Im Westen nichts Neues / На Западном фронте без перемен. Книга для чтения на немецком языке



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Im Westen nichts Neues На Западном фронте без перемен Книга для

* * *
Ich bin öfter auf Wache bei den Russen. In der Dunkelheit sieht man ihre
Gestalten sich bewegen, wie kranke Störche, wie große Vögel. Sie kommen
dicht an das Gitter heran und legen ihre Gesichter dagegen, die Finger sind in die
Maschen gekrallt. Oft stehen viele nebeneinander. So atmen sie den Wind, der
von der Heide und den Wäldern herkommt.
Selten sprechen sie, und dann nur wenige Worte. Sie sind menschlicher
und, ich möchte fast glauben, brüderlicher zueinander als wir hier. Aber das ist
vielleicht nur deshalb, weil sie sich unglücklicher fühlen als wir. Dabei ist für sie
doch der Krieg zu Ende. Doch auf die Ruhr zu warten, ist ja auch kein Leben.
Die Landsturmleute, die sie bewachen, erzählen, dass sie anfangs lebhafter
waren. Sie hatten, wie das immer ist, Verhältnisse untereinander, und es soll oft
mit Fäusten und Messern dabei zugegangen sein. Jetzt sind sie schon ganz
stumpf und gleichgültig, die meisten onanieren nicht einmal mehr, so schwach
sind sie, obschon es doch damit sonst oft so schlimm ist, dass sie es sogar
barackenweise tun.
Sie stehen am Gitter; manchmal schwankt einer fort, dann ist bald ein
anderer an seiner Stelle in der Reihe. Die meisten sind still; nur einzelne betteln
um das Mundstück einer ausgerauchten Zigarette.


Ich sehe ihre dunklen Gestalten. Ihre Bärte wehen im Winde. Ich weiß
nichts von ihnen, als dass sie Gefangene sind, und gerade das erschüttert mich.
Ihr Leben ist namenlos und ohne Schuld; – wüsste ich mehr von ihnen, wie sie
heißen, wie sie leben, was sie erwarten, was sie bedrückt, so hätte meine
Erschütterung ein Ziel und könnte zu Mitleid werden. Jetzt aber empfinde ich
hinter ihnen nur den Schmerz der Kreatur, die furchtbare Schwermut des Lebens
und die Erbarmungslosigkeit der Menschen.
Ein Befehl hat diese stillen Gestalten zu unsern Feinden gemacht; ein
Befehl könnte sie in unsere Freunde verwandeln. An irgendeinem Tisch wird ein
Schriftstück von einigen Leuten unterzeichnet, die keiner von uns kennt, und
jahrelang ist unser höchstes Ziel das, worauf sonst die Verachtung der Welt und
ihre höchste Strafe ruht. Wer kann da noch unterscheiden, wenn er diese stillen
Leute hier sieht mit den kindlichen Gesichtern und den Apostelbärten! Jeder
Unteroffizier ist dem Rekruten, jeder Oberlehrer dem Schüler ein schlimmerer
Feind als sie uns. Und dennoch würden wir wieder auf sie schießen und sie auf
uns, wenn sie frei wären.
Ich erschrecke; hier darf ich nicht weiterdenken. Dieser Weg geht in den
Abgrund. Es ist noch nicht die Zeit dazu; aber ich will den Gedanken nicht
verlieren, ich will ihn bewahren, ihn fortschließen, bis der Krieg zu Ende ist.
Mein Herz klopft: ist hier das Ziel, das Große, das Einmalige, an das ich im
Graben gedacht habe, das ich suchte als Daseinsmöglichkeit nach dieser
Katastrophe aller Menschlichkeit, ist es eine Aufgabe für das Leben nachher,
würdig der Jahre des Grauens?
Ich nehme meine Zigaretten heraus, breche jede in zwei Teile und gebe sie
den Russen. Sie verneigen sich und zünden sie an. Nun glimmen in einigen
Gesichtern rote Punkte. Sie trösten mich; es sieht aus, als wären es kleine
Fensterchen in dunklen Dorfhäusern, die verraten, dass dahinter Zimmer voll
Zuflucht* sind.
* * *
Die Tage gehen hin. An einem nebeligen Morgen wird wieder ein Russe
begraben; es sterben ja jetzt fast täglich welche. Ich bin gerade auf Wache, als er
beerdigt wird. Die Gefangenen singen einen Choral*, sie singen vielstimmig,
und es klingt, als wären es kaum noch Stimmen, als wäre es eine Orgel, die fern
in der Heide steht.
Die Beerdigung geht schnell.
Abends stehen sie wieder am Gitter, und der Wind kommt von den


