258 Dritter Freitag im September 1898 „Glaubt wohl, meine Kinder, daß ich niemals zu der Stufe gelangt wäre, auf der ich jetzt stehe, wenn ich meinen niederen Neigungen gefolgt oder auf die Reden meiner Mitmenschen geachtet hätte.“
Barbara: Ich sehe den heiligen Franziskus auf dem Berg Alverna im Gebet versunken. Heiliger Franziskus, seraphischer Lehrer. Lehre uns arme und unwürdige Kinder deines heiligen Ordens deine Lebensweise, lehre uns, in deine Fußstapfen eintreten.
„Heiliger Franziskus! Was willst du mich denn lehren?“
Franziskus: „Meine Kinder! Die Zeit, in der ihr lebt, ist so recht ähnlich der Zeit, in der ich lebte, nur noch um eine Stufe tiefer, ja noch viel tiefer ist das Menschengeschlecht gesunken als in der Zeit, da ich lebte. Die Welt war damals auch schon genußsüchtig, stolz und aufgebläht. Man strebte nur nach irdischem Besitz, um sich zu vergnügen, um sich das Leben angenehm zu machen. Aber nur leichtsinnig war die Welt, leichtsinnig über alle Maßen, besonders die Reichen. Man kannte nicht die Not der Armen, man überließ den Armen seinem Schicksal. Aber gottlos war die Welt dennoch nicht, nicht so, wie sie jetzt ist. So tief stand die Menschheit noch nie seit dem Sündenfall, wie sie es jetzt ist. Man glaubte noch an den einen Gott. Man fürchtete jedoch diesen Gott nicht, weil man an sein letztes Ziel und Ende nicht dachte, mit einem Wort: Weil man nicht nachdachte in seinem Herzen.
Aber viele bekannten sich in den Jahren, wo sie die Welt von sich stieß, wo sie die Welt nicht mehr brauchen konnte, doch wieder zum Herrn. Soviel, wie in der jetzigen Zeit, in der ihr lebt, hielt Satan doch nicht Ernte. Leichtsinnig war die Welt und üppig und genußsüchtig, aber nicht gottlos. Gottlos waren nur einzelne, die waren dünn gesät. Jetzt aber sind sie zu Tausenden und Abertausenden auf der Erde, die nicht mehr an einen Gott glauben. Darum, meine Kinder, ist es an der Zeit, daß sich Heilige bilden, daß die streitende Kirche Jesu Christi, der auch ich angehörte, sich alle Mühe gibt, um die treuen Katholiken, die treuen Christen, auf dem Weg zur Heiligkeit zu bestärken und zu fördern. Darum will ich euch heute eine praktische Belehrung geben, wie ihr es anstellen müßt, um recht viele Heilige zu bilden und möglichst schnell heilig zu werden.
Seht, meine Kinder, als ich auf Erden wandelte, waren dieselben Leidenschaften im Menschen, wie sie in euch auch sind. Man spottete und lächelte über eine Seele, die es nicht mit der großen Masse hielt. Deswegen mußt du Christ, wenn du heilig werden willst, nicht nach anderen fragen, dich nicht nach rechts und nicht nach links umschauen, was diese oder jene sagen oder tun. Fromme Christen können sie sein, wenn sie auch kein außergewöhnliches Leben führen.
Ein Familienvater (Familienmutter) kann ein recht frommer Christ sein, wenn er seine Kinder gut erzieht, wenn er ein sparsamer Hausvater (Hausmutter) ist und für das zeitliche und ewige Wohl seiner Kinder bedacht ist; aber daß er dadurch zu einer Heiligkeit sich erschwingt, Verdienste erübrigt, die der Kirche nützen können, ist nicht der Fall.
