MS - Therapie Konsensus-Gruppe (MSTKG) (Auszug aus Nervenarzt 70:371-386, 1999)
Die immunmodulatorische Behandlung der Multiplen Sklerose hat in den letzten Jahren durch die positiven Ergebnisse mehrerer großer Multicenterstudien einen wichtigen Durchbruch erlebt. So konnte für verschiedene Substanzen gezeigt werden, daß neben einer Reduktion der Schubzahl auch die Progression der Erkrankung beeinflußbar ist. Um die Umsetzung der aus diesen Studien gewonnenen Erkenntnisse in die tägliche Praxis zu verbessern, wurde zunächst für den deutschsprachigen Bereich Europas eine Bestandsaufnahme der aktuellen Behandlungsmöglichkeiten im Rahmen einer internationalen Konsensgruppe erstellt.
Kortikosteroidbehandlung des akuten Schubs
Die Therapie des akuten MS-Schubs mit Kortikosteroiden ist als etablierter Standard anzusehen. Die Wirkung der Kortikosteroide auf den MS-Schub wird unter anderem durch die Suppression der Entzündungsreaktion, Verringerung des entzündlich bedingten Ödems und Restauration der Blut-Hirn-Schranke erklärt. Die Blockade der Freisetzung proinflammatorischer Zytokine scheint ebenfalls sehr wichtig zu sein. Aus pharmakologischen Gründen werden meist Methylprednisolon und Dexamethason eingesetzt. Im deutschsprachigen Raum hat sich die intravenöse Hochdosisbehandlung als therapeutischer Standard durchgesetzt.: Die Tagesdosis von 1g Methylprednisolon wird meist morgens als Einzeldosis in einer Kurzinfusion an mindestens drei aufeinander folgenden Tagen gegeben. Sie kann sich im Individualfall bis auf maximal 7-10 Tage ausdehnen. Als mögliche Alternative kann auch die orale Hochdosistherapie mit 500mg Methylprednisolon einmal täglich über 5 Tage mit anschließendem Ausschleichen über 10 Tage angesehen werden. ( Eine prophylaktische Langzeittherapie mit niedrig dosierten oralen Kortikosteroiden ist wegen der zu erwartenden Nebenwirkungen absolut nicht empfehlenswert.)
Interferon-beta 1b und Interferon-beta 1a
Beta-Interferone wurden bereits seit den 70er Jahren in verschiedenen Studien zur Behandlung von Multipler Sklerose eingesetzt. Doch erst die Möglichkeit, diese körpereigene Substanz gentechnologisch in größerem Umfang in reiner Form herzustellen, ermöglichte die Durchführung von großen klinischen Studien. Die Wirksamkeit beruht hauptsächlich auf der Induktion bestimmter immunmodulatorischer Zytokine, auf der Hemmung der T-Zellproliferation, auf der Hemmung der Produktion proinflammatorischer Zytokine, auf der Steigerung der T-Suppressorzellaktivität sowie auf der verminderten Blut-Hirn-Schranken-Permeabilität. Die Zulassung wurde für die subkutane Gabe von IFN ß-1b (Betaferon) 8 Mio. Einheiten jeden zweiten Tag , für die intramuskuläre Gabe von IFN ß-1a (Avonex) in der Dosierung von 6 Mio. Einheiten einmal pro Woche und für die subkutane Gabe von IFN ß-1a (Rebif) in der Dosierung von 3x6 Mio. Einheiten pro Woche ausgesprochen. Nach bisher vorliegenden Erkenntnissen bestehen keine grundsätzlichen qualitativen Unterschiede der immunmodulatorischen Effekte von IFN ß-1a und IFN ß-1b. In allen drei publizierten Studien wurden Patienten mit schubförmigem Krankheitsverlauf eingeschlossen und als wesentliche Effektivitätsparameter wurden die Schubfrequenz, die bestätigte Krankheitsprogression gemessen an der EDSS und die Veränderung der kernspintomographischen Läsionen untersucht. Für alle drei Präparate konnte eine signifikante Reduktion der Schubfrequenz und kernspintomographischen Krankheitsaktivität demonstriert werden. Für Avonex und Rebif konnte zusätzlich ein signifikanter