Rational-Choice Modell
.
Bei diesem Modell werden die Bedingungen und Ursachen des individuellen Handels verstärkt
betrachtet. Motivlagen, Einstellungen und Erwartungen, Wahrnehmung von Gelegenheiten
und Restrisiko sind hier von zentraler Bedeutung für die Entstehung von Handlungsabsichten
und Handlungen selbst (Raithel 2011, S. 51). Schon Tolman (1955) führte hierfür den
„Expectancy“-Begriff ein, der die erlernte Erwartung über Mittel-Zweck-Zusammenhänge
meint. Demnach resultiert ein Verhalten aus dem Wert, den ein Individuum einem
bestimmten Ausgang beimisst, und der Wahrscheinlichkeit, mit der dieses Ziel erreich werden
kann.
Im Mittelpunkt dieses Modells steht eine Bilanzierung des zu erwartenden Nutzens eines
Verhaltens. In einem mehr oder weniger rationalen Entscheidungsprozess werden Kosten
(Verletzungsrisiko) und Nutzen gegenübergestellt (Raithel 2011, S. 51). Soziale Kontexte und
deren Strukturen werden bei diesem Modell jedoch nicht miteinbezogen.
Jugendliche brechen Risiken in der Regel auf eine einfache Kosten-Nutzen-Rechnung herab.
Erwartete Gewinne werden gegenüber den möglichen Konsequenzen abgewogen und daran
wird eine Entscheidung getroffen (Zhang et al. 2015). Vor allem in der Wahrnehmung von
Risiko und Gewinn gibt es hier je nach Altersgruppe deutliche Unterschiede. Jugendliche
neigen dazu, mögliche Risikos geringer und Gewinne höher einzuschätzen (Horvath &
Zuckermann 1993). Sensation Seeker üben zudem auch öfters Tätigkeiten wie Bungee-
Jumping aus, weil diese von Jugendlichen als nicht riskant angesehen werden, oder das
potentielle Risiko vom Reiz der Grenzerfahrung ausbalanciert wird (Zhang et al. 2015).
Auf der
Mesoebene
lässt sich das belastungstheoretische Sozialisationsmodell der
produktiven Realitätsverarbeitung anführen. Diesem Modell nach ergibt sich riskantes
Verhalten aus dem Zusammenwirken von psychosozialen Belastungen, wie z.B.
Orientierungskrisen, Verhaltensunsicherheiten, und dem Testen von Grenzen, kombiniert mit
unzureichenden Bewältigungskompetenzen (Mansel & Hurrelmann, 1991; Engel &
Hurrelmann, 1993). Diese Verhaltensweisen werden demnach als Lösungsversuche für
bestimmte Probleme im Entwicklungsprozess der Jugendlichen gesehen (Silbereisen & Reese,
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2001). Probleme im schulischen oder beruflichen Kontext oder Probleme im familiären
Bereich werden als weitere
Risikokonstellationen gesehen (Raithel, 2011).
Eine produktive Bewältigung der Belastungen (siehe Abb. 3), die auf Jugendliche zukommen,
wird als Kernstück der kognitiven und emotionalen Entwicklung angesehen und
ist eine
Voraussetzung für eine stabile Identitätsbildung (Reinhard, 1988).
Abbildung 3 - Raithel (2011) S.100
Riskantes Verhalten wird also als Resultat einer misslungenen Bewältigung von
Anforderungen verstanden, jedoch darf hier nicht die Funktionalität von diesem vergessen
werden. Je nach Kontext kann riskantes Verhalten als Ersatz für fehlende personale und
soziale
Ressourcen wirken (Hurrelmann, 2000). So zum Beispiel, um Akzeptanz im
Freundeskreis zu erreichen oder um Spannungszustände zu reduzieren. Dem Risikoverhalten
ist hier auch eine kompensatorische Funktion zuzuschreiben, so kann zum Beispiel das Trinken
von Alkohol in einer Bar dazu dienen, Hemmungen gegenüber Erwachsenen oder gegenüber
dem anderen Geschlecht, das man kennenlernen möchte, abzubauen.
„Jugendliche brauchen für ihre Entwicklung intensive Erlebnisse, um ihre
Gefühlsdynamik zu entwickeln und den Prozess der Verselbständigung
emotional zu bewältigen" (Hurrelmann 1991, 32)
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Auf der
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