Birkenwäldern zu ihnen. Die Sterne sind kalt. Ich kenne jetzt einige von ihnen,
die ziemlich gut Deutsch sprechen. Ein Musiker ist dabei, er erzählt, dass er
Geiger in Berlin gewesen sei. Als er hört, dass ich etwas Klavier spielen kann,
holt er seine Geige und spielt.
Die andern setzen sich und lehnen die Rücken an das Gitter. Er steht und
spielt, oft hat er den verlorenen Ausdruck, den Geiger haben, wenn sie die
Augen schließen, dann wieder bewegt er das Instrument im Rhythmus und
lächelt mich an.
Er spielt wohl Volkslieder; denn die anderen summen mit. Es sind dunkle
Hügel, die tief unterirdisch summen. Die Geigenstimme steht wie ein schlankes
Mädchen darüber und ist hell und allein. Die Stimmen hören auf, und die Geige
bleibt – sie ist dünn in der Nacht, als friere sie; man muss dicht danebenstehen,
es wäre in einem Raum wohl besser; – hier draußen wird man traurig, wenn sie
so allein umherirrt.
* * *
Ich bekomme keinen Urlaub über Sonntag, weil ich ja erst größeren Urlaub
gehabt habe. Am letzten Sonntag vor der Abfahrt sind deshalb mein Vater und
meine älteste Schwester zu Besuch bei mir. Wir sitzen den ganzen Tag im
Soldatenheim. Wo sollen wir anders hin, in die Baracke wollen wir nicht gehen.
Mittags machen wir einen Spaziergang in die Heide.
Die Stunden quälen sich hin; wir wissen nicht, worüber wir reden sollen. So
sprechen wir über die Krankheit meiner Mutter. Es ist nun bestimmt Krebs, sie
liegt schon im Krankenhaus und wird demnächst operiert. Die Ärzte hoffen, dass
sie gesund wird, aber wir haben noch nie gehört, dass Krebs geheilt worden ist.
»Wo liegt sie denn?« frage ich.
»Im Luisenhospital«, sagt mein Vater.
»In welcher Klasse?«
»Dritter. Wir müssen abwarten, was die Operation kostet. Sie wollte selbst
dritter liegen. Sie sagte, dann hätte sie etwas Unterhaltung. Es ist auch billiger.«
»Dann liegt sie doch mit so vielen zusammen. Wenn sie nur nachts schlafen
kann.«
Mein Vater nickt. Sein Gesicht ist abgespannt und voll Furchen. Meine
Mutter ist viel krank gewesen; sie ist zwar nur ins Krankenhaus gegangen, wenn
sie gezwungen wurde, trotzdem hat es viel Geld für uns gekostet, und das Leben
meines Vaters ist eigentlich darüber hingegangen. »Wenn man bloß wüsste,
wieviel die Operation kostet«, sagt er.


»Habt ihr nicht gefragt?«
»Nicht direkt; das kann man nicht – wenn der Arzt dann unfreundlich wird,
das geht doch nicht, weil er Mutter doch operieren soll.«
Ja, denke ich bitter, so sind wir, so sind sie, die armen Leute. Sie wagen
nicht nach dem Preise zu fragen und sorgen sich eher furchtbar darüber; aber die
andern, die es nicht nötig haben, die finden es selbstverständlich, vorher den
Preis festzulegen. Bei ihnen wird der Arzt auch nicht unfreundlich sein.
»Die Verbände hinterher sind auch so teuer«, sagt mein Vater.
»Zahlt denn die Krankenkasse nichts dazu?« frage ich.
»Mutter ist schon zu lange krank.«
»Habt ihr denn etwas Geld?«
Er schüttelt den Kopf. »Nein. Aber ich kann jetzt wieder Überstunden*
machen.«
Ich weiß: er wird bis zwölf Uhr nachts an seinem Tisch stehen und falzen
und kleben und schneiden. Um acht Uhr abends wird er etwas essen von diesem
kraftlosen Zeug, das sie auf Karte beziehen. Hinterher wird er ein Pulver gegen
seine Kopfschmerzen einnehmen und weiterarbeiten.
Um ihn etwas aufzuheitern, erzähle ich ihm einige Geschichten, die mir
gerade einfallen, Soldatenwitze und so etwas, von Generalen und Feldwebeln,
die irgendwann mal ‘reingelegt wurden.
Nachher bringe ich beide zur Bahnstation. Sie geben mir ein Glas
Marmelade und ein Paket Kartoffelpuffer, die meine Mutter noch für mich
gebacken hat.
Dann fahren sie ab, und ich gehe zurück.
Abends streiche ich mir von der Marmelade auf die Puffer und esse davon.
Es will mir nicht schmecken. So gehe ich hinaus, um den Russen die Puffer zu
geben. Dann fällt mir ein, dass meine Mutter sie selbst gebacken hat und dass sie
vielleicht Schmerzen gehabt hat, während sie am heißen Herd stand. Ich lege das
Paket zurück in meinen Tornister und nehme nur zwei Stück davon mit zu den
Russen.



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