Merkt euch also, meine Kinder, wollt ihr mehr tun als nur selig werden, als nur in den Himmel kommen, wollt ihr auch andere zu euch ziehen, für andere sorgen, Verdienste sammeln, die auch euren Mitmenschen zugewendet werden können, dann müßt ihr ein außergewöhnliches Leben führen, nicht zufrieden sein mit dem, womit andere zufrieden sind. Ihr müßt auch das aufsuchen, was ich aufsuchte in meinem sterblichen Leben. Wenn ich mein Vaterhaus verließ und herumirrte wie ein verstoßener, verlassener Mensch, billigte dieses die Welt auch nicht. Ich aber tat es, um etwas für meinen Herrn leiden und dulden zu können, um Ihm zu zeigen, daß es mir Ernst ist, um Seine Blicke auf mich zu richten mit einem Wort. Und die erste Gnade zog die andere nach sich, ich hörte auf seine Stimme und folgte jedem Seiner Worte, die ich in meinem Innern vernahm. Ich glaubte, daß die Stimme, die in mir sprach, die mich anleitete, zu laufen auf dem Weg der Vollkommenheit, Gottes Stimme sei, und ich überwand meine natürlichen Neigungen und die Neigungen meiner Mitmenschen, gleich welcher Art sie auch sein mochten.
So müßt auch ihr tun, ob man euch zu- oder abgeneigt ist, geradeaus gehen, schnurstracks auf den Willen Gottes zu, Der da von Tag zu Tag euch kundgetan wird in den heiligen Stunden, wo der Herr Sich würdigt, zu dir und zu euch zu reden. Er wird euch kundgetan, jedem in seinem Herzen, wenn der Herr sich würdigt, bei euch einzukehren in der heiligen Kommunion. Glaubt wohl, meine Kinder, daß ich niemals zu der Stufe gelangt wäre, auf der ich jetzt stehe, wenn ich meinen niederen Neigungen gefolgt oder auf die Reden meiner Mitmenschen geachtet hätte. Wenn in mir der Geist sprach: ‚Stehe auf und gehe da und dorthin, diene Mir in stiller Zurückgezogenheit, oder gehe hin, das Wort Gottes zu vernehmen, und was Ich dir sagen werde durch den Mund des Priesters, der das Wort Gottes vorträgt, das befolge‘, dann ging ich ohne Zögern, nicht nach rechts und links schauend.
Seht, meine Kinder, das sind Ausnahmefälle, die nicht für alle Christen passen, weil nicht alle Christen dasselbe und das gleiche tun können. Dies sind Fälle, die nur für eine Seele passen, die der Herr schon jahrelang vorbereitet, der Er alle Wege gelegt und ihr gezeigt und gesagt hat: ‚Siehe, Ich bin es, Der dieses von dir verlangt; dazu habe Ich dich auserwählt, dazu habe Ich alles geordnet und geleitet, damit du Mir jetzt dienen kannst. Jetzt verlange Ich von dir dieses oder jenes!‘
Die Seele, die der Herr so an Sich zieht, merkt es gar wohl. Dann mußt du aber auch fortfahren, tapfer mitwirken, nicht nach rechts und nicht nach links schauen. Wenn nun der Herr dich ruft an einen bestimmten Ort, wo du ihm in noch größerer, außergewöhnlicher Weise dienen kannst als da, wo du bist, dann mußt du dieser Stimme folgen, es ist Gottes Stimme.
Siehe, meine Tochter, hätte ich nicht gefolgt, wäre ich nicht auf den Berg Alverna gezogen mit einigen meiner Brüder, so wäre ich niemals die Male meines Herrn zu tragen gewürdigt worden. Alle die Seelen, die mir vorausgegangen sind, die mit mir lebten, und die noch leben werden, die der Herr auf außergewöhnliche Wege führt, mußten alle außergewöhnliche Dinge tun. Wenn man euch sagt, es sei besser, den gewöhnlichen Weg zu gehen, dann folgt, soviel in eurer Kraft liegt, um ja keinen Anstoß zu geben, euren Mitmenschen, aber geht ruhig weiter und tut, was der Herr spricht, denn ihr seid berufen, um viele nach euch zu ziehen.