Einfluß auf die Krankheitsprogression nachgewiesen werden. Bei allen drei Substanzen ist mit grippeähnlichen Nebenwirkungen besonders in der Anfangsphase der Behandlung zu rechnen. Veränderungen des Blutbildes und der Leberwerte können auftreten. Bei den subkutan applizierten Beta-Interferonen (Betaferon und Rebif) konnten darüber hinaus lokale Reizerscheinungen und im Einzelfall Nekrosen beobachtet werden. Insgesamt können die Nebenwirkungen aber durch die Gabe nichtsteroidaler Antiphlogistika, Kühlung der Injektionsstellen und Modifikation des Injektionszeitpunktes in der Regel kontrolliert werden. Die mögliche Entwicklung von neutralisierenden Antikörpern kann nach den bisher vorliegenden Erkenntnissen noch nicht sicher eingeschätzt werden. In der ersten abgeschlossenen Studie zur Wirksamkeit von Beta-Interferonen bei der sekundär progredienten Verlaufsform der Multiplen Sklerose konnte ein eindeutig positiver Effekt unter der Behandlung mit Betaferon 8 Mio. Einheiten jeden zweiten Tag subkutan festgestellt werden. Für die beiden anderen Beta-Interferone liegen noch keine Testergebnisse vor.
Glatirameracetat / Copolymer-1
Bei dieser unter dem Namen Copaxone geführten Substanz handelt es sich um ein synthetisches Polypeptid aus den L-Aminosäuren, Glutaminsäure, Lysin, Alanin und Tyrosin (GLAT). Es war ursprünglich entwickelt worden, um als immunologisches Analog zum basischen Myelinprotein (MBP) experimentell eingesetzt zu werden. Zur Behandlung der schubförmigen Verlaufsform der MS wird Copaxone täglich subkutan appliziert und vergleichsweise gut vertragen. Bezüglich der Schubreduktion wurde ein ähnlich großer Effekt wie unter den Beta-Interferonen beobachtet. Glatirameracetat stellt damit eine Alternative zur immunprophylaktischen Therapie bei Unverträglichkeit der Beta-Interferon-Behandlung oder geringerer Behinderung dar und steht in der Reihe der Medikamente für die prophylaktische immunmodulatorische Basistherpie.
Intravenöse Immunglobuline
Die therapeutische Wirksamkeit von intravenös verabreichten Immunglobulinen (IVIg) ist bei verschiedenen immunvermittelten neurologischen Erkrankungen belegt. Als möglicher Wirkmechanismus werden bei der Multiplen Sklerose komplexe Eigenschaften wie Neutralisierung von Zytokinen, Blockade von bestimmten Rezeptoren und Effekte antiidiotypischer Antikörper diskutiert In einer größeren Studie konnte eine deutliche Schubreduktion nachgewiesen werden, Hinweise für eine Beeinflussung der Krankheitsprogression ergeben sich mit Einschränkungen. Eine optimale Dosierung der verschiedenen Immunglobulinpräparate konnte bis jetzt noch nicht festgelegt werden.
Azathioprin
Das u. a .unter dem Namen Imurek bekannte Medikament ist ein Purinanalog, welches im Organismus zu 6-Mercaptopurin und Methylnitroimidazol metabolisiert wird. Beide Komponenten sollen immunsuppressiv wirken. In der Therapie der Multiplen Sklerose ist ein breites und langjähriges Erfahrungswissen über Azathioprin vorhanden. Es hat einen günstigen Effekt auf die Schubfrequenz und ist in einer Dosierung von 2-3mg/kg Körpergewicht als Basistherapie beim schubförmigen Verlauf der Multiplen Sklerose möglich. Patienten, die bereits mit Azathioprin behandelt werden und einen stabilen Krankheitsverlauf zeigen, können aufgrund der neuen Erkenntnisse zur Langzeitsicherheit dieses Präparat unter ein- bis zweimonatiger Kontrolle des Blutbildes die Therapie für ca. 10 Jahre weiter fortführen. Mit einem verzögerten Wirkungseintritt von mindestens 2-5 Monaten nach Beginn der Medikation muß gerechnet werden.
