Usbekistan und die Welt
Seit dem Tod des Schreckensherrschers Karimov 2016 setzt Usbekistan eine Reform nach der anderen um. Auch wenn längst nicht alle Probleme gelöst sind, dürfte das zentralasiatische Land Deutschland in einem Punkt bald überholen.
Kinder, Ärzte und Arbeitslose werden mit Bussen zur Zwangsarbeit auf Baumwollfelder gekarrt – dieses Bild stand bis vor wenigen Jahren exemplarisch für die usbekische Wirtschaft. Ex-Präsident Islom Karimov hielt das mit 33 Millionen Einwohnern bevölkerungsreichste Land Zentralasiens ein Vierteljahrhundert eisern im Griff. Folter, niedergeschossene Demonstranten, verfolgte Journalisten, ermordete Oppositionelle und Korruption beherrschten die Schlagzeilen westlicher Medien.
Im September 2016 starb Karimov an den Folgen eines Schlaganfalls. Sein Parteigenosse Shavkat Mirziyoyev übernahm die Regierungsgeschäfte – und ein armes, wenn auch ressourcenreiches Land. Die wichtigsten Rohstoffvorkommen sind Gold, Erdöl und -gas, Kohle, Lithium und Uran. 36 Prozent der Exporte macht Gold aus, Exklusivabnehmerin ist die Schweiz. Die Landwirtschaft steuert der Weltbank zufolge 32 Prozent zur Wertschöpfung bei: Obst und Gemüse lösen Baumwolle und Seidenkokons zunehmend als wichtige Exportgüter ab.
Den Vereinten Nationen zufolge hatte 2017 nur die Hälfte der Usbeken Zugang zum Internet. Ein Sechstel der arbeitenden Bevölkerung verdient sein Geld im Ausland, vor allem in Russland. Die Überweisungen aus dem Ausland gingen zwischen 2013 und 2016 allerdings um drei Viertel zurück, weil die russische Wirtschaft seit der Besetzung der ukrainischen Halbinsel Krim und der daraufhin verhängten Sanktionen stagniert.
Kaum im Amt, setzte Mirziyoyev einen Fünfjahresplan namens „Strategie zur Entwicklung des Landes 2017 bis 2021“ auf, um das stark regulierte System des despotischen Vorgängers abzulösen. Mirziyoyev will Usbekistan möglichst schnell von der Plan- in die Marktwirtschaft und somit in die Welthandelsorganisation führen. Internationaler Währungsfonds, Weltbank und EU-Entwicklungsbank zeigen sich mit den Fortschritten zufrieden und geben wieder Kredite. Der Weltbank zufolge liegt Usbekistan in den Top Ten der aktivsten Reformstaaten weltweit.
Die gute Platzierung hat die usbekische Regierung auch dem Schritt zu verdanken, dass sie den Wechselkurs des usbekischen Sum gegenüber dem Dollar freigab und damit den Außenhandel weiter ankurbelte. Auf die so „importierte Inflation“ habe die Nationalbank gut reagiert, indem sie die Zinsen anhob, meint Robert Kirchner, Usbekistan-Experte der Beratungsgesellschaft Berlin Economics (BE). Aufgrund der hohen Währungsreserven bei immer noch niedriger Auslandsverschuldung ist die Kreditwürdigkeit Usbekistans der Ratingagentur Fitch zufolge mit derjenigen Griechenlands und Georgiens vergleichbar.
Mirziyoyev beendete die Abschottungspolitik, die unter anderem hohe Schutzzölle vorsah, und schlichtete Streitigkeiten mit den Nachbarländern. Zudem gründete er ein Kartellamt, ein Wirtschafts- und Industrie- sowie ein Investitions- und Außenhandelsministerium. Er verbesserte das Investitionsklima, indem er staatliche Bürokratie abbaute, Zollwesen und Steuersystem vereinfachte, Sozialabgaben begrenzte und Sonderwirtschaftszonen einrichtete. Der Bauboom, der allerdings auch Enteignungen mit sich brachte, schuf Arbeitsplätze.
