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Es wird von einer Offensive* gemunkelt*. Wir gehen zwei Tage früher als
sonst an die Front. Auf dem Wege passieren wir eine zerschossene Schule. An
ihrer Längsseite aufgestapelt steht eine doppelte,
hohe Mauer von ganz neuen,
hellen, unpolierten Särgen. Sie riechen noch nach Harz und Kiefern und Wald.
Es sind mindestens hundert.
»Da ist ja gut vorgesorgt zur Offensive«, sagt Müller erstaunt.
»Die sind für uns«, knurrt Detering.
»Quatsch nicht!« fährt Kat ihn an.
»Sei froh, wenn du noch einen Sarg kriegst«, grinst Tjaden, »dir verpassen
sie doch nur eine Zeltbahn* für deine Schießbudenfigur, pass auf!«
Auch die andern machen Witze, unbehagliche Witze, was sollen wir sonst
tun. – Die Särge sind ja tatsächlich für uns. In solchen Dingen klappt die
Organisation.
Überall vorn brodelt es. In der ersten Nacht versuchen wir uns zu
orientieren. Da es ziemlich still ist, können wir hören, wie die Transporte hinter
der gegnerischen Front rollen, unausgesetzt, bis in die Dämmerung hinein. Kat
sagt,
dass sie nicht abrollen, sondern Truppen bringen, Truppen, Munition,
Geschütze.
Die englische Artillerie ist verstärkt, das hören wir sofort. Es stehen rechts
mindestens vier Batterien 20,5 mehr, und hinter dem Pappelstumpf sind
Minenwerfer eingebaut. Außerdem ist eine Anzahl dieser kleinen französischen
Biester mit Aufschlagzündern* hinzugekommen.
Wir sind in gedrückter Stimmung. Zwei
Stunden nachdem wir in den
Unterständen* stecken, schießt uns die eigene Artillerie in den Graben. Es ist das
drittemal in vier Wochen. Wenn es noch Zielfehler wären, würde keiner was
sagen, aber es liegt daran, dass die Rohre zu ausgeleiert* sind; sie streuen bis in
unsern Abschnitt, so unsicher werden die Schüsse oft. In dieser Nacht haben wir
dadurch zwei Verwundete.
* * *
Die Front ist ein Käfig, in dem man nervös warten muss auf das, was
geschehen wird. Wir liegen unter dem Gitter der Granatenbogen und leben in der
Spannung des Ungewissen. Über uns schwebt der Zufall. Wenn ein Geschoss
kommt,
kann ich mich ducken, das ist alles; wohin es schlägt, kann ich weder
genau wissen noch beeinflussen.
Dieser Zufall ist es, der uns gleichgültig macht. Ich saß
vor einigen
Monaten in einem Unterstand und spielte Skat; nach einer Weile stand ich auf
und ging, Bekannte in einem andern Unterstand zu besuchen. Als ich
zurückkam, war von dem
ersten nichts mehr zu sehen, er war von einem
schweren Treffer* zerstampft. Ich ging zum zweiten zurück und kam gerade
rechtzeitig, um zu helfen, ihn aufzugraben. Er war inzwischen verschüttet
worden.
Ebenso zufällig,
wie ich getroffen werde, bleibe ich am Leben. Im
bombensicheren Unterstand kann ich zerquetscht werden, und auf freiem Felde
zehn Stunden Trommelfeuer unverletzt überstehen. Jeder Soldat bleibt nur durch
tausend Zufälle am Leben. Und jeder Soldat glaubt und vertraut dem Zufall.
Do'stlaringiz bilan baham: