt.
Nebenwirkungen auf Papiere, Druck- und Schreibstoffe und Einbandmaterialien treten in wesentlich geringerem Umfang als bei flüssigen Verfahren auf, jedoch wurde in letzter Zeit an Testmarerialien ein unerwartet hoher Anteil an unerwünschten Effekten festgestellt. Probleme bereitet offensichtlich eine langsame und kontrollierte Wiederbefeuchtung der Pa-piere nach der Begasung zum Umsetzen nichtreagierter DEZ-Anreile. Die zum Teil an den Außenkanten der Buchblöcke auftretenden Verbrennungen sind wahrscheinlich auf diese Schwierigkeiten zurückzuführen.
Zu den unerwünschten Nebenwirkungen zählt auch ein oftmals auftretender unangenehmer Geruch, der dem Behandlungsgut lange Zeit anhaftet, analytisch jedoch nicht nachweisbar ist und dessen Entstehen noch nicht geklärt oder verhindert werden konnte.
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Die Massenentsäuerung
Nach Untersuchungen der LOG kann Zinkoxid den photolytischen Ab bau der Papierfasern beschleunigen. Im Labor wurden behandelte und un-behandelte Papiere dem UV-Licht einer Höhensonne in etwa 60 cm Entfer-nung ausgesetzt und dabei in einem Klima mit 60° C und 60% relative Feuchte gehalten. Bei nachfolgenden Festigkeitstests ergab sich bei den be handelten Papieren eine stark verringerte Faltungsfestigkeit. Diese Ergeh nisse werden von der LOC dennoch als unproblematisch angesehen, d Bücher in jedem Fall so aufbewahrt werden sollten, daß Lichteinfall und UV-Strahlung minimiert bzw. ausgeschlossen werden.
Nach einer an der Tokyo University of Agriculture and Technolog durchgeführten Untersuchung ist es u.U. möglich, daß bei der Anwendun des DEZ-Verfahrens auf bereits gealterte Papiere diese so verändert wer den, daß ihre weitere Alterung im Vergleich zu den gleichen unbehandehe; Papieren noch beschleunigt wird. Diese Feststellung steht bisher isolier und muß durch weitere Untersuchungen bestätigt oder widerlegt werden Sie verdient aber wegen ihrer Bedeutung für die Einsetzbarkeit des DEZ Verfahrens in der Praxis (Konservierung älterer Bestände in Bibliotheke; und Archiven) besondere Aufmerksamkeit.
Über die Verträglichkeit mit Archivgut liegen nur wenig Informatione; vor. Es scheinen keine sichtbaren Nebenwirkungen aufzutreten. Problem bezüglich Nebenwirkungen und Gleichmäßigkeit der Behandlung trete] jedoch bei inhomogenem Behandlungsgut mit unterschiedlichen Trock nungseigenschaften der Papiere auf. Dies wird zumindest bei Bibliotheks gut entweder eine Vorsortierung des Materials oder eine weitere Verlange rung der Behandlungszeiten erforderlich machen.
Das Verfahren ist auf die großtechnische Behandlung großer Menge ausgerichtet und erfordert qualifiziertes, technisch ausgebildetes Fachper-sonai. Das Sicherheitsrisiko für das Bedienungspersonal, mit dem die Ver-wendung der gefährlichen Chemikalie DEZ behaftet ist, erscheint unte Einsatz entsprechender Sicherheits- und Verfahrenstechniken beherrschbar. Als Standort kommen ausgewiesene Industriegebiete, Chemiestandort' und ähnliche Areale in Frage, nicht jedoch der Betrieb im Gebäude bzw. in der Nähe von Bibliotheken oder Archiven.
