§ 30
Der menschliche Körper scheint sich in seinem Befinden durch Arzneien (auch deßhalb, weil die Einrichtung der Gabe derselben in unserer Macht steht) wirksamer umstimmen zu lassen, als durch natürliche Krankheits-Reize - denn natürliche Krankheiten werden durch angemessene Arznei geheilt und überwunden.
§ 31
Auch besitzen die feindlichen, theils psychischen, theils physischen Potenzen im Erdenleben, welche man krankhafte Schädlichkeiten nennt, nicht unbedingt die Kraft, das menschliche Befinden krankhaft zu stimmen 2);
2) Wenn ich Krankheit eine Stimmung oder Verstimmung des menschlichen Befindens nenne, so bin ich weit entfernt, dadurch einen hyperphysischen Aufschluß über die innere Natur der Krankheiten überhaupt, oder eines einzelnen Krankheitsfalles insbesondere geben zu wollen. Es soll mit diesem Ausdrucke nur angedeutet werden, was die Krankheiten erwiesenermaßen nicht sind, und nicht sein können, nicht mechanische oder chemische Veränderungen der materiellen Körpersubstanz und nicht von einem materiellen Krankheits-Stoffe abhängig - sondern bloß geistartige, dynamische Verstimmung des Lebens.
wir erkranken durch sie nur dann, wenn unser Organism so eben dazu disponirt und aufgelegt genug ist, von der gegenwärtigen Krankheits-Ursache angegriffen und in seinem Befinden verändert, verstimmt und in innormale Gefühle und Thätigkeiten versetzt zu werden - sie machen daher nicht Jeden und nicht zu jeder Zeit krank.
§ 32
Ganz anders verhält sich's aber mit den künstlichen Krankheitspotenzen, die wir Arzneien nennen. Jede wahre Arznei wirkt nämlich zu jeder Zeit, unter allen Umständen auf jeden lebenden Menschen und erregt in ihm die ihr eigenthümlichen Symptome (selbst deutlich in die Sinne fallend, wenn die Gabe groß genug war), so daß offenbar jeder lebende menschliche Organism jederzeit und durchaus (unbedingt) von der Arzneikrankheit behaftet und gleichsam angesteckt werden muß, welches, wie gesagt, mit den natürlichen Krankheiten gar nicht der Fall ist.
§ 33
Aus allen Erfahrungen 1)
1) Ein auffallendes Beispiel dieser Art ist: daß, als vor dem Jahre 1801 noch das glatte, Sydenhamische Scharlachfieber unter den Kindern von Zeit zu Zeit epidemisch herrschte, und alle Kinder ohne Ausnahme befiel, die es in einer vorigen Epidemie noch nicht überstanden hatten, alle Kinder jedoch, in einer solchen, dergleichen ich in Königslutter erlebte, wenn sie zeitig genug eine sehr kleine Gabe Belladonna eingenommen, frei von dieser höchst ansteckenden Kinderkrankheit blieben. Wenn Arzneien vor Ansteckung von einer grassirenden Krankheit schützen können, so müssen sie eine überwiegende Macht besitzen, unsere Lebenskraft umzustimmen.
geht diesemnach unleugbar hervor, daß der lebende menschliche Organism bei weitem aufgelegter und geneigter ist, sich von den arzneilichen Kräften erregen und sein Befinden umstimmen zu lassen, als von gewöhnlichen, krankhaften Schädlichkeiten und Ansteckungsmiasmen, oder, was dasselbe sagt, daß die krankhaften Schädlichkeiten nur eine untergeordnete und bedingte, oft sehr bedingte, die Arzneikräfte aber eine absolute, unbedingte, jene weit überwiegende Macht besitzen, das menschliche Befinden krankhaft umzustimmen.
§ 34
Die größere Stärke der durch Arzneien zu bewirkenden Kunst-Krankheiten ist jedoch nicht die einzige Bedingung ihres Vermögens, die natürlichen Krankheiten zu heilen. Es wird vor Allem zur Heilung erfordert, daß sie eine der zu heilenden Krankheit möglichst ähnliche Kunst-Krankheit sei, die, mit etwas stärkerer Kraft, das instinktartige, keiner Ueberlegung und keiner Rückerinnerung fähige Lebensprincip in eine der natürlichen Krankheit sehr ähnliche, krankhafte Stimmung versetze, um in ihm das Gefühl von der natürlichen Krankheits-Verstimmung nicht nur zu verdunkeln, sondern ganz zu verlöschen, und so zu vernichten. Dieß ist so wahr, daß sogar eine ältere Krankheit durch eine neu hinzutretende unähnliche Krankheit, sei diese auch noch so stark, von der Natur selbst nicht geheilt werden kann, und eben so wenig durch ärztliche Curen mit Arzneien, welche keinen ähnlichen Krankheitszustand im gesunden Körper zu erzeugen vermögend sind, wie die allöopathischen.
§ 35
Dieß zu erläutern, werden wir in drei verschiedenen Fällen, sowohl den Vorgang in der Natur bei zweien im Menschen zusammentreffenden, natürlichen, einander unähnlichen Krankheiten, als auch den Erfolg von der gemeinen ärztlichen Behandlung der Krankheiten mit allöopathischen, unpassenden Arzneien betrachten, welche keinen, der zu heilenden Krankheit ähnlichen, künstlichen Krankheitszustand hervorzubringen fähig sind, woraus erhellen wird, daß selbst die Natur nicht vermögend ist, durch eine unhomöopathische, selbst stärkere Krankheit eine schon vorhandne unähnliche aufzuheben, so wenig unhomöopathische Anwendung auch noch so starker Arzneien irgend eine Krankheit zu heilen jemals im Stande ist.
§ 36
I. Entweder sind beide, sich unähnliche, im Menschen zusammentreffende Krankheiten von gleicher Stärke, oder ist etwa die ältere stärker, so wird die neue durch die alte vom Körper abgehalten. Ein schon an einer schweren chronischen Krankheit Leidender wird von einer Herbstruhr oder einer andern mäßigen Seuche nicht angesteckt. - Die levantische Pest kommt, nach Larrey 1),
1) Memoires et observations, in der Description de l'Egypte, Tom. I.
nicht dahin, wo der Scharbock herrscht, und an Flechten leidende Personen werden von ihr auch nicht angesteckt. Rhachitis läßt, nach Jenner, die Schutzpockenimpfung nicht haften. Geschwürig Lungensüchtige werden von nicht allzu heftigen epidemischen Fiebern nicht angesteckt, nach von Hildenbrand.
§ 37
Und so bleibt auch bei einer gewöhnlichen ärztlichen Cur ein altes chronisches Uebel ungeheilt und wie es war, wenn es nach gemeiner Cur-Art allöopathisch, das ist, mit Arzneien, die an sich keinen der Krankheit ähnlichen Befindenszustand in gesunden Menschen erzeugen können, gelind behandelt wird, selbst wenn die Cur Jahre lang dauerte.*
Anm.* Wird es aber mit heftigen, allöopathischen Mitteln behandelt, so werden an seiner Stelle andersartige Uebel gebildet, die noch beschwerlicher und lebensgefährlicher sind.
Dieß sieht man in der Praxis täglich und es bedarf keiner bestätigenden Beispiele.
Do'stlaringiz bilan baham: |