Baktrische Parallelen
[Abb. 6a-b]
Zunächst sind dies zwei andere baktrische Compartment-
siegel mit dem selben Grundmotiv, die ebenfalls aus dem
Kunsthandel stammen und die das Sujet der auf einem
Feliden sitzenden Frau in Varianten wiederholen.
Das erste Parallelbeispiel befindet sich im Louvre
(Amiet 1978: 162-163, Abb. 34). Es handelt sich dabei um
ein sehr großes Blei-Arsen-Bronze-Siegel [Abb. 6b]. Hier
sitzt eine Frau in identischer Haltung und Kleidung, nur
nach rechts, statt nach links blickend, auf einem Feliden-
mischwesen. Im Unterschied zum Siegel der Ligabue-
Sammlung hält die sitzende Göttin jedoch die Arme hori-
zontal vor der Taille zusammengelegt. Dies ist, neben der
oben beschriebenen Armhaltung, die wohl häufigste der
anthropomorphen Wesen überhaupt. Sie wird bei weib-
lichen und männlichen Personen wie bei Tier-Mensch-
mischwesen genutzt und leitet sich von den Darstellun-
gen südostiranischer Glyptik ab (Winkelmann 1997a).
Auch der Felide zeigt eine Variation: es handelt sich um
ein Mischwesen, ein Monster mit einem Felidenkörper
und einem langen Hals, der in einem Schlangenkopf mit
weit aufgerissenem Maul endet.
Das zweite, ebenfalls relativ große baktrische Compar-
timentsiegel ist aus Silber gefertigt (Pottier 1980: 167-174;
Amiet 1986: 147, Abb. 184).
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Auch hier sitzt wieder eine
sehr schlanke Frau mit bodenlangem Rockund mit vor
der Taille zusammengelegten Händen auf einem Feliden-
mischwesen, ähnlich wie beim vorhergehenden Siegel
[Abb. 6a]. Das Mischwesen ist jedoch kein schlangenköp-
figer Löwe, sondern an den Felidenkörper schließt sich
ein geschuppter Hals und ein gehörnter und mit Bart
versehener Drachenkopf mit aufgerissenem Maul an. Die
Schreithaltung des Felidenmischwesens mit dem einen
erhobenen Vorderbein wie auch die Haltung des Schwan-
zes sind identisch mit der auf dem Ligabue-Siegel. Dies
betrifft auch die Feinheit der Detaildarstellungen: we-
sentlichweniger korridiert als das Siegel der Sammlung
Ligabue, sind alle Einzelheiten der Fellzeichnung, des
Schuppenhalses und der Raubtierkopfes erkennbar, die
Muskeln und Gelenke des Tieres. Die Frau besitzt dasselbe
feingezeichnete Gesicht mit der geraden Nase und den
eingeritzten Augen, die gleiche nackenfreie Frisur, mit
dem im Nacken in eine Rolle eingeschlagenen Haaren und
ihr langer Rock zeigt deutlich eingeritzte bewegte Zotten,
die von einer Verwandtschaft mit dem mesopotamischen
Kaunakesgewand künden. Im Unterschied zu den beiden
bisher besprochenen Siegeln ist die Frau jedoch nicht
geflügelt: stattdessen entspringen von ihren Oberarmen
noch zwei Ziegenprotome mit zurückgewandtem Kopf,
deren Vorderläufe wieder mit dem Rahmen verschmel-
zen. Der Rahmen selbst zeigt ein undeutlich erkennbares
Flechtbandmotiv, das dieses Siegel wieder mit dem ersten
verbindet.
Inwieweit alle diese drei Siegel Varianten ein und des-
selben Grundtypus (Frau auf Felide) oder verschiedene
Typen (geflügelte/ungeflügelte Frau) zeigen, ist vom bis-
herigen Wissensstand nicht zu erklären. Auffällig ist aber,
da
β
das Sitzen auf Feliden oder Schlangen oder auf
Mischwesen aus diesen beiden sich auch bei weiteren
Darstellungen auf Compartimentsiegeln wiederholt —bei
geflügelten vogel- oder affenköpfigen Mischwesen (Amiet
1986: Abb. 182; Sarianidi 1986b: Abb. 1.8-9). Man geht
sicherlich nicht fehl in der Annahme, da
β
ein solches
Reittier ebenso wie das häufige Anfügen von Flügeln oder
anderen zoomorphen Elementen an anthropomorphe
Figuren die thronende Figuren aus dem Kreis einfacher
anthropomorpher Darstellungen heraushebt und sie
durch diese Attribute in die Gruppe der mythologischen
Figuren einreiht. Eine Interpretation als Gottheit (noch
unbekannter Funktion) liegt hier ziemlich nahe.
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