Die Direktoren des Verbandes der Forschungsbibliotheken (ARL) wur den in einem Schreiben vom 16.12.1993 über die Entscheidungen von Akzo Chemicals, das DEZ-Verfahren betreffend, informiert. In den Schreiben heißt es:
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Das DEZ-Verfahren
«Hiermit machen wir Sie darauf aufmerksam, daß sich die Akzo Chemicals, Inc. dazu entschlossen hat, ihre Piloteinrichtung zur Konservierung von Büchern in Texas zum I.Quartal 1994 zu schließen: Diese Entscheidung wurde im Rahmen laufender Testversuche sowie einer aktiven Absatzforderung der Dienstleistungen getätigt. Akzo Chemicals besitzt die Exklusivrechte für die Anwendung des von der Library of Congress entwickelten Diethylzink-(DEZ)-Entsäuerungsverfahrens. Diese Entwicklung wird den Markt für die Entsäuerung von Büchern in großen Mengen drastisch verändern und beinhaltet die Gefahr, daß wissenschaftlichen Büchereien in der Zukunft der Zugang zu einer rentablen korrigierenden Technik zwecks Entsäuerung von BibliotheksmateriaÜen, welche noch in gutem Zustand und noch nicht brüchig sind, verschlossen sein wird.»
Die Schließung der Einrichtung signalisiert Akzos Einschätzung «einer begrenzten Aussicht für die Annahme des DEZ in der nahen Zukunft.» In einem Schreiben an ARL legt Akzo dar, daß diese Maßnahme unternommen wurde «trotz unserer festen Meinung, daß es die beste vorhandene Technologie darstellt und einen echten und tatsächlich weltweiten Bedarf anspricht.»
Im vergangenen Jahr haben ungefähr ein Dutzend ARL-Bibliotheken Materialien zur Entsäuerung geschickt: Harvard und Johns Hopkins haben sogar Akzos Entsäuerungsdienste in die Konservierungsprogramme ihrer Bibliotheken integriert. Die Library of Congress schloß hinsichtlich des vergangenen Jahres für Forschungs- und Entwicklungsmaßnahmen zur Perfektionierung des DEZ-Entsäuerungsverfahrens mit Akzo einen Vertrag ab, und zwar mit besonderer Betonung auf Geruchsbeseitigung.
Am 13. Dezember 1993 informierte Akzo die Library of Congress über ihre Entscheidung, die Entsäuerungsdienste einzustellen. ARL hat die Library of Congress gebeten, die Auswirkungen dieser Entscheidung in be-zug auf die Konservterungsprogramme der Library of Congress sowie die Nutzungsmöglichkeit dieser Technologie durch andere Bibliotheken zu verdeutlichen.
Die Firma AKZO als Anbieter des Verfahrens und Betreiber der DEZ-Pilotanlage in Houston hat sich mit dem 2. Quarta! 1994 aus diesem Tätigkeitsbereich zurückgezogen. Die weitere Verfügbarkeit und die Weiterentwicklung des DEZ-Verfahrens sind noch ungeklärt, obwohl auch in der Folgezeit von der LOG an der Perfektionierung gearbeitet wurde. Dabei wurden Zusammenhänge zwischen dem Temperaturregime der Behandlung und der Geruchsbildung entdeckt.
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Die Massenentsäuerung
Das FMC/Lithco-Verfahren
Das Verfahren der Lithium Corporation of America (Lithco) zähle zu den in flüssiger Phase ablaufenden Entsäuerungsbehandlungen, bei denen alkalische Magnesiumverbindungen in flüssiger, aber nichtwäßriger Form eingesetzt werden. Die Lithium Corporation of America ist ein Unternehmen des FMC-Konzerns, der zu den weltweit größten Herstellern von Maschinen und Chemikalien für Industrie, Landwirtschaft und Verteidigung zählt. Als Neutralisationschemikalie wird alkalisches Magnesiumbutoxy-triglykolkarbonat (MG-3) verwendet, das neben der Entsäuerung auch gleichzeitig eine gewisse Festigung des Papiers bewirken soll. Hergestellt wird die Verbindung durch Umsetzen von Magnesium mit Triethylengly-kolmonobutylether und Carbonisieren durch Einleiten von CO2. Die Wirksubstanz. MG-3 wird mit organischen Lösemitteln, derzeit FCKW R 113 (Trichlortrifluorethan), verdünnt angewendet.