Die Welt, die gottlos geworden ist, braucht viele, die leiden und dulden, die den Mörtel zurechtmachen, womit das Priestertum die Bausteine wieder einfügt und festigt, denn das Mauerwerk der Kirche ist zerbröckelt. Mir wurde die Kirche gezeigt, wie sie am Einstürzen war. Dir wurde gezeigt, wie sie fest am Boden eingewurzelt ist, wie sie dasteht mit hoch gehobenem Haupte, wie ihr Gipfel bis an die Wolken des Himmels reicht, ein Zeichen, wie gewaltig fest und unentwegt die Kirche dasteht unter den gottlosen Völkern dieser Erde. Aber ihre Mauer ist zerbröckelt, ganz und gar zerbröckelt. Nie sind die Tore so aus den Angeln gehoben worden wie zu der Zeit, wo ich und eine andere Dienerin Gottes sie schaute, wie die heilige Brigitta nämlich, wo das große Tor und alle die kleinen Türchen aus den Angeln gehoben waren und der Kirche der Einsturz drohte. Jetzt sind Tür und Tor nagelfest wie neu, obwohl die alte Mauer dasteht, zerbröckelt und zerfallen.
Wißt ihr, was dieses bedeutet? Nicht braucht es Männer und Frauen, die die Kirche wieder aufrichten. Nein, Männer braucht es und Frauen, die Mörtel bereiten, die der Kirche helfend zur Seite stehen, damit die Mauer wieder erneuert werden kann, die zerbröckelt ist. Die Mauer, das Mauerwerk, das da ist die katholische Männerwelt, die ganz abgewichen ist vom rechten Weg, die andere Wege geht durch die unaufhörliche Genußsucht. Überall, auch auf dem Land, wo noch die Männer treu zur Kirche stehen, werden durch die unaufhörliche Genußsucht, durch die unaufhörlichen weltlichen Festlichkeiten, die da eingeführt werden von Sonntag zu Sonntag, die Männer abgezogen vom rechten religiösen Sinn und hineingezogen in das neue Heidentum, in den Liberalismus und den Sozialismus der Zeit. Da braucht die Kirche Seelen, die leiden und sühnen, den Mörtel bereiten; die das Material bereiten, daß das Mauerwerk wieder befestigt werden kann.
Was nützt das Wort des Predigers? Es ist recht, es dringt in die Herzen hinein. Du Prediger und du Priester, Ihr habt die Aufgabe, die Steine wieder einzufügen in die Mauer durch das Wort Gottes, das du predigst auf der Kanzel und durch den Beichtstuhl, wo du zum Sünder sprichst. Aber dieser Stein, der dir da in die Hände gegeben ist und den du wieder zurückführst, er steht noch wankend und wackelnd da, weil der Mörtel fehlt. Siehe, der Mörtel wird nur bereitet durch jungfräuliche Seelen, die da leiden und sühnen und opfern, die in der stillen Klosterzelle oder auf dem Krankenbett oder im Familienleben den Mörtel bereiten, und dieses gibt erst dem Sünder die Festigkeit, gute Beispiele, mit einem Wort, gute Beispiele. Und was ich war im zwölften Jahrhundert der Welt, das müssen solche einzelne Seelen im neunzehnten Jahrhundert wiederum sein. Darum, ihr Priester der katholischen Kirche, arbeitet fleißig und tüchtig, damit die Kirche viele Seelen gewinne, die auch den Mörtel treten, die auch den Speis zurechtmachen, womit ihr das Mauerwerk ausfüllen könnt.
Ihr aber, meine Kinder, fürchtet euch nicht! So und nur so seid ihr wahre Franziskuskinder. Franziskus gefiel auch nicht jedermann. Dieser Franziskus, er tat auch außergewöhnliche Dinge, die nicht jedem gefielen. Er ging betteln von Tür zu Tür, er schmeichelte nicht den Reichen und nicht seinesgleichen, er ging einfach und ruhig seiner Wege und scheute sich nicht, dem Stolzen, Aufgeblähten, auch wenn er eine hohe Würde bekleidete, sein Unrecht ins Gesicht zu sagen, ihn auf seine Fehler aufmerksam zu machen, und auch wenn er ihm nicht folgte, seine Worte nicht beachtete, ließ er es doch an Warnungen und Drohungen nicht fehlen. Er aber blieb nach wie vor der ruhige, verachtete, arme Franziskus.
