Popularmusiker in der provinz


iii) “Kognitive Dissonanz”



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iii) “Kognitive Dissonanz”


Gemäß Festinger (1978) hat “kognitives Dissonanzverhalten” zur Voraussetzung, dass Individuen ihr Verhalten an solchen “Zielantizipationen” ausrichten, die sich am Ende als falsch erweisen. In seiner “Theorie der kognitiven Dissonanz” beschäftigt Festinger sich mit dem Verhalten von Individuen, wenn Dissonanz gewissermaßen erklingt, d.h. wenn offenkundig wird, dass Realität und Vorstellungen - etwa über bestimmte “antizipierte Ereignisse” - nicht zusammenpassen 449.

Bei nahezu allen vorliegenden Interviews taucht der Aspekt auf, dass die gemeinschaftliche popularmusikalische Tätigkeit zunächst zum Zwecke des Spaßgewinnes initiiert wird (Harley/New-wave, Beat, Spaß, Lederjacke, Paradiddle, Langer, Humor u.a.). Möglichkeiten, die sich in einzelnen Fällen (Beat, Harley) aus einem relativ schnellen Beitritt zur Musikbranche ergaben, wurden von den Akteuren zunächst nicht oder nicht richtig gesehen (Beat, Harley). Aus Statements geht hervor (Beat, Harley, Lederjacke II.), dass die Interviewten von der Funktionsweise des Musikgeschäftes seinerzeit genauso wenig wussten hatten wie die meisten ihrer nicht involvierten Kollegen (vergl. “Vorstudie 81/82”). Darüber hinaus wurde die potentielle Relevanz der popularmusikalischen Tätigkeit für eventuelle Verwerter von den Akteuren zunächst nicht besonders in Betracht gezogen bzw. von ihnen bisweilen nicht richtig eingeschätzt (Beat, Spaß, Harley).

In den Interviews geschilderte Fälle zeigen, dass die interessierende Tätigkeit dann von “Vorstellungen” begleitet wird, die zu “kognitiver Dissonanz” führen können, wenn Akteure z.B. Strategien im Hinblick auf zukünftige Medienrelevanz entwickelten und in diesem Zusammenhang auf aktuelle Popularmusik-Moden setzten (Harley, Lederjacke II.). Ein vergleichbarer “Effekt” ergab sich, wenn auf das Eintreten gewisser möglicherweise für die Zukunft der gemeinsamen musikalischen Tätigkeit günstiger Effekte, z.B. bestimmter Nachwuchsförderungsaktivitäten, spekuliert wurde (Paradiddle, Lehrer) 450.

Im Fall von Harleys und Lederjackes gemeinsamer Musikgruppe wurden schließlich derart komplexe Strategien entwickelt, dass die zeitliche Dauer einer entsprechenden Umsetzung sowie die gelegentlich dabei zu beobachtende “Entfernung” von der Gesellschaft ein Überwechseln in sog. “bürgerliche Berufskarrieren” stark erschwerte (Lederjacke). Bei dem einen oder anderen Akteur führt das auch zum gänzlichen - gewollten - Ausschluß “bürgerlicher” Berufsausübungsmöglichkeiten aus dem weiteren persönlichen Werdegang (Harley).

Ferner kam speziell bei diesen beiden Interviewten eine zumindest zeitweise soziale Isolation hinzu, die mit dem relativ frühen Beitritt zur Musikbranche zusammenging (New-wave) 451.

An der bei den genannten Akteuren aufscheinenden Vorstellung, dass Massenmedien-Präsenz bzw. -Relevanz für das Gelingen der anvisierten popularmusikalischen Karriere notwendig sei (vergl. “Vorstudie 81/82”), ist zunächst ebenso wenig “Falsches” wie an einer Vorstellung vom Untergang der Welt (vergl. Festinger 1978). Als “falsch” erwiesen sich hingegen die in Harleys Fall gewählten Prognosen und Strategien, zumal - in Abwandlung eines Zitates von Festinger (Festinger 1978, S. 196) - fortwährend Beweise für die Unwahrscheinlichkeit des angestrebten Zustandes sichtbar wurden. Als begünstigende Umstände für das gemeinsame Festhalten Harleys und seiner Mitmusiker an einer dissonanten Kognition während ihrer ersten Anbindungsphase an die Popularmusikbranche können u.a. eine selbst gewählte, zeitweilige soziale Isolation sowie das Einwirken eines “Gurus”, des damaligen Produzenten der Combo452 betrachtet werden.