Über die genauen chemischen Vorgänge bei der Reaktion des MG-3 mit den Säuren im Papier sind keine klaren Informationen veröffentlicht worden. Nach Angaben von Lithco bilden sich aus dem MG-3 verschiedene alkalische Magnesiumverbindungen, die auch für eine Pufferung sorgen. Die organische Ausgangssubstanz Triethyienglykolmonobutylether wird als hochviskose, nichtflüchtige Flüssigkeit wieder frei und verbleibt in der Faserstruktur des Papiers. Von Lithco durchgeführte Messungen des pH-Wertes und der Pufferkapazität an Papieren vor und nach der Behandlung bestätigen die gewünschte Entsäuerung und Pufferung.
Der festigkeitsverbessernde Effekt der Behandlung soll auf die Anlagerung der Glykolkomponente an die Zellulosefaser durch Wasserstoffbrückenbindungen zurückzuführen sein. Ein gewisser Festigungseffekt geht aus Alterungsuntersuchungen hervor, die im Auftrag von Lithco durchgeführt wurden. Diese Erklärung der Festigungsvvirkung ist bisher jedoch unbefriedigend. Es wird eher vermutet, daß die Glykolkomponente als Schmiermittel und Weichmacher auf die Papierfasern wirkt und so eine positive Wirkung besitzt. Die Entwicklung des Lithco-Verfahrens begann erst etwa 1988, wobei das Wei T'o-Verfahren als Ausgangspunkt diente. Der wesentliche Entwickiungsansatz war, die mit unerwünschten Nebenwirkungen behaftete Alkohol-Komponente der Wei T'o-Behandlungslösung durch besser verträgliche Substanzen zu ersetzen. Im Patent von 1988 wurden eine Vielzahl von möglichen organischen Chemikalien geschützt, mit
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Das DEZ-Verfahren
denen sich geeignete alkalische Magnesiumverbindungen herstellen lassen. Weiteres Ziel der Entwicklung war der umweltverträgliche Umgang mit den ebenfalls verwendeten FCKW-Lösemitteln sowie eine Beschleunigung und Verbesserung der Trocknungsschritte. Getestet werden auch erste Schritte in Richtung auf eine quasi kontinuierliche Behandlung bzw. ein Durchlaufverfahren.
Anfang 1990 wurde eine Versuchsanlage am Standort des Lithco Leichtmetaliwerkes in Bessemer City. North Carolina, erbaut. Die Anlage wird im Versuchsbetrieb zur Optimierung der Prozeßparameter genutzt. Parallel dazu werden für interessierte Institutionen Testbehandlungen von Büchern und anderen Materialien durchgeführt.
In der Versuchsanlage sind Behandlungs- und Trockenkammer getrennt hintereinander angeordnet, verbunden über eine Schleuse. Das in speziell angefertigten Kunststoffkörben gehaltene Behandlungsgut wird über einen motorgetriebenen Transportmechanismus in die Kammern bewegt. In der vorderen Kammer findet die Tränkung der Bücher mit der Behandlungslösung statt, im darunterliegenden Raum die beiden Trocknungsschritte Vortrocknung und Lösungsmitteltrocknung. Die Trockenkammer ist mit einer Hochfrequenzheizung ausgestattet, über die das Behandlungsgut dielektrisch erwärmt wird. Die entstehenden Dämpfe werden über eine Vakuumpumpe abgesaugt und in einer hintereinandergeschalteten Kondensations- und Adsorptionsstufe zurückgewonnen. Angewandt wird dabei in der ersten Stufe das Prinzip der Kontakt-Kondensation: die löse-mittelhaltige Vakuumpumpenabluft wird in eine Flüssigvorlage tiefgekühlten Lösemittels eingedüst, wodurch die kondensierbaren Anteile in der Flüssigkeit zurückgehalten werden.
Der eigentliche Kern der Anlage, die Behandlungs- und die Trockenkammer wurde mit einem Fassungsvermögen von etwa 6 Körben (jeweils 40x30x23 cm) im üblichen Versuchsmaßstab ausgeführt, während das Gebäude sowie alle Hilfssysteme und die gesamte Infrastruktur bereits für eine spätere Großaniage ausgelegt wurden. Der Prozeß wird bisher manuell gesteuert, fernbetätigte Armaturen oder automatische Kontrollsysteme sind außer bei einzelnen Hilfssystemen nicht vorhanden.
Die Behandlung unterteilt sich wie bei allen Flüssigverfahren in die nachfolgenden Schritte:
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Do'stlaringiz bilan baham: |