Meine Kinder, ihr werdet sehen, wie sich die Dinge noch ganz anders gestalten, wie man noch froh sein wird in eurem Jahrhundert, sich an gute, treue Seelen wenden zu können, um Trost und Hilfe in den Bedrängnissen sich zu holen. Denn groß sind die Wirren der Zeit, in der ihr lebt, groß, überaus groß! Und wenn ihr nicht die Hilfe eurer vorausgegangenen Brüder zu erwarten hättet, viele von euch würden verschmachten; aber rechnet auf die Stütze von oben, rechnet auf unsere Hilfe. Wenn je das Glaubensbekenntnis gebetet wurde, und wenn ihr es betet und dabei betet, ‚Gemeinschaft der Heiligen‘, dann nehmt euch dieses wohl zu Herzen, dann denkt daran, wie wir euch in Schutz nehmen. Wenn wir zu allen Zeiten uns mit der streitenden Kirche auf Erden vereinigen, dann ganz besonders in dieser Zeit, wo noch nie die Kirche so bedrängt war und die treuen Kinder der Kirche.“
Barbara: „Wie kommt es doch, o lieber heiliger Franziskus, daß es viele fromme Leute gibt wie N., die den Drittorden verwerfen, und sogar Priester, die sehr vor einem Eintritt in denselben abraten?“
Franziskus: „Die Priester, die dies sagen, sind sehr im Irrtum, und das ist als ein großer Fehler ihnen anzulasten. Diese sind nur Priester, weil der Herr ihnen die Macht und Würde gegeben, und wissen nicht, was sie da verwerfen. Die mögen doch einmal Rundschau halten in ihrem eigenen Herzen, ob es da noch ganz richtig bestellt ist, weil sie vorgeben, es seien ja in diesen Seelen grobe Fehler vorhanden, die Ärgernis geben. Diese mögen nur in sich selbst nachdenken, ob dieselben Fehler nicht auch ihnen zu tadeln sind. Dies ist so und bleibt so, solange die Welt steht. Was der eine befördert, verwirft der andere. Darum werden nicht alle Priester heilig, nein: nur sehr wenige werden heilig, denn viele gehen den gewöhnlichen Weg wie alle Christen und haben nur das voraus, daß sie die Macht und Würde Jesu Christi tragen dürfen, und deswegen sind sie zu achten und zu würdigen, aber in ihrem Leben tun sie auch nicht mehr als andere gewöhnliche Christen.
Dies ist die Ursache, warum sie den Drittorden verwerfen. Sie werden einmal Rechenschaft dafür abzulegen haben an ihrem Lebensende. Alles, was die Seele fördern kann auf dem Weg zur Vollkommenheit, soll ein Priester nicht tadeln. Gibt es auch Seelen hie und da, die den Leuten nicht gefallen und denen man deswegen allerlei nachredet, so ist deswegen aber der dritte Orden nicht schlecht und nicht zu verwerfen. Am allermeisten ist es die Bosheit der Menschen, welche die Fehler solcher Seelen hundertund tausendmal vergrößert, weil sie einmal einen Haß haben auf alles, was sie selbst nicht tun wollen. Der Stolz ist die Ursache von allem, der Stolz ist überall die Ursache.“
Am Fest der heiligen Hildegard in Eibingen war Barbara dort und wohnte dem Gottesdienst bei. Die Heilige erschien ihr beim Evangelium und stellte sich auf die Epistelseite und sagte, sie habe das Evangelium durch ihre Schriften mit verbreiten geholfen, deshalb sei sie gleichgestellt den Evangelisten. Hildegard: „Laßt euch nicht abhalten und nicht einschüchtern vom Gerede der Menschen. Die Gnaden, die Gott in dir niederlegt, sind noch viel größer als diejenigen, die Er in mir gewirkt und viel glaubwürdiger als diejenigen, die ich hatte, weil ich eine Klosterfrau war, die sich üben konnte in diesen Sachen und ich in Wahrheit viele Bücher gelesen, während du in einem Stande stehst, wo es nicht möglich wäre, sich so etwas auszudenken; denn bei mir hätte man eher denken können, ich würde mich hineindenken. Deshalb haben die Priester unrecht, die Schriften nicht anzunehmen. Wie sie die Klosterfrauen durch Beschauung und Ansprachen in der Liebe Gottes entflammt haben, wodurch Gott sehr verherrlicht worden sei, so sollt ihr es tun, wenn ihr euch zusammenfindet.“
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