Im Fall von Paradiddle und Lehrer zeichnete sich der Umstand ab, dass um “Nachwuchsförderveranstaltungen” mitunter ein beachtlicher Werbe-Wirbel veranstaltet wird, durch den Interessierte u.U. sehr leicht in den Glauben versetzt werden dürften, durch Teilnahme bzw. erfolgreiche Absolvierung eines solchen Wettbewerbes einen wichtigen “Karriereschritt” bewältigt zu haben 453.

Aus Interview-Statements und aus teilnehmender Beobachtung ergab sich die Sichtweise, dass Angehörige der interessierenden “Szene” in derartigen Kontexten der Nachwuchsförderung eher in der Rolle der Statisterie für gewisse werbewirksame Selbst-Inszenierungen der Veranstalter aufzutauchen schienen, oder etwa die Notwendigkeit hauptamtlicher Förderer-Tätigkeiten zu “belegen” bzw. zu “rechtfertigen” halfen (Paradiddle, Lehrer) 454.


Die Hypothese III), die interessierende musikalische Tätigkeit sei nicht selten von falschen Vorstellungen seitens der Akteure hinsichtlich ihrer Möglichkeiten begleitet (im Sinne von Festinger), wird durch das empirische Material hinsichtlich solcher Bedingungen bestätigt wie sie in den o.g. Fällen beschrieben wurden.

Insofern wird an dieser Stelle die Annahme formuliert, dass es im Rahmen der interessierenden Tätigkeit auch unter anderen vergleichbaren Bedingungen zur Entstehung einer “kognitiven Dissonanz” kommen kann - etwa im Zusammenhang der in Eigenregie erfolgenden Tonträgerveröffentlichungen durch lokale Gruppen vor dem “Vorstellungshintergrund”, durch Vorlage einer CD könne sich die Auftrittssituation der Gruppe verbessern.

In den Fällen, wo es bei einer “Spaß-Konnotation” 455, scheint die musikalische Tätigkeit bei den Akteuren deutlich weniger durch Antizipationen unwahrscheinlicher Zielzustände sowie auch nicht von der Aufstellung entsprechender Prognosen und/oder der Entwicklung der vermeintlich der Erreichung solcher Zielzustände dienender Strategien begleitet zu sein.

iv) Berufsbild “Popularmusiker”?


Abschließend sei auf einen Gedanken von Luhmann hingewiesen, gemäß welchem er es als eine Art Phänomen der massenmedialen Unterhaltung betrachtet, dass ein psychisches System, das an Kommunikation durch Massenmedien teilnimmt, “um sich zu unterhalten”, dadurch eingeladen werde, “auf sich selbst zurückzuschließen” (Luhmann 1996, S. 114).

Übersetzt man Luhmanns Gedanken in die vorliegende Problematik, so ergibt sich, dass das sich mittels massenmedialer Popularmusikangebote unterhaltende Individuum - eingeladen, auf sich selbst zurückzuschließen - sich aber auch an der Vorstellung delektieren könnte, selbst andere Menschen durch Popularmusik zu unterhalten. Das betreffende Individuum könnte dabei zu der Annahme kommen, dieses sei für den Akteur ebenfalls ein unterhaltsamer Vorgang. Nicht zuletzt weisen Statements über den Spaßgewinn bei öffentlichen Darbietungen der Ergebnisse der gemeinschaftlichen popularmusikalischen Tätigkeit in diese Richtung 456.