Zukünftig sind Privatisierungen geplant, dem BE-Experten Kirchner zufolge vor allem im Banken-, Finanz- und Energiesektor. In der Industrie setzt Mirziyoyev auf Weiterverarbeitung. Bisher wurde Baumwolle als Rohstoff exportiert. Mittlerweile kaufen die Unternehmen im Ausland Maschinen und verkaufen Stoffe und fertige Kleidung. „Das geht nur in einem Umfeld, in dem das Ausland investieren kann“, sagt Kirchner
Mirziyoyev ist ein Alleinherrscher, aller wirtschaftlichen Liberalisierung zum Trotz. Doch wenigstens dem ersten Namensteil seiner Liberaldemokratischen Partei, der auch Karimov angehörte, entspricht seine Politik. Zudem wurden Oppositionelle in der einstigen „Folterkammer Zentralasiens“, wie Usbekistan oft geschimpft wurde, freigelassen, rehabilitiert wurden sie nicht.
Daher investiert die Regierung kräftig in den Bau neuer Flughäfen und Hotels. Das Land, deutlich größer als Deutschland, verfügt derzeit laut Uzbekistan Airways über sechs internationale und fünf Inlandsflughäfen und wenige Hundert Hotels. Die Marke von 1000 Hotels soll mithilfe ausländischer Unternehmen bis 2021 durchbrochen werden. Gebaut werden auch Wintersportzentren, künstliche Seen, Aquaparks und Schönheitsfarmen. Zudem werden Naturparks touristisch erschlossen.
Positiv auswirken dürfte sich zudem, dass ab Februar Menschen aus 45 Ländern visumfrei nach Usbekistan einreisen dürfen, darunter alle EU-Mitgliedstaaten, die Schweiz, Australien und Kanada. Angehörige 76 weiterer Staaten können ein elektronisches Visum beantragen. Somit dürften sich künftig noch mehr Touristen am Weltkulturerbe in Samarkand, Chiva und Buchara erfreuen. Bremsklötze der Entwicklung sind derzeit noch schlechte Verkehrsanbindungen, mangelhafte medizinische Versorgung, Fachkräftemangel und lästige Meldeverfahren für Anreisende.
Wie groß Usbekistans Fortschritte sind, veranschaulicht der Ease of Doing Business Index der Weltbank wohl am besten. Hier preschte das zentralasiatische Land innerhalb von vier Jahren von Platz 141 auf 76 vor. Bei den Faktoren Handelsbeschränkung, Steuerzahlung und Schutz von Minderheitsinvestoren konnte Usbekistan besonders stark aufholen. Bis 2022 will Mirziyoyev sein Land in die Top 20 der unternehmerfreundlichsten Staaten führen. Ein kühnes Vorhaben: Dann läge Usbekistan vor Deutschland, das aktuell Platz 24 von 190 belegt.
Ein Unternehmen zu gründen ist schon heute in nur noch elf Ländern der Welt einfacher als in Usbekistan. Ein 2018 eingeführtes Registrierungssystem trägt dazu bei. Obwohl der Zoll den Warenverkehr an der Grenze seit Neuestem elektronisch erfassen könnte, bleibt der Außenhandel beschränkt. Die mögliche Folge beschreibt Kirchner so: „Wenn Ihre Weintrauben im Zoll zwei Wochen herumliegen, verderben sie.“ Bestechungsgelder und komplizierte Baugenehmigungen verhindern ein besseres Abschneiden in den Rankings
Dennoch blüht der Außenhandel, die Exporte haben sich seit 2015 verdoppelt. Die Handelsbilanz bleibt aber negativ. Das liegt unter anderem an Handelsbeziehungen mit Ländern wie Deutschland. Das Verhältnis von Einfuhren – Maschinen, Arzneimittel und Autoteile – zu Ausfuhren, vor allem Stoffe, Metalle und Früchte, ist ungleich. Nach Zahlen des Ostausschusses der deutschen Wirtschaft exportierten deutsche Unternehmen zuletzt Güter im Wert von 684 Millionen Euro nach Usbekistan. Das sind 60 Prozent mehr als vor Mirziyoyev. Nur Russland, Kasachstan und die Türkei führten zuletzt mehr ein. Die deutschen Importe beliefen sich dagegen auf mickrige 26,4 Millionen Euro, immerhin elf Prozent mehr als im Vorjahr.
Do'stlaringiz bilan baham: |