Mitoxantron
Diese Substanz, auch als Novantrone bekannt, wurde Ende der 70er Jahre als wirksames Chemotherapeutikum bei einer Reihe von bösartigen Erkrankungen entwickelt. Anfang der 80er Jahre wurde dann gezeigt, daß Mitoxantron auch immunsuppressiv bzw. immunmodulatorisch aktiv ist. Mitoxantron reduziert signifikant die Schubzahl und es wirkt sich positiv auf die Krankheitsprogression aus. Es muß als ein sehr effektives Medikament in der Behandlung der Multiplen Sklerose angesehen werden, welches aber aufgrund seiner kumulativen Höchstdosis in Abhängigkeit von den verwandten Einzeldosen und Applikationsintervallen nur etwa 24-36 Monate zur Behandlung eingesetzt werden kann. Der Einsatz diese Medikamentes sollte nach sorgfältiger Abwägung der Indikation in erster Linie bei Patienten mit hochfrequentem schubförmigen Verlauf und schlechter Remissionstendenz bzw. Therapieversagen eines Beta-Interferon-Präparates sowie bei sekundär-progredientem Verlauf mit rascher Progression durchgeführt werden. Die Behandlung sollte immer in Kooperation mit einem MS-Zentrum unter engmaschiger Kontrolle des Blutbildes sowie der Leber -und Nierenfunktionswerte erfolgen.
Cyclophosphamid
Cyclophosphamid ist eine Substanz aus der Gruppe der Stickstoff-Lost-Verbindungen. Es besitzt eine allgemein immunsupprimierende Wirkung, die vermutlich in erster Linie durch zytotoxische Effekte auf sich rasch teilende Zellen bedingt ist. Zur Therapie der Multiplen Sklerose mit Cyclophosphamid liegen mehrere Studien bei sekundär chronisch progredientem und primär progredientem Krankheitsverlauf vor.
Bei diesen Studien kann keine eindeutige Überlegenheit eines bestimmten Therapieschemas mit Cyclophosphamid empfohlen werden. Die Wirksamkeit bei MS ist nicht eindeutig belegt. Die Behandlung kann als Eskalation im Rahmen der immunmodulatorischen Stufentherapie bei Versagen anderer Therapiemaßnahmen angesehen werden. Wegen der zum Teil erheblichen Nebenwirkungen der hohen Einmaldosis werden alternative Applikationsformen mit z.B. 3mal täglichen Einzeldosen empfohlen. Entscheidend für die Durchführung dieser Therapie scheint es aber zu sein, daß sie in Abständen von 4 bis 6 Wochen mit einer Dosierung um 600mg/qm Körperoberfläche durchgeführt wird.
Methotrexat
Diese bei einer Reihe von Autoimmunerkrankungen, besonders der rheumatoiden Arthritis, erfolgreich eingesetzte Medikament hemmt u.a. die Teilung rasch proliferierender Zellen wie z. B. Lymphozyten. Zum jetzigen Zeitpunkt kann keine allgemeine Empfehlung für den Einsatz von Methotrexat bei der Multiplen Sklerose gegeben werden, insbesondere angesichts der marginalen Therapieeffekte mit Dosierungen, wie sie in der Rheumatherapie therapeutisch eingesetzt werden. Im Einzelfall kann jedoch bei Versagen andere Therapiemaßnahmen ein Behandlungsversuch bei Patienten zur Stabilisierung der Koordinatiosfunktionen angebracht sein. Bei rasch progredientem Krankheitsverlauf sollte zunächst Mitoxantron gewählt werden
Weitere immun-prophylaktische Therapien
Für den Einsatz anderer Substanzen in der immunprophylaktischen Behandlung der Multiplen Sklerose wie z. B. Cladribin, Cyclosporin A, Linomid, 15- Deoxyspergualin, orales Myelin, Plasmaphorese, Stammzelltransplantation, Enzymtherapie oder Phosphodiesterase-Inhibitoren wie Pentoxyfillin gibt es anhand der vorliegenden Studienergebnisse keine hinreichenden positiven Ergebnisse oder Behandlungserfahrungen, die derzeit einen Einsatz bei der Multiplen Sklerose rechtfertigen. Sie werden zum Teil weiter untersucht und in einer späteren Bestandsaufnahme bewertet.
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