In den 1960-er Jahren entstanden an mehreren Stellen in der BRD sog. “Western-Clubs”. Erwachsene Menschen errichteten nach dem Vorbild von “Western-Kulissen-Städten, eigene kleine “Wild-West”-Siedlungen und legten an den Wochenenden in diesen Refugien entsprechende Kostüme von Cowboys, Indianern, Marshalls oder Saloon-Hetären an.

Es ist nicht bekannt, ob man sich an diesen “Verkleidungswochenenden” mit irgendwelchen Rollenspielen beschäftigte oder ob man sich einfach nur in den besagten Refugien aufhielt 457.

Das “WDR III”-Fernsehen berichtete in einer am 24.9.1997 ausgestrahlten Sendung über einen aus den USA stammenden Trend betreffend sog. “Live-Fantasy”-Rollenspiele : Teilnehmer an “Fantasy”-Spielen kostümieren sich anlässlich der Spieltermine als in den jeweiligen Spielhandlungen vorkommende “Charaktere” und stellen die Handlung in der freien Natur nach. Dabei kann ein einmal begonnenes Spiel sich in der Regel sehr lange hinziehen, so dass der anfangs von einem Akteur gewählte “Charakter” über die Dauer mehrerer Monate hinweg - wenn nicht sogar für ein ganzes Jahr und länger - beizubehalten ist 458.
Sicherlich haftet der beschriebenen Freizeitaktivität in den “Western-Clubs” und wohl auch bei den “Live-Fantasy”-Rollenspielen eine Art Selbstgenügsamkeit an, die sie mit der hier interessierenden popularmusikalischen Tätigkeit nicht gemeinsam hat. Popularmusiker wünschen sich anscheinend die Anwesenheit von Publikum459. Es ist in gewisser Weise Teil des “Spiels”, obschon das Publikum sich manchmal nicht immer im Sinne der Musiker an diesem “Spiel” beteiligt, was wiederum die Akteure zu neuen “Spielzügen” nötigt. Ein Beispiel mögen hier die “Musikerselbsthilfe-Aktivitäten” liefern, deren “professioneller Hintergrund” allerdings von offiziellen Sprechern solcher Selbsthilfeorganisationen selbst in Abrede gestellt wird 460.

So geben sich dann zwar auch einige der in der interessierenden “Szene” vorkommenden Musikgruppen durchaus “professionell”, etwa die Combo des interviewten Pharma : Man sucht Konzertsituationen auf, in denen man - nach dem Vorbild bekannter Popularmusik-Künstler und nicht selten unter Benutzung derer Attitüden - das Publikum unterhalten möchte, man veröffentlicht - in Eigenregie - Tonträger, hofft dabei insgeheim vielleicht auch auf einen guten “Deal” mit einer sog. “Major-Firma”, bemüht sich um auswärtige Auftrittsmöglichkeiten, um so die überregionale Präsenz der gemeinsamen Musikgruppe zu verbessern. Wenigstens in Pharmas Fall steht dieses Prozedere vor dem Hintergrund, dass die Ambitionen der an der gemeinschaftlichen musikalischen Tätigkeit Beteiligten höchst unterschiedlich sind und einige der Gruppenmitglieder eine “professionelle” popularmusikalische Karriere für sich persönlich ausschließen (Pharma).

Andererseits - das gezeigte Verhalten entspricht im wesentlichen dem, was über die Tätigkeit von “professionellen” Popularmusikern durch die Massenmedien vermittelt wird : Der Popularmusiker macht öffentliche Auftritte, anlässlich der er sein Publikum unterhält, veröffentlicht Tonträger und reist dabei ansonsten viel in der Weltgeschichte herum, während er mitunter sogar noch Gelegenheit findet, künstlerische Authentizität und Originärität unter Beweis zu stellen 461.

Wenn Lederjacke (pers. Gespräch), der eine Weile als Musikproduzent tätig war, darüber berichtete, dass zahlreiche von Musikgruppen an ihn gerichtete Offerten große Ähnlichkeiten mit aktueller Massenmedienpopularmusik aufwiesen, auf welche z.T. von den Absendern nicht ohne einen gewissen Stolz hingewiesen wurde, so führt das zu der Annahme, dass eine zusätzliche Analyse der von den untersuchten AkteurenInnen praktizierten musikalischen Stile entsprechende Aufschlüsse über “Kopierverhalten” gegenüber massenmedial vermittelter Popularmusik liefern würde. Auf eine solche zusätzliche Analyse wurde jedoch im Rahmen dieser Arbeit verzichtet.


Abschließend einige möglicherweise provokante Bemerkungen zum Gegenstandsbereich der “popularmusikalischen Nachwuchsförderung” : Mehrere der Interviewten äußerten vor dem Hintergrund einschlägiger Erfahrungen Vermutungen der Art, dass die jeweiligen Fördermaßnahmen eher den Förderern als den zu Fördernden dienlich seien (Paradiddle, Lehrer). Immerhin konnten es im Zuge der Einrichtung von Jazz-Abteilungen an vielen bundesdeutschen Hochschulen einige altgediente BRD-Jazz-Größen zu Professuren bringen. Zu nennen seien den Nicht-Eingeweihten der Leiter der NDR-Big-Band D. Glawischnig, Joe Viera, Glenn Buschmann, der Bassist Sigi Busch, der Trompeter U. Beckerhoff u.a.m. .

Jedoch - was wird aus den ausgebildeten Diplom-Jazzmusikern?

Die Zunahme von Musikerarbeitsplätzen in Unterhaltungsmusik- oder Jazz-orientierten Orchestern - wenn von solch einer “positiven Tendenz” überhaupt gesprochen werden kann - dürfte aller Wahrscheinlichkeit nach geringer ausfallen als der quantitative Ausstoß entsprechender Jazzstudiums-Absolventen, zumal sich um solche Beschäftigungsmöglichkeiten auch noch qualifizierte ausländische Musiker bewerben 462.

Wie sollen sich ferner studierte Studiomusiker ihren Lebensunterhalt erspielen, wenn die Protagonisten gewisser in den 1990-er Jahren aktueller Popularmusikgenres DJ´s sind, die dadurch “Trends” setzen, indem sie die Musik selber mit Hilfe von Automaten anfertigen?

Bleibt die Möglichkeit, es mit Unterrichtstätigkeiten und/oder Live-Musikan-geboten auf dem sog. freien Markt zu versuchen :

Ersteres stünde vor dem Hintergrund der z.Zt. zu beobachtenden allgemeinen Krise der Musikschulen in der BRD aufgrund z.B. grassierender Geldmittelknappheit der Kommunen sowie einer sich bisweilen fast modisch ausnehmenden “Streichungswut” kommunaler Politiker.

Hinsichtlich Zweiterem wäre im wesentlichen wegen des Umstandes, dass es sich auch unter Jazzmusikern i.d.R. schnell herumspricht, welche Angebote bei Veranstaltern und Publikum gut ankommen, mit entsprechenden Vergegenständlichungen eines gewissen künstlerischen Nivellistentums zu rechnen sowie mit daraus resultierenden “negativen Effekten” auf das Publikumsinteresse. Erste Effekte zeichnen sich seit einigen Jahren bereits insofern ab, als dass sich immer mehr auf einem recht hohen handwerklichen Niveau spielende, auch in weiter entfernten Städten beheimatete Jazz-Ensembles lokalen Veranstaltern zu Niedrig-Gagen anbieten (pers. Gespräch mit dem zeitweiligen Inhaber eines Veranstaltungslokales des Osnabrücker Landkreises).

Immerhin bleiben den Protagonisten der Popularmusikförderung Erfolge bei der Entdeckung stets neuer Förderbereiche beschieden - ganzer “Bedarfsfelder” wie etwa im Zusammenhang des “Musical-Metiers”, das sich derzeit in der BRD als boomender Bereich der Popularmusik-Branche geriert 463. Es sei dahingestellt, ob das Verfahren nicht ein wenig an das der Arbeitsämter erinnert : Man erkennt einen gewissen Bedarf erst dann, wenn bereits verlässliche Daten über seine Befriedigung vorliegen.

Im WDR-Hörfunk464 wurde ein Bericht über einen jungen Hagener Schauspieler ausgestrahlt, der in einer Musical-Klasse der Berliner “HdK” ausgebildet und inzwischen ins Hamburger “Cats”-Ensemble aufgenommen worden ist. Dass der betreffende Schauspieler nicht ohne persönliche Beziehungen - über eine ehemalige Gesangslehrerin - zu seinem Engagement gekommen war, kann in dem Bericht nicht als das eigentlich Interessante bezeichnet werden, eher jedoch der

Umstand, dass ausgerechnet jemand aus dem Sendegebiet des WDR den Sprung in das sich derzeit überwiegend aus Amerikanern und Australiern zusammensetzende “Cats”-Ensemble geschafft hatte - ein Sachverhalt, der zumindest für die betreffenden Radiomacher einen so hohen Seltenheitswert besessen haben muss, dass sie ihn einer Berichterstattung für wert erachteten.



Abschließendes Resümee

Die Ergebnisse der Auswertungen des für diese Studie herangezogenen empirischen Materials - Interviews mit Angehörigen der interessierenden “Szene” sowie Befunde aus teilnehmender Beobachtung - seien im Folgenden zusammengefasst dargestellt.


1) Handelt es sich bei der interessierenden Personengruppe um eine Außenseitergruppe im Sinne H.S. Beckers ?
1.1) Aus dem empirischen Material ergab sich, dass die betreffende “Szene” in unterschiedliche Cliquen segmentiert ist, die untereinander eher selten verflochten sind. Der Zugang zu einer der betreffenden Cliquen ergab sich häufig über persönlichen Kontakt zu einem der Cliquen-Mitglieder.

Im Gegensatz zur Schilderung von H.S. Becker ging die Mitgliedschaft in einer bestimmten “Szene-Clique” mit keinerlei besonderen Erleichterungen hinsichtlich des Beitrittes zu einer anderen Clique zusammen - was nicht zuletzt auch auf musikalische Gründe zurückgeführt werden kann.

Ferner war zu beobachten, dass in dem untersuchten Personenkreis zumindest weder in künstlerischer Hinsicht noch in Bezug auf die jeweils vorhandenen, die musikalische Tätigkeit betreffenden “Intentionen” so etwas wie Einheitlichkeit bestand. Darüber hinaus schienen spezifische “moralische” bzw. “ethische Commitments” so schwach bis gar nicht ausgeprägt zu sein, so dass auf “moralisch fragwürdiges” bzw. in anderer Hinsicht inkorrektes Verhalten einzelner Akteure gegenüber Kollegen und/oder Mitgliedern anderer Cliquen in der Regel keine Sanktionen erfolgten. Zusammengenommen wurde daraus der Schluss gezogen, dass die interessierende “Szene” wenigstens nicht als Außenseitergruppe im Sinne H.S. Beckers bezeichnet werden kann.

1.2) Heterogenität konnte bisweilen im Hinblick auf die Zusammensetzung der einzelnen zur interessierenden “Szene” zu zählenden Musikgruppen festgestellt werden, somit auch bezüglich der jeweiligen Cliquen, denen diese Musikgruppen zuzurechnen wären.

Dass sich in ein und derselben Musikgruppe manchmal Mitglieder anfanden, die sich unterschiedlichen der in Kap. V) aufgeführten “Ideal-Typusse” zuordnen ließen, kann auf den Umstand des mitunter eher schlecht sortierten “Personalbestandes” der lokalen “Szene”zurückgeführt werden. So müsse z.B. im Fall von Vakanzen oft die mehr oder weniger erstbesten Offerten von am Ort lebenden Interessenten fast schon notgedrungen den Zuschlag erhalten, will man den Bestand der gemeinsamen Musikgruppe nicht gefährden 465.

Die in diesem Kontext sich für eine bestimmte Musikgruppe quasi “unter der Hand” mitergebende Heterogenität im Hinblick auf die “soziale Situiertheit” der Gruppenmitglieder geht andererseits zusammen mit der Abwesenheit sozialen Statusdenkens zumindest bezüglich solcher Kriterien, denen in der Restgesellschaft eine diesbezügliche Bedeutung unterstellt werden kann : Berufliche Stellung und/oder Erfolg, Höhe des Verdienstes und daraus resultierende Möglichkeiten hinsichtlich der Lebensstandardgestaltung usw. .

1.3) Stattdessen konnte in der interessierenden “Szene” eine Art “Statusdenken” festgestellt werden, welches sich auf die ausgeübte popularmusikalische Tätigkeit bezieht bzw. auf den Erfolg derselben. Als Kriterien tauchen dabei auf : Wo, wie oft und vor wie vielen Leuten öffentliche Auftritte stattgefunden haben, ob eigene Tonträger eingespielt wurden bzw. ob und/oder wie häufig man bei der Einspielung fremder Tonträger mitgewirkt hat (Studiomusiker-Nimbus !), wie häufig sich die Tonträger verkaufen, ob und/oder wie häufig man mit den Ergebnissen der musikalischen Tätigkeit in welchen Massenmedien auftaucht und ggf. mit welchem “Stellenwert”. Somit scheinen “Erfolgskriterien” auf, die sich im Wesentlichen auf die Resonanz von Massenmedien und/oder Publikum beziehen - d.h. von Teilen der Außenwelt, die in irgendeinem Sinne für den “Erfolg” der musikalischen Tätigkeit als “wichtig” erachtet werden - sowie auf die aus der popularmusikalischen Tätigkeit erzielten Geldeinkünfte.

Wenigstens in letztgenannter Hinsicht würden sich solche Kriterien nur unerheblich von denjenigen unterscheiden, an welchen sich in der Restgesellschaft Statusdenken orientiert 466. Als - unfreiwillig sich selbst karikierender - Ausdruck solchen “popularmusikalischen Statusdenkens” können die in Kap. V) angegebenen Beispiele von Angeberei und Aufschneiderei betrachtet werden.



1.4) Wenn Beckers “Marihuana-Benutzer” und die Chicagoer Jazz- bzw. Tanz-musiker durch ihre Lebensweise als absonderlich oder unkonventionell stigmatisiert waren und von der Restgesellschaft als Außenseitergruppen erkannt wurden (vergl. Becker 1981, S. 7 ff., S. 22 ff. ), so führt die Zugehörigkeit zu der interessierenden “Szene” auf Grund der ausgeübten popularmusikalischen Tätigkeit im untersuchten Kontext zu unterschiedlichen “Bewertungen”, “Einstufungen” und “Identifikationen” durch die nicht-musikalische Außenwelt.

    - Die Beispiele von Spaß und Beat aus den 1960-er Jahren zeigen, dass der angesprochenen Sachverhalt unabhängig von Zeitbezug ist. Wurden Spaß und seine Mitmusiker damals noch aufgrund ihrer langen Haare als Außenseiter/Andersartige - Pilzköpfe oder eben Beatmusiker - erkannt und mitunter sogar angefeindet (besonders bei Auftritten in ländlichen Gegenden), so berichtet Beat kaum über solche Vorfälle. Ebenso ergaben sich aus Interviews, die spätere Zeiträume referierten, einander widersprechende Anhaltspunkte dafür, dass die interessierende musikalische Tätigkeit für die Außenwelt ein verallgemeinerungsfähiges äußeres Attribut darstellte, welches zur Identifikation von Personen als soziale Außenseiter bzw. Angehörige einer “Randgruppe” herangezogen wurde :

    Hobby wurde in seiner musikalischen Aktivität durch Eltern und schulische Angebote gefördert. Kultur. Lebensstil und auch seine Lebensplanung waren bei ihm stets kompatibel zu Vorstellungen und Erwartungen seiner Umwelt, obschon er und seine damaligen Musiker-Kollegen sich selbst durchaus als eine Art “musikalische” Rebellen betrachtet hatten. Die auf ihn Einfluss ausübenden Personen (Eltern/Lehrer) nahmen seine Aktivitäten nicht als abweichendes Verhalten war, sondern versuchten seine Neigungen zu kanalisieren.

    Lehrer war in seiner Gymnasialzeit Mitglied einer Clique, die sich intensiv mit dem Hören von Jazzmusik und der Erweiterung ihrer diesbezüglichen instrumentellen und musiktheoretischen Fähigkeiten beschäftigte. Die Gruppe grenzte sich unter Heranziehung von Musikpräferenzen von anderen Mitschülern ab, und dieses Verhalten nicht nur auf den Schulkontext beschränkt, sondern stellte auch in der Freizeit zunächst ein Mittel dar, sich von anderen Gleichaltrigen und der kleinbürgerlichen Heimatgemeinde abzusetzen. Obschon Lehrer und seine Cliquen-Kollegen, die zu Beginn der 1980-er Jahre Schüler an einem Osnabrücker Traditionsgymnasium eher konservativerer Prägung waren, in politischer Hinsicht 467 und zumindest Lehrer selbst auch in “künstlerischer Hinsicht” nicht besonders umstürzlerisch eingestellt waren, wurden sie von einigen Lehrern als Revoluzzer eingestuft. Es sei darauf hingewiesen, dass Lehrer und dessen Cliquen-Angehörige nur etwa 5 Jahre älter als Hobby waren.

Harley adaptierte einige der gängigen äußeren Klischees, insbesondere Kleidung, der von ihm favorisierten Popularmusik-Stars und machte sich damit als “andersartig” für seine Umwelt erkennbar. Harley wuchs in einer Kleinstadt des Osnabrücker Landkreises auf, und seine Attitüde brachte ihm eher positive Resonanzen bei Mitschülern/Gleichaltrigen. Repressionen seitens Erwachsener erlebte er nicht. Harley´s musizierende Clique setzte darüber hinaus aus einem vielschichtigen, mitunter fluktuierenden Personenkreis zusammen, der nicht oder nur teilweise Harley´s Kleidungs- und Lebensstil teilte bzw. goutierte.

Insgesamt wurde Harley´s Attitüde von den Kleinstädtern anscheinend eher als eine Art Versuch betrachtet und dementsprechend toleriert, seine Individualität zu unterstreichen, weniger als von außen erkennbarer Ausdruck der Mitgliedschaft in einer Subkultur oder gesellschaftlichen Außenseitergruppe.


Diese Beispiele zeigen eine durchaus unterschiedliche “Rezeption” der durch ihre popularmusikalische Tätigkeit und/oder durch ihre besondere Affinität zu Popularmusik sich auszeichnenden Akteure seitens ihrer Umwelt auf. Grundsätzlich ergibt sich aus dem vorliegenden empirischen Material, dass eine Wahrnehmung gesellschaftlichen oder zumindest “kulturellen Außenseitertums” keinem Zeitbezug unterliegt. Ferner scheint eine entsprechende “Wahrnehmung” offenbar auch stark von der Positionierung des Betrachters in einem mehr oder weniger “konservativen” oder “aufgeschlossenen” gesellschaftlichen Kontext abzuhängen 468. Der vielschichtige Rollenpluralismus und die cliquenhaft abgegrenzte Freizeitpraxis der Akteure mögen dazu beigetragen haben, dass Angehörige der untersuchten Personengruppe manchmal von ihrer Umwelt als gesellschaftliche Außenseiter oder Angehörige einer Subkultur angesehen wurden und manchmal nicht.

Insofern wären die temporär auftretenden subkulturellen Phänomene im Kontext der beobachteten musikalischen Praxis (Drogenkonsum, lange Haare, exaltierter Kleidungsstil) in den meisten der geschilderten Fälle eher als adoleszentes Freizeitverhalten und/oder im Hinblick auf den Einfluss Popularmusik-bezogener Verbreitungs- und Vermittlungsaktivitäten der Massenmedien zu interpretieren, denn als Ausdruck subkultureller Interaktion mit der Umwelt zu